Rückwärts in die Dunkelheit

Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

(- die letzten Worte eines Sterbenden.)


22. Kapitel

Teil 4

Diese Welt


Komm mit mir mit.
Irgendwohin.
Nur fort von dieser Welt."

(- unbekannt)

Sirius raste hinunter in die Slytherinkerker. Zielstrebig rannte er zur verborgenen Tür, die zum Gemeinschaftsraum führte, so, als sei er selbst ein Slytherin.

Wie selbstverständlich, aber kochend vor Zorn, knurrte er das Passwort; die Tür zeigte sich in der nackten, grauen Steinwand und öffnete sich. Sirius polterte hinein, den Zauberstab griffbereit in der Hand.

Im Gemeinschaftsraum blieb er stehen und sah aufgebracht in die Runde.

„Narcissa!", rief er erbost aus; in seinen schwarzen Augen funkelte es. „Wo bist du!"

Mehrere Slytherins waren erst perplex, dann grollend aufgesprungen, als ein Gryffindor einfach so in ihr Terrain hineinplatzte und nicht einmal den Anstand besaß, so zu tun, als wüsste er ihr Passwort nicht.

Zauberstäbe wurden gezückt.

„Black!", zischte jemand – Rosier – und hielt seinen Zauberstab auf Sirius. „Was, bei Salazar, hast du hier zu suchen?"

Sirius nahm ihn gar nicht wahr. „NARCISSA! ICH WEIß, DASS DU HIER BIST! KOMM HER! ZEIG DICH ENDLICH!", brüllte er los.

„VERDAMMT, BLACK, DU HURENSOHN! WIE BIST DU AN DAS PASSWORT GEKOMMEN!", rief jemand erzürnt.

„So wie er jedes Jahr daran kommt", erwiderte eine schleppende, spöttische Stimme und Narcissa erschien aus dem Gang, der zu den Mädchenschlafsälen führte. Sie trug eine figurbetonte Robe aus teurem Seidenstoff und bürstete sich die hellblonden Haare.

Sirius fixierte sie bedrohlich; mit dem Zauberstab zielte er direkt auf ihr Herz. Er näherte sich ihr so schnell, dass ihn niemand aufhalten konnte. Er packte seine Cousine grob am Oberarm und schüttelte sie leicht.

Er war in Rage, so sehr, dass seine Wut nur auf die eine Person gerichtet war und er nicht weiter über sein Handeln nachdachte.

„DU HAST DAVON GEWUSST, NICHT WAHR? DU WUSSTEST ES! DESWEGEN BIST DU AUCH NICHT GEKOMMEN!"

Irgendjemand wollte Sirius verfluchen, aber dieser lenkte seinen Zauberstab blitzschnell zu jenem Slytherin und entwaffnete ihn.

„Wagt es nicht, euch hier einzumischen", presste er mit einem solch gefährlichen Ton in der zornigen Stimme hervor, dass merkwürdigerweise niemand einen erneuten Versuch startete, ihn zu verhexen.

Vielleicht mochte es auch an Narcissas Geste gelegen haben, die andeutete, sich nicht einzumischen. Vielleicht lag es an beidem. Auf jeden Fall war allen klar, dass es eine interne Black'sche Angelegenheit war. Und sie sahen wie gebannt zu.

Sirius wirbelte wieder zu seiner Cousine herum. Seinen Zauberstab hatte er nun gesenkt, doch er hielt ihn so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.

„Du wusstest es", wiederholte er schwer atmend, nun leiser, dafür umso feindseliger.

Narcissa sah ihn verwirrt an. „Wovon soll ich gewusst haben, Sirius?" Der Ausdruck in ihren blaugrauen Augen wurde hochtrabend. „Du musst dich schon ein wenig deutlicher ausdrücken."

Seine Augen verengten sich; die Wimpern schlugen beinahe aufeinander. „Dass Todesser zur Hochzeit deiner Schwester erscheinen, um ein wenig für Ärger zu sorgen, verdammt! Du hast davon gewusst, gib es zu! Dein toller Lucius wird es dir doch sicher gesagt haben, schließlich heißt es doch, er würde zu dieser dämlichen Truppe gehören! Oder ach, meinst du etwa, sie wollten nur hallo sagen und alles Gute wünschen!"

Narcissa hatte sich versteift. Sie war bleich geworden; ihre Haut schien beinahe durchsichtig und sie starrte Sirius an.

„Sirius, ich habe davon nicht gewusst", stieß sie heiser hervor. „Was... was ist denn passiert?"

Er blitzte sie an. „Oh, ich muss dich enttäuschen, es ist keiner getötet worden! Du miese, verlogene, kleine Schlampe, du-"

Sie hielt ihm so schnell den Mund mit ihrer Hand zu, dass Sirius verblüfft blinzelte. „Ich wusste davon nichts!", zischte sie aufgewühlt. „Ich wusste davon nichts! Wie kommst du nur darauf, dass ich davon gewusst haben könnte, Sirius!"

Sie ließ ihn wieder los und er schnappte nach Luft.

„Wie ich darauf komme, Narcissa?" Er lachte kurz und entgeistert. „Weil du Andromeda hasst! Weil du Ted hasst! Weil du verblendet bist vom Stolz des reinen Bluts! Weil du mit Lucius Malfoy ausgehst, der zu den Todessern gehört!"

Er atmete tief ein. Eine plötzliche Welle von Resignation erfasste ihn und versuchte, seinen brennenden Zorn niederzuwalzen. Ein Machtkampf in seinem Inneren wurde ausgefochten, hart und brutal, so dass ihm schwindelte. Es führte dazu, dass er seine Augen zur Hälfte schloss und leise und fast erschöpft schon hinzufügte: „Weil du noch nicht einmal zur Hochzeit deiner eigenen Schwester gegangen wärst, wenn man dir mit dem Tod gedroht hätte."

Narcissa schüttelte sanft den Kopf. Ihre Augen wirkten auf einmal irgendwie müde. „Ich habe nichts davon gewusst. Du kannst es mir glauben oder nicht. Aber ich würde niemals so tief sinken, Andromeda wissentlich in Gefahr zu bringen."

Sirius biss seine Zähne zusammen. Ein Ausdruck hatte sich in seine vom Fackellicht versilberten Augen geschlichen, der frei von Zorn, aber auch frei von Wärme war. Bitterkeit lag darin, so sehr, dass sie vorwurfsvoll wirkte. „Du bist aber tief genug gesunken, um eine von Bellatrix ausgesprochene Morddrohung gegen Ted schweigend hinzunehmen. Nicht zu widersprechen", sagte er rau. Eine rätselhafte Mischung aus verwirrter Traurigkeit und beständiger Verachtung. „Und Schweigen wertet man im allgemeinen immer als Zustimmung."

Narcissa hatte ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst. Ihr Blick wirkte verletzt, schien aber noch um Hohn und Stolz zu kämpfen. Ausdruckslosigkeit verwebte sich leicht in das Blaugrau, um jegliche Emotionen langsam fortzudrängen, zwangsläufig als Schutzwall dienend.

