Rückwärts in die Dunkelheit

Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

(- die letzten Worte eines Sterbenden.)


22. Kapitel

Teil 2

Diese Welt


Komm mit mir mit.
Irgendwohin.
Nur fort von dieser Welt."

(- unbekannt)

Sirius wunderte es nicht sonderlich, als er den Gryffindor-Gemeinschaftsraum betrat und James und Alan darin vorfand, wie sie sich mit ihren Zauberstäben bedrohten. Die Gesichter waren erhitzt und die Blicke zornig. Ein umgeworfener Tisch lag zwischen ihnen und vergrub ein Schachspiel unter sich. Figuren waren überall verstreut.

Die anderen Gryffindors sahen den Jungs gebannt zu. Bis auf Remus, der bei James stand und zu schlichten versuchte, mischte sich niemand ein.

„NIMM DAS SOFORT WIEDER ZURÜCK, DU ELENDER HURENSOHN!", brüllte James gerade mit sich überschlagener Stimme. Röte überzog seine Wangen und seine haselnussbraunen Augen waren bedrohlich verengt. Die rabenschwarzen, in alle Richtungen abstehenden Haare waren unordentlicher als sonst.

Alans Gesicht war blass vor Aufruhr, die Lippen waren zusammengepresst und mit seinem Zauberstab hielt er direkt auf James, um jederzeit zu reagieren, falls der andere das Duell eröffnete.

„Er hat es bestimmt nicht so gemeint", intervenierte Remus ruhig, aber mit angespannter Stimme.

„HAT ER WOHL!", rief James aufgebracht und ohne leiser zu werden.

Niemand hatte Sirius' Eintreten bemerkt.

Remus seufzte; die Stirn war gerunzelt. „Also-"

„NIMM DAS JETZT SOFORT ZURÜCK!", verlangte James wieder ohrenbetäubend und Remus ignorierend.

Alan schürzte trotzig die Lippen. „Ich denk ja nicht dran!", zischte er dann.

Kurze Stille; die Luft war zum Zerreißen nahe und schien jederzeit bereit, Feuer zu fangen.

Doch noch ehe beide Kontrahenten ihren Streit mittels Flüchen fortsetzen konnten, trat Sirius zu ihnen.

„Alles klar, Jungs?", erkundigte er sich lässig und kam zwischen Alan und James zum Stehen, die Hände in die Hosentaschen vergraben. Die ersten Knöpfe seiner Schuluniform waren offen und entblößten ein Stück seines schlanken, aber sportlich gebauten Oberkörpers; der Kragen war auseinandergezogen. Die rotgolden gestreifte Krawatte war nur sehr locker gebunden.

„Sirius!", riefen sowohl James und Remus, als auch Alan aus.

„Endlich", fügte Remus sichtlich gestresst hinzu. „Verhindere, dass sie den Gemeinschaftsraum auseinandernehmen!"

Sirius grinste seinen Kumpel an. „Das wäre aber ziemlich lustig, wenn sie das täten, Moony."

Remus verdrehte die Augen. „Sorry, aber ich kann daran nichts Lustiges finden."

„ICH AUCH NICHT!", rief James wieder erbost dazwischen. „UND NUN TRITT ZUR SEITE, PADFOOT, DAMIT ICH DIESE HÖLLENBRUT IN DEN NÄCHSTEN ABGRUND HEXEN KANN!"

„Gleich, ja", bat Sirius gelassen. „Sag mir doch erst, was Alan denn zurücknehmen soll."

James' lodernde Blicke waren nun auf Sirius gerichtet. „ER HAT GESAGT, DASS FRÜHER IM MITTELALTER DIE KÖNIGE UND ADLIGE ÜBER DAS EINFACHE VOLK GEHERRSCHT HABEN UND DIES VON ALLEN ALS GOTTGEGEBENE ORDNUNG ANGESEHEN WURDE!"

Er milderte die Lautstärke um keine Nuance und Sirius nahm es cool hin. Er kannte James; er schrie immer, wenn er sehr wütend war.

Aber er blinzelte verwirrt. „Aha... und?"

