Rückwärts in die Dunkelheit

Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

- die letzten Worte eines Sterbenden.


21. Kapitel

Über Freunde und Feinde


"Jeder Freund ist des anderen Sonne;
er zieht und er folgt."

(Jean Paul)

„Ssht, da kommt jemand!", zischte James angespannt und Sirius hielt inne.

Dicht gedrängt unter dem Tarnumhang, den James zu Beginn dieses fünften Schuljahres von seinem Vater geschenkt bekommen hatte (wie er daran gekommen war, blieb den Jungen noch ein Rätsel), harrten die beiden Gryffindors inmitten des Slytheringemeinschaftsraumes aus und lauschten auf etwaige Geräusche in der nächtlichen Stille.

Es blieb jedoch ruhig.

„So'n Quatsch, Alter, da kommt niemand", flüsterte Sirius aufgeregt zurück und wollte fortfahren.

James legte schnell seine rechte Hand auf Sirius' Schulter und hielt ihn zurück. „Lass uns noch zwei Minuten abwarten!"

Er hatte wirklich geglaubt, Schritte gehört zu haben. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er in den Gang hinein, der vom Gemeinschaftsraum zu den Jungenschlafsälen führte. Er spitzte angestrengt die Ohren.

Aber es blieb immer noch still. Vielleicht hatte er sich das Geräusch auch nur eingebildet.

Er merkte, wie Sirius ungeduldig wurde und übte mehr Druck auf dessen Schulter aus. Sicherer war es, abzuwarten. Die zwei Minuten verstrichen unendlich langsam; die Zeit schien sich mit der Ewigkeit verbündet zu haben, doch endlich hatte James die hundertzwanzig Sekunden in Gedanken abgezählt und da sich noch immer nichts regte, ließ er Sirius los.

„Okay", wisperte er.

Sirius schnaubte nur. Dann huschten sie zusammen zur Wand gegenüber der Eingangstür und hoben ihre Zauberstäbe. Die Spitzen ragten unter dem Umhang hervor und gemeinsam murmelten sie den komplizierten Zauberspruch, den sie mit Remus und Peter lange gesucht und geübt hatten.

Je ein bunter Blitz zischte aus den Zauberstäben hervor und die Wand wurde in farbiges Licht eingetaucht. Die beiden Blitze schwirrten über die Wand, kreuz und quer und erfüllten den Raum mit zischelndem Geräusch und dem scharfen Geruch nach Farbe.

James beobachtete die Auswirkungen des Zauberspruchs atemlos und er hörte Sirius nervös kichern. Die Blitze wurden allmählich schwächer und das sprühende Zischgeräusch nahm ab. Dann war es wieder still und dunkel.

Lumos", flüsterte James aufgeregt – und jauchzte kurz danach.

Sirius lachte leise. „Perfekt, Kumpel! Ich sag's doch, wir sind unschlagbar!"

James grinste breit. Und ob sie das waren.

Im hellen Lichte des Lumos-Zaubers konnten sie ihr Werk genauestens betrachten: ein wandgroßes Bild. Freche Karikaturen von dem slytherin'schen Quidditchteam in grotesken Spielpositionen. Die beiden Jäger hatten sich ineinander verkeilt, der Hüter, der auf dem großen Bild überdimensional zugenommen hatte, steckte in einem der Ringe fest und zeterte wütend. Der Sucher verwechselte den Schnatz mit den Klatschern und versuchte, sie sabbernd und mit großen Glubschaugen zu fangen und wurde von den brutalen Bällen die ganze Zeit abgeschossen. Dann waren da noch die beiden Treiber, wovon einer von seinem verhexten Besen fiel und durch den höchsten, gegnerischen Ring flog – Madam Hooch wertete dies als Eigentor – und der andere seelenruhig auf seinem Besen lag und schlief. Unten auf dem Feld stand Snape mit einer viel zu großen Hakennase, eine ölige Schleimspur hinterlassend, von der Geruchschwaden in die Luft stiegen und die Slytherinspieler nachhaltig benebelten.

Über das Quidditchfeld war ein gut lesbares Graffiti hingesprüht: Ein Schnappschuss des kommenden Spiels. Zu Unehren der Slytherins.

Die Farben waren sehr grell und hoben sich nahezu blendend von dem Silber und Grün ab.

Sirius verhexte die besprühte Wand noch mit einem Schutzzauber, damit die Slytherins es nicht einfach hatten, ihr Werk zu vernichten.

Nox", flüsterte James und sie zogen ihre Zauberstäbe zurück, wieder vollständig vom kostbaren Umhang getarnt.

„Schade, dass wir ihre Gesichter nicht sehen können", kicherte Sirius.

James hätte sie auch nur allzu gerne gesehen, wenn sie das Bild entdeckten. Sie würden ausrasten.

Sie drehten sich um und gingen dicht einander gedrängt, aber mit geübten, flinken, lautlosen Sohlen durch den Gemeinschaftsraum zurück.

Sirius öffnete die Tür und genau in diesem Augenblick stob jemand von außen hinein und rannte sie um.

„AARRGH", machte der Slytherin, als er zu Boden segelte.

James und Sirius, die mit hinunter gerissen wurden, fluchten; der Tarnumhang wurde beim Fall heruntergezogen.

James konnte es nicht fassen, als er Severus Snape auf sich liegen sah, der aus großen, schwarzen Augen perplex zurück starrte. Sirius hatte sich im Tarnumhang verheddert, so dass er nur noch teilweise zu sehen war. Doch er reagierte schnell und riss ihn ganz herunter, ehe Snape das wertvolle Stück bemerkte.

„Runter von mir, Snape, bevor du meine Klamotten einölst!", spie James zornig aus, der sich von dem Schrecken als erster erholt hatte. Er stemmte seine flachen Hände gegen Snapes Brust und schubste ihn von sich weg. Dann rappelte er sich hastig auf, ebenso Snape; Zauberstäbe wurden auf der Stelle gezückt und feindselige Blicke ausgetauscht.

„Potter! Black!", bellte Snape vollkommen außer sich. „Wie seid ihr denn hier hereingekommen!"

Noch wagte niemand, einen Kampf mittels eines Fluches zu eröffnen.

„Genauso wie du", grinste Sirius lässig.

Snapes Augen verengten sich. Er kochte mittlerweile vor Wut. Noch hatte er den gryffindorischen Streich nicht entdeckt und James handelte bereits, noch ehe Sirius oder Snape reagieren konnten.

Non conscientia", hexte er Snape bewusstlos.

Der Slytherin sackte zu Boden; jemand kreischte auf.

James' Kopf ruckte in die Richtung des Ganges, der zu den Mädchenschlafsälen führte.

„EINDRIIINGLIIINGEE! EEIIINNDRIIINGLEEEEEE", brüllte die Mädchenstimme und ein roter Blitz jagte kurz darauf auf James zu. Er duckte sich rasch und der Fluch zerschellte an der Tür.

„WEG HIER!", rief Sirius und die beiden Freunde rannten los. Kaum hatten sie die Kerker verlassen, warf Sirius den Tarnumhang über sie beide und sie waren gerettet.

Hastig schlichen sie zum Gryffindorturm und umgingen Mrs Norris.

„Mensch, das war knapp", keuchte James lachend. „Hoffentlich entdecken sie das Bild erst morgen."

„Klasse, dass du Snivellus bewusstlos gezaubert hast", feixte Sirius. „Er wird sich rächen wollen und wir brauchen uns dann noch nicht einmal einen Grund auszudenken, warum wir ihn fertig machen."

xx

Die Slytherins waren am nächsten Morgen in heller Aufruhr. Blitzschnell hatte sich die Geschichte von James' und Sirius' Streich rumerzählt. Und auch wenn Snape nicht gewusst hätte, wer sich denn nachts verbotenerweise auf Slytherinterrain geschlichen hatte, hätten sie ohnehin alle die Rumtreiber dahinter vermutet. Oder vielleicht auch Ted Tonks und Rick Lee Jordan, aber erstere kamen eigentlich immer in Frage.