„Ich kann nicht so tun, als wäre nichts passiert, Sirius", sagte sie nun schleppend. „Als hätte sie sich nicht von einem Schlammblut schwängern lassen. Kein Schlammblut geheiratet."

Sirius lachte auf. Es klang boshaft und gemein. Er hatte vergessen, dass er sich auf Slytheringebiet befand. Dass die anderen zuhörten. „Sie ist deine Schwester! Du kannst sie nicht so einfach hintergehen, nur weil sie Dinge tut, die dir nicht passen! Weißt du, was du mal gesagt hast, Narcissa?"

Er erinnerte sich an ihre Worte, damals, an Bellatrix gerichtet, als Sirius nach dem Abenteuer mit dem Werwolf Remus nachts im Slytheringemeinschaftsraum aufgetaucht war, um Narcissa um Hilfe wegen seiner Verletzungen zu bitten. „Wir sind gleich, hast du gesagt. Einander ebenbürtig, niemand ist besser oder schlechter, weil das Blut an Reinheit bei niemandem zu übertreffen ist. Jemand, der Verrat an seiner Familie begeht, wird auch Verrat an sich selbst begehen."

Er sah, wie Narcissa erstarrte, das Blut förmlich in ihren Adern zu gefrieren schien, und er gestattete sich ein schwaches Lächeln, verzerrt von Eindringlichkeit und Häme.

„Es ist Andromeda, die Verrat begeht", presste Narcissa ein wenig zittrig vor Aufruhr und Bestürzung hervor. Sie sagte es sehr inständig, als wüsste sie von der Lüge, hoffte aber dennoch, dass sie sich in Wahrheit verwandeln würde. „Nicht ich!"

Sirius schüttelte leicht den Kopf. „Oh, nein, Narcissa. Andromeda würde zu deiner Hochzeit kommen. Sie würde dich akzeptieren, ganz gleich, was für Ansichten du vertrittst. Solange nur du sie akzeptierst. Aber da du es nicht tust, hat sie keine andere Wahl, als sich von dir und den anderen abzukehren." Immer noch kämpften Zorn, Bitternis und Hohn um die Vorherrschaft in Sirius.

Er wich einen Schritt zurück, ließ das Mädchen nicht aus den Augen und wusste selbst nicht, was er empfinden sollte. Hass, vielleicht. Wut. Oder aber Hilflosigkeit. „Du hast es selbst gesagt. Indem du Verrat an Andromeda begehst, in der dasselbe Blut fließt, wie in dir, verrätst du dich selbst."

Er sagte es nicht, weil er selbst so dachte. Für ihn spielte das Blut keine Rolle, aber er wusste, dass es das für Narcissa tat. Er versuchte ihr mit ihren eigenen Argumenten klar zu machen, dass sie falsch handelte, dass sie falsche Ideologien hatte, und dass sie ihre eigene Schwester verriet.

Dann fragte er sich plötzlich, wie in einem rauschhaften Stimmungswandel, warum er das hier alles sagte.

Vielleicht, weil er wusste, dass Andromeda, auch wenn sie es nicht zugab, erbittert über den markanten Bruch in der Familie war. Aber er und Andromeda würden nun mal mit der Familie brechen müssen, einfach, weil ihre Familie ihnen keine andere Wahl ließ.

xx

Sirius sah Alan stirnrunzelnd an. Der Blondschopf grinste unentwegt und schien damit nicht aufhören zu wollen.

„Was ist?", fragte er ihn schließlich.

Sie saßen im Gemeinschaftsraum der Gryffindors zusammen mit Peter und Remus. James war auf der Suche nach Lily und Alan hatte sich soeben zu ihnen gesellt.

„Ich habe eine Begleitung für den Maiball gefunden", meinte Alan lässig.

Nun grinste auch Sirius. „Und, wer war so töricht und hat zugesagt?"

Alan gab ihm einen Stoß in die Rippen. Sein Grinsen blieb. „Lily Evans. Das Mädchen mit den unglaublich schönen Augen."

Sirius starrte ihn an. Sein Grinsen verblasste allmählich und er konnte kaum glauben, dass sein Kumpel soeben den Namen des Mädchens genannt hatte, das auch James zum Ball einladen wollte.

Verdammte Scheiße.

„Wieso?", erkundigte Alan sich etwas verwirrt.

Sirius blinzelte, ehe ihm klar wurde, dass er laut geflucht hatte.

„D-du hast Lily gefragt?", hakte Peter nach und klang fassungslos. „Und sie hat zugesagt?"

Alan grinste wieder und nickte unbekümmert. „Natürlich hat sie zugesagt. Wer würde mir schon einen Korb geben?"

„Das gibt Ärger", murmelte Remus frustriert.

„Aber...", fing Peter an, dann verstummte er jedoch. Sein Blick aus den wässrigen Augen wirkte ungläubig.

Sirius sah ihn nur flüchtig an. Hätte er genauer hingeschaut, wäre er selbst nicht so verblüfft gewesen, wäre ihm die Enttäuschung bei Peter aufgefallen, die nicht James galt.

„Was ist so schlimm daran, dass ich Lily gefragt habe?", wollte Alan wissen.

„Wieso fragst du ein Mädchen, das in deinen Augen ein Schlammblut ist?", antwortete Sirius mit einer schroffen Gegenfrage.

Alan sah ihn an. Dann verengte er die Augen. „Ich dachte mir, ich mache mal eine Ausnahme", entgegnete er langsam.

Sirius schnaubte nur.

„James ist gerade unterwegs, weil er Lily ebenfalls zum Ball bitten will", sagte Remus inzwischen mit seiner ruhigen Stimme.

Alan hob die Augenbrauen. Dann lehnte er sich in den Sessel zurück und verschränkte seine Hände am Hinterkopf. „Ach, daher weht der Wind also." Er zuckte mit den Schultern. „Tja, dann hat Potter eben Pech gehabt."

xx

James kam so schnell in den Gemeinschaftsraum, dass sie es erst merkten, als ein roter Blitz haarscharf an Alans Kopf vorbei zischte.

Der Durmstrangschüler sprang auf und zog gleichzeitig seinen Zauberstab, da stürmte James auch schon auf ihn zu. Seine Wangen waren rot und sein Blick zornig.

„Du hast dir das falsche Mädchen ausgesucht!", presste er erbost hervor, seine Waffe auf Alan richtend.

Dieser zielte ebenfalls auf James. „Sie gehört dir nicht, Potter", sagte Alan höhnisch. „Sag bloß, du bist in sie verliebt?"

James wurde noch zorniger, das merkte Remus auf Anhieb. Die freie Hand war zur Faust geballt, die Zähne so sehr aufeinander gepresst, dass die Kiefermuskeln hervortraten. Die braunen Augen waren schwarz.

„Warum suchst du dir kein Reinblut aus, de Maurice? So, wie es sich für einen Scheiß-Hurensohn wie dich gehört!"