James schnaubte. „UND ER MEINTE, DASS ES KEINE SCHLECHTE IDEE WÄRE, DIES WIEDER EINZUFÜHREN, INDEM DIE REINBLÜTER IN FORM DER FEUDALHERRSCHAFT ÜBER DIE NICHT-REINBLÜTER REGIEREN! SCHLAMM- UND HALBLÜTER HAT DIESER MISTKERL GESAGT! WOFÜR HÄLT ER SICH EIGENTLICH?"

Für ein Reinblut, dachte Sirius, aber das sagte er jetzt lieber nicht.

„Hey, ich meinte bloß, dass diese Feudalherrschaft ja wohl besser sei, als die Ausrottung der Nicht-Reinblüter, die hier bei euch in England angestrebt wird!", verteidigte Alan sich laut und empört.

„DIESE AUSROTTUNG WOLLEN DIESE SCHEIß SCHWARZMAGIER UND NICHT DAS ZAUBEREIMINISTERIUM!", brüllte James heftig zurück. „UND FEUDALHERRSCHAFT IST NICHTS ANDERES, ALS WILLKÜRLICHE UNTERDRÜCKUNG!"

„Pah", machte Alan. „Besser unterdrückt, als getötet zu werden."

„BUUUHHUUU!", riefen einige Gryffindors, doch es klang eher amüsiert.

„WAS?", kam es prompt und sehr aggressiv von James. „BESSER IN FREIHEIT, FRIEDEN UND GERECHTIGKEIT ZU LEBEN, ALS ALLES ANDERE!"

„In welcher Welt lebst du, Potter?", kam es höhnisch von Alan.

„IN EINER WELT, DIE NOCH EXISTIERT HAT, BEVOR EIN PAAR GRÖßENWAHNSINNIGE DEINESGLEICHEN GEGLAUBT HABEN, PUREN SCHEIß RASSISMUS AUSZUFÜHREN!"

James schien kurz davor zu sein, den nächstbesten Fluch, der ihm einfiel, auf Alan zu schleudern.

„Okay", mischte sich Sirius wieder ein und wandte sich zu Alan. „Deine Idee ist bescheuert und du musst suizidgefährdet sein, wenn du so was im Gryffindorturm sagst."

Alan starrte Sirius an, dann lächelte er schalkhaft, welches seine Wut in den blassblauen Augen milderte. „Ein Déjà Vu. Ich erinnere mich noch, ähnliches zu dir gesagt zu haben, als du am ersten Abend in Durmstrang alle Reinblüter am Falkentisch in einem Atemzug beleidigt hast."

Sirius wusste es noch. Er grinste. „Ja, das war echt ein Geniestreich von mir."

Alans Mundwinkel verzogen sich abschätzend. „Angeber."

„Wie auch immer... lasst es doch gut sein", meinte Sirius nun, in ungewöhnlich gutmütiger Stimmung.

„VON WEGEN!", rief James. „NUR, WENN ER'S ZURÜCK NIMMT!"

Ein paar Gryffindors forderten lautstark ein Duell.

„Prongs", seufzte Sirius. „Das wird er eh nicht. Er ist aus Durmstrang, was erwartest du?"

Ein giftiger Blick traf ihn. „JEDENFALLS NICHT, DASS DU MIT SCHWARZMAGISCHEN MISSGEBURTEN BEFREUNDET BIST!"

Jetzt war es raus, wenngleich auch in einer solchen Lautstärke, dass Sirius das Gesicht leicht verzog. Er hatte gewusst, dass irgendwann einmal noch davon die Rede sein würde und nun war es soweit. Er konnte weder abstreiten, mit Alan befreundet zu sein, noch, dass dieser schwarzmagisch war. Doch Alan war nicht von böser Natur und somit war es in Ordnung für Sirius.

Aber nicht für James, das war von Anfang an klar gewesen.

Sirius war in einer Zwickmühle, allerdings war eines sicher: würde es James ernsthaft wollen, würde er jeglichen Kontakt mit Alan unterlassen.

Es war McGonagall, welche die Szene beendete. Sie trat in den Gemeinschaftsraum hinein, zweifellos angelockt vom Gebrüll von James und Alan, und schien mit einem scharfen Blick die Situation überschaut zu haben. Ihr schwarzes Haar war wie immer streng zurückgekämmt und ordentlich zusammengebunden.