Doch Beweise gab es nicht und Sirius und James vergnügten sich damit, unverschämt zu grinsen, auf der Hut vor rachsüchtigen Slytherins zu sein und den nächsten Streich auszudenken. Ihr nächstes Opfer war Professor Moody, Bruder des berüchtigten Alastor Moody, und nach wie vor Hauslehrer Slytherins. Ihm hatten sie in der Küche ein auflösbares, farbloses Brausepulver in den Kaffee geschüttet, das ihn wie einen Ballon aufblasen und seine Haut giftgrün färben würde.

Als die Wirkung eintrat, ging ein Raunen durch die Große Halle, die in erschrockene Schreie, dann in ausgelassenem Gelächter endete. Dumbledore und die anderen Professoren versuchten vergeblich, Gegenzauber einzusetzen und als das nicht half, brachte McGonagall den zeternden Professor unter dem Johlen der Schüler zu Pomfrey, damit sie ihm das Gegenmittel verabreichte.

Nur ein bestimmtes Brausepulver würde helfen.

Pomfrey kam am laufenden Vormittag dahinter, so dass die erste Doppelstunde, welche die Rumtreiber mit ihren Mitschülern aus Gryffindor und Ravenclaw gehabt hätten, ausfiel.

Die Freude war groß und die vier Jungen – allen voran James und Sirius – ließen sich inoffiziell als Helden feiern.

Sie gingen soeben fröhlich und rumalbernd eine Treppe hinunter, die am Gang zur Bibliothek vorbeiführte.

Wie aus dem Nichts stand Snape plötzlich vor ihnen.

James prallte zurück und stieß gegen Sirius, der mit Remus und Peter eine Kettenreaktion auslöste.

„Verdammt, Snivellus, kannst du nicht aufpassen?", fuhr James ihn an, doch dieser rang sich nur ein spöttisches Lächeln ab.

James kam Sirius' Vermutung in den Sinn, die sein Kumpel schon im vierten Schuljahr geäußert hatte: Snape konnte sich manchmal verflucht schnell bewegen; eine Eigenart, die er von seinem vampirischen Vater haben musste.

Snape wurde wieder bitter ernst. „Sag, hast du etwa einen Tarnumhang?"

James reagierte gut. Er riss die Augen verwirrt auf. „Was?"

„Einen-", fing Snape böse an, aber Sirius mischte sich arrogant an.

„Wir haben dich mit deiner öligen Stimme schon verstanden, Snivellus", entgegnete er. Er drängte sich nach vorne und stieß den Jungen zur Seite, so dass dieser gegen das Geländer prallte.

„Nein, haben wir nicht", meinte James nun und grinste dann schelmisch. „Aber eine gute Idee, Snivellus... wir sollten uns einen besorgen, meinst du nicht?"

Snape stieß verächtlich die Luft aus. „Tarnumhänge sind selten. Richtig selten. Man kann sie sich nicht so einfach mit Galleonen kaufen. Und mit gryffindorischer Arroganz schon gar nicht."

Das genügte den Rumtreibern. James und Sirius hatten ihre Zauberstäbe schon gezückt; Remus verdrehte seufzend die Augen, da er solche Streitereien hasste, zumal er Vertrauensschüler war, und Peter wartete ab und zog seinen erst, als auch Snape es tat.

„Hört mal...", fing Remus an.

Sirius hob seine Hand. „Sei kein Spielverderber, Remus." Er ließ Snape nicht aus den Augen.

„Vier gegen einen", höhnte Snape. „Wie mutig."

James trat vor. „Ich gegen dich, Bastard", zischte er und maß den dunkelhaarigen Slytherin mit angriffslustigen Blicken.

Snape presste seine schmalen Lippen zusammen. „Okay, Potter", spuckte er hervor.

„Wann und wo?"

„Hier und jetzt", entgegnete Snape aufrührerisch. „Du glaubst wohl, ständig in unserem Gemeinschaftsraum rein- und rausspazieren zu können, wie es dir beliebt, wie."

James grinste. „Ich darf das."

„Das ist das wirklich Schlimme an euch", meinte Snape schnarrend. „Eure Einbildung, euch würde die Welt gehören." Sein kaltes Lächeln wurde gemein. „Nun, dann scheint aber Lily Evans wohl nicht zu eurer Welt gehören."

James' hielt kurz unwillkürlich die Luft an. Er mochte Lily. Es war nicht nur ihr Aussehen, das er umwerfend fand, oder ihre Art, die liebevoll, aber auch mutig war, sondern auch ihre Unerreichbarkeit. Bisher schlug sie alle seine Fragen nach Dates aus und er sah es als Herausforderung. Aber er hatte nicht vergessen, dass Lily und Snape sich – aller Logik zum Trotz, wie er fand – gut verstanden. Das wusste sonst niemand und James erzählte es auch nicht herum, um Lily nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Die Slytherins würden es in Zeiten wie diesen gar nicht gut auffassen, wenn ein Schlammblut mit einem Reinblut befreundet war.

„Was willst du damit sagen?", zischte er.

In Snapes schwarzen Augen glomm Verachtung auf, einer Flamme gleich, die fast an Hass grenzte. Als suchte er den einfachsten Weg, den nächst besten Pfad, der sich ihm bot.

James selbst hatte den Weg schon längst gefunden. Er hasste Snape.

„Nun, dass sie wohl niemals mit dir ausgehen wird." Häme beherrschte seine Stimme. „Schätze, sie mag Jungs wie dich nicht. Du reichst ihr nicht das Wasser, Potter."

James wurde nahezu blind vor Zorn. Geduld war ohnehin noch nie seine Stärke und die überschüssige Energie, die gerade Jungen in dem Alter zur Genüge hatten und die er versuchte loszuwerden, tat ihr Übriges.

Er stürzte sich auf Snape und boxte ihm in den Magen.

Der Slytherin keuchte auf, krümmte sich und fiel gleichzeitig zu Boden, als James' Gewicht ihm das Gleichgewicht nahm. Sie kullerten die Treppe bis zu einer besonders breiten Stufe herunter und prügelten sich verbissen.

Sirius johlte und feuerte James an. Seine Stimme hallte an den Wänden wider. Peter klatschte aufgeregt in die Hände.

„Sie sollen aufhören", sagte Remus mit gerunzelter Stirn. In seinen bernsteinfarbenen Augen lag Missfallen.

„Ach, lass sie doch", wehrte Sirius unwirsch ab.

„Ich bin Vertrauensschüler, Sirius!", entgegnete Remus ungewohnt heftig. „Ich kann nicht einfach die Augen schließen und Prügeleien ignorieren!"

Ein verächtlicher Blick aus dunklen Augen traf ihn. Sirius schob sich die schwarzen Haarsträhnen aus der Stirn, die aber sofort mit lässiger Eleganz zurückfielen.

„Kannst du wohl, Remus. Ehrlich, Mann, mir wäre es lieber gewesen, Dumbledore hätte dich nicht zum Vertrauensschüler gemacht." Sirius nahm die Prügelei wieder unter Beobachtung. „'N Moralapostel ist das Letzte, was wir gebrauchen können."

Und Remus schwieg. Solche Sprüche hatte er von Sirius und James in letzter Zeit oft zu hören bekommen. Obgleich sie von neckender, spöttischer Art waren, glaubte Remus, es würde die Freundschaft vielleicht erschüttern, wenn er ernsthaft versuchte, die beiden Unruhestifter von ihren Taten abzuhalten und ihnen sogar Punkte abzuziehen. Remus wusste, dass er in den Jungs einzigartige Freunde gefunden hatte, die ihn als Werwolf anerkannten und sich sogar immer erfolgreicher im Animagi-Sein übten, um ihm dann bei seiner Verwandlung Gesellschaft zu leisten. Alle anderen würden sich von ihm abwenden, wenn sie die Wahrheit wüssten, so glaubte Remus, und so wollte er James, Sirius und Peter nicht als Freunde verlieren. Und so vernachlässigte er lieber seinen Job als Vertrauensschüler, der ihn eigentlich mit Stolz erfüllt hatte, und kämpfte mit einem schlechten Gewissen.

