Rückwärts in die Dunkelheit

Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

(- die letzten Worte eines Sterbenden.)


22. Kapitel

Teil 1

Diese Welt


Komm mit mir mit.
Irgendwohin.
Nur fort von dieser Welt."

(- unbekannt)

Professor Dumbledore hatte es vor einer Woche bekannt gegeben. Im Rahmen eines internationalen, schulischen Projekts fand ein zweimonatiges Austauschprogramm mit anderen Zaubererschulen statt, von April bis Mai. So würden auch einige Schüler aus Durmstrang und Beauxbatons nach Hogwarts kommen und Sirius war schon gespannt, um wen es sich dabei handelte. Heute kamen sie an und er würde sie gleich in der Großen Halle sehen. Er wusste nur, dass Alan de Maurice dabei war und es freute ihn. Wenigstens ein Schüler aus Durmstrang, der in Ordnung war.

Er betrat mit James, Peter und Remus die Große Halle, wo sich die meisten bereits pünktlich zum Frühstück versammelt hatten, um die Durmstrangschüler zu begutachten. Der Lärmpegel war lauter als sonst; das Essen stand schon auf den Tischen und es roch nach Kaffee, Kakao, frischen Brötchen und Toasts, Speck und anderen Sachen, die zum Frühstück gehörten.

Sirius sah die kleine Gruppe sofort. Sie war am Slytherintisch versammelt – offenbar hatten sich alle Durmstrangler (bis auf einen) für Slytherin eingeschrieben, damit sie im Haus der Schlangen wohnen konnten, was nicht verwunderlich war. Die Beauxbatonsschüler hatten sich etwas gleichmäßiger in alle vier Häuser aufgeteilt; Ravenclaw war aber das beliebteste unter ihnen, so dass die meisten dort waren.

Dann brüllte jemand plötzlich fröhlich und aufgeregt los. „SIRIUS! SIRIUS, DU ALTE, SCHREIBFAULE SOCKE!"

Und ein strohblonder Junge sprang ungeniert über alle Tische hinweg, um in atemberaubendem Tempo auf den Gryffindor loszustürmen.

Kurz danach sprang er einfach auf Sirius los und riss ihn mit zu Boden. Mit einem „Uff" fiel dieser auf den Rücken, sich mit den Händen gegen den Durmstrangschüler stemmend. Er sah in zwei ausgelassen funkelnde blassblaue Augen.

Alan lachte, sprang auf und zog Sirius in die Höhe. „Mensch, so was von klasse, dich zu sehen!", rief er laut aus und umarmte den Jungen. Er lachte, und da es ein ansteckendes Lachen war, stieg Sirius sofort mit ein.

Die völlig entgeisterten Blicke von den Slytherins und von James bemerkte er gar nicht, ebenso wenig wie die belustigten Mienen der anderen Schüler. Fürwahr, es war eine ungewöhnliche Szene, dass gerade ein reinblütiger Schüler aus der Schule Durmstrang völlig aus dem Häuschen war, den Rebellen der englischen, schwarzmagischen Gesellschaft wiederzusehen.

Sirius und Alan überfielen sich mit Fragen, während sie zum Gryffindortisch gingen und sich hinsetzten. James, Remus und Peter folgten ihnen ein wenig verwirrt und die anderen Durmstrangschüler nahmen am Slytherintisch Platz. Dort gehörte Alan gar nicht hin, da er sich als einziger für Gryffindor entschieden hatte, wissend, dass Sirius das Haus der Löwen besuchte.

„Hogwarts sieht nicht schlecht aus", sagte Alan gerade und nahm einen Schluck Orangensaft aus seinem Becher. „Aber Durmstrang ist nicht zu toppen."

Sirius gab ihm eine Kopfnuss, die Alan grinsend versuchte, auszuweichen.

„Das ist übrigens Alan de Maurice", stellte Sirius den Jungen vor. „Das ist James, mein bester Kumpel. Und das sind Remus und Peter."

Alan begegnete James' verärgerten Blick. Dieser machte keinen Hehl daraus, dass er Schüler aus Durmstrang nicht mochte, schon gar nicht, wenn diese Sirius in Beschlag nahmen.

„Sieh an, das ist also dein berühmter Kumpel, für den du unbedingt wieder nach Hogwarts zurück wolltest", sagte Alan und zwinkerte James zu. Er hielt ihm die Hand hin. „Hi, James. Keine Sorge, schätze mal, dass niemand sonst, außer dir, es schafft, Sirius' bester Freund zu werden."

James starrte Alan misstrauisch an, bis er schließlich zögernd einschlug. „Willkommen in Hogwarts, Alter." Es klang alles andere als ehrlich.

Alan tat so, als bemerkte er es nicht, er nickte Remus und Peter zu und winkte generell in die Runde. Alle Gryffindors am Tisch lauschten und bestürmten ihn sogleich mit Fragen, als sie merkten, wie er sie knapp begrüßte.

„Lernt ihr wirklich die schwarzmagischen Flüche?"

„Uhm, ja."

„Und da gibt es nur Reinblüter?"

„Ja. Das ist Tradition, wisst ihr." Alan grinste schalkhaft. „Werde ich wohl von euch verprügelt, wenn ich hier Schlammblut sage?"

„JA!", lautete James' empörte Antwort. „Und noch vieles mehr, de Maurice."

Alan zog eine Grimasse und James antwortete mit einer unanständigen Geste mit dem Mittelfinger.