„Ja, was ist denn hier los! Potter, de Maurice, Zauberstäbe weg, sofort, oder es setzt was! Potter, fünf Punkte Abzug für Ihre Unbeherrschtheit, die mir wirklich auf die Nerven geht und weitere fünf für Ihr unangebrachtes Herumgebrülle!" Sie sah aufgebracht die Jungen an. „De Maurice, ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass Sie mal wieder schlechte Sprüche gerissen haben und werde Ihren Hauslehrer davon in Kenntnis setzen! Also? Was ist passiert?"

Kollektives Schweigen war die Antwort. Sowie widerspenstige Blicke.

McGonagall schnaubte, ihre schwarzen Knopfaugen funkelten. „Das ist ja mal wieder typisch!" Sie wandte sich wieder ab, nachdem James und Alan die Zauberstäbe weggesteckt hatten. „Und Potter, de Maurice, räumt gefälligst den Gemeinschaftsraum wieder auf!"

James zog hinter ihrem Rücken eine Grimasse. „Ja, Professor", sagte er pampig.

Sie sah ihn wieder an. „Werden Sie nicht frech, Potter", warnte McGonagall noch. Sie wollte gehen, hielt aber noch einmal inne. „Ach, und Black, Pettigrew", fing sie stirnrunzelnd an und ihre Stimme bekam einen drohenden Unterton, während sie Sirius und Peter, der in einem Sessel hockte, abwechselnd fixierte, „wenn mir erneut zu Ohren kommt, dass Sie mal wieder versuchen, die Besen der Quidditchspieler von Slytherins zu verhexen, dann droht Ihnen so lange Nachsitzen, dass Sie keine Zeit mehr haben, um an Quidditch überhaupt noch zu denken!"

Sirius stieß einen langen Atem aus. „Die Besen zu manipulieren hat doch eh nicht funktioniert, Professor!", wandte er entrüstet ein.

McGonagalls Augen verengten sich zu Schlitzen. Mahnend streckte sie den Zeigefinger in die Höhe. „Treiben Sie es nicht zu weit, Black!"

xx

Sirius flog am nächsten Nachmittag alleine seine Runden über das Quidditchfeld und trainierte mit dem Quaffel.

Eigentlich hatte er mit James üben wollen, doch dieser hatte sich mit Snape und dem jüngsten Spross der Lestranges duelliert. Sie waren dabei erwischt worden und mussten nun nachsitzen.

Alan hatte er lieber nicht gefragt, um James' missmutige Stimmung nicht noch zu schüren. Mit Peter hatte er kein Interesse zu trainieren und Remus, dieser Bücherwurm, hatte es vorgezogen, zu lesen.

Der Himmel war grau; die Sonne schaffte es nicht, die Wolkendecke zu durchbrechen und ein sanfter Frühlingsregen hatte eingesetzt. Er ließ Sirius' Haar auf der Stirn kleben und nässte sein Gesicht und seine Quidditchtrainingskleidung, doch es störte ihn nicht.

Er ließ den Quaffel durch die Luft fliegen, jagte ihnen hinterher und schoss Tore. Er tat es etwas lustlos, denn ohne James machte es kaum Spaß.

Die Baumwipfel des Verbotenen Waldes hatten angefangen, zu knospen und die frischen, jungen Blätter waren noch von hellgrüner Farbe. Vereinzelte Blumen blühten so allmählich auf den Wiesen auf und die Vögel waren in Schwärmen aus dem Süden zurückgekehrt.

Auf einmal flog ein Klatscher ohne Vorwarnung auf Sirius zu und er konnte sich nur in letzter Sekunde retten, indem er kopfüber in einen Sturzflug glitt. Er wich den zweiten Klatscher auf, der ihn mit voller Wucht am Kopf getroffen hätte, und für die nächste Zeit war er vollauf damit beschäftigt, hastig zu fliehen – er nutzte es schnell und versuchte zeitgleich, den Quaffel in die Tore zu schießen.

Schließlich verschwanden die Klatscher, in die Kiste zurückgestaut, und Mina schwebte auf ihren Besen vor Sirius. Ihre Kleidung und ihr Haar waren durchnässt.