Es war jemand anderes, der die heftige Schlägerei beendete.

„OH, MEIN GOTT!", rief jemand entsetzt aus.

Lily Evans stand mit einem Stapel Bücher im Arm oben am Fuß der Treppe und starrte erst geschockt, dann wütend auf die sich prügelnden Jungen.

„HÖRT AUF DAMIT!"

Weder James noch Snape nahmen sie wahr.

„Hallo, Lily", sagte Peter schüchtern, lächelte ihr aber nett zu.

Sie ignorierte ihn, denn sie war damit beschäftigt, Sirius funkelnde Blicke aus ihren unglaublich smaragdgrünen Augen zuzuschießen. „Sag ihnen, dass sie aufhören sollen!"

„Ah, Evans", begann Sirius gedehnt, die Hände in die Hosentaschen vergraben. „Halt dich da raus."

Sie schnaubte und ließ sich von seiner Coolness und der unterschwelligen Drohung im sonst so gelassenen Ton nicht beeindrucken und lief die Stufen herab, sich an den drei Rumtreibern vorbeischiebend. Sie zückte ihren Zauberstab und hexte in Nullkommanix einen Schwall eiskalten Wassers auf James und Snape.

Prustend prallten sie zurück und schauten mit weit aufgerissenen Augen auf. Sie bluteten aus Mund und Nase und jeweils ein Auge begann zuzuschwellen und sich zu verfärben. Sie keuchten beide und ihr Haar klebte ihnen nun nass auf der Kopfhaut; ihre Kleidung war pitschnass.

„Spinnt ihr?", fing Lily an zu schimpfen. „Ihr habt sie ja wohl nicht mehr alle! Was, wenn ihr erwischt worden wärt? Oder ihr die ganze Treppe hinuntergestürzt wärt!"

James, dessen Wut vom kalten Wasser erloschen war, stand umständlich auf, sich am Gelände hochziehend. Kurz verzog er sein Gesicht vor Schmerz.

„Evans, ich habe mich doch nur wegen dir geprügelt", presste er etwas mühsam hervor, doch er schaffte es, ein charmantes Lausbubenlächeln auf seine Lippen zu zaubern. Er fuhr sich mit seiner Hand durch sein nasses Haar und zerwuschelt es.

Snape stand ebenfalls auf und sagte nichts, während Lily James verständnislos anstarrte.

„Warum?" Sie lachte ungläubig.

James bereitete in einer Art unschuldigen Geste die Arme aus; aus seinen dunklen Haaren tropfte Wasser, das sich mit dem Blut vermischte und er schniefte kurz. Seine Brille saß ihm schief auf der Nase und hatte am rechten Glas einen Sprung. Seine haselnussbraunen Augen leuchteten jedoch, wie immer, wenn er Lily sah; nie war es ihm bewusst.

„Um ein strahlender Ritter für dich zu sein", entgegnete er schalkhaft und zwinkerte. „In der Hoffnung, dass du mit mir ausgehst."

Snape verdrehte die Augen. Sirius unterdrückte ein Kichern und Remus seufzte. Niemand bemerkte Peters bangen Blick. Aus Lilys Erstaunen wurde Zorn.

„WAS? Du tickst ja nicht mehr richtig, Potter! Du verprügelst andere, weil du wohl glaubst, dass ich das toll finden würde!"

James schürzte die Lippen. „Nun ja, vielleicht nicht unbedingt, aber..."

„Ich gehe schon mal", murmelte Snape indessen kopfschüttelnd und klang schadenfroh. Während er ging, versuchte James sich weiter vor Lily zu rechtfertigen, aber ohne Erfolg.

Eine erhitzte Röte überzog ihre Wangen. „Du bist immer so verdammt überzeugt von dir, Potter, dass ich glaube, du hast die Arroganz gefressen!", fuhr sie ihn an. Mit erbosten Blicken versuchte sie, den Gryffindor aufzuspießen. „Ich mag keine arroganten Jungs!"

Sprach' s, und stob davon.

James sah ihr etwas verdattert hinterher. Dann, um seine Ehre wieder zu gewinnen, rief er ihr cool hinterher: „Das tust du wohl, du weißt es nur noch nicht, Evans!"

Sirius sah ihn breit grinsend an. „Das war wohl nichts, Kumpel", sagte er unbekümmert.

James stierte finster zurück. „Halt die Klappe, Sirius."

xx

Regulus streifte nach dem Abendessen durch die Schule und näherte sich dem Gryffindorturm, mied aber den Eingang. In einem der Gänge in der Umgebung lungerte er herum und wartete, bis Sirius kam. Er wusste nicht, ob sein Bruder diesen Weg benutzen würde, doch er hoffte es.

Noch zu genau erinnerte er sich an die Sommerferien, als es ein Familientreffen im Hause Black gegeben hatte. Bellatrix und Narcissa waren ebenfalls da gewesen und zwischen den Jugendlichen hatte angespannte Stimmung geherrscht. Bellatrix und Sirius hatten ständig Streit gesucht; Regulus war sich unsicher gewesen, zu wem er halten sollte und Narcissa hatte über sie alle die Nase gerümpft...

Ja, er erinnerte sich noch genau; die Gedanken schweifend lassen, ließ Regulus alles Revue passieren...

(Point-of-View-Wechsel; Ich-Person, Gegenwart)

Silbriges Fackellicht erhellt den riesigen Wohnsaal und lässt das schwarze Inventar aufschimmern. Schatten tanzen. Das Feuer prasselt im Kamin und Stimmengewirr erfüllt die Luft.

Es sind die sommerlichen Festtage. Es hat einen Sommersturm gegeben, eher ungewöhnlich für London. Es gewittert und es ist für August recht kühl draußen, doch hier im Haus erscheint es mir nicht viel wärmer. Es macht mir nichts aus, denn ich mag die Kälte.

Mom und Dad sitzen mit ihren Geschwistern in der Sitzecke mit den edlen Sesseln und dem niedrigen Wohnzimmertisch aus dunklem Elfenbein. Hohe Gläser und eine Weinflasche, die sich immer wieder wie von selbst sanft empor schwingt und nachfüllt, stehen auf der Platte. Sie feiern den Geburtstag meiner Mutter und meiner Tante nachträglich in kleiner Runde, nachdem sie für die feine Gesellschaft ein rauschendes Fest gegeben hatten.

Bellatrix und Narcissa lehnen an der breiten Fensterbank am anderen Ende des Wohnsaals; die Weingläser halten sie elegant in ihren Händen und sie reden leise miteinander.

Andromeda ist nicht gekommen. Sie ist bei einem Jungen. Einem Mugglestämmigen namens Tonks, in den sie schrecklich verliebt zu sein scheint, wie es heißt. Welch' Schande für unsere Familie. Sie ist schon immer anders gewesen.

Einer der Hauselfen steht unauffällig in der Nähe der Tür, um jederzeit einen Befehl entgegen nehmen zu können.

Von Sirius keine Spur.

Dabei hat er vorhin noch im Sessel direkt vor dem Kamin gesessen und mit finsterer Miene ins Feuer gestarrt. Er hat nicht hier sein wollen, jede Geste und jede Mimik von ihm haben es gezeigt. Aber aus den üblichen Gründen hat er sich Vaters Befehl, bei den Familientreffen dabei zu sein, gebeugt. Er ist minderjährig; unsere Eltern tragen nun mal die Verantwortung für ihn und er ist finanziell abhängig von Vater.

In seinen schwarzen Augen habe ich vorhin allerdings jenen rebellischen Ausdruck ausmachen können, der immer da ist, wenn er kurz davor steht, sich in Schwierigkeiten zu bringen. In gewaltige Schwierigkeiten. Darin hat er Talent.

Ich sehe mich suchend um. Sirius muss sich heimlich rausgeschlichen haben. Wahrscheinlich, um etwas Unsinniges zu planen. Oder das unsinnig Geplante in die Tat umzusetzen.