„Stimmt es, dass die Schule aus Schnee gebaut wurde?", lenkten die anderen schnell ab.

Sirius hörte zu, während er seinen Blick unbeabsichtigt durch die Halle streifen ließ. Dann war er plötzlich abgelenkt. Denn er sah sie.

Mina Kisic saß am Slytherintisch und schaute direkt zu ihm herüber. Ihre Blicke trafen sich; silbergraue Augen sahen in schwarze. Ihre dunklen, langen Locken trug sie offen.

Sie sah nun natürlich älter aus, als vor zwei Jahren. Ihr Gesicht war hübsch, wie Sirius fand. Es zeigte Reife, aber da war auch dieser immerwährende kindliche Spott.

Sie lächelte ihm kurz zu und Sirius lächelte unwillkürlich zurück. Es glich einem Zauber. Für diesen Augenblick schien es nichts anderes zu geben. Doch dann verblassten die Lächeln beider Schüler; merkwürdige Ausdruckslosigkeit legte sich auf Minas feine Gesichtszüge und die übliche Verachtung schlich sich in ihrem Blick. Sirius feixte nur und wandte sich ab.

Innerlich war er verwirrt. Sie war hier. Die Anspannung, die ihn die ganze Zeit überfallen hatte, seit Dumbledore bekannt gegeben hat, dass Durmstrangschüler kommen werden, war von ihm abgefallen und er merkte es noch nicht einmal. Er spürte nur flüchtig, wie er sich entspannter fühlte; ihm war nicht bewusst, dass er offensichtlich immer gehofft hatte, dass Mina unter den Schülern dabei sein würde, die Hogwarts besuchten.

Und nun war sie hier.

Niemand schien den Blickwechsel bemerkt zu haben. Bis auf einen.

Remus beugte sich über den Tisch zu Sirius herüber; alle anderen waren noch in Gesprächen mit Durmstrang- und Beauxbatonsschülern. James versuchte, Lilys Aufmerksamkeit zu erringen, die selbst mit einer Französin ins Gespräch vertieft war und von dem Gryffindor sichtlich genervt schien, während Peter und ein paar andere Mitschüler sich mit Alan unterhielten.

„Wer ist sie?", raunte eine warme, leicht amüsierte Stimme ihm zu und Sirius fuhr leicht zusammen. Mit großen Augen starrte er Remus an, der lächelte.

„Was?"

Remus zwinkerte. „Das Mädchen, dem du vorhin so nett zugelächelt hast... wer ist sie?"

Sirius stockte der Atem. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er ging sofort auf Abwehr. „Ich habe niemandem zugelächelt, klar!", zischte er aufgeregt.

Remus hob beschwichtigend die Hände. „Immer mit der Ruhe, Sirius." Er schien verwirrt; Sirius machte sonst keinen Hehl daraus, wenn er dabei war, irgendwelche Mädchen aufzureißen. Er hatte schon so viele Dates gehabt, aber er hatte sich nie ernsthaft verliebt. Es war merkwürdig, dass er nun so heftig abstritt, dieser Schülerin zugelächelt zu haben.

Sirius merkte Remus Argwohn und zwang sich zur Geduld. Er wusste doch selber nicht, was los war. „Das ist Kisic", sagte er.

Remus' Augen weiteten sich. „Mina Kisic? Die, mit der du dieses Vampirabenteuer erlebt hast?"

„Sshht, Remus!", fuhr Sirius ihn böse an, „Schrei es doch noch lauter, ich glaube, die da drüben haben es noch nicht mitbekommen!"

„Ich war gar nicht laut", schmollte Remus, aber dann warf er Mina einen kurzen Blick zu.

Sie war in ein Gespräch mit Narcissa vertieft und schien kein Interesse am Gryffindortisch – an Sirius – mehr zu haben.

xx

Nach dem Frühstück zogen die vier Rumtreiber zum Gryffindorturm, um die Schulsachen zu holen und hatten Alan ins Schlepptau genommen.

Erst vor zwei Tagen war Vollmond gewesen und Remus war deswegen noch ein wenig wie durch den Wind. Er nahm alles stärker wahr; doch jene Nacht war die beste gewesen, die er als Werwolf jemals gehabt hatte. Es war unbeschreiblich gewesen. Die Ängste, die Dunkelheit, die ihn zu erdrücken drohten, mussten dieses Mal weichen, sich geschlagen geben. Denn Sirius, James und Peter hatten das schier Unmögliche möglich gemacht.

Sie waren Animagi.

Nach all den Jahren Training und Übung hatten Sirius und James es geschafft, sich in Tiere zu verwandeln. Sirius in einen großen, schwarzen Hund und James in einen majestätischen Hirsch – beide Tiere waren groß genug, um den Werwolf zur Not in Schach zu halten. Und Peter, der es unter sehr großen Schwierigkeiten und nur mit enormer Hilfe von Sirius und James geschafft hatte, konnte sich nun in eine flinke Ratte verwandeln, klein genug, um unter dem Baum hinwegzutauchen, damit er den Punkt der Weide berühren konnte. So konnten die drei Jungen ungehindert zur Heulenden Hütte gelangen, wo Remus das letzte Mal auf sie gewartet hatte.

Als Tiere verwandelt hatten sie bei ihm ausgeharrt und als Remus unter Schmerzen zum Werwolf wurde, hatte er ihre Anwesenheit genau gespürt. Sie hatten ihn beruhigt, denn er würde anderen Tieren ohnehin nichts tun. Am Anfang war er als Werwolf ein wenig aufgeregt gewesen und er hatte sich mit Sirius – Padfoot – gekebbelt, aber nachdem klar war, dass Padfoot und Prongs (James) zusammen stärker waren als er, war er ruhig geworden.