Sirius grinste. „Wolltest du mich abschlachten, Kisic?"

„Nein, aber beim nächsten Mal", versprach sie humorlos.

Sie flog zu den Ringen und ohne weitere Absprache trainierten sie zusammen. Sie schützte die Tore und Sirius war der Jäger. Sie war eine exzellente Hüterin; geschickt und flink. Oft schien sie zu wissen, wie der Quaffel fliegen würde, so dass sie ihn blockieren konnte.

Sirius war wider Willen beeindruckt. Aber auch er beherrschte das Spiel als Jäger nahezu perfekt und er vermochte Mina auszutricksen. Sie schienen einander ebenbürtig und das Training war somit anstrengend. Sie schwitzten beide und die kühlen Regentropfen waren schon bald eine angenehme Abkühlung auf den erhitzten Gesichtern.

Sie sprachen kein Wort. Sie spielten nur. Als würden sie es jeden Tag tun.

Erst, als es dämmerte, sammelten sie den Quaffel ein und landeten. Sie steckten die Bälle in die Kiste, die sie in die Quidditchhütte brachten und traten wieder hinaus.

Es roch die ganze Zeit schon nach Regen. Frühlingsregen.

Der Himmel schien durch die grauen Wolken viel schneller dunkel zu werden, als sonst. Weder die Sonne, noch der bald aufgehende Mond oder die ersten Sterne waren zu sehen.

Ein paar Hasen hoppelten eilig in ihre Behausungen, als Sirius und Mina über den Pfad zwischen Quidditchhütte und Feld zurückgingen.

Sie schwiegen immer noch, doch es war eine angenehme Stille. Als ob Eintracht zwischen ihnen herrschte. Als ob sie ihre ständigen Streitereien in Hogwarts, die hin und wieder in heftige Duelle endeten, vergessen hätten. Als wäre all das entrückt. Als wären sie beide momentan in einer anderen Welt, wo es keine Feindlichkeiten gab.

Am Quidditchfeld blieb Sirius an der Abzweigung, die zum Schloss führte, stehen.

Mina hielt inne und drehte sich zu ihm herum. Wassertropfen liefen über ihr Gesicht herab; der Regen war stärker geworden. Das dunkle Haar hing ihr in nassen Strähnen herab.

„Was ist?"

Sirius war urplötzlich etwas in den Sinn gekommen, wovon er wusste, dass es keine gute Idee war. Wovon er nur Schwierigkeiten bekommen würde. Sein Verstand sagte ihm das und versuchte ihn daran zu hindern, doch sein Herz war stärker und ließ ihn reden, noch ehe er Zeit hatte, einen Rückzug zu machen.

Eigentlich wusste er selbst nicht, warum er es tat.

„In einer Woche ist der Maiball", sagte er.

Der Tanzball war den Austauschschülern zu Ehren, da sie danach wieder abreisen würden.

Minas Blick wurde augenblicklich unleserlich. „Jah...", sagte sie gedehnt und wartete mit leicht zur Seite geneigtem Kopf ab. Ihre Augen waren halb geschlossen.

Sirius atmete tief ein. Er sprach schnell, ehe er sich selbst daran hindern konnte. „Möchtest du... möchtest du mich dorthin begleiten?"

So. Es war raus. Er hatte sie gefragt. Er hatte es doch tatsächlich getan. Er konnte es selbst kaum glauben; er musste verrückt geworden sein. Sie vertrat all jene Ansichten, die er hasste. Sie konnten sich deswegen nicht leiden. Es war absurd und paradox, dass er gerade sie fragte.

Doch merkwürdigerweise bereute er es nicht, sondern wartete angespannt und zum ersten Mal nervös in Bezug zu einem Mädchen ihre Antwort ab.

Mina schien verwirrt; sie sah ihn völlig entgeistert an.

Und Sirius wusste, dass sie abschlagen würde. Ihn verhöhnen. Was ja auch logisch war. Vernünftig.

Er hob in einer überstürzenden, abwehrenden Geste die freie Hand – in der anderen hielt er den Rennbesen – und trat einen Schritt zurück.