Alan blieb bemerkenswert gelassen. „Ich wollte aber Lily."

Remus trat schnell an James heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Reg dich doch nicht so auf, James... meinst du denn, Lily hätte dir zugesagt?", raunte er ihm leise und beschwichtigend zu, so dass es niemand anders hören konnte. „Du weißt doch, dass eure Begegnungen immer in Streitigkeiten enden."

James atmete zischend ein und aus. Er schien zu überlegen und ihm musste bewusst sein, dass Lily ihm eine weitere Absage gegeben hätte. Niemals wäre sie mit ihm zum Ball gegangen.

„Okay", sagte er schließlich feindselig. „Okay, de Maurice, geh ruhig mit Evans zum Ball. Ich kann jedes andere Mädchen fragen, es wird mir zusagen." Er verengte seine Augen. „Stupor", sagte er dann noch beiläufig, aber aggressiv, so dass Alan erstarrt nach hinten kippte. „Arschloch", murmelte James noch, dann ging er hoch in ihren Schlafsaal.

James war eifersüchtig, auch wenn er dies nie offen zugeben würde. Ihm gefiel weder, dass Alan sich mit Sirius verstand, noch, dass er mit Lily zum Ball ging, das wusste Remus. Dazu brauchte man auch nicht viel Menschenkenntnis, um das zu erkennen.

Alan hatte es nicht nur geschafft, in kurzer Zeit Sirius' Freundschaft zu erringen, was James nur mit mühevoller Arbeit gelungen war, sondern es war ihm auch gelungen, Lily als Begleiterin zu gewinnen, was James immer noch verwehrt blieb.

Remus tat jetzt zumindest seine Pflicht als Vertrauensschüler und befreite Alan vom Fluch.

Dieser rappelte sich auf und seufzte scheinbar resigniert, doch in seinen blauen Augen funkelte es zänkisch auf. „Mann, Potter ist-"

„Halt's Maul, Alan, wenn du weißt, was gut für dich ist", fiel Sirius ihm ins Wort.

Er sprach die Drohung beiläufig aus, mit fast schon belustigtem Unterton in der Stimme, doch allen war klar, dass er sie ernst meinte. Er sah Alan gar nicht an, sein Blick aus den schwarzen Augen war dort hin gerichtet, wo James verschwunden war.

xx

Die Große Halle war umfunktioniert worden. Die langen Tische waren verschwunden und durch kleinere ersetzt worden, die an den Wänden entlang zusammen mit den Stühlen standen. Die Mitte war als Tanzfläche frei gehalten worden. Die Halle war festlich geschmückt und erstrahlte in den Farben und Wappen aller drei europäischen Zaubererschulen. Eine Live-Band spielte Musik.

Die Schüler liefen – meist pärchenweise – in Scharen dorthin. Sie trugen Anzüge und Abendkleider mit Festumhängen und hatten sich so schick gemacht, wie es nur irgendwie ging.

Peter ging mit einem Mädchen aus einem Jahrgang unter ihnen. Sirius kannte sie nicht und es interessierte ihn auch nicht sonderlich, wer sie war. Sie war so klein wie Peter, machte aber einen netten Eindruck. Remus' Begleiterin hieß Sarah und war ein gut aussehendes, ruhiges Mädchen aus Ravenclaw. Sie war Vertrauensschülerin wie er. James ging mit Emily Prewett aus, einem hübschen, rothaarigen Mädchen, dessen zwei ältere Cousins (Gideon und Fabian Prewett) im siebten Schuljahr waren und sich gut mit den Rumtreibern verstanden. Ihre älteste Cousine hieß Molly und hatte die Schule bereits beendet. Sie war mit Arthur Weasley verheiratet.

James machte einen gefassten, unbeschwerten Eindruck, so, als hätte er Lily niemals wegen des Balles gefragt. Sirius wusste, dass er nur so tat, um cooler zu wirken. Aber wer konnte ihm das schon verübeln?

Er wartete vor der Flügeltür mit seinen Freunden und ihren Begleiterinnen auf Mina. Noch hatte es sich nicht herumgesprochen, dass sie sich geküsst hatten, was bedeutete, dass die Slytherins es für sich behielten. Natürlich nicht, weil sie Sirius verschonen wollten, sondern Mina. Für ihn selbst war es nie unangenehm, im Gerede und öffentlichen Interesse zu sein. Ob positiv oder negativ, ihm war es gleich. Aber vielleicht war es für Mina nicht angenehm und vielleicht nahmen die Slytherins Rücksicht darauf. Immerhin war sie ein Reinblut. Und Slytherins konnten durchaus zusammenhalten, wenn sie wollten.

Alan kam derweil mit Lily.

Sirius sah zuerst, wie James' Miene sich verdüsterte und wusste, dass Lily kam.

Sie trug ein grünes Samtkleid, das ihre smaragdfarbenen Augen betonte. Es hatte lange Ärmel und war an der Taille eng geschnitten, ehe es in weite Falten fiel. Ihr feuerrotes Haar war hochgesteckt und sie strahlte über das ganze Gesicht. Sie hatte sich bei Alan untergehakt, der, wie alle Jungs, einen Anzug mit einer Festrobe trug, und unterhielt sich mit ihm.

Alan fing Sirius' Blick auf. Er schien ihn richtig zu deuten, denn er ging nur grüßend an den vier Rumtreibern vorbei und betrat mit Lily die Halle. Es wäre keine gute Idee gewesen, bei ihnen stehen zu bleiben. James gab sich die größte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, aber Sirius konnte er nichts vormachen. Er kochte vor Eifersucht.

„Los, lass uns reingehen!", befahl James brüsk und drehte sich schon um, Emily an die Hand nehmend.

„Hey, ich warte noch auf Mina", meinte Sirius.

James blieb stehen und wandte sich wieder um. „Ach ja. Mina." Er verdrehte die Augen. „Wenn das alles so weitergeht, gerät mein Weltbild noch ins Wanken."

Peter kicherte.

Sirius biss sich auf die Unterlippe und mied James' Blick. Das Thema Mina behagte ihm nicht und er wollte mit niemandem darüber reden. Es mochte daran liegen, dass er es selbst nicht verstand. Dass er nicht daraus schlau wurde, was hier geschah. Er ahnte nur, dass irgendetwas passierte. Nur was?

Und da sah er sie. Sie kam aus der Tür, die zu den Slytherinverliesen führte und fand sofort seinen Blick.

Sirius merkte gar nicht, wie ihm sein Atem leicht stockte.

Sie lächelte schwach und kam auf ihn zu. Sie trug ein bordeauxrotes, seidenes Kleid, das, wie Lilys, eng geschnitten war, ehe es weit ausfiel. Ihr Kleid war schulterfrei und ärmellos. Sie trug lange Festhandschuhe, die ihre nackten Arme bedeckten. Ihre dunklen Locken waren hochgesteckt und mit weißen Blüten geschmückt. Zwei ihrer Strähnen fielen ihr elegant ins Gesicht. Ihre schwarze, bodenlange Festrobe trug sie nur lässig über dem Arm. Sie trug eine silberne Kette um ihren Hals.