Ich seufze, stelle mein Glas ab und verlasse ebenfalls den Wohnsaal. Niemand hält mich zurück, mich wundert es nicht. Die Erwachsenen wollen unter sich sein und mit meinen Cousinen habe ich nicht sonderlich viel zu tun, um ihnen gleich einen ganzen, langen Abend Gesellschaft zu leisten.

Im Flur ist es still. Nur das leise Knistern der Fackeln ist zu hören. Der schwarze Teppich lässt meine Schritte verstummen. Einzig mein Schatten, der sich an den dunklen Wänden mit den Portraits abzeichnet, verrät meine Anwesendheit. Ich gehe an den großen Schirmständer aus abgetrenntem Trollbein vorbei und steige die Treppe hinauf. Eine Reihe von Schrumpfköpfen, Köpfen von Hauselfen, prangen auf Tafeln an der Wand entlang, aber ich bemerke sie kaum. Sie hängen dort schon, seit ich denken kann.

Am vierten Treppenabsatz visiere ich die dritte Tür von links an. Sie ist geschlossen. Sirius' Zimmer liegt dahinter; kein Laut ist zu hören. Ich gehe über den Treppenabsatz dorthin, lausche kurz und öffnete schließlich die Tür. Sie gibt ohne einen Laut nach.

Dunkelheit empfängt mich. Und Wärme.

Eigentlich ist es bei uns im Haus immer kühl, aber Sirius' neu renoviertes Zimmer ist vergleichsweise recht warm.

Das liegt sicher daran, dass er während der Schulzeit im stark erhitzten Gryffindorturm wohnt und sich daran gewöhnt hat. Diese Trottel sind halt nicht abgehärtet.

Die Vorhänge sind noch nicht zugezogen, so dass das große Fenster den Blick auf die sternenklare Winternacht freigibt. Der Mond scheint als eine feine Halbsichel herab und spendet nur kärgliches Licht.

Der Raum hat hohe Wände, wie es hier üblich ist.

Meine Augen gewöhnen sich schnell an die Dunkelheit. Das tun sie immer.

Ich erkenne, dass Sirius' großes Bett mit der schwarzen Bettwäsche neben dem Fenster in der Ecke aufgewühlt, aber leer ist. Ein Quidditchposter hängt quer darüber an der Wand. Ein Schreibtisch steht links an der Wand neben der Tür, daneben ein Bücherregal. Hinter einer in die Wand eingebauten Tür befindet sich der große Kleiderschrank. Die Kommode neben dem Bett ist geschlossen. Wie immer. Sirius' Rennbesen lehnt an der Fensterbank. An einer Ecke hängt ein großer Käfig. Das Tor ist offen; Sirius' Uhu ist wohl unterwegs. Kleidungsstücke, Quidditchzeitschriften, Pergamentrollen, Süßigkeiten, Scherzartikel und Bücher liegen verstreut auf dem Boden. Ob Mom von dieser Unordnung weiß? Der Schlag würde sie treffen. Aber Sirius lässt keinen Hauselfen in seinen Raum, solange er daheim ist und Mom bekommt jedes Mal zum Ferienende hin eine heftige Krise, wenn sie sein Zimmer dann doch noch betritt.

Ich zaubere den Kronleuchter nicht an. Ich habe bereits beim Eintreten in das Zimmer erkannt, dass Sirius nicht hier ist.

So trete ich wieder hinaus und gehe die Stufen herab. Ich habe keine Lust, das ganze Haus nach meinen Bruder abzusuchen, denn wir haben sehr viele Räume und er kann überall sein.

Als ich aber am dritten Treppenabsatz vorbeikomme, höre ich ein leises Poltern vom Ende des Flures. Ich horche auf und folgte dem Geräusch. Es kommt direkt aus Dads Büro am Ende des Ganges.

Ich verharre kurz an der Tür, als ich sie dann mit einem Ruck aufreiße.

Sirius fährt zusammen und starrt mich etwas erschrocken an. Dann stößt er seinen Atem aus, den er offensichtlich angehalten hat. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen.

Regulus. Musst du so hereinplatzen?", herrscht er mich verärgert an. „Was hast du hier zu suchen?"

Ich sehe mich schnell im Raum um, ehe ich wieder Sirius fixiere.

Er steht hinter dem Schreibtisch von Vater und hat ein Denkarium vor sich. Es glitzert hell und die Gedankenfäden schimmern. Er hat sich nur mit seinem Zauberstab ein wenig Leuchtkraft gemacht.

Die Spitze spendet ausreichend Licht und erhellt Sirius' blasses Gesicht, seine feinen Züge betonend. Er wirkt etwas angespannt. Seine schwarzen Haare fallen ihm wie immer in lässiger Eleganz in die Augen. Das tun sie immer. Damit will er Mom aufregen. Ich hingegen kämme sie stets aus meiner Stirn zurück.

Du schnüffelst in Dads Gedanken", stelle ich neutral fest.

Sirius feixt. „Ich schnüffle nicht", streitet er ab. „Ich reichere mir nur Wissen an."

Ich schnaube, während ich endgültig eintrete und die Tür hinter mir schließe.

Dad wird dich umbringen, wenn er dich dabei erwischt."

Sirius verengt seine Augen. Sein hart gewordener Blick ruht auf mir. „Er wird mich aber nicht erwischen", meint er mit leiser, gefährlich klingender Stimme.

Ich höre seinen warnenden Unterton sofort heraus.

Und wenn du mich verrätst, werde ich es dir heimzahlen, bedeutet er.

Ich bin klug genug, mich nicht unnötig mit meinem Bruder anzulegen. Ich würde ihn schon nicht verraten. Sirius hat ohnehin genug Probleme mit unseren Eltern. Die hat er schon immer gehabt, aber seit er vor fünf Jahren vom Sprechenden Hut nach Gryffindor eingeteilt wurde, ist es von Mal zu Mal schlimmer geworden. Sicher, mit der Einweisung nach Gryffindor hat er Schande über unser Haus gebracht. Aber als er sich dann auch noch mit James Potter angefreundet hat, war das Verhältnis zwischen ihm und Mom und Dad dem Zerreißen nahe. James Potter ist weder ein Kind aus einer alten, reinblütigen Familie, noch bevorzugt er Schwarze Magie. Im Gegenteil sogar, als Sohn zweier Auroren hasst er sie nahezu.

Zwischen Potter und meinem Bruder existiert etwas, was ich nicht erfassen kann. Andromeda meinte mal doch tatsächlich, es sei Freundschaft und davon hätte ich keine Ahnung. Natürlich habe ich Ahnung davon. Sie hängen zusammen, sie spielen allen anderen Streiche und treiben sich herum, aber da ist noch etwas Tieferes. Trotz der Vorurteile, die unsere Gesellschaft aufsplittert, hätte Abneigung und Hass zwischen ihnen stehen müssen. Aber davon ist nie eine Spur. Sie vertrauen sich gegenseitig blind. Mit geschlossenen Augen.

Es ist mir ein Rätsel, wie man einer anderen Person so sehr vertrauen kann. Vertrauen bedeutet, seine Schwächen preiszugeben. Und Freundschaft bedeutet, dass diese Schwächen niemals ausgenutzt werden. Aber welcher vernünftige Mensch würde es denn nicht ausnutzen, wenn er sich dadurch einen Vorteil verschaffen könnte?

Welchen Gedanken hast du dir denn angeschaut?", frage ich nun und versuche desinteressiert zu klingen.

Sirius, der noch immer hinter dem großen Schreibtisch sitzt, begutachtet mittlerweile wieder das Denkarium.

Vaters Büro ist groß und - wie ausnahmslos alle Räume im Haus - in schwarz gehalten. Die schweren Vorhänge sind zugezogen und bedecken das Fenster hinter Sirius. Hohe Regale mit Büchern und magischen, wertvollen Artefakten stehen links und rechts an den Wänden.

Irgendeinen", antwortet Sirius leichthin.

Er schaut mich plötzlich wieder an. Etwas Spitzbübisches glimmt in seinen Augen auf und er grinst.

Willst du auch mal?"