Er lachte kurz. „Vergiss, was ich dich gefragt habe", begann er ungewöhnlich gehetzt. „Ich habe in letzter Zeit zu wenig geschlafen und in Folge dessen tue und sage ich Dinge, die ich gar nicht meine."

Mina sah ihn direkt an, die Fassungslosigkeit in ihren grauen Augen war gewichen.

In der zunehmenden Dunkelheit konnte er sie immer undeutlicher ausmachen.

„Ja", sagte sie mit einer überraschenden Sanftheit in der Stimme, welche die sonstige Kühle verdrängte.

Sirius, der nun hatte gehen wollen, hielt inne. Er blinzelte. „Was?"

Sie lächelte; er konnte ihre hellen Zähne in der Dämmerung aufblitzen sehen. Sie trat auf ihn zu.

Die Regentropfen prasselten mittlerweile ungestüm auf sie herab. Sie merkten es nicht einmal.

Die Distanz zwischen ihnen schmolz, wie Sirius leicht beunruhigt bemerkte, und Mina blieb stehen, als sie genau vor ihm stand.

„Ich sagte ja. Ich nehme deine Einladung zum Ball an", wiederholte sie mit einer Ernsthaftigkeit, die dem Jungen bewusst machte, dass sie nicht scherzte.

Sein Kopf war leergefegt. Er registrierte es gar nicht. Genauso wenig, wie seine Gedanken so schnell, wie sie verschwunden waren, zurückkehrten und sich wie ein Strudel viel zu hastig drehten. Sein Herz machte einen kleinen Sprung und er fühlte es in seinem Magen aufregend und dennoch angenehm prickeln.

Etwas, was er bei anderen Mädchen noch nie empfunden hatte, so schön sie auch sein mochten, manche schöner, als Mina.

Noch hatte er die Chance, den Rückzug anzutreten. Zu behaupten, es wäre ein Scherz von ihm gewesen. Sie zu demütigen, wie sie beide es sonst immer gegenseitig versuchten.

Aber er tat nichts, um all das zu verhindern.

Er sah Mina nur an und nickte schließlich. „Okay." Er lächelte sogar charmant. „Das freut mich."

Schwarze Augen blickten schon so lange in graue. Nirgendwo war da noch etwas von dem üblichen Hohn, von der bekannten Verachtung und den traditionellen Feindseligkeiten zu finden. Sie waren verschwunden und hatten Emotionen Platz gemacht, die noch zu schwach waren, um eindeutig erkannt – akzeptiert – zu werden. Unsicherheit versuchte sie zu überschatten, aber so schwach sie auch waren, sie waren da. Es mochte sich dabei um Zuneigung handeln. Um anfängliches Verliebtsein. Um Anziehungskraft. Unerklärlich, und in diesem Augenblick nicht zu ignorieren, wie sonst.

Die Erinnerung an Schnee hatte Sirius schon lange erfasst.

Etwas Prickelndes lag in der Luft; etwas, das aufregend angespannt war. Irgendetwas hatte sich intensiviert; Sirius konnte nicht sagen, was und es interessierte ihn im Moment auch nicht sonderlich.

Er dachte nicht mehr nach, als er langsam seinen Kopf zu Mina hinunter beugte. Sie hielt ihm zögerlich ihr Gesicht entgegen und trat dann – nun entschlossener – noch näher.

Er konnte ihren Körper spüren. Ihre Wärme. Ihr Atem streifte seine Wange. Ihre Gesichter waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Er konnte sehen, wie sie ihre Augen schloss und ihn so an weiteren Beobachtungen hinderte; es hieß schließlich, dass die Augen Spiegel zur Seele waren.

Ihre freie Hand hob sich und griff sanft in seine Quidditchrobe, um ihn bedächtig näher zu sich heran zu ziehen.

Und dann berührten sich ihre Lippen. Flüchtig nur, sich streifend, einem Frühlingswinde gleich.

Sirius schloss die Augen.

Mina lehnte sich leicht an ihn.

Das Prickeln in seiner Magengegend wurde stärker. Ihre Lippen waren vom Regen nass und kalt, aber weich.

Es war ein unschuldiger, flüchtiger, kontrollierter Kuss, als ob beide noch nicht wagten, sich weiter vorzutasten.