Hinter ihr gingen andere Slytherins.

Vor Sirius blieb Mina stehen. Sie musterte ihn kurz; in ihren Augen leuchtete es flüchtig auf. Er erinnerte sich daran, wie man sich bei solchen Anlässen zu benehmen hatte. Er lächelte, legte seine linke Hand auf den Rücken, die rechte bot er ihr an, während er sich knapp verbeugte.

Sie hatten sich seit ihrem Kuss natürlich schon wieder gesehen. Aber sie hatten so getan, als wäre nie etwas geschehen, als hätten sie sich niemals geküsst. Sie hatten sich weiter gestritten, sich weiter angefeindet und sich weiterhin plötzlich in Unterhaltungen wieder gefunden, die fern von Hass und Abneigung waren. Es war meistens verwirrend, in ihrer Nähe zu sein.

„Darf ich Euch zum Ball begleiten, Mylady?", fragte er mit einem Grinsen in der Stimme.

„WÄH, PADFOOT!", machte James mit ätzender Stimme aus dem Hintergrund, während er dann abrupt mit Emily die Flügeltür öffnete und schon mal hindurch ging.

Mina lächelte inzwischen zurück und nahm Sirius' angebotene Hand.

„Es wäre mir eine Ehre", antwortete sie und klang schelmisch.

Sirius führte ihre Hand an seine Lippen und küsste ihren Handrücken; kurz nur, dann ließ er sie wieder los und bot ihr seinen Arm an. Sie hakte sich ein und zusammen folgten sie James und Emily.

Remus, Sarah, Peter und seine Begleiterin folgten ihnen.

xx

Es gab großes Getuschel, als Sirius und Mina zusammen entdeckt wurden, aber Sirius machte sich nichts daraus und er stellte fest, dass es auch seiner Begleiterin gleich war.

Zumindest machte sie den Eindruck. Sie hatten sich einen Tisch ausgesucht, an dem auch seine Freunde saßen und er hatte ihnen beiden Getränke geholt.

Die Musik spielte und die ersten Paare hatten angefangen zu tanzen. Sirius saß auf seinem Stuhl und sah sich gelassen um.

Emily zog James in die Höhe, damit sie tanzen gingen. Er wollte erst nicht, aber als er Alan und Lily tanzen sah, konnte er es gar nicht mehr abwarten, mit Emily die Tanzfläche zu erobern.

Sirius grinste ihm amüsiert hinterher.

James tanzte schwungvoll mit einer lachenden Emily, und auffallend in Alans und Lilys Nähe.

Auch Remus und Sarah gingen tanzen; Peter und sein Mädchen – sie hieß Nora – saßen noch bei ihnen und unterhielten sich.

„Willst du tanzen?", fragte Sirius Mina schließlich.

Sie sah ihn hochmütig an. „Und ich dachte schon, du fragst nie."

Er blickte leicht überrascht zurück und feixte dann. Sie standen auf und betraten die Tanzfläche.

Sie konnten beide gut tanzen. Ihre Schritte waren rhythmisch zur Musik und leichtfüßig. Er drehte sie, zog sie wieder zu sich, während sie sich elegant über die Tanzfläche bewegten. Minas Kleid bauschte sich auf, die Musik war schnell.

Dann fing ein langsames Lied an.

Mina reagierte sofort und hob wie selbstverständlich ihre Arme, legte sie um seinen Hals, während Sirius seine Hände auf ihre Taille legte. Er spürte den seidenen, weichen Stoff des Kleides. Sie standen dicht voreinander und bewegten sich langsam zur Musik.

Sahen sich an; das fackelnde Licht der Kerzen und Fackeln spiegelte sich in ihren Augen wieder. Da lag etwas in ihrem Blick, dass Sirius dazu veranlasste, sie näher zu sich zu ziehen. Sie ließ es zu und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Er atmete ihren Duft ein. Zudem fühlte er sich an Schnee erinnert.

Und so vergaß er allmählich die Umgebung. Er vergaß die anderen Tanzpaare. Die Zeugen ihres vertrauten Tanzes. Auf einmal schien es nur noch sie beide zu geben.

Die Musik nahm Sirius nur noch beiläufig wahr. Er fühlte sie, ihre Wärme und vergaß, wer sie beide waren. Mina hob kurz ihren Kopf und sah ihn an. Sirius las alles in ihren Augen, was er selbst verspürte. Etwas, das sich beide nicht offen eingestanden. Hingabe auf verbotenem Terrain.

Er erkannte in ihren silbrigen Augen den Sturm, der über die Seele hinwegfegte und alles aufzuwirbeln schien. Der Vernunft und Gefühl durcheinander brachte, der es unmöglich machte, richtig von falsch zu unterscheiden, da die Blätter so sehr durch die Luft wirbelten, dass jegliche klare Sicht unmöglich war.

Alsbald schloss Mina ihre Lider und lehnte ihren Kopf wieder an seine Schulter, so dass ihm weitere Einblicke in ihre Gefühlslage verwehrt blieben.

Es war besser so.

So tanzten sie eng umschlungen weiter, beobachtet von mehr Augenpaaren, als ihnen lieb gewesen wäre, aber sie merkten es ja nicht. Es war, als hätten sie sich für die Dauer dieses Liedes eine eigene Welt aufgebaut, in der es keine düsteren Gedanken gab. Keine Realität. Weder die gefährliche politische Lage in England, die sich ins restliche Europa ausweitete, noch das Wissen, dass sie nach der Schule erklärte Feinde sein würden. Denn bis dahin waren noch zwei Jahre Zeit, wieso sollten sie sich der Welt stellen, so, wie sie war und nicht in ihre eigene fliehen, solange sie es konnten?

Weil es falsch ist, flüsterte eine leise Stimme in Sirius' Kopf. Weil ihr Gefahr lauft, die Grenzen durcheinander zu bringen. Weil die reale Welt existiert, ganz egal, ob ihr noch zur Schule geht oder fertig seid. Ihr könnt nicht fliehen. Feinde seid ihr doch jetzt schon.

Aber Sirius ignorierte diese Stimme, beachtete sie nicht und fühlte sich sicher, verträumt in dieser anderen Welt, in der es nur ihn und sie gab.

Aber jeder Traum war irgendwann einmal zu Ende, und dieser schien abzubrechen, als das Lied aufhörte.

Sirius sah auf ihren Haarschopf herab, worauf die Fackeln goldene Reflektionen warfen; die Lippen waren zusammengepresst. Dann ließ er seine Hände sinken, so dass Mina ihren Kopf hob und ihn verwirrt ansah. Ihre Augen weiteten sich leicht, als sie merkte, dass das Lied vorbei war, und sie wich abrupt einen halben Schritt zurück. Aber dann, urplötzlich, lächelte sie leicht, ein Lächeln, das immer verschmitzter wurde. Sie nahm einfach seine Hand und führte ihn zu ihrem Tisch.