Ich starre ihn an. „In Dads geheime Gedanken einsehen?" Ich klinge regelrecht perplex und ärgere mich darüber.

Sirius wird auch schon spöttisch. „Angst?", erkundigt er sich beiläufig, aber sein Hohn ist nicht zu überhören.

Ich blitze ihn zornig an. Ich hasse es, wenn er den Überlegeneren spielt. Und das tut er sehr oft. Wie jeder Black hält Sirius sich für etwas Besseres. Seine Arroganz kennt einfach keine Grenzen.

Mein Entschluss hat schon festgestanden, als er sich über mich lustig gemacht hat.

Also, schön", sage ich barsch.

Ich trete auf den Schreibtisch zu und setze mich in den Sessel, der davor steht, Sirius gegenüber.

Sein Grinsen ist breiter geworden.

Hör' auf zu grinsen!", blaffe ich ihn an.

Dann richte ich meine Aufmerksamkeit auf das schimmernde Denkarium. Ich spähe hinunter in seine Tiefen. Ich hole meinen Zauberstab hervor und gebe mit der Spitze dem Inhalt des Denkariums einen sanften Stups.

Die silbrige Oberfläche beginnt zu wirbeln. Schneller und schneller. Sie wird durchsichtig. Ich beuge mich darüber und schaue auf eine Waldlichtung hinab. Nebelschwaden kriechen über den Boden entlang; hohe, schlanke, schwarze Bäume umsäumen die Lichtung. Es ist nachts. Neumond. Nur die Sterne glitzern aus weiter Ferne herab, königlich und irgendwie herablassend, wie eh und je.

Ich zögere kurz, dann schiebe ich alle meine Zweifel beiseite und tauche mein Gesicht in die Oberfläche von Dads Gedanken. Sofort wellt sich der Fußboden des Büros und ich kippe kopfüber in das Denkarium. Ich stürze durch die eiskalte Schwärze, im Fallen drehe ich mich um mich selbst herum und stehe plötzlich inmitten auf der Lichtung. Ein paar Jagdrufe von Tieren schallen durch den Wald. Sonst ist es still.

Vier Zauberer stehen dort. Mein Vater im langen Umhang und ihm gegenüber drei andere. Die Fremden bilden eine Art Dreieck; die zwei, die den anderen flankieren, tragen silberne Masken und schwarze Roben mit weiten, hochgeschobenen Kapuzen. Der dritte, offenbar ihr Anführer, hat sein Gesicht nicht maskiert.

Unter seiner Kapuze funkeln seine kalten, rot auf. Glutrot. Nur schwach kann man erkennen, dass sie mal braun gewesen waren. Seine blasse Haut spannt sich stark über seine Knochen; das Gesicht – einmal gutaussehend gewesen – wirkt wie das einer menschlichen Schlange. Selbstherrlichkeit liegt auf seinen Zügen. Und etwas Dunkles. Faszinierendes. Die Lippen sind dünn. Ein harter Zug umspielt sie. Der Zauberer strahlt eine solch' mächtige Aura und Autorität aus, dass ich irgendwie Ehrfurcht verspüre.

Obwohl ich den Mann noch nie zuvor gesehen habe, weiß ich, dass das der Dunkle Lord sein muss. Voldemort, dessen Namen immer weniger Leute auszusprechen wagen. Viele Gerüchte umranken ihn. Slytherins Erbe sei er, heißt es. Sehr mächtig in den Dunklen Künsten. Jener, der England vom Joch der Halb- und Schlammblütler befreien würde.

Nun, ich habe nichts dagegen. Soll er es ruhig tun, unser Land hat es bitter nötig.

Er schart Anhänger um sich. Erst wenige, doch es werden immer mehr. Es fällt noch kaum auf, doch Dad meint, dass England schon bald in zwei Parteien würde geteilt werden: die der Schwarzen und die der Weißen Magie.

Aber was ist mit dem Dazwischen? Hat es keine Chance und würde im zerstörerischen Kampf zwischen Licht und Dunkelheit untergehen?

Nun?", höre ich meinen Vater plötzlich fragen.

Seine angenehme, stets ein wenig anmaßend klingende Stimme hallt durch die lauwarme Nacht.

Er steht aufrecht und stolz, so, wie ich es von ihm gewohnt bin. Er sieht Voldemort direkt in die Augen.

Welchen Handel wollen Sie mir vorschlagen?"

Mich wundert nicht, dass Vater mit Zauberer, wie diesem Geschäfte macht. Ich finde es gut.

Voldemort lächelt kühl. Es ist kein echtes Lächeln, denn seine Augen bleiben davon unerreicht.

Einen Handel der Zusammenarbeit", antwortet der Lord.

Seine Stimme lässt mich unwillkürlich zusammenfahren. So eisig, so kalt ist sie, dass sie mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagt. Und doch... Und doch bin ich beeindruckt. Fasziniert. Ich kann die Dunkle Magie beinahe spüren, sosehr scheint sie ihn zu begleiten, einem düsteren Schatten gleich.

Sie geben mir hin und wieder ein paar Informationen aus dem Zaubereiministerium und ich gebe Ihnen, was Sie schon sehr lange begehren", fährt Voldemort mit seiner leisen, lauernden Stimme fort.

Mein Vater hebt seine rechte Augenbraue als Zeichen des dunklen Amüsements. Auf seinen blassen, aristokratischen Gesichtszügen liegt feiner Spott.

Wollen Sie mir vielleicht auch verraten, was genau ich begehre?", erkundigt er sich.

Voldemorts Lächeln verstärkt sich, ohne an Kälte zu verlieren.

Das Drachenzahnjuwel, Black."

Für einen Moment bin ich verwirrt, aber dann blitzt eine Erinnerung in meinem Kopf auf.

Ich ziehe ungläubig die Luft ein. Das Drachenzahnjuwel? Damit ist der Anhänger jener geheimnisvollen Kette gemeint, die der Vampir Stoyân Dad geschenkt und von Vyperus wieder gestohlen wurde. Jene Kette, um die sich eine alte, ägyptische Legende rankt.

Dad hat seinen Kopf leicht zur Seite geneigt und mustert Voldemort aus halbgeschlossenen Lidern. Das Licht der Sterne reflektiert sich in den dunklen Pupillen, versilbert sie.

Wollen Sie damit etwa sagen, Sie sind im Besitz der Kette, von der behauptet wird, sie stamme aus dem Reich der Legenden?"

Er gibt nicht zu, dass er von ihrer Existenz durchaus weiß.

Voldemort nickt andächtig.

Dad lächelt nun flüchtig. „Und wie kommen Sie darauf, dass ich sie mir ersehne?"

In des Dunklen Lords Augen funkelt es rot auf. „Wer möchte das Drachenzahnjuwel nicht in seinen Besitz wissen? Und wie ich hörte, wurde sie Ihnen einst geschenkt, jedoch bedauerlicherweise gestohlen. Ich weiß, wer sie hat und könnte das Juwel bekommen, wenn ich wollte... um es Ihnen zu geben."

Eine angespannte Stille tritt ein.

Heißt das etwa, dass der Dunkle Lord wusste, wo Vyperus die Kette versteckt hielt? Würde er sie dem Vampir abkaufen oder abnehmen – mit oder ohne Gewalt?

Ich warte ungeduldig auf Dads Antwort. Würde er annehmen? Würde er es tun und sich damit in die Dienste Voldemorts stellen? Aber warum sollte ausgerechnet Voldemort meinem Vater etwas so unendlich Wertvolles geben? Der Lord strebt doch selbst nach Macht. Er würde die Kette selbst haben wollen. Es musste einfach irgendeinen Haken daran geben.

Plötzlich werde ich hart an der Schulter gepackt; der Welt löst sich unter mir auf, alles dreht sich und ich gleite empor, werde hochgerissen.

Zurück in meine Welt.

Schweratmend, aber empört sehe ich Sirius an.

Er wirkt gehetzt. „Da kommt jemand!", zischt er nervös.

Ich reiße die Augen auf. Vergesse augenblicklich das, was ich vorhin in Dads Erinnerung gesehen habe.