Aber dann legte sich Sirius' freie Hand auf Minas Taille und er hatte vor, den Kuss zu vertiefen, als plötzlich Stimmengewirr und Schritte an sein Ohr drangen.

Er hatte keine Gelegenheit mehr dazu, denn ein „Lumos" ertönte und ein belustigtes „Oh, entschuldigt, Leute."

Sirius und Mina prallten auseinander, sie blinzelten erschrocken in das Licht des Zauberstabes.

Der anfängliche Zauber war vorbei.

Sirius erkannte mit Unruhe, was er da vorhin getan hatte.

„Bei Salazar", stieß jemand perplex aus.

Noch ehe Sirius sich für seine Torheiten verfluchen konnte, holte er seinen Zauberstab heraus und sprach ebenfalls den Lichtzauber.

Perplex starrte er in die ebenso entgeisterten Gesichter von Avery, Wilkes und Rosier. Slytherins.

„Was- was geht denn hier ab?", brach es aus Wilkes hervor, Mina und Sirius ungläubig fixierend.

Immerhin hatten sie sich oft genug in der Öffentlichkeit gestritten und sich spektakuläre Duelle geliefert, so dass die Slytherins wussten, dass sie sich eigentlich verachteten.

„Nun, nach was sah es denn aus?", entgegnete Mina schnippisch und in altbewährter Arroganz zurück. Sie hatte sich als erste von allen wieder gefasst. Sie schulterte ihren Besen. Dann warf sie Sirius noch einen merkwürdigen Blick zu; im Grunde unleserlich, aber große Verwirrung war eindeutig zu erkennen. Anschließend lief sie in Richtung Schloss davon.

Sirius hielt sich gerade noch davon ab, „Warte, Mina!", zu rufen und ihr hinterher zu laufen, indem er sich hart auf die Zunge biss.

Er war selbst zu durcheinander und zu bestürzt – er hätte sie niemals küssen dürfen. Selbst wenn der Kuss nur flüchtig gewesen war. Er war ein Schritt in eine Richtung gewesen, die er meiden sollte. Die sehr oft ein Zurück unmöglich machte.

Und er war zu aufgewühlt, um jetzt noch großartig Streit mit den Slytherins anzufangen.

So schob er sich einfach an Avery, Wilkes und Rosier vorbei, die offensichtlich noch zu verblüfft waren, und stob davon. Er lief in die sichere Burg hinein, hoch zum Gryffindorturm, während in seinem Kopf die Gedanken nach wie vor unkontrolliert hin und her wirbelten.

xx

James war soeben vom Nachsitzen in den Gryffindorturm zurückgekehrt, als direkt nach ihm das Portrait wieder zur Seite schwang und Sirius eilig hineingeklettert kam.

Er drehte sich um und hob erstaunt die Augenbrauen.

Ein völlig pitschnasser Sirius hielt nun schlitternd vor ihm inne; Wasser tropfe aus seinen Haaren, aus seiner Quidditchmontur; sein Gesicht war – wohl vom Rennen – leicht gerötet. Doch da lag etwas Aufgewühltes in seinen dunklen Augen, das James stutzen ließ.

„Was ist passiert?"

Sirius starrte ihn an, ja, fuhr sogar leicht zusammen. „Wie kommst du darauf?", wich er sofort aus.

James runzelte die Stirn. Einen langen Nachmittag mit Snape absitzen hatte seine Stimmung nicht wirklich gehoben. „Willst mich etwa für blöd verkaufen, Padfoot?", herrschte er ihn gereizt an.

Sirius hielt kurz den Atem an. Seine Augen hatten sich leicht geweitet. Er wirkte unruhig und nervös. Vollkommen verwirrt.

„Ich dusche mich erst mal und ziehe mir trockene Sachen an", wand er sich heraus. „Dann erzähle ich dir alles."

James nickte langsam, wenngleich auch unzufrieden. „Ich werde vor unserem Badezimmer warten", versprach er misstrauisch.

Sirius rang sich ein Grinsen ab. „Tu das, Bodyguard."