Sirius fand seine Fassung wieder und organisierte rasch neue Getränke. James und Emily sah er noch auf der Tanzfläche, während Remus mit seiner Begleiterin irgendwo am Ravenclawtisch saß. Peter musste auch irgendwo in der Nähe sein.

Er setzte sich neben Mina und überreichte ihr ein gefülltes Cocktailglas. Sie nahm es und nippte daran. Sirius, der sonst nie um Worte verlegen war, wusste nicht so recht, was er sagen sollte.

Sie wirkte ein wenig nervös. Unruhig, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte.

„Mir ist warm", sagte Mina auf einmal und stand mit ihrem Cocktailglas in der Hand auf. „Ich gehe raus." Sie schnappte sich ihre Festrobe.

Sirius starrte sie an, während sie schon dabei war, loszugehen. Er erhob sich ebenfalls und ging ihr nach, darauf bedacht, zu schlendern und ihr nicht hinterherzulaufen.

Da stand sein Bruder ihm plötzlich im Weg, direkt an der Flügeltür der Großen Halle.

Regulus grinste breit und recht siegesgewiss, was Sirius irritierte.

„Was?", zischte er hervor.

Regulus feixte noch mehr. „Du und... Mina?"

Sirius verstand augenblicklich. Erkannte, dass seine Familie darin eine gute Partie sehen würde, einen Hoffnungsschimmer, ihn auf ihre Seite zurück zu holen.

„Vergiss es, Regulus", behauptete er grob und schubste den Slytherin leicht. „Sie ist ein schönes Mädchen von vielen. Ein Date von vielen." Er schaffte es, süffisant zu grinsen. „Du weißt doch, dass ich sie alle haben kann."

Regulus hob die Augenbrauen und schnaubte. Dann schubste er unerwartet zurück. Je älter er wurde, umso weniger bewunderte er seinen Bruder, das hatte Sirius bereits festgestellt.

„Es ist die Art, wie du sie ansiehst, Sirius", meinte Regulus etwas heftig und blitzte ihn aus schwarzen Augen an. „Wenn du nicht Acht gibst, werden es andere merken und es gegen dich ausnützen."

Sirius sog scharf die Luft ein. Wovon redete Regulus überhaupt? Er sah Mina nicht anders an, als andere Mädchen. Noch ehe er es zu Ende gedacht hatte, wusste er, dass es gelogen war, aber irgendwie brachte er es fertig, diese Erkenntnis zu ignorieren.

„Du bildest es dir ein, Regulus", schnappte er. „Da ist nichts." Er lächelte, um Hohn bemüht. „Und nun lass mich vorbei. Du verstehst eh noch nichts von Mädchen."

Er schob sich an seinen Bruder vorbei und ging weiter. Als er durch die große Eingangstür trat, empfing ihn die frische Mainacht. Der Himmel war indigoblau und nur von wenigen Wolken überzogen. Genug Mondlicht und Sterne funkelten auf die Ländereien herab; erhellten die Umgebung mit schwachem Schimmer.

Sirius sah Mina am Fuße der breiten Treppe stehen. Langsam ging er die Steinstufen herab und blieb direkt hinter ihr stehen. Sie hatte sich ihre Festrobe umgelegt, hielt einen Arm über ihre Brust verschränkt und hielt in der anderen Hand das Glas.

Sie schien zu wissen, dass es Sirius war, der hinter ihr stand, denn sie neigte sich vertrauensselig zurück, so dass sie mit dem Rücken an seinem Oberkörper lehnte. Er hatte seine Hände in seine Hosentaschen vergraben und spürte ihre Wärme.

„Hier draußen ist es einfacher, zu vergessen", brach Mina schließlich das Schweigen. Ihre Stimme hallte leise durch die milde Nacht. „Fern von den neugierigen Blicken der anderen."

Sirius konnte kaum glauben, was er vernahm. Er wusste, was sie meinte. In der Halle wurden sie beobachtet. Er wurde beobachtet. Allen voran von den Slytherins, meist Siebtklässler, von denen anzunehmen war, dass sie bereit waren, für Voldemort zu arbeiten. Die ahnten, dass es wichtig sein konnte, dem Dunklen Lord über Blacks Erstgeborenen zu berichten, jetzt, wo noch nicht hundertprozentig sicher war, auf wessen Seite er sich stellen würde. Immerhin hatte Sirius noch nicht mit seiner Familie gebrochen. Und Hoffnung war immer die letzte Bastion, das galt auch für die Seite der Schwarzen Magie.

Und natürlich war es eine nicht ganz uninteressante Information, dass er mit einem Mädchen aus einer alten, schwarzmagischen Reinblutfamilie ausging, das stolz auf seine Herkunft war. So war es paradox, dass ausgerechnet er mit ihr ausging, denn es gab nichts, das sie verband. Außer Abneigung und Verachtung hätte es normalerweise nichts geben können. Sie standen auf verschiedenen Seiten. Außer, wenn einer von ihnen bereit war, seine eingenommene Position, seine Prinzipien zu verraten und das war der Punkt: es gab so einige Reinblüter in Hogwarts, die sich genau das von Sirius erhofften.

Aber Sirius dachte nicht im Entferntesten daran, dies zu tun. Er wusste, auf welcher Seite er zu stehen hatte. Auf der der Freundschaft. Doch ihm war wohl bewusst, dass das Ausgehen mit Mina nicht gerade glaubhaft machte, wem seine Loyalität galt, aber das war ihm gleich. Hauptsache, seine Kumpels wussten es, alle anderen waren nicht wichtig. Aber warum er Mina nicht einfach absagte, warum er nicht einfach wieder rein ging, sich von ihr löste und Abstand zu ihr nahm, konnte er nicht erklären.

Es gab nun mal etwas auf der Welt, das nicht mit Logik zu erklären war. Gefühle waren niemals logisch und erklärbar, denn sie waren zu spontan, zu expressiv dafür. Liebe und Hass zählten dazu und bildeten den Gipfel der unerklärlichen Emotionen.

Hier draußen, fernab von den anderen, war es einfacher, eine eigene Welt aufzubauen. Sie war noch nicht einmal illusionär, da sie aufrichtig war. Gefühlsbetont und deswegen arglos. Ohne Kalkül, ohne an die Konsequenzen zu denken.

Ohne nachzudenken nahm Sirius seine Hände aus den Hosentaschen und umschlang mit seinen Armen ihre Taille, sie näher an sich ziehend. Sie begrüßte es, indem sie sich intensiver an ihn lehnte.

Es waren Gesten, liebevoll und selbstverständlich, eingefangen von einem Zauber, der nur für diese Nacht galt.

„Morgen verlasse ich Hogwarts und alles wird wieder so sein, wie zuvor", sagte Mina leise. In ihrer Stimme herrschte zwar bemühte Ausdruckslosigkeit, aber die Wehmut ließ sich nicht leugnen. „Ich wünschte, wir könnten irgendwo hingehen, wo alles, was in dieser Welt zählt, unbedeutend ist."

Sirius atmete bewusst aus. Dass sie so etwas sagte, war recht mutig, fand er.

Er suchte Ablenkung. Aus den Augenwinkeln bemerkte er den Atair, jenen Stern im Bild des Adlers. Er fand gewisse Sterne immer schnell. Unwillkürlich meistens, als bestünde eine Anziehungskraft zwischen ihnen. Die Blacks waren eine Familie, die sich schon immer mit Sternen verbunden gefühlt hatten. Selbst ihre Familienfibel begann mit einem Zitat über Sterne:

Richte dich nach den Sternen. Wenn du glaubst, dich in Dunkelheit verlieren zu können.

Sirius hatte diese Aussage schon immer merkwürdig empfunden, dachte er doch, dass seine Familie nichts anderes wollte, als Dunkelheit. Später noch würde er die wahre Bedeutung dessen erfahren, mehr, als er es je erahnen konnte.

„Wir... wir können uns wieder sehen", meinte Sirius schließlich zögerlich. Natürlich könnten sie auch fliehen. Fortlaufen, untertauchen und sich in ihrer eigenen Welt verstecken.

Er versuchte nicht, zu begreifen, was mit ihm geschah. Es wäre zum Scheitern verurteilt.

Mina regte sich leicht in seinen Armen. „Wieder sehen?", wiederholte sie mit einer Mischung aus Hoffnung und Amüsement. „Ich glaube nicht, dass meine Eltern es begrüßen würden, wenn ich mich mit einem Rebellen treffe."

Sie nannte ihn nicht Blutsverräter, auch wenn sie es hätte tun können. Es wäre für sie eine passendere Bezeichnung gewesen, als Rebell.

Sirius grinste schwach, aber schelmisch. „Wir könnten uns heimlich treffen", schlug er pfiffig vor.

Sie kicherte, löste sich sanft, aber bestimmt aus seiner Umarmung, drehte sich um und nahm ihn gleichzeitig an der Hand, um ihn die Stufe herunterzuziehen, damit sie auf derselben Ebene standen.

Sie hatte immer noch ihr Cocktailglas in der Hand; sie ließ ihn wieder los und sah aufmerksam zu ihm hoch. Der Sterne Licht spiegelte sich in ihren Augen wieder, versilberte sie zu funkelnden Juwelen. Die Schatten der Nacht streiften ihr feines Gesicht, zogen ihre Konturen nach, während die sanfte Brise mit ihren Haaren spielte.

„Heimlich, Sirius?" Sie grinste immer noch; ihre Augen hatten sich dadurch erhellt und ihr ganzes Gesicht strahlte, verdrängte die sonst so übliche Kälte. „Du bist ein wahrer Tunichtgut, nicht wahr?"

Er feixte. Ja, das war er.

Unbekümmertheit lag so sehr zwischen ihnen in der Luft, dass sie greifbar wirkte.

„Es wäre aufregender, als wenn es nicht verboten wäre", behauptete er schalkhaft.

Minas Grinsen verblasste allmählich; Schatten huschten über ihre Iris, als wollten sie sämtliches Licht verdrängen und Vorboten der Finsternis sein. „Bist du deswegen mit mir ausgegangen? Weil es nicht richtig ist?"

Ihre Stimme klang scharf und distanziert. Sirius nahm es beinahe schon bestürzt zur Kenntnis und spürte, wie die Mauern ihrer soeben aufgebauten, sorglosen Welt unter dem plötzlichen Misstrauen erschüttert wurden. Als schlüge die Realität mit voller Wucht gegen diese Mauerwerke, um sie zum Einsturz zu bringen.

Diese schnellen Stimmungsschwankungen waren beinahe schon normal bei ihnen.

„Nein", entgegnete er, weder zu rasch, noch zu langsam. Er klang einfach ehrlich, weil es nun mal keine Lüge war. „Nein, das ist es nicht", versicherte er ihr. „Ich schwöre es dir."

Minas Kälte schwand wieder, so schnell, wie sie gekommen war und sie lächelte ihn flüchtig an. Sie schien ihm zu glauben, ihm zu vertrauen. „So? Und was ist es dann?"

Sirius hatte mit einer solchen Frage nicht gerechnet und starrte sie an. Sie wagte es, ihm Fragen zu stellen, die er sich selbst nicht stellte, weil er die Antwort nicht wissen wollte.

„Heißt das also, dass wir uns nicht wieder treffen werden?", kam er einfach zum eigentlichen Thema wieder zurück, um einer Auskunft zu entgehen.

Ihre Stimmen webten sich durch die Luft, schwebten hinauf, als wollten sie nach den Sternen greifen.

„Wie denn, Sirius?" Mina schüttelte leicht den Kopf; es war eine Geste des Bedauerns. „Es würde herauskommen."

Sirius hätte nichts zu befürchten. Im Gegenteil, seine Familie würde es begrüßen. Aber ihre nicht. Nicht, solange er nicht zurückkehrte zu seinen Pflichten als Sohn und Erbe.

Er hätte sie gerne gefragt, ob sie etwa nicht bereit wäre, dieses Risiko einzugehen. Aber er wollte sie nicht in die Enge treiben, wollte sie nicht feige nennen, nur um zu erreichen, was er wollte. Hätte er sich getraut zu fragen, wäre sie vielleicht darauf eingegangen, aber so nahm alles einen anderen Weg.

„Du hast Recht gehabt, weißt du", meinte sie seufzend. „Es ist egal, was sich in England abspielt und ob ich Kroatin bin oder nicht. Unsere Prinzipien sind unvereinbar und das ist es, was zählt."

Ach, was verfluchte er ihrer beiden Prinzipien. Warum konnte es nicht gleich sein, was sie dachten und welche Ansichten sie vertraten?

„Du hast dich gegen das gestellt, was ich vertrete", fuhr Mina fort und begann offenbar, in ihrem Stimmungswandel selbst die Mauern ihrer erbauten Welt niederzutreten, „und wir beide wissen, dass die politische Situation in Europa die Lager immer weiter spalten wird. Es hat gar keinen Zweck, es zu leugnen. Spätestens nach der Schule wird uns nur allzu deutlich bewusst werden, dass es keine Brücken gibt, die Schwarze und Weiße Magie verbinden können. Und-"

Sirius lehnte sich vor; er nahm ihre Worte wahr, aber er wollte sie nicht hören. Er wollte sie nicht verstehen, wollte nichts davon wissen.

„Und-", wiederholte Mina eindringlich, als Sirius sie einfach küsste.

Er streifte mit seinen Lippen ihren Mund, legte langsam seine Hände um ihre Taille und zog sie zu sich. Ihm fiel auf, wie Mina kurzzeitig den Atem anhielt. Blinzelnd sah er, wie ihre Augen weit aufgerissen waren, aber dann schloss er die seinen, völlig übermannt von der Erinnerung an Schnee und etwas anderes. Noch zögernd strich er mit seiner Zunge über ihre weichen Lippen, zeichnete ihre Konturen nach. Es löste etwas Prickelndes in seiner Magengrube aus. Nur entfernt nahm er ein Klirren wahr, erkannte aber nicht, dass Mina ihr Cocktailglas hatte fallen lassen, denn dazu klopfte sein Herz zu schnell und zu laut.

Aber er bemerkte plötzlich Minas Arme, die sich um seinen Hals legten. Ungestüm zog sie ihn näher zu sich heran und vertiefte hastig den Kuss, als ob sie die Mauern ihrer beider Welt vor dem Niederfall bewahren wollte.

Er spürte ihre flinke Zunge, die sich seiner entgegen drängte und ihr Kuss wurde leidenschaftlich, entfacht von einem Feuer, das alles niederbrennen wollte, was ihm in den Weg kam. Alles drehte sich, nichts zählte mehr, bis auf diesen Augenblick, bis auf diesen Kuss, bis auf sie und ihn.

Ihre Hände vergruben sich in sein Haar und seine Hände suchten sich – ohne sein bewusstes Zutun – einen Weg unter ihre Festrobe, hin zum Rücken, wo sie nackte, weiche Haut fühlen konnten.

Sie presste sich noch enger an ihn, was ihn verwegener machte.

Irgendwo weiter entfernt raschelten die Büsche, aber sie beide bemerkten es nicht. Dort hielten sich welche versteckt, die allerdings gar keine Notiz von dem Pärchen nahmen und es wohl auch gar nicht erkannt hatten. Jemand flüsterte etwas, dunkle Worte waren es, die mit Unheil verknüpft waren, und dann geschah etwas, was weder Sirius noch Mina wahrnahmen.

Es waren auch noch andere Hogwartsschüler draußen, einzelne Paare, die im Schutze der Dunkelheit einander näher kommen wollten, und einige von ihnen waren wachsamer.

Ein gellender Schrei durchbrach die Mainacht, gefolgt von einem weiteren. Angst lag darin, denn das, was die anderen sahen, empfanden sie als furchtbar.

Diese Schreie waren es, die Sirius und Mina schließlich auseinander rissen. Außer Atem unterbrachen sie ihren leidenschaftlichen Kuss und starrten sich erschrocken an.

„Was war das?", presste Mina keuchend hervor.

Sirius sah sich hektisch um und sah ein paar Schüler in der Nähe auf sie zu rennen. Nicht auf sie, das erkannte er sofort, sondern auf die Eingangstür. Immer wieder wandten sie sich um und starrten gen Himmel.

Sirius folgte ihren Blicken; fast nebenbei hörte er, wie Mina nach Luft schnappte.

Am Horizont erblickte er ein großes Symbol in den grünen Farben des Todesfluches. Silbriger Nebel umrahmte es, begleitend und schützend.

Es war eine finstere, fürchterliche Grimasse, die so unheilvoll und mächtig am Horizont schwebte, dass die Finsternis, in der sie geboren wurde, kalt und unbarmherzig spürbar war.

Es war ein hässlich grinsender Totenkopf, aus dessen Mund sich eine Schlange wand.

„WAS IST DAS? WAS IST DAAAS?", schrie einer von den Schülern, ein paar hatten gestoppt, dachten nicht an Flucht, sondern blickten es gebannten Blickes an. Andere rannten an Sirius und Mina vorbei, die Treppe hinauf in die sichere Burg hinein, wohl, um den Professoren Bescheid zu geben.

Mina hatte Sirius Hand genommen. „Es muss ein Zeichen der Dunkelheit sein", flüsterte sie.

Sirius nickte lahm, ebenfalls immer noch zum Himmel starrend. Die Grimasse schien nicht unweit, als ob der Beschwörer in der Nähe gewesen war.

Es musste ein Zeichen der Dunkelheit sein. Schwarze Magie konnte man spüren, wenn sie nah war. Es war eine Art von Kälte, vielleicht unangenehm, aber nur, wenn man sie nicht kannte. Sirius kannte sie und deswegen empfand er sie nicht als fremd.

Dann fing der silbrige Nebel sich auf einmal an zu verformen. Buchstaben wurden daraus, die sich aneinander reihten und zu einer Forderung wurden, befehlend und düster.

„REINBLÜTER, FORMIERT EUCH UNTER DEM BANNER DES DUNKLEN LORDS!"

Sirius sog den Atem ein. Natürlich. Todesser. Es konnten nur Todesser sein, jene Rekrutentruppe, die sich aus den einstigen Walpurgisrittern formiert hatte. Einst hatten die Walpurgis Knights Salazar Slytherin gedient, nun gehorchten die Todesser seinem Erben.

Und die Mauern stürzten ein. Sie fielen in sich zusammen, das konnte er förmlich spüren. Diese Welt, in die Mina und er hätten fliehen können, irgendwohin, wo auch immer sie existierte, gab es nicht mehr und durfte es nicht geben.

Er merkte die Distanz, die sich in rasender Geschwindigkeit zwischen ihnen ausbreitete. Mina hatte ihren Blick vom Symbol der Finsternis losreißen können und starrte Sirius an, als könne sie kaum glauben, was da alles zwischen ihnen vorgefallen war. Sie hatte seine Hand losgelassen.

Dann raffte sie Kleid und lief die Stufen hoch. Kaum hatte sie die erste erklommen, fing Sirius ihr Handgelenk und stoppte ihre Flucht. Schweigend schaute er sie an.

Sie sah ihn an; ihre Augen waren unleserlich, zu viel Verwirrung lag darin. „Du brauchtest nur deine Ansichten ändern, Sirius", sagte sie mit einer verzweifelten Hast. „Du brauchtest dich nur auf die Seite der Familie stellen und es gäbe eine Zukunft."

Sein Griff um ihr Handgelenk war hart und verstärkte sich unwillkürlich ob ihrer atemlosen Worte.

Sein Blick wurde finster; Dunkelheit verwebte sich darin, betonte die Schwärze seiner Pupillen und machte unmissverständlich klar, dass es keine Zukunft geben durfte.

Dennoch sagte er etwas Forderndes. „Wieso tust du es denn nicht? Die Seiten wechseln, meine ich."

Er sprach ruhig und beflissen, aber die Angespanntheit war nicht zu überhören. Sie ließen den Augenblick sich zuspitzen, scharfkantig werden, wie die Kanten eines noch rohen Diamanten. Nur eine unvorsichtige Bewegung, ein unbedachtes Wort und sie würden sich daran schneiden. Daran verletzen, so sehr, dass die Wunde niemals würde heilen können.

Ein letzter Blick. Schwarze Augen sahen in eisgraue.

Bedauern schlich sich neben der Verwirrung ein, doch sie versuchte, unerkannt zu bleiben. Wer nicht zuviel von sich preisgab, konnte nicht verletzt werden. Konnte nicht bluten. Sturheit kam bei beiden Schülern auf, jene Sturheit, die verhindern wollte, dass auch nur irgendjemand die Seiten wechselte.

Sirius lockerte seinen Griff. Damit verlor er das Empfinden ihres schnellen Pulsschlags.

„Ich kann nicht", wisperte Mina, halb kummervoll, halb abweisend. Sie riss sich los und ging rückwärts eine Stufe hinauf. Dann noch eine. Und noch eine.

Die Distanz vergrößerte sich zwischen ihnen und mit ihr wuchsen die altbewährte Kälte und die traditionelle Feindschaft.

Sirius ließ seine Hand sinken; er legte den Kopf leicht in den Nacken, um sie besser ausmachen zu können. Aus halbgeschlossenen Augen fixierte er Mina; seine Wimpern warfen halbmondförmige Schatten auf seine blassen Wangen. Es gab ihm etwas Unschuldiges, aber Schatten huschten über sein Gesicht und erprobten sich in Düsternis.

Dann lächelte er. Kühl und spöttisch. „Und ich ebenso wenig."

Es gab keinen Ort, wohin sie hätten gehen können, denn dafür hielten sie zu sehr an ihren Prinzipien fest. Es mochte Augenblicke geben, in denen sie diese vergaßen, in denen sie fort von dieser Welt wollten, aber die Realität holte sie immer wieder zurück und machte ihnen klar, dass sie keine Opfer bringen würden für etwas, aus das sich Liebe hätte entwickeln können.

Mina hatte sich bereits umgedreht, kaum dass seine Worte sie wie Peitschenhiebe getroffen hatten. Sie hob ihr Kleid an und lief die restlichen Stufen hoch, stieß die Eingangstür auf und rannte in die Eingangshalle, floh hinab in die Slytherinkerker.

Kurz darauf wurde die Tür wieder aufgerissen und mehrere Schüler und Professoren stürmten hinaus, um das unheilschwangere Symbol am nächtlichen Horizont zu sehen.

Sie liefen an Sirius vorbei, sprachen aufgeregt und unruhig, während die Professoren Zauber versuchten, um das Symbol zu entziffern und schließlich zu vernichten. Aber niemand vermochte es, denn es löste sich nur von selbst auf; es war bloß eine Frage der Zeit.

Sirius nahm von ihnen allen keine Notiz. Mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen stand er am Fuße der Treppe, inmitten der Glasscherben des Cocktailglases, das Mina beim Kuss hatte fallen gelassen, und starrte auf die große, schwere Eingangstür, die sich immer wieder von Neuem öffnete, da weitere Schüler hinausströmten. Er sah sie aber nicht, sah nur vor seinem geistigen Auge Mina, die durch diese Tür geflohen war.

Er sollte Mina weder in dieser Nacht noch am nächsten Morgen wieder sehen. Er selbst würde den nächsten Tag im Gryffindorturm bleiben, sich nur von Alan verabschieden, um sie nicht sehen zu müssen, und sie selbst würde die erste sein, die in den Kutschen saß, die sie und ihre Mitschüler zum Bahnhof bringen sollten.

„Sirius! Sirius!", rief jemand plötzlich und jemand sprang nahezu auf ihn drauf. Es war James, der völlig aufgewühlt schien. „Hast du es gesehen? Da, schau! Direkt hinter dir! Wahnsinn! Diese Scheiß-Todesser! Wie sind sie nur hierhin gelangt?", sprudelte er hektisch und zorniger werdend hervor. „Oh, oder es waren Slytherins! Bestimmt, diese dämlichen Idioten! ... Padfoot?"

Er wurde an den Schultern gepackt und gerüttelt. „Padfoot?"

Er schreckte auf und schaute in haselnussbraune Augen. Nur langsam fand er zur Realität zurück, dieser Welt, in der er niemals wieder zu jener Seite zurückkehren würde, auf der er aus Sicht seiner Familie hätte stehen sollen.

„Prongs", machte er müde. Er winkte ab, drehte sich langsam um, als wäre diese Grimasse und die schreckliche Forderung etwas Langweiliges, etwas, das seine Aufmerksamkeit nicht verdiente. „Ich habe es gesehen." Er lächelte matt. „Eindrucksvoll, nicht?"

James knuffte ihn hart in die Seite. „Blödmann. Los, komm, lass uns so nah wie möglich heran gehen! Dumbledore und die anderen sind dort und versuchen es zu vernichten!"

Er packte, ohne auf Sirius' Zustimmung zu warten, seinen Freund am Handgelenk und zog ihn ungestüm mit sich, andere rücksichtslos zur Seite schubsend, damit sie so weit wie möglich nach vorne konnten.

Aufgeregtes Geplapper lag in der Luft, sie alle versuchten zu enträtseln, was es war und wer dahinter steckte.

Niemand sah Severus Snape, der mit Rosier aus den Gebüschen hervorkam und sich unbemerkt der Masse anschloss. Niemand bemerkte sein kaltes Lächeln auf den schmalen Lippen, den dunklen Ausdruck in den schwarzen Augen. Es war bekannt, dass Snape mit Todessern, wie Rodolphus Lestrange und Bellatrix Black befreundet war, die ihn durchaus zu solchen Sachen anzustiften vermochten. Man sagte sich sogar, dass der Fünftklässler bereits bei seiner Einschulung mehr Schwarze Flüche gekannt hatte als jeder andere. Aber niemand wusste, dass es nicht verwunderlich war, wenn man einen schwarzmagischen Vampir als Vater hatte, niemand ahnte, dass Snape Erleichterung empfunden hatte, als dieser Untote seinen brutalen Ziehvater getötet hatte, und dass der Weg in die Finsternis für ihn somit verlockend war. So nahm niemand Notiz von ihm.

Schon sehr bald sollte dieses Dunkle Mal sehr oft am Himmel zu sehen sein und zu einem der gefürchtetsten Symbole der Geschichte werden.

Es erinnerte Sirius immer wieder daran, dass Prinzipien nicht über Bord geworfen werden sollten, nur für eine Schwärmerei. Für verwirrte Gefühle, die nicht berechenbar waren. Das war es nicht wert. Zumindest redete er es sich ein, auch später noch, als er älter war und ihm irgendwie auffiel, dass ihm nie ein Mädchen so wichtig gewesen war wie sie. Aber er dachte sich, dass er es sich nur einbildete, dass es eine blinde Schwärmerei eines fünfzehnjährigen Jungen war, der es nicht besser wusste. Als glaubte er, wenn er sich diese Lüge oft genug vorsagte und klarmachte, könnte sie dadurch wahr werden.


A/N:

Und, wie fandet ihr's? Reviews wären nett! Die stillen Leser können sich auch ruhig mal melden :)

Das nächste Kapitel ist das 23. Los geht es dann im sechsten Schuljahr. Und wie wir alle wissen, spielt Sirius in dieser Zeit Severus Snape jenen verhängnisvollen Streich, der die ersten Bande der Freundschaft kappen wird.

Danke, Padfoot's Mate, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast, dass der Siriusstern im Mai am Himmel nicht zu sehen ist!

Danke, danke, danke an alle meine lieben Reviewer! Ohne euch hätte ich die Fanfic wohl schon längst aufgegeben ;)