Verdammt. Ich lausche angestrengt.

Sirius nimmt das Denkarium und stellt es wieder zurück in eines der Regale.

Jemand nähert sich von draußen.

Ich schaue mich wie wild um. Hier gibt es kein einziges Versteck. Wenn Dad jetzt rein kommt, würde er uns sofort sehen. Sogar unter dem Schreibtisch.

Verdammt, verdammt, verdammt.

Wir dürfen normalerweise nicht in sein Büro.

„Nox", flüstert Sirius hektisch.

Es wird dunkel.

Die Schritte aus dem Flur verklingen. Dann dreht sich der silbrige, schlangenkopfgeformte Knauf und die Tür wird geöffnet. Licht dringt von außen ein.

Ich bleibe stehen, wo ich bin. Vor dem Schreibtisch. Es hat ohnehin keinen Sinn. Mein Herz klopft schnell und hart gegen meine Brust, jedoch steigt sanfte Gleichgültigkeit in mir auf, versuchend, meine Panik niederzukämpfen.

Tja", murmelt Sirius neben mir tonlos. Sein warmer Atem streift meine Wange. „Das war's. Es wird mir eine Ehre sein, neben dir zu fallen, Soldat."

Ich verdrehe die Augen. Wie üblich übertreibt mein Bruder.

Es knipst und der Kronleuchter im Büro erleuchtet.

Ich blinzele und erkenne Dad, der an der offenen Tür stehen geblieben ist und uns überrascht anguckt.

Hallo, Dad", begrüße Sirius ihn lässig, als sei es normal, dass wir im Dunklen in seinem Büro stehen, das für uns verbotenes Terrain ist. „Ein... nettes Familientreffen, übrigens." Er grinst.

Vater grinst nicht. Ich auch nicht.

Gedanken wirbeln in meinem Kopf unkontrolliert herum; verzweifelt suche ich nach Ausreden.

Dads Blick gleitet langsam über Sirius und mich. Eigentlich hat er immer einen überraschend warmen Ausdruck in seinen dunklen Augen, aber diesmal ist davon nichts zu sehen. Stattdessen nur etwas Kaltes. Unfreundliches. Seine Stirn ist leicht gerunzelt und seine Lippen ein wenig zusammen gepresst.

Er löst sich vom Türrahmen und tritt ein. Seine große, schlanke Figur wirft einen Schatten. Die Tür schließt sich, wie von Geisterhand. Er geht an uns vorbei, macht mit einem Zauber das Licht an und tritt hinter seinem Schreibtisch, so dass uns nichts anderes übrig bleibt, uns zu ihm herumzudrehen.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also schweige ich. Besser, wenn Dad das Wort zuerst ergreift. Sirius sagt ebenfalls nichts. Er hat eine leicht ausdruckslose Maske aufgesetzt, durchwebt von Unschuld und Arglosigkeit, was er immer tut, wenn er bei etwas Verbotenem erwischt wird.

Vaters Miene ist wie versteinert. Seine Hände sind in den Hosentaschen vergraben. Er hasst es, wenn jemand in seinem Büro herumschnüffelt. Ich danke Salazar, dass Sirius ihn hatte rechtzeitig kommen hören und das Denkarium weggestellt hat. Nicht auszudenken, wenn er uns dabei ertappt hätte, wie wir in seinen Gedanken gelesen hätten.

Also, fragt er beiläufig. Er klingt auffallend gelassen. „Was habt ihr hier zu suchen?"

Mir entgeht nicht, dass seine Augen ein wenig verengt sind. Ein schlechtes Zeichen.

Ich atme tief ein und überlege immer noch nach einer Ausrede. Ich weiß, dass es keine gibt. Keine einzige. Wir haben hier einfach nichts zu suchen, Schluss, Aus.

Wir haben gehört, dass du angeblich mit Voldemort Geschäfte machst", sagt Sirius dann, recht forsch.

Ich starre ihn entgeistert an. Will er etwa alles beichten? Ist er von allen guten Geistern verlassen?

Und wir wollten schauen, ob es stimmt. Wir... Ich... hatte befürchtet, du würdest ihm dienen, weißt du", fährt Sirius fort.

Bei Salazar. Er hat gerade zugegeben, dass wir hier herumgeschnüffelt haben. Ob er irgendwelche Drogen genommen hat?

Dads Miene zeigt keine Regung. „So, so", murmelt er. Sein Blick ist nun starr auf Sirius gerichtet. „Und das gibt euch das Recht, mich auszuspionieren?"

Sirius schlägt seine Augenlider nicht nieder. Er hält den Blickkontakt aufrecht. „Wir mussten es einfach wissen, Dad", meint er und klingt ziemlich aufrichtig und bewegend. Er kann ja so gut lügen. „Schau, wir finden, dass ein Black niemandem zu dienen hat, und wenn du dann Voldemort dienen würdest... " Er schüttelt den Kopf, als behagt ihn diese Vorstellung nicht. „Es gab hässliche Gerüchte in der Schule", fährt er fort.

Das ist eindeutig gelogen. Es hat nie Gerüchte über Dad in Verbindung mit Voldemort gegeben. Oh Mann. Sirius reitet uns regelrecht in die Scheiße.

Und so dachten wir, dass wir uns hier mal umschauen." Sirius lächelt verschlagen. „Aber wie wir uns schon dachten, scheinst du ihm nicht zu dienen. Das wäre aber auch zu heftig gewesen."

Dad schaut ihn immer noch stur an. Dann holt er aus und gibt Sirius eine solch' derbe Ohrfeige, dass dieser stark nach hinten taumelt.

Mein Bruder hat das Gesicht verzogen und widersteht der Versuchung, seine brennende Wange zu halten. Ein roter Handabdruck zeichnet sich auf der Blässe ab. Seine Unterlippe blutet ein wenig. Ich merkte, wie er sich mit der Zunge die Zähne entlang fährt, wie, um zu überprüfen, ob noch alle da sind.

Hast du etwa geglaubt, ich kenne dich nach fünfzehn Jahren so schlecht, um eine deiner vielen Lügen nicht zu durchschauen?", erkundigt Vater sich mit unterschwelligem Zorn in der Stimme. Er hält seinen Zauberstab in der rechten Hand; die linke war noch immer in der Hosentasche.

Ich halte den Atem an.

Dann sieht Vater mich an.

Ich bin sehr enttäuscht", fährt er kalt fort. „Ich schleiche mich auch nicht in eure Zimmer und spioniere herum, oder?"

Ich senke meinen Blick. Das tut er wohl wirklich nie.

Und für den Rest eurer Ferien habt ihr keine Ausgeherlaubnisse mehr."

Ah, scheiße!

Sirius schnappt entsetzt nach Luft. „Aber Dad-"

Sei lieber still", fällt Dad ihm mit gefährlich leisem Tonfall ins Wort und blitzt ihn wütend an.

Sirius verstummt und starrt erbost zurück. Die Hände sind zu Fäusten geballt. „Das sehe ich nicht ein!", presst er hervor. „Ich bin alt genug, du kannst mir nichts verbieten!"

Dad hebt spöttisch seine Augenbrauen. „Ach? Die Diskussion haben wir jedes Mal, nicht wahr?" Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. „Du weißt sehr gut, dass ich dir alles verbieten kann, Sirius", meint er dann hart. „Du bist minderjährig."

Er sieht mich wieder erzürnt an. „Und nun raus hier. Ehe ich mir noch eine andere Bestrafung einfallen lasse."

Ich wende mich sofort ab, froh und erstaunt, so glimpflich davon gekommen zu sein. Ich packe Sirius am Arm und ziehe ihn mit mir, als ich merke, dass dieser erneut aufbegehren will.

Als ich uns beide endlich aus dem Büro geschafft habe, schließe ich die Tür und funkele Sirius böse an. „Eine bessere Ausrede fiel dir auch nicht ein, was?"

Sirius blitze aufgebracht zurück. „Hey, das war nicht gelogen", wehrt er sich aggressiv. Er geht an mir vorbei und stößt mich dabei grob zur Seite, so dass ich gegen die Wand pralle.

Dann fügt er etwas hinzu, während er durch den Flur zur Treppe geht, und seine Stimme klingt auf einmal rau, leise und irgendwie... empfindsam.

Ich musste es einfach wissen, Regulus."

Ich starre ihm hinterher, verfolge seine Gestalt, die sich immer weiter von mir entfernt. Und als sie an der Treppe angekommen ist und um die Ecke biegt, um hinunterzusteigen, rufe ich seinen Namen.

Sirius!" Ich laufe ihm hinterher. „Warte!"

Als ich an der Treppe bin, sehe ich, wie er ein paar Stufen unter mir stehen geblieben ist und zu mir hochschaut. Ein fragender Blick trifft mich.

Ja?"

Er klingt recht ungehobelt.

Du... Du hast geglaubt, Dad würde Voldemort dienen?"

Sirius hebt die Schultern. Der Ausdruck in seinen Augen wird unleserlich. „Ich weiß nicht, was ich geglaubt habe."

Ich runzele die Stirn, als ich die Ausdruckslosigkeit heraushöre. „Was hat Dad ihm eigentlich geantwortet?"

Sirius nickt langsam und kaut auf seiner Unterlippe. „Dad hat nicht angenommen", sagt er. „Aber er hat ihm versichert, dass er Voldemorts politische Pläne als sehr positiv bewertet."

Hm." Mir schwirren trotzdem noch zu viele Fragen durch den Kopf. Warum soll ausgerechnet ein nach Macht strebender Zauberer, wie Voldemort, meinem Vater etwas anbieten, anstatt es für sich selbst zu behalten? Ist ihm die Zusammenarbeit mit uns Blacks so wichtig? Wie auch immer, es ist nicht mehr wichtig, da Dad das Angebot taktisch klug ausgeschlagen hat.

Ich finde es gut, wenn er mit Voldemort zusammenarbeitet", meine ich selbstsicher. „Damit wir endlich von den ganzen Schlammblütern befreit werden."

Sirius' Augen verengen sich. Wenn das silbrige Fackellicht sich in ihnen nicht verfangen hätte, wären es zwei pechschwarze Schlitze gewesen. Er hat die Hände in de Hosentaschen vergraben, wie Vater vorhin, und steht lässig auf der Stufe. „Voldemort ist ein Spinner, Regulus. Er ist verrückt. Irre."

Ich werde wütend, aber versuche, es mir nicht anmerken zu lassen. Sirius behauptet es in einem Ton, als würde er den Dunklen Lord seit Jahren kennen. Dabei sagt er das nur, weil diese dämlichen Gryffindors ihn beeinflusst hatten.

Das weißt du nicht", widerspreche ich also grimmig.

Sirius neigt leicht den Kopf. Seine schwarzen, dichten Wimpern werfen halbmondförmige Schatten auf seine Wangen. „Er schart Anhänger um sich, die ihm dienen. Er wird noch größenwahnsinnig."

Da ist es wieder. Dienen. Was hat Sirius zu Dad gesagt? Ein Black sollte niemandem dienen.

Es hat mich schon in Vaters Büro gewundert. Sirius hat bisher immer sehr glaubhaft den Eindruck erweckt, dass es ihm egal sei, was ein Black soll oder nicht. Er hasst diesen Namen, weil damit reines Blut verknüpft ist. Verantwortlichkeiten. Macht. Und die Verpflichtung, den Namen weiterzutragen, einen gerechten Erben abzugeben und Ehre über die Familie bringen.

Behauptet Sirius also nur, dem Lord niemals dienen zu wollen, weil er gegen dessen Ansichten ist? Aber Voldemort scheint wirklich für eine gute Sache einzutreten. Er ist idealistisch, er versucht, die Welt zu ändern. Zu verbessern. Warum also soll man einen fähigen Zauberer, wie ihn, dabei nicht unterstützen? Ich sage Sirius all das.

Dessen Miene verdüstert sich.

Ich erwarte, dass er nun seine Halb- und Schlammblutfreunde in Schutz nimmt. Dass er behauptet, ihr Blut sei genauso rot wie unseres. Ich denke, dass er mich als Rassisten beschimpft.

Aber Sirius verliert darüber kein Wort. Er fixiert mich nur mit nebulösen Blicken und geht rückwärts eine Stufe herab, wie, um Distanz zwischen uns zu bringen.

Diene ihm nicht, Regulus", sagt er dann leise. Beinahe sanft.

Er klingt nicht bittend, nicht fordernd. Ich kann seinen Tonfall nicht deuten.

Der Preis ist zu hoch. Das ist es nicht wert." Sirius sieht mich noch einen Augenblick lang an.

Dann dreht er sich herum und geht die Treppe herunter.

Ich schaue ihm hinterher.

Eine Frage hat sich in meinem Kopf geformt, die ich nicht zu stellen wage. Warum, das weiß ich nicht. Vielleicht will ich Sirius' Antwort nicht hören. Geisterhaft spukt sie in mir herum und lässt sich nicht verdrängen.

Wenn es das nicht wert war, was dann?

„Was tust du denn hier?", riss eine forsche Stimme Regulus aus den Gedanken und er schreckte ein wenig zusammen.

Sirius stand da, zusammen mit seinen Freunden, und musterte ihn aufmerksam.

„Ich war auf der Suche nach dir", sagte Regulus, seine Kontrolle schnell wiedererlangend.

Sirius hob seine Augenbrauen. „So?"

„Ja." Regulus sah ihn ein wenig herablassend an. „Ich muss mit dir reden. Allein."

Sirius stellte sich störrisch. „Es gibt nichts, was du nicht auch vor meinen Freunden sagen kannst." Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und wurde herausfordernd.

Regulus verengte seine Augen. „Also gut, dann gehe ich wieder." Er hatte nicht vor, gegenüber von Sirius' Freunden etwas zu sagen. Er wandte sich um und ging.

Eine Hand auf seiner Schulter hielt ihn auf. „Ach, verdammt, bleib hier", herrschte Sirius ihn grob an.

Regulus drehte sich langsam um und sah, wie Remus und Peter sich zurückzogen und James etwas mit sich zerrten.

Er verkniff sich ein siegesgewisses Lächeln.

„Also, was ist los?" Sirius klang unfreundlich.

„Ich wollte dir nur etwas über die Kette sagen."

Sirius' Blick wurde neugierig, doch seine Haltung blieb lässig. „Was denn?"

Regulus lächelte tückisch. „Was bekomme ich, wenn ich es dir sage?"

Kurz darauf wurde er von Sirius an die Wand gepresst.

„Ich werde großzügig darauf verzichten, dich zu verhexen!"

„Unbeherrscht, wie eh und je", stieß Regulus hervor, während er vergeblich versuchte, sich freizukämpfen.

„Sag's endlich!", forderte Sirius ungeduldig.

„Ich sag's dir nur, wenn du mir versprichst, Narcissas Trauzeuge zu werden!", verlangte er, nun zornig werdend.

Er sah, wie Sirius verwirrt blinzelte. Der Griff wurde lockerer – und Regulus riss sich los, brachte mit einer heftigen Bewegung seine Kleidung wieder in Ordnung und schubste Sirius von sich fort. Dieser taumelte zurück, Regulus folgte ihm, gab ihm einen erneuten Stoß, bis Sirius mit dem Rücken gegen die gegenüberliegende Wand des Ganges stieß.

„Narcissas Trauzeuge?", wiederholte Sirius, der zu perplex war, um zu registrieren, dass Regulus nun die Oberhand über die Situation hatte. „Narcissa ist in der sechsten Klasse und noch nicht einmal mit irgendeinen Jungen verlobt!", rief Sirius halb entgeistert, halb gereizt heraus, „willst du mich etwa verarschen?" Seine Hände ballten sich zu Fäusten.

Regulus hatte eine Hand auf Sirius' Brust gepresst, um ihn gegen die Wand zu halten, mit der anderen machte er eine unwirsche Geste. „Was du nicht sagst, Sirius. Aber sie wird irgendwann heiraten. Und höchstwahrscheinlich Lucius."

Sirius starrte ihn entsetzt an. „Woher willst du DAS denn wissen? Sie sind noch nicht einmal zusammen!"

Regulus lächelte nachsichtig. „Wenn du Zuhause mal häufiger zuhören würdest, statt Streiche zu planen oder mehr Kontakt zu Vater und Mutter halten würdest, dann wärest du über einiges mehr im Bilde. Sie sind zwar noch nicht zusammen, aber was noch nicht ist, wird noch werden. Wie auch immer, darum geht es auch gar nicht. Wenn Narcissa nach der Schule irgendwann heiratet, wirst du Trauzeuge sein. Verspreche es mir und ich sage dir alles über die Kette, was ich weiß."

Er merkte Sirius' Versuche, zu ergründen, was er damit wohl bezweckte. Doch das würde er Sirius nicht verraten. Das würde er niemandem verraten. Er schmiedete seine eigenen Pläne.

„Meinst du nicht, Narcissa sollte selbst entscheiden, wer ihr Trauzeuge wird?", höhnte Sirius nun, offenkundig versuchend, mehr Zeit zu gewinnen, um dahinter zu kommen, was das alles sollte.

„Sie wird damit einverstanden sein", sagte Regulus nur geheimnisvoll. Er hatte seiner Cousine schon das Versprechen abgenommen, Sirius als Trauzeuge zu nehmen, ganz gleich, was passieren würde, und ihr im Gegenzug dafür bei etwas geholfen, was ihr ungeheuer wichtig war.

Sirius schüttelte den Kopf. „Was, wenn deine Informationen nicht wertvoll genug sind?" In seinen schwarzen Augen verwebte sich das Licht der Fackeln und machte sie heller. Noch immer musterte er seinen Bruder konzentriert.

„Glaub mir, Sirius, sie sind wertvoll genug." Er bluffte nicht und er wusste, dass es Sirius bewusst war.

Der Gryffindor schwieg; die Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er schien noch immer mit sich zu ringen, denn wenn er zusagte, Narcissas Trauzeuge zu sein, würde dieses Versprechen bindend sein. Wie alle magischen Versprechungen, die Zauberer und Hexen sich gaben.

Dann nickte Sirius nach einem langen, inneren Kampf. Er schien zu denken, dass es okay sein würde, Narcissas Trauzeuge zu sein, immerhin verstanden sich beide noch, auch wenn sich ihr Verhältnis etwas abgekühlt hatte. Nicht viel, nur ein wenig.

„Gut. Ich verspreche, Narcissas Trauzeuge zu sein."

„Ganz gleich, was kommen mag und wen sie heiraten wird", forderte Regulus unnachgiebig.

Sirius funkelte ihn wütend an, seine Neugier war größer. „Ganz gleich, was kommen mag und wen sie heiraten wird."

Regulus fühlte, wie sich die Anspannung von ihm löste und empfand Erleichterung. Er ließ sich jedoch davon kaum etwas anmerken, nur sein Lächeln wurde befreiter und erreichte seine Augen. Es erfüllte sie mit einer Wärme, die zu seiner kühlen Ausstrahlung im Widerspruch stand, sodass er seinem Vater noch viel mehr ähnelte, als sonst.

Er hielt Sirius die Hand hin und dieser schlug ein. Das Versprechen war besiegelt.

„Okay, Sirius...", fing Regulus an zu berichten, was er über die Kette in Erfahrung gebracht hatte. „Die Kette befindet sich bei Mrs Snape. Vyperus hat sie dorthin gebracht, weil er glaubt, von einer Art Zwischenwelt zu wissen, die sich hinter dem Torbogen befindet. Dorthin soll die Zeit keine Rolle spielen. Weder Ewigkeit noch alles andere sind dort von Bedeutung. Sie steht still. Offenbar will Vyperus Mrs Snape aber nicht zum Vampir machen – was weiß ich, warum nicht – und er will mit ihr irgendwann in den nächsten Jahren die Welt betreten, damit die Zeit keine Chance mehr hat, sie zu trennen."

Sirius' Augen waren groß, während er verblüfft den Worten seines Bruders lauschte. Regulus grinste schwach; er hatte gewusst, dass es ihm brennend interessieren würde.

„Dazu braucht Vyperus nun mal die Kette und dafür ist er bereit, mit jedem einen Krieg anzufangen, der sich ihm in den Weg stellt, ihm die Kette wieder wegnehmen will. Denn um diese Zwischenwelt lebend betreten zu können, muss man die Kette tragen. Wenn einer die Kette trägt, kann er den anderen an der Hand halten, so dass sich die magische Macht überträgt. So wäre gesichert, dass beide unbeschadet dort ankommen. Dass sie dort für immer leben können."

Er fand die Vorstellung gruselig. Für immer in einer zeitlosen Welt mit jemanden zu leben, nur um der Liebe willen. Um den Tod zu entgehen. Aber da Vyperus ohnehin ein Unsterblicher war und wenn er seine Geliebte nicht zu einem Vampir machen wollte, dann schien es der einzige Weg.

Denn andernfalls würde Mrs Snape irgendwann einmal sterben und Vyperus würde ewig über diese Welt wandeln, ohne sie. Vielleicht ertrug er diesen Gedanken nicht.

„Wie auch immer... erinnerst du dich an Vaters Denkarium, das du im Sommer ausspioniert hast?"

„Hey, du hast es auch ausspioniert!", entrüstete Sirius sich.

Regulus kicherte kurz. Dann wurde er wieder ernst. „An Voldemorts Angebot, das Vater ausgeschlagen hatte, erinnerst du dich daran? Voldemort muss wissen, dass Vyperus die Kette hat. Und vielleicht weiß er auch bald, wo er sie versteckt hält. Wenn Vater es auch herausfindet, dass sie bei Mrs Snape versteckt wird, wird ihr kleines Haus wohl demnächst mehrere Angriffe überstehen müssen..."

Sirius starrte Regulus an. „Sag, woher weißt du das alles?"

Regulus ließ seinen Bruder endlich los und wich einen Schritt zurück. Schwarze Augen sahen in ebenso dunkle; die Blicke kreuzten sich, waren frei von jedweden Emotionen; Sirius mochte vielleicht etwas ungläubig wirken, so, wie Regulus einen irgendwie versonnenen Eindruck machte.

„Ich glaube nicht, dass ich dir das verraten kann, ehe du nicht wieder deinen rechten Platz in der Familie einnimmst", sagte er bedauernd; leise, beinahe rau.

Er konnte die Schatten im Spiel der Fackellichter sehen, die Sirius' Gesichtszüge in dunklen Farben nachzogen. Er beobachtete die sanfte Verwirrung, die in Sirius' Blick aufflackerte, wie ein schwaches Kerzenlicht in einem Herbststurm. Etwas Dunkles huschte über seine schwarze Iris hinweg, als versuchte es, den Feuerschein, der sich in den Augen reflektierte, zu verdrängen, einem Kampfe gegen die Helligkeit gleich.

Der Slytherin ging weiter rückwärts. Er kannte Sirius' Antwort und wollte sie nicht hören. Lieber suchte er sein Heil in der Flucht. Sirius würde einen solchen Preis niemals zahlen, um in Erfahrung zu bringen, was und wer Regulus' Quellen waren. Was wäre wohl eine gerechte Forderung, um Sirius wieder zurück zur Familie zu bringen?

Ein flüchtiger Gedanke überkam Regulus; kurz nur und er nahm ihn nicht richtig wahr. James war hierzu der Schlüsselpunkt. James' Leben und Freundschaft war für Sirius wichtig. Und das war der Knackpunkt.

Aber Regulus dachte nicht weiter darüber nach, denn so weit waren sie nicht gekommen. Noch waren die brüderlichen Bande stark genug, um zu ignorieren, dass sie auf verschiedenen Seiten stehen und sie nach der Schule, wenn der wahre Ernst des Lebens begann, Feinde sein würden.


A/N:

Und, wie fandet ihr's?

DAAAANKE für eure Reviews! –umwuschel