James schnaubte, folgte seinem durchnässten Freund, der eine kleine Regenpfütze und eine Wasserspur im Gemeinschaftsraum hinterließ und wartete ungeduldig im Schlafsaal, bis Sirius fertig war. Er saß auf seinem Bett, als sein Kumpel mit trockenen Klamotten und feuchten Haaren herauskam.

Er wirkte nicht mehr so durcheinander, wie vorhin, dafür entsetzter.

Sirius setzte sich zu James auf das Himmelbett und rieb sich etwas nervös die Stirn. Er suchte James' Blick nicht, sondern starrte einen Punkt ein wenig oberhalb des Jungen an.

„Ich...", fing er unruhig an; in den schwarzen Augen glitzerte es und er schien lieber flüchten als es erzählen zu wollen.

James verschränkte seine Arme vor der Brust und gab Sirius einen Stoß in die Rippen.

Diesmal sah er ihn an, kurz nur, ehe sein Blick wieder kurz oberhalb von James' Augen haftete. Als sei es so leichter, zu sprechen.

Sirius holte tief Luft und James war schon ganz gespannt. Was wohl vorgefallen war?

„IchhabeMinagefragt,obsiemitmirzumBallgehenmöchteundwirhabenunskurzgeküsst", brach es dann schnell aus ihm heraus,

James sah ihn verdutzt an. „Was?"

Sirius blickte ihn etwas befangen an. Dann wiederholte er, diesmal etwas langsamer, dafür aber umso fahriger. „Ich habe Mina gefragt, ob sie mit mir zum Ball gehen möchte und wir haben uns kurz geküsst."

James glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. „Du hast – WAS? Oh. Mein. GOTT! BEI GRYFFINDORS SEELE!"

Sirius hob die Hände. „Hey, raste bloß nicht aus, Kumpel", warnte er ihn. „Es war wirklich nur ein ganz kurzer Kuss. Rosier, Avery und Wilkes kamen und haben uns unterbrochen."

James' Entgeisterung wuchs. „WAS?"

Sirius grinste nervös. „Ja... Mina- ich meine, Kisic und ich haben zusammen Quidditch trainiert und-"

WAS?"

Sirius hielt stirnrunzelnd inne. „Du, eh, wiederholst dich, Prongs."

James konnte es nicht fassen. Seine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten, die er in die Bettdecke drückte, während er Sirius perplex und zornig werdend anstarrte. „Du hast mit dieser Schlampe Quidditch gespielt, während ich nachsitzen musste, sie zum Ball eingeladen und geküsst, was wiederum die Slytherins mitbekommen haben?"

„Ja."

James schnappte nach Luft. „SPINNST DU? WAS IST NUR IN DICH GEFAHREN!"

Sirius verzog das Gesicht. „Hör auf zu herum zu brüllen, Prongs. Ich weiß auch nicht, wie das alles passieren konnte."

James' Gesicht hellte sich kurz auf. „Vielleicht standest du unter einem Fluch! Einem gemeinen, hinterhältigen Fluch!"

Sirius warf ihm einen langen Blick zu. „Sicher, Prongs. Nun lass mich ausreden, ja? Keine Ahnung, warum ich das gemacht habe. Ich habe nicht mehr darüber nachgedacht."

James schnaubte.

„Und mag gut sein, dass Avery, Rosier und Wilkes das rum erzählen", fuhr Sirius schnell fort. „Oder es bereits tun. Egal, daran ist eh nichts mehr zu machen. Und da Kisic die Einladung zum Ball angenommen hat, werde ich eh mit ihr dorthin müssen."

James schüttelte fassungslos den Kopf. „Sie ist schwarzmagisch und hasst alles, was kein reines Blut hat! Sie ist ein Feind! Und komm mir nicht damit, dass sie keine Engländerin sei und nicht zählen würde! Es geht ums Prinzip, Sirius!"

Sirius gab ihm einen derben Stoß. „Halt die Klappe, James. Passiert ist passiert. Ich werde es vergessen und gut is'."

„Tz", machte James. „Sag ihr lieber noch, dass die Einladung nicht ernst gemeint war!"

Er merkte, wie Sirius' Blick fluchtartig zum Fenster glitt und wurde argwöhnisch.

„Das... das hast du doch vor, oder, Sirius?", hakte er skeptisch nach.