Ein beruhigendes Gefühl hatte sich in ihm ausgebreitet, er hatte sich hingelegt und zusammen mit Padfoot, Prongs und Wormtail die Nacht verbracht.

Dies waren seitdem ihre Spitznamen. Sie nannten sich untereinander immer häufiger so. Padfoot für Sirius, weil er so große Tatzen als Hund hatte. Prongs für James, weil er ein Hirsch war. Wormtail für Peter, weil er einen langen Rattenschwanz hatte. Und schließlich Moony für ihn, Remus, selbst. Weil er als Werwolf den Mond anheulte, wenn sich Gelegenheit dazu ergab.

Die anderen Schüler waren noch überrascht und fragten sich wohl, was die neuen Namen zu bedeuten hatten, aber niemand erriet es. Das Geheimnis war zu wichtig und wurde von den vier Rumtreibern zu gut gehütet, als dass jemals jemand dahinter zu kommen vermochte. Wer ein Animagus war, musste sich eigentlich beim Zaubereiministerium als solcher registrieren lassen. Derjenige müsste Gründe nennen und sich einer Befragung unterziehen. Aber für Sirius, James und Peter war von Anfang an klar gewesen, dass sie unregistriert bleiben würden. Zum einen, weil sie immer Regelbrecher waren und es gegen ihr Prinzip ging, sich an ein Gesetz zu halten. Zum anderen, weil sie schlecht zugeben konnten, dass sie nur deswegen Animagi geworden waren, um ihrem Freund beizustehen, wenn er zum Werwolf wurde.

In den Weihnachtsferien war ihnen dann auch endlich ihr zweites Meisterstück gelungen. Sie alle vier hatten schon seit Sommer daran gearbeitet, eine Karte herzustellen, die magisch so verschlüsselt war, dass sie einen aktuellen Überblick mit allen Geheimgängen und Anwesenden in und von Hogwarts preisgab. Da die vier Freunde nahezu jeden Geheimgang kannten, war die Karte äußerst detailliert. Die sich bewegenden Punkte stellten alle Schüler und Professoren dar, darüber standen ihre Namen geschrieben. So konnten sie immer ausmachen, wer sich wo befand – und auch wenn Fremde kamen, wurden diese aufgezeichnet. Diese Karte war optimal, sie konnten nun bei jedem nächtlichen Ausflug vorher diese Karte studieren und Wege benutzen, von denen sie wussten, dass sich dort niemand anders herumschlich, um nicht erwischt zu werden.

Sie hatten sie die Marauders Map getauft und so codiert, dass sie nur mittels eines magischen Passworts geöffnet werden konnte. Wer die Losung nicht kannte und versuchte, die Karte zu öffnen, den erwarteten schriftliche Mitteilungen von den Herren Moony, Padfoot, Prongs und Wormtail, die über das ledernde Stück glitten, in denen sie ihre frechen Scherze mit demjenigen trieben.

Dabei war der Spruch recht einfach, mit dem man die Karte öffnen konnte: „Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin."

Denn darin waren sich alle vier einig: nur ein Tunichtgut sollte diese Karte benutzen können, alle anderen waren es nicht wert. Diese Karte sollte später, nach ihrer Schulzeit, in die Hände einer neuen Generation von Gesetzesbrechern, Tunichtguten, Unruhestiftern und Rumtreibern gelangen, auf das sie mit Hilfe dieser Karte die anderen mit ihren Streichen in den Wahnsinn treiben konnten.

Remus lächelte stolz. Diese Karte war einmalig und verschaffte ihnen so viele Vorteil, wie noch nie. Seitdem waren sie fast jede Nacht unterwegs gewesen, um sich durch die Schule zu schleichen, Streiche zu spielen, Hausmeister Filch in die Irre zu treiben und Mrs Norris zu erschrecken. Und natürlich, um sich mit Mädchen zu treffen.

Remus hatte dies noch nicht getan; er schreckte vor so etwas zurück. Denn was, wenn er sich einmal wirklich verliebte und das Mädchen auch an ihm Gefallen fand und sie entweder von selbst herausfand, dass er ein Werwolf war oder er es ihr irgendwann unweigerlich erzählen musste? Sie würde schreiend davon rennen, darüber war Remus sich im Klaren. Er merkte nicht, wie er denselben Gedankenfehler machte, wie einst bei James, Sirius und Peter, bevor sie hinter sein Geheimnis gekommen waren.

James hatte ihn deswegen einen Dummkopf genannt und argumentiert, dass sie auch nicht weggerannt waren.

Aber James, Sirius und Peter waren auch anders, fand Remus. Anders, als die anderen. Jeder Normalsterbliche würde mit einem Werwolf nichts zu tun haben wollen, sich fürchten. Und Remus wollte nicht verletzt werden und niemanden emotional verletzen. So war es besser, wenn er sich erst gar nicht mit Mädchen traf. Denn wo sich keine Gefühle entwickeln konnten, konnte auch niemand enttäuscht und verletzt werden.

Es war eine Flucht in eine Welt, die Remus sich um sich zu seinem Schutz erbaut hatte. In dieser Welt gab es nur ihn und die anderen drei Rumtreiber. Und seine Eltern. Aber sonst gab es niemanden und er würde sich hüten, jemand in diese Welt hinein treten zu lassen, denn jeder andere würde sich vor ihm fürchten und allen erzählen, was Remus für ein Monster war.

Dann würden alle auf ihn zeigen, ihn verachten, ihn davon jagen. Ihn töten wollen. Das war das harte Los eines jeden Werwolfs. Sie wurden verfolgt und gehetzt und nur, weil er das Glück hatte, dass Schulleiter Dumbledore tolerant genug war, um ihn hier aufzunehmen, hieß das nicht, dass er dieses Glück überstrapazieren musste.

Dabei gab es in Hogwarts durchaus Mädchen, die mit Remus zu flirten versuchten. Remus wusste es vielleicht nicht so genau, aber seine ruhige Art wirkte meistens versonnen und geheimnisvoll und seine bernsteinfarbenen, warmen, aber oftmals wehmütigen Augen wirkten manchmal golden. Er sah recht gut aus und hatte eine charmante Ausstrahlung, deren er sich nicht bewusst war, weil er immer daran dachte, dass er ein Werwolf, ein Monster war.

So flüchtete Remus sich in seine Welt und blockte alle Annäherungsversuche von Schülerinnen rechtzeitig ab.

Später einmal würde James zu ihm sagen, dass er nie herausfinden würde, ob ein Mädchen ihn nicht so sehr liebe, dass es ihr gleich wäre, ob er ein Werwolf sei, wenn er alles blockierte und sich zurückzog. Später würde sein Freund zu ihm sagen, dass er das Risiko eingehen müsste, selbst wenn die Gefahr bestand, verletzt zu werden. James würde ihm sagen, dass das nun mal in der Liebe so sei und man nur Liebe bekommen könne, wenn man bereit wäre, all die Risiken einzugehen.

xx

Die Gryffindors hatten mit den Slytherins zusammen Verwandlung bei McGonagall. Die Durmstrang- und Beauxbatonsschüler im selben Alter waren ebenfalls zugegen, somit auch Alan und Mina.

Alan hockte bei den Rumtreibern und plapperte, wie ein Wasserfall – Sirius grinste immerzu über seine Witze und kümmerte sich ohnehin viel zu sehr um Alan, wie James fand.

Dieser aufgedrehte, unbekümmerte Blondschopf passte nicht so recht in das Bild, dass James von einem schwarzmagischen, reinblütigen Durmstrangschüler hatte und er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass Sirius sich mit diesem Unheilstifter in Durmstrang schnell angefreundet hatte.

Mit etwas mürrischer Miene saß James bei ihnen – McGonagall hatte ihn und Sirius diesmal ausnahmsweise nicht auseinandergesetzt – und überlegte, wie er den Slytherins und den Durmstranggästen einen Streich spielen konnte, um seinen Frust dabei loszuwerden.

Sirius bezog ihn hin und wieder ins leise Gespräch mit ein und James fing an, zu denken, dass er Alan vielleicht auch Unrecht tat. Dieser hatte ihm nichts getan und war freundlich und eigentlich auch witzig. Aber Durmstrang blieb Durmstrang. Alan und Sirius hatten sich ohnehin viel zu viel zu erzählen, da fühlte er sich als das Fünfte Rad am Wagen. Die beiden Jungen hatten sich zwei Jahre lang nicht gesehen und nur selten geschrieben. Dennoch fühlte sich James weggedrängt, ein Gefühl, dass er zum ersten Mal in seinem Leben spürte und er stellte schnell fest, dass er es hasste.

So vertrieb sich James die Zeit damit, einer Slytherin heimlich einen leisen Fluch auf den Rücken zu hexen, der einen Zettel an ihre Uniform pinnte, wo in leserlichen Buchstaben Schlag mich, ich mag es stand.

Dann ließ er seine Gedanken zur vergangenen Vollmondnacht schweifen, welche eines der aufregendsten Erlebnisse in James' Leben dargestellt hatte. Sie hatten sich als Tiere verwandelt Remus begleitet.

Es war toll, ein Hirsch zu sein. Er fühlte sich dann königlich und stark, aber ruhig und gelassen. So ganz anders... die Instinkte waren so stark, dass man sich völlig darauf verlassen konnte und das machte alles viel einfacher. Es erforderte viel Konzentration, aber wenn man einmal den Dreh raus hatte – was verdammt viel und jahrelange Übung gekostet hatte – war es total leicht, sich zu verwandeln. Die Gedanken flossen einfach und er war in der Lage, die Gestalt zu wechseln – Hirsch oder Mensch.

Um ein Animagus zu werden, musste man die eigene Seele beherrschen können.

James erinnerte sich, was sie in einem der Bücher darüber gelesen hatten:

Einleitung

Um ein Animagus werden zu können, muss man die eigene Seele beherrschen. Diese zu kontrollieren, zu fühlen ist der erste Schritt, um sich in ein Tier zu verwandeln. Es ist nicht einfach, über die Seele bewusst zu verfügen, weil die Seele sich somit selbst in Anspruch nehmen muss.

Die Seele

Was ist die Seele überhaupt? Beschreiten wir erst einmal den Pfad des Verstehens, ehe wir uns den Lektionen über Animagi zuwenden.. Die Seele ist etwas Spirituelles und bildet die Quelle aller Körperfunktionen, sowie geistigen Handlungen und Vorgängen. Sie bestimmt die Identität und das Bewusstsein des Menschen, sprich, sie ist der Atem des Lebens, das wahre Wesen aller Dinge. Die Seele ist das Einzige, was wirklich existieren kann, da sie eine unvergängliche Substanz ist, unsterblich, der Ewigkeit gleich, erfassbar jedoch nur, wenn sie in einem Körper aufblühen kann. Alles Wahrnehmen besteht in einem Empfangen der Form des Wahrgenommenen, als innerseelische Darstellung. Alle Gefühle und alle Gedanken sind Teil der Seele und machen somit die Persönlichkeit aus. Doch der Körper dient dem Geist nicht als leere, belanglose Hülle, sondern bildet die äußere Abbildung der Seele. Er kann Spiegel des eigenen Selbst sein.

Bezug zum Animagus

Demnach kann man bei der Animagus-Verwandlung die Tierart nicht willentlich aussuchen. Das Unterbewusstsein der Seele sucht sich dasjenige Tier aus, welches am besten zu ihm passt, denn wie der menschliche Körper Spiegel der Seele sein kann, so ist es mit jedem Körper, den sie annimmt, also auch beim Tier. Jene Charaktereigenschaften eines Tieres, die dem eigenen Geist am meisten ähneln, werden bei dem Vorgang der Animagus- Verwandlung dominieren und letztendlich zu dieser Form führen. Versuche, sich willentlich ein Tier vorzustellen und sich in dasjenige zu verwandeln, schlagen fehl, sofern das Unterbewusstsein sich ein anderes Tier ausgesucht hat.

Die Versenkung

Doch wie erfährt man, welche Animagus-Form man annehmen wird? Dazu muss man, wie am Anfang erwähnt, seine Seele beherrschen können. Die Seele kontrolliert die Seele. Zunächst einmal muss man das Bewusstsein im Einklang mit dem Unterbewusstsein bringen. Man muss die Seele betrachten können, wie sie ist, ohne ihr eigene Ideen oder Gefühle hinzuzufügen. Diese Haltung des „Nicht-Geistes" entspricht einer Bewusstseinsstufe, auf der die Gedanken vorbeifließen, ohne Spuren zu hinterlassen. Es geht um die Versenkung in einen speziellen Bewusstseinszustand. Diesen muss man blitzschnell erreichen können, um sich zu verwandeln.

Dies geschieht durch Training. Zunächst zeitaufwändig und mit viel Geduld versinkt man in die pure, geistige Ebene, lässt alles, was die Seele beeinflusst, an sich vorbeiziehen, ohne dass sie Spuren hinterlassen; der Geist muss frei, die Seele leer werden. Frei und leer von jeglichen Gedanken und Emotionen. Es handelt sich im Grunde um eine Art Meditation, die hilft, sich von allem loszulösen. Erreicht man den Höhepunkt, ist man in der Lage, sich gleitend und schnell in die Form des Tieres zu verwandeln. Hat man Übung im Beherrschen der Seele, kann man den Höhepunkt der Kontrolle von einer Sekunde zur nächsten erreichen und sich verwandeln, wann immer es einen beliebt.

Wenn man anfängt, über seine Seele verfügen zu können, wird man im Unterbewusstsein spüren, welche Tierform man annehmen wird. Es beginnt im Schlaf in den Träumen, die vom Unterbewusstsein produziert werden. Man fühlt die Seele in einem anderen Körper, ohne das man ihn sieht, spürt das Vertraute und zugleich Fremde. Je geübter man in dem Beherrschen seiner Bewusstseinsebenen wird, umso intensiver werden die Träume – bis man irgendwann einfach ´weiß´, welches Tier man wird. Meist hat man sich meistens zum Zeitpunkt des Erkennens in das Tier verwandelt, und zwar in ein solches, zu dem Seelenverwandtschaft herrscht.

Die Animagus-Form

Da die Seele unter anderem die Quelle aller Körperfunktionen ist und man seinen Körper verwandelt, ist es also wichtig, die Seele so beherrschen zu können, dass man Einfluss auf die Körpergestalt nehmen kann; der Augenblick der völligen Kontrolle des Geistes, der Befreiung und Leerung des Bewusstseins von jeglichen gedanklichen, emotionalen Spuren führt im selben Moment zur Verwandlung. Um dies vollbringen zu können, bedarf es hoher Konzentration und psychischer Stärke mitsamt dem aufrichtigen Wunsch, dies auch wirklich zu wollen.

Nur die Wenigsten werden Animagi und es ist bisher niemandem gelungen, verschiedene Gestalten anzunehmen. Man muss sich auf sein Inneres konzentrieren können, egal wann, auf seine Gefühle und Gedanken lauschen, im erfolgreichen Versuch, sie zu bezwingen und sich allmählich von ihnen zu befreien. Bis man die völlige Kontrolle über sich selbst erreicht hat.

Seelenspiel

Das Spiel mit der Seele ist schwer zu spielen. Wer keine Geduld und keinen Willen kennt, wird es verlieren. Nur wer sich beherrscht und nicht aufgibt, umgeben von mentaler Ruhe, wird gewinnen. ...

Es war ein Akt der seelischen Beherrschung und Ruhe. Die Verwandlung geschah bei ihnen mittlerweile schnell; sie ging fließend. Während der langen Übung hatte jeder der Jungen im Unterbewusstsein gemerkt, welche Gestalt er annehmen würde.

James hatte herausgefunden, dass seine Animagusgestalt ein Hirsch sein würde, denn dieses Bild kam ihm während der mentalen Übungen immer wieder vor das innere Auge. Mutig, königlich, aufrichtig. Natürlich hatte der innere, starke Drang, Remus helfen zu wollen, eine Rolle gespielt, die dazu führte, dass er und Sirius sich in große Tiere verwandelten und Peter in eine kleine Ratte, die den Knotenpunkt des Baumes unbeschadet berühren konnte. Zweckmäßige Gründe waren demnach der Auslöser für ihre Gestalten. Aber das war nicht alles. Es lag auch an Charaktereigenschaften.

Sirius als ein Hund galt unter anderem als treu. Der Hund galt immer als der beste Freund.

Und Peter... James vermochte nicht zu erkennen, warum Peter sich in eine Ratte verwandelt. Vielleicht, weil eine Ratte unauffällig und vorsichtig war. Das würde zu dem Jungen passen. Wie auch immer, es war nur zu ihrem Besten. Beispielsweise hatten sie angefangen, Peter als Ratte zu den Slytherins zu schicken, damit er spionierte.

Im Akt der Verwandlung konzentrierte James sich darauf, und zeitgleich ließ er sich im Nichts treiben, sein Unterbewusstsein handeln, fremde Gedanken fernhaltend, damit die Umgestaltung schnell und reibungslos verlief.

Es war ein schönes Gefühl. Licht war da. Etwas Helles; dieses Nichts war nicht schattenhaft oder dunkel. In diesem Augenblick war alles andere unwichtig. Irrelevant. Nur das Gleichgewicht der Seele galt.

Remus war am Anfang sehr aufgeregt gewesen als Werwolf und es hatte einige Kämpfe zwischen ihnen gebeben – aber sie waren recht harmlos gewesen und nach einer Rauferei hatten sie einträchtig nebeneinander in der Heulenden Hütte gelegen und Remus einfach Gesellschaft geleistet. James hatte als Hirsch fühlen können, wie der Werwolf sich beruhigte und sich viel sicherer fühlte, als sonst. Und es hatte ihm unendlich viel Freude bereitet, seinem Kumpel die größte Angst ein wenig zu mildern.

xx

Nach dem Unterricht vertrat Mina Sirius plötzlich den Weg. Sie standen auf dem Gang vor dem Klassenraum und der dunkelhaarige Junge war leicht zurück geprallt. Aber ein Blick genügte, um zu wissen, dass sie allein mit ihm reden wollte.

Irgendetwas schien in seinem Magen zu tanzen; er ignorierte es. „Ich komm gleich nach", sagte Sirius zu den anderen, ohne Mina aus den Augen zu lassen.

James schnaubte nur. „Beeil dich, Mann", meinte er, als er dann mit Remus, Peter und Alan schon mal vorging.

Die anderen Schüler warfen Sirius und Mina neugierige Blicke zu und gingen ebenfalls zur nächsten Unterrichtsstunde.

„Boah, de Maurice, musst du eigentlich immer bei uns abhängen?", hörte er noch James verärgert fragen.

„Hey, Sirius' Freunde sind auch meine Freunde", entgegnete Alan übertrieben fröhlich, wohl, um James zu triezen.

„Du bist eine totale Nervensäge, weißt du das? Und das habe ich schon nach den ersten fünf Minuten festgestellt!", blaffte James ihn wütend an, während sie sich immer mehr entfernten.

„Die Gastfreundlichkeit Hogwarts' ist sehr bekannt bei uns", spottete Alan, aggressiver werdend.

„Jungs", mischte sich Remus genervt ein. „Muss das sein?"

Ihre Stimmen wurden leiser und verebbten bald komplett.

Sirius verschränkte die Arme vor seiner Brust und verlagerte sein Gesicht auf sein linkes Bein. Er stand mit Mina allein im Gang. Er hatte sie zwei Jahre lang nicht gesehen; kein Kontakt hatte zwischen ihnen geherrscht, denn sie waren niemals Freunde gewesen und würden es auch niemals sein. Es war komisch, nun vor ihr zu stehen.

„Ja?", fragte Sirius und war froh, lässig zu klingen.

„Du hättest dich mal melden können", eröffnete sie das Gespräch. Es war kein Vorwurf, denn sie war zu sehr darum bemüht, Emotionen aus ihrer leicht schleppenden, kühlen Stimme fernzuhalten. Festen Blickes fixierte sie Sirius.

Dieser blinzelte. Damit hätte er nicht gerechnet. Sie überraschte ihn jedes Mal aufs Neue. Er zuckte mit den Achseln. Er hatte ihr nie geschrieben. Wieso auch? Sie hatte ihm ja auch nie einen Brief geschickt.

„Du hättest dich ja auch mal melden können", meinte er also arglos.

Sie verengte ihre Augen und noch ehe sie etwas sagen konnte, hob Sirius die Hände; grinsend.

„Oh, okay, es wäre sicher unehrenhaft, einen Brief von einem Blutsverräter zu erhalten. Schau, und deswegen habe ich dir nicht geschrieben. Und tu nicht so, als ob du mir jemals geantwortet hättest. Wir stehen auf verschiedenen Seiten."

Minas Gesicht blieb reglos. Da war nur etwas Aufflackerndes in ihren Augen, sehr kurz nur, aber hell genug, um es wahrzunehmen. „Ich habe dir doch schon mal gesagt, dass mich die innenpolitischen Probleme, die in England vorherrschen, nichts angehen", entgegnete sie einfach nur.

Sirius stieß seinen Atem aus. „Ach ja? Und warum nur habe ich trotzdem das Gefühl, dass wir auf verschiedenen Seiten stehen? Das hat mit England nichts zu tun. Du verehrst das reine Blut und bist für mich somit 'ne scheiß Rassistin, und ich hasse es und deswegen nennst du mich 'nen verdammten Blutsverräter." Er grinste, aber es war ein höhnisches, verächtliches Grinsen, das seine Augen niemals erreichte. „England oder nicht – in unserer Welt gibt es nur Schwarz oder Weiß."

„Danke, Black, jetzt weiß ich wieder, was du für ein blödes Arschloch du bist", zischte Mina aggressiv, trat vor und gab ihm einen Stoß, sodass er einen Schritt nach hinten taumelte.

Er grinste noch immer, diesmal unverschämt. „Um das wiederzuerkennen, hättest du nicht extra nach Hogwarts kommen müssen."

Er fragte sich ohnehin, warum sie hier war – bei Alan war es etwas anderes. Er war nicht so sehr geblendet. Aber sie... dass sie freiwillig hierher kam, um mit sogenannten Schlamm- und Halbblütern zusammen für zwei Monate zur Schule zu gehen, ging doch gegen ihre Moral.

In ihren Augen loderte es; Sirius ignorierte das plötzliche Rauschen von Blut in seinen Ohren. Obwohl ihr Gesicht von Zorn umhüllt war, registrierte er die Verwirrung unter der Oberfläche, wie kleine Wellen unter der sorgsam erzwungenen Ruhe.

„Weißt du, Black, England wird im Glanz der Reinblüter erblühen", stieß sie hervor; Aufgebrachtheit lag in ihrem Blick, „und wenn du so störrisch und hirnrissig bleibst, wie bisher, dann wirst du mit dem Rest untergehen."

Damit wandte sie sich um, um zu gehen, aber Sirius fing ihr linkes Handgelenk und wirbelte sie mit einem Ruck wieder zu sich herum. Sie stützte sich bei ihm ab, den Atem einziehend, ließ ihn dann los; er hielt sie noch am Handgelenk und fühlte die zarte Haut. Sie stand dicht vor ihm und blitzte ihn vor Empörung an.

Sie war nah. Viel zu nah.

Sirius' Herz klopfte und das Atmen fiel ihm schwerer. Die Empfindung von Schnee überkam ihn so sehr, das er für die Dauer einiger Herzschläge seine Wut vergaß.

Und dann ließ er sie abrupt los, so, als hätte er sich verbrannt und wich hastig einen Schritt zurück. Er war durcheinander und wusste, dass das ein schlechtes Zeichen war. In einer anderen, besseren Welt wäre es ein gutes Zeichen gewesen, aber in dieser Welt standen sie auf verschiedenen Seiten. Er durfte sich nicht von ihr verwirren lassen.

„Wenn ich falle, Kisic, fällst du mit mir", brach es nun aus ihm heraus. Seine Stimme klang gepresst und er war hin und her gerissen von Zorn und emotionalem Chaos.

Mina starrte ihn an. Dann lächelte sie nur. Es war kein kaltes, aber auch kein echtes Lächeln; es war nur voller Bitterkeit.

„Wir fallen doch schon, Sirius", behauptete sie leise und ausdruckslos.

Dann drehte sie sich um und lief davon und diesmal ließ Sirius sie gehen.

xx

Er fühlte sich frei. Er fühlte sich so unglaublich frei, als er als großer Hund des Nachts mit Prongs über die Ländereien jagte. Im nahezu fliegenden Tempo rannten sie unter den nächtlichen Frühlingshimmel umher. Padfoot bellte hin und wieder und wollte sich mit Prongs balgen.

Es war mit das Schönste auf Erden, ein Animagus zu sein; im Körper des großen, schwarzen Hundes erschien die Welt um so vieles einfacher. Als könnte er als Hund alles, was ihm nicht gefiel, ignorieren, vergessen und einfach nur ein Hund sein.

Alles war dann heller, als sonst. Argloser.

Es hing damit zusammen, dass mit dem Akt der Verwandlung die Seele von allen anderen Gedanken verschont blieb, und somit auch die düsteren ferngehalten wurden. Somit schien alles auf einmal leicht und unbekümmert.

Animagus zu sein war mit das Beste auf dieser Welt.

Zumal es auch sehr lustig war. Letztens hatten Sirius und James das Quidditchtraining der Slytherins ausspioniert und als die erschöpften Spieler gelandet waren und zum Schloss gingen, war Padfoot ihnen gefährlich kläffend und knurrend hinterher gejagt. Die Slytherins waren in Panik ausgebrochen. Einige von ihnen hatten den Hund zu verhexen versucht, aber Padfoot war flink genug gewesen, sodass die Schüler ihr Heil in der Flucht gesucht hatten.

James hatte von seinem Versteck aus Tränen gelacht.

Niemand konnte ja ahnen, dass sie es geschafft hatten, Animagi zu werden.

xx

Peter war alleine in der Bibliothek und suchte nach Büchern zum Fach Zaubertränke, damit er den Aufsatz schreiben konnte, den sie aufbekommen hatten.

Sirius und James schliefen, obwohl es Nachmittag war. Sie hatten letzte Nacht durchgemacht und als Hund und Hirsch draußen herumgetollt.

Remus war mit Alan zusammen im Gemeinschaftsraum. Es war die zweite Woche für die Austauschschüler in Hogwarts. In dieser Zeit hatte es sehr viel Ärger mit den Slytherins gegeben, die sich durch die reinblütigen Durmstrangschüler wohl darin bestärkt fühlten, alle Nicht-Reinblüter das Leben zur Hölle zu machen.

Peter seufzte und steuerte mit einem Stapel Bücher im Arm auf einen der Tische an den Fenstern zu. Er hatte keine Lust, die Hausaufgaben zu machen; er war in Zaubertränke ohnehin nicht gut und oft auf James' Hilfe angewiesen. Doch die ZAGs standen nun mal im Sommer bevor und er durfte nicht in Zaubertränke durchfallen. Vielleicht brachte es ja was, wenn er anfing, die Hausaufgaben in diesem verhassten Fach zwischendurch alleine zu lösen.

Mit einem leisen Klageton stellte er die Bücher auf den Tisch und ließ sich schwerfällig auf den Stuhl fallen. Die milde Aprilsonne schien durch die Fenster und tauchte die Bibliothek stellenweise in helles Licht.

Als Peter die Bücher vor sich ausbreitete und somit den Stapel auflöste, bemerkte er, dass er gar nicht alleine am Tisch saß.

Lily Evans hockte ihm gegenüber, einen aufgeschlagenen Wälzer vor ihrer Nase, aus dem sie wichtige Informationen auf eine Pergamentrolle abschrieb. Die Federspitze kratzte über das Papier. Ein paar feuerrote Haarsträhnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und fielen in ihr konzentriertes Gesicht. Sie hatte feine Sommersprossen auf dem Nasenrücken.

Peter starrte sie an. Dann besann er sich. „Hallo", sagte er schüchtern und mit seiner stets etwas piepsig klingenden Stimme.

Lily schaute auf und begegnete Peters Blick.

Diese Augen, dachte Peter hingerissen, völlig im Bann dieser leuchtendgrünen Augen.

„Hallo, Peter." Sie klang weder unfreundlich noch sonderlich nett.

Er war überrascht, dass sie seinen Namen kannte. Er wurde mutiger. „Du kennst mich."

Lily runzelte die Stirn. „Wer kennt die vier nervigen Rumtreiber nicht?"

Peters Herz schien etwas hinabzurutschen. Lily fand sie alle also nervig. Er hatte immer gedacht, dass sie allen voran James und Sirius nervig fand.

„Oh, dann... dann will ich dich nicht länger stören", meinte er hastig und spürte die Röte in seinem Gesicht aufsteigen. Schnell zog er eines seiner Bücher zu sich heran, um es zu lesen.

„Ach, Peter", fing Lily halb belustigt, halb mitleidig an, „du störst schon nicht. Ich wollte nicht böse klingen."

Peter hatte wieder erstaunt aufgesehen.

Lily feixte. „Sehr ungewöhnlich, einen von euch alleine zu treffen."

Peter lächelte. „Ja, ich- also, die anderen, sie sind..." Er brach ab, um seine Gedanken zu sammeln. „Die anderen sind im Gryffindorturm. Sirius und James schlafen und-"

„Ich will gar nicht wissen, was die anderen machen", fiel Lily ihm mit gutmütigem Spott ins Wort.

Und Peter schwieg.

Er wünschte, er könnte so locker mit Mädchen umgehen, wie Sirius. Sirius wusste immer, wie er sich zu benehmen hatte, um sie zu beeindrucken. Sie zum Lachen zu bringen. Mit ihnen elegant zu flirten. Sirius war ein Charmebolzen.

Und James schien es auch recht leicht zu fallen. Aber James hatte immer nur Augen für Lily, dachte Peter schuldbewusst. Sicher, er war schon mit anderen Mädchen ausgegangen, aber er versuchte dennoch pausenlos, Lily zu einem Date zu überreden. Er gab nie zu, verliebt zu sein, und vielleicht war er das dann auch gar nicht, überlegte Peter. Somit bräuchte er kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er hier saß und mit Lily plauderte. Oder es zumindest versuchte.

Aber eine tiefe, innere Stimme sagte ihm, dass sie verbotenes Terrain war. James war schon seit der vierten Klasse hinter ihr her. Doch Peter ignorierte diese Stimme.

Er verwickelte Lily etwas tollpatschig in ein Gespräch über die Austauschschüler und das bevorstehende Quidditchspiel. Lily war höflich, doch Peter hatte manchmal den Verdacht, dass es statt Höflichkeit auch Mitleid sein könnte.

Und das ärgerte ihn, denn es zeigte, dass er eben nicht so cool war, wie Sirius oder James. Dabei hatte er auch einiges auf den Kasten. Er hatte außerordentliches diplomatisches Geschick, etwas, was die vier Rumtreiber oftmals vor Schwierigkeiten bewahrt hatte. Und er war ein Animagus. Wenn Lily das wüsste, würde sie schwer beeindruckt sein. Aber leider durfte er ihr das nicht verraten, da er mit den anderen einen Blutseid geschworen hatte, es geheim zu halten. Niemand war so leichtfertig und brach einen Blutseid.

Er war eine Ratte. Ihm fiel es leichter, sich in eine Ratte zu verwandeln, als in ein anderes Tier. Nicht nur, weil es ein kleines, einfaches Tier und der Schwierigkeitsgrad somit niedriger war, sondern auch, weil der Charakter und die Wesenzüge einer Ratte ihm wohl am meisten ähnelten.


A/N:

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