Nur langsam schaute Sirius ihn wieder an. „Uhm... eigentlich nicht."

„Warum?", fragte James verständnislos.

Er hob die Schultern. Verwirrung lag in seinem Blick, so sehr, dass sie alles andere zurückdrängte. Nur sachte Verzweiflung war hinzugekommen. Sanft hatte sie sich dazugewoben und wollte sich nicht leugnen lassen.

„Weiß ich nicht, James", meinte Sirius leise. „Mir ist's zu blöd, das jetzt alles als Scherz abzutun. Das... das gehört sich nicht."

„Pah, Sirius. Ich weiß durchaus, dass du ein formvollendeter Gentleman sein kannst, wenn du willst, aber sie ist eine-"

„James, ich weiß was sie ist und ich weiß, dass ich sie nicht leiden kann."

„Und warum verhältst du dich so, als wäre dem nicht so?", rief James.

Er konnte das alles ebenso wenig verstehen, wie offenbar Sirius selbst. Mina war ein Feind und an dieser Tatsache war nichts zu rütteln. Es mochte jetzt, wo sie noch zur Schule gingen, alles unbedeutend sein, aber danach wurde es schlichtweg gefährlich.

Und James wusste, dass es das erste Mädchen war, das Sirius verwirrte. Er hatte schon viele Dates gehabt und flirtete, wann immer er konnte, aber für keine hatte er sich ernsthaft interessiert. Nie war er wirklich verliebt gewesen.

Schien es bei Mina nun anders zu sein? James konnte und wollte es nicht akzeptieren. Sirius musste verrückt geworden sein. Vielleicht hatte Mina ihn heimlich verhext oder er hatte einen Klatscher abbekommen.

Tief in seinem Inneren wusste James, dass er sich die Welt schönzureden versuchte. Einfacher.

Aber sie war nicht einfach. Sie war ungeheuer kompliziert und voller Rätsel.

Sirius blickte inzwischen auf die Bettdecke; seine dunklen Wimpern schlugen aufeinander. Das helle Fackellicht im großen Schlafsaal zeichnete seine blassen Konturen ab, aber sein Gesicht wirkte irgendwie müde.

Schließlich sah er auf. Er grinste schwach. „Schau, Prongs, ich gehe mit ihr zum Ball, habe dafür ein hübsches Mädchen an meiner Seite und schocke zugleich die Slytherins und danach wird sie zurückgehen. Und ich werde sie nie wiedersehen."

Sirius' Augen blieben etwas stumpf, er schien es selbst weder zu wissen noch zu merken. „Und schon hast du ein Problem weniger", fügte er lausbubenhaft hinzu.

James sah ihn zweifelnd an; aber dann grinste er zögerlich zurück. Sirius war fünfzehn. Warum sollte er in einem so jungen Alter glauben, Mina sei die Einzige für ihn, die in Frage käme? Und das glaubte sein Kumpel ja noch nicht einmal. Er war einfach nur verwirrt und hatte Dinge getan, die halt Jungs so machten, wenn Mädchen es schafften, ihnen ein wenig den Kopf zu verdrehen. Eine flüchtige Schwärmerei, die Sirius sich selbst noch nicht einmal zugestand. Nicht anerkannte. Dafür war die Abneigung zu groß.

Er las es an Sirius' Blicken ab, dass er genauso dachte.

In dieser Welt war kein Platz für eine so komplizierte Beziehung, wie diese, und die gegenseitige Verachtung zwischen Sirius und Mina tat ihr übriges, um die Augen vor manche Wahrheiten zu verschließen und um sich in eine Welt zu flüchten, die nicht die reale war.

Inakzeptanz und Ignoranz waren immer die einfachen Wege. Nur vergaß man allzu oft, dass sie zu einem Ziel führten, wohinter sich tiefe, dunkle Abgründe befanden.

James fand das alles zu wirr. Nur eines war ihm klar. Er würde alles tun, um Sirius vor einem Sturz in den Abgrund zu bewahren.


A/N:

So. Bin gespannt, ob euch das Kapitel gefallen hat?

DAAAAANKE für eure lieben Reviews:strahl und euch alle umwuschel: