Rückwärts in die Dunkelheit
Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?
(- die letzten Worte eines Sterbenden.)
24. Kapitel
Teil 1
Sternenschimmer
"Richte dich nach den Sternen.
Wenn du glaubst, dich in Dunkelheit verlieren zu können."
(- unbekannt)
Sirius fing Remus am nächsten Morgen vor der Krankenstation ab. Er schwänzte die dritte Unterrichtsstunde, um so sicherzustellen, dass er mit dem Jungen alleine reden konnte.
Die Tür öffnete sich und mildes Sonnenlicht strömte aus der Krankenstation hinaus auf den Flur, es erfasste Sirius mit sanften Strahlen, das jedoch mit den Schatten in seinem Innern rang. Die Wolkendecke war inzwischen beinahe völlig vom Wind vertrieben worden; ein schöner Herbstmorgen zog über dem Land herauf.
Remus blieb überrascht stehen, als er Sirius sah. Dieser stand in der gewohnt lässigen Körperhaltung da – direkt im Sonnenfleck – das Gewicht auf das linke Bein verlagert, die Hände in den Hosentaschen. Die ersten Knöpfe des Hemdes der Schuluniform waren offen, die rotgoldene Krawatte war nur locker zusammengebunden. Die Robe trug er nicht.
„Hallo, Moony", begrüßte Sirius ihn mit einer leicht schleppenden, cool klingenden Stimme, aber Remus ließ sich nicht täuschen.
Es war nicht nur die Tatsache, dass er Sirius gut genug kannte, sondern es waren vor allem seine wenige Tage nach der Werwolfsnacht noch empfindlichen Sinne, die ihm klar machten, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Guten Morgen, Padfoot", sagte Remus und schloss die Tür. Er hob die Augenbrauen in die Höhe. „Es ist doch Unterricht."
Sirius winkte großspurig ab. „Scheiß drauf. Ich muss mit dir reden."
Remus' Magen zog sich unwillkürlich zusammen. Irgendetwas war passiert, das zeigten ihm nicht nur Sirius' auffallende Bemühungen, gelassen zu klingen. Er selbst hatte düstere, schemenhafte Erinnerungen an jene Nacht vor zwei Tagen. Aber es konnte nichts Schlimmes geschehen sein, denn sonst hätte Dumbledore ihn davon unterrichtet. Wenn er beispielsweise jemanden verletzt hätte. Oder gar Schrecklicheres.
„Und wie erklären wir unser Fehlen?", sprach die Vernunft aus Remus heraus.
Sirius wurde ungeduldig, denn seine Augen verengten sich ein wenig. „Von dir erwarten sie eh, dass du erst zur vierten Stunde kommst, also komm jetzt." Er ging schon mal los. „Lass uns in den Raum der Wünsche gehen. Da sind wir ungestört."
Remus' Beunruhigung wuchs. Er hatte Sirius noch nie so erlebt. Diese Nervosität... Sirius bemühte sich, sie nicht zu zeigen, aber er konnte sie nur allzu deutlich spüren.
Er holte Sirius ein. „Du machst es sehr spannend", lächelte er, auch, um ein wenig diese angespannte Stimmung aufzulockern.
Er warf dem dunkelhaarigen Jungen einen flüchtigen Blick zu. Sirius grinste nicht, versuchte offenbar, keinerlei Emotionen zu zeigen.
Ein schlechtes Zeichen.
Als sie im Raum der Wünsche angekommen waren, verriegelte Sirius die Tür hinter ihnen.
Der Raum war mittelgroß und ähnelte ein wenig dem gryffindorischen Gemeinschaftsraum. Der Teppich war dunkelrot, im Kamin brannte ein warmes Feuer, zwei niedrige, weiche Sessel standen davor. Durch ein großes Fenster strömten die Sonnenstrahlen hinein, durchfluteten das Zimmer und tauchten es in sanftes, goldenes Licht.
Sie setzten sich in die Sessel. Remus saß mit dem Rücken zum Fenster, Sirius hingegen ihm zugewandt. Er blinzelte ein wenig, ehe er sich an das Sonnenlicht gewöhnt hatte.
Remus streckte seine Beine aus, lehnte sich zurück und sah Sirius auffordernd an. „Also? Was ist los?"
Ihm fiel auf, dass Sirius mal hierhin, mal dorthin blickte, aber ihn selbst nie direkt ansah.
Er meidet meinen Blick, stellte Remus alarmiert fest. Ob es Sirius war, den er in der Vollmondnacht gejagt hatte? Aber das ergäbe keinen Sinn, denn er hätte sich in den Hund verwandelt. Er musterte seinen Freund aufmerksam und immer besorgter werdend.
Sirius saß direkt im Sonnenlicht. Die rabenschwarzen, kurzen Haare fielen ihm wie immer lässig in die ebenso dunklen Augen. Die dichten Wimpern warfen schemenhafte Schatten auf die blassen Wangen. Das hübsche Gesicht strahlte die gewohnte Überheblichkeit und die Pfiffigkeit aus. Der Charme, den Sirius einfach hatte, ließ ihn verschmitzt erscheinen. Doch nun lagen auch dunkle Ränder unter den Augen. Sirius wirkte müde und übernächtigt, als hätte er mehrere Nächte nicht schlafen können, und es huschten Schatten über seine Augen und über sein Gesicht, die selbst von den feinen Sonnenstrahlen nicht zu vertreiben waren.
Es waren dunkle Schatten, geboren in Finsternis und Schuld, die sich aufmachten, die Schlacht gegen die Helligkeit zu fechten, zu gewinnen.
Sirius rutschte unruhig im Sessel hin und her, bis er endlich still hielt und Luft holte.
„Ich habe Mist gebaut", begann er mit einer irgendwie monoton klingenden Stimme. Sie war frei von Gefühlen, nach wie vor ein Selbstschutz, den Sirius manchmal wie eine unüberwindbare Mauer um sich herum baute, um nicht verletzt zu werden.
Remus schluckte. Er konnte sich nicht vorstellen, was vorgefallen war. So wartete er geduldig, aber innerlich aufgewühlt ab, was Sirius noch sagen würde.
Sirius sah für einige Augenblicke aus dem Fenster. Das Sonnenlicht reflektierte in seiner Iris, durchleuchtete das Schwarz intensiv, aber schaffte es nicht, den Ausdruck selbst zu erhellen. Dieser blieb gehetzt und dunkel.
„Ich... ich hab mich mit Snape gestritten und alles ist außer Kontrolle geraten", fuhr Sirius fort, ohne seinen Blick vom Fenster zu nehmen. Es war, als suchte er in der Ferne eine Möglichkeit zur Flucht.
„Nun, das... das ist ja nichts Neues", meinte Remus langsam. Er merkte, wie Sirius immer nervöser wurde.
„Ich...", begann Sirius wieder zögernd, wurde aber bei den folgenden Worten schneller, ebenso wie sein Atem. „Ich habe ihm verraten, wie er sicher durch den Gang unter der Peitschenden Weide zur Heulenden Hütte gelangt, als du dich dort zum Werwolf verwandelt hast." Langsam löste er seinen Blick aus der Ferne und suchte Remus' Augen.
Die Ausdruckslosigkeit war noch zu stark, um andere Gefühle zu erkennen.
Remus starrte Sirius an. Er hatte die Worte durchaus wahrgenommen, doch er musste sie noch begreifen. Viele der schwachen Erinnerungsfetzen aus der Vollmondnacht machten Sinn. Diese wilde Gier, die er verspürt hatte. Diese bittere Enttäuschung und der unbeherrschte Zorn, als er sie nicht stillen konnte. Diese grenzenlose Dunkelheit...
War Snape also in jener Nacht in die Heulende Hütte gekommen und wäre von ihm, Remus, beinahe getötet worden?
Er war sprachlos. Sprachlos vor Entsetzen, vor Schock und Unverständnis. Dann suchte er nach Worten. „Du- wieso, ich meine... was ist passiert?"
Sirius hob die Schultern und gab schließlich eine Kurzfassung ab. Er erzählte, wie Snape den Gang betreten, wie James ihn gerettet hatte und wie Dumbledore und McGonagall mit ihm verfahren hatten. Er erzählte auch von dem Heuler und der miesen Stimmung im Gryffindorturm, die sich gegen ihn selbst, Sirius, richtete. Davon, wie Snape vorhatte, hässliche Dinge über Remus zu erzählen, berichtete der Junge allerdings nicht.
Remus konnte kaum glauben, was er sich da anhören musste. Nie, niemals hätte er gedacht, dass einer seiner Freunde gewillt war, ihn so sehr in Schwierigkeiten zu bringen, nur um den eigenen Hass zu stillen.
Nach der Fassungslosigkeit kam ein tiefer Fall in bittere Enttäuschung und in noch größere Wut hinzu.
„Das ist... das ist unglaublich, Sirius", brach es schließlich heiser aus Remus hervor. Tief in seinem Herzen verspürte er einen dunklen Schmerz. „Warum nur, Sirius? Warum hast du das getan? Ja, ich weiß, weil du Snape hasst... aber... aber ich hätte niemals gedacht, dass dir dein Hass gegenüber Snape wichtiger ist als unsere Freundschaft!"
Er sah, wie Sirius zusammenzuckte. Sah wie die Schatten in seinen schwarzen Augen größer wurden, wie sie hinter dem einfallenden Sonnenlicht vorbeizogen, mit einer solchen Gelassenheit, als wüssten sie, dass Dunkelheit bevorstand, ganz gleich, wie stark das Licht war.
Remus bereute seine Worte nicht. Denn sie beinhalteten die Wahrheit. Sirius war immer schon unbeherrscht gewesen. Immer schon jemand, der glaubte, die Welt besitzen zu können, nur weil er intelligent war, gut aussah und ausreichende finanzielle Mittel besaß. Sirius hatte schon immer geglaubt, über allen anderen Menschen zu stehen, und der einzige, den er neben sich duldete, war James.
Aber Remus hatte angenommen, dass Sirius ihn respektierte und er hatte immer gedacht, dass auch sie wahre Freunde seien. Er wusste, dass Sirius Feuer und Flamme gewesen war, Animagus zu werden, um ihm die Gesellschaft in der Dunkelheit zu erleichtern, wenn er sich zum Werwolf verwandelte. Er wusste, dass es Sirius niemals störte, dass er zu Vollmondnächten ein Monster wurde und er wusste, dass Sirius immer zu ihm hielt. Dennoch gab es Dinge, die ihn zu Taten anstachelten, die unbedacht waren. Folgenschwer.
Wie Snape den Weg in die Heulende Hütte zu weisen.
„Hast du dir wirklich erhofft, dass ich Snape töten würde?", fragte Remus schließlich. Er hatte sich vorgelehnt, es fehlte nicht mehr viel und er wäre aufgesprungen.
Sirius sah ihn flüchtig an. Die Distanz zwischen ihnen wuchs unaufhörlich; Sirius' Ausdruckslosigkeit trug wesentlich dazu bei. Denn sie machte es fast unmöglich für Remus, andere Emotionen zu erkennen. Wie Reue.
Sicher, er erfasste die Unruhe. Aber war sie auch Reue?
„N-nein", fing Sirius zögerlich an. „Ich wollte nur..., dass er sich erschrickt und so schockiert über die Wahrheit ist, dass er uns für immer in Ruhe lässt. Es... es wäre logisch gewesen... als... als Halbvampir reagiert er sicher anders auf einen Werwolf, als jemand anderes..."
Remus beruhigte zwar, dass Sirius Snape nicht hatte tot sehen wollen, aber hundertprozentig überzeugt war er davon nicht. Denn immerhin hatte Sirius, als er Snape davon erzählte, in Kauf genommen, dass er hätte sterben können.
Er warf es ihm augenblicklich vor. „Aber du hast damit rechnen müssen, dass ich Snape fresse. Du hast es mit einkalkuliert und in Kauf genommen, dass ich jemanden töte, Sirius! Ganz davon abgesehen, dass es, so sehr Snape uns auch immer ärgert, niemals richtig ist, jemanden umzubringen, hättest du auch mein Leben zerstört!" Remus blitzte Sirius halb wütend, halb verzweifelt an. Seine Stimme war von Bitternis durchtränkt. „Und ich dachte, wir wären Freunde, Sirius!"
Es war Sirius, der aufsprang. Er stand nun da, die Hände zu Fäusten ballend, und die Augen weit aufgerissen. Er schien bleicher als sonst. Diesmal durchbrach etwas die Mauer der Ausdruckslosigkeit – es war Verzweiflung, es war Mutlosigkeit. Sie kristallisierte sich hinaus, geschliffen scharf, um letztendlich in gefrorene Ewigkeit zu erstarren.
„Wir sind Freunde, Moony!", presste er erstickt hervor. Die Sonnenstrahlen strichen sanft über sein Gesicht, aber ob dieser finsteren Stimmung zwischen ihnen wirkte es illusionär. „Wir sind es!"
Auch Remus stand auf. Er versuchte immer noch erfolglos zu verarbeiten, was Sirius ihm gebeichtet hatte. Müde schüttelte er den Kopf. „Wären wir es, hättest du es niemals getan. Wie soll ich darauf vertrauen können, dass du es nicht noch einmal machst?"
Sirius schubste ihn ohne Vorwarnung und Remus fiel wieder rückwärts in den Sessel zurück. Die schwarzen Augen waren verengt; der Junge schien außerordentlich gereizt. Fast schon bedrohlich baute er sich vor Remus auf, warf einen Schatten auf ihn.
„Wir sind Freunde!", wiederholte Sirius mit merkwürdig gehetztem Klang in der Stimme. Ein Schmerz lag darin, der die unendliche Tiefe eines Abgrundes mit sich brachte. „Ich weiß nicht, warum ich es getan habe... ich habe nicht nachgedacht. Das ist keine Erklärung, und ich weiß das. Ich..." Er wirkte allmählich erschöpft, „Ich kann dich nur um Verzeihung bitten. Und selbst wenn du sagst, dass du mir verzeihst, weiß ich, dass es noch lange dauern wird, bis du es wirklich tust, aber..." Auch sein Blick wurde müde. „Aber ich kann die Zeit nicht rückgängig machen und ändern, was geschehen ist."
Remus schwieg. Er war kein nachtragender Mensch. Aber würde er Sirius wirklich jemals wieder vertrauen können? Selbst wenn er behauptete, es ändern zu wollen, wenn er könnte... würde er es denn tatsächlich tun, wenn er die Möglichkeit dazu hätte? Würde Sirius' Hass auf Snape nicht immer größer sein als seine Freundschaft zu ihm? Wäre James der Werwolf gewesen, Sirius hätte niemandem dorthin geschickt. Aber Remus war nicht James. Und würde es auch niemals sein. Und so würde auch die Freundschaft nie so gefestigt sein, wie zwischen den anderen beiden Jungen.
Selten wurde es Remus so sehr bewusst wie an diesem Tag.
Sirius ging derweil ein paar Schritte zurück und Remus stand wieder auf.
Er konnte nicht ahnen, dass Sirius die ganze Zeit über gehofft hatte, dass er so sehr zornig auf ihn werden würde, dass sie sich prügelten und alle aufgestauten Probleme somit beseitigten. Aber Remus begegnete Sirius mit bitterer Enttäuschung, mit verletzlichem Vorwurf und stillem Misstrauen.
Das war für Sirius schlimmer, als alles andere, doch Remus konnte es ja nicht wissen, und so vergrößerte sich die aufkeimende Distanz zwischen ihnen immer mehr und mehr. Sie tat es nicht schnell, nur langsam. Aber beständig. Sie zog eine Kluft zwischen ihnen, die sich erst nach Hogwarts spürbar erkennen lassen würde. Sie riss einen Abgrund zwischen ihnen auf, so breit und tief, dass er für lange, lange Zeit von nichts und niemandem überwunden werden konnte.
„Du... du brauchst mir nicht zu sagen, dass du mir verzeihst, wenn du es überhaupt kannst", brach Sirius das kurze, unangenehme Schweigen zwischen ihnen. Er klang bekümmert, war aber um einen schroffen Ton bemüht. „Dass du es jetzt nicht kannst, ist mir klar. Aber wenn du mir irgendwann... irgendwann doch verzeihen solltest, dann... dann werde ich es schon merken..."
Sirius' Blick wurde schwermütig; Kummer vermochte es, die Ausdruckslosigkeit zu brechen, wenngleich auch nur kurz und schwach. Ein betrübter Zug legte sich um seine Lippen. Es schien, als wollte er noch etwas sagen, sich es dann aber anders überlegt zu haben.
Denn er drehte sich einfach um und ließ Remus allein im Raum der Wünsche zurück. Kein Wort mehr, kein Blick, keine Gefühlsregung... Sirius ging einfach hinaus, weil er offenbar selbst nicht damit fertig wurde und kehrte Remus im selben Augenblick den Rücken, wie der Sonne.
xx
Remus erfuhr von Peter den Rest. Erfuhr, wie Sirius gelacht hatte, wie immer, wenn alles zuviel wurde und es keinen Ausweg gab. Wie er offenbar ein wenig enttäuscht war, dass Snape nicht doch noch aufgefressen worden war. Erfuhr von Dumbledores harten, anklagenden Worten an Sirius und von den Gryffindors, wie sie zornig auf Sirius waren.
Was ihm aber auch Peter nicht erzählte, war, was genau Sirius so sauer auf Snape gemacht hatte: dass der Slytherin Remus' Ruf zerstören wollte. Peter mochte unachtsam gewesen sein, dass er es Remus nicht erzählte, oder vielleicht war es ihm gar unangenehm, zu sagen, dass Snape Fotos hatte, wie er mit Pomfrey das Schloss verließ und man schmutzige Schlüsse daraus ziehen konnte – so oder so, es wäre für die Freundschaft zwischen Sirius und Remus besser gewesen, wenn der Junge davon gewusst hätte.
Es hätte ihm vieles verständlicher gemacht, wenngleich er auch dann sehr enttäuscht und fassungslos gewesen wäre.
James selbst verlor nicht viele Worte darüber. Er beichtete Remus, dass er mit Sirius darüber gealbert hätte, dass sie Witze gerissen hätten, aber niemals geplant hatten, es in die Tat umzusetzen. Er gestand, dass die Idee durchaus seinen Reiz gehabt hatte, aber dass sie um seinetwillen und um ihretwillen es nicht hatten durchziehen wollen. Es war demnach eine Kurzschlussreaktion von Sirius gewesen, die nicht beabsichtigt worden war.
Das machte alles für Remus aber auch nicht besser. Dass James ohne Wenn und Aber nicht von Sirius' Seite wich und bereit war, es mit jedem aufzunehmen, der Sirius angiftete, machte Remus nur eines allzu deutlich: dass James und Sirius immer füreinander einstanden, selbst wenn einer von ihnen das Leben eines gemeinsamen Freundes zu zerstören drohte.
Ja, James hatte eindeutig bewiesen, dass er Sirius niemals in Stich lassen würde, ganz gleich, was dieser anstellte. Das war wohl wahre Freundschaft.
Remus war bitter enttäuscht von Sirius und glaubte, allmählich einen Freund zu verlieren. Die ohnehin aggressive Stimmung in ihrem Haus führte dazu, dass er sich generell ein wenig mehr zurückzog, als sonst, und sie führte auch dazu, dass Sirius stets glaubte, er zürne sehr mit ihm – selbst Monate später.
Schon bald benahmen sich die anderen drei Rumtreiber so, als wäre nie etwas gewesen. Sie begleiteten Remus auch wieder in seinen Werwolfsnächten. Diese Nächte waren allerdings schwieriger geworden. Remus war als Werwolf zorniger und gereizter als früher und fing jedes Mal an, Sirius als Hund anzugreifen. Nie passierte etwas Schlimmes, da Sirius ihm ebenbürtig war, aber die Kabbeleien nahmen selten ein Ende.
So kam es auch, dass sich Sirius Remus gegenüber noch oft zögerlich und ein wenig distanziert verhielt – der Grund war die Unsicherheit, die Sirius hegte; er wusste schließlich, dass er weder das Vertrauen noch die Verzeihung erlangt hatte.
Das sechste Schuljahr wurde so zu dem seltsamsten Jahr für die vier Freunde. Diese Distanz zwischen Sirius und Remus war auch für die anderen spürbar; Sirius und James zogen vermehrt alleine los, um Unsinn zu stiften oder sich generell rumzutreiben, da sie nur dann die ersehnte Unbekümmertheit genießen konnten. Zudem hielt die schlechte Laune im Gryffindorturm sehr lange an.
All das merkte auch Peter. Aber er wusste nicht, wie er zum Frieden hätte beitragen können.
Peter wurde oft als Ratte von Sirius und James losgeschickt, um bei den Slytherins herumzuspionieren. Peter erwies sich als geschickter Spion. Und er erfuhr dabei vielerlei Dinge. Zum einen, dass die Schüler des Schlangenhauses nicht viel anders waren, wenn sie alleine waren, als die Gryffindors. Sie feixten, rissen Witze, lachten und genossen die Unbekümmertheit innerhalb der sicheren Mauern Hogwarts'.
Aber zum anderen erfuhr er auch andere Dinge. Finstere Ausblicke in die Zukunft, über den Dunklen Lord, von dem viele Slytherins überzeugt waren, dass er die Herrschaft in England an sich reiße, jene belohnt, die ihm treu dienten und jene grausam tötete, die so töricht waren, sich ihm in den Weg zu stellen.
All das machte Peter sehr nachdenklich. Die Slytherins waren von der starken Macht Voldemorts so überzeugt. Die meisten von ihnen wollten ihm nach der Schule dienen. War der Zauberer wirklich so mächtig? Würde es keiner Verteidigungsorganisation gelingen, ihn zu besiegen?
War es überhaupt klug, gegen ihn anzukämpfen, wenn man dafür sterben würde?
xx
Einmal im Frühling des sechsten Schuljahres, als Peter von einem seiner vielen Streifzüge als Ratte aus den Slytherinkerkern wieder kam, sah er, wie Lily mit einer Freundin am Abend aus Hogwarts hinausging. Sie schienen zu Hagrid gehen zu wollen, mit dem auch die Rumtreiber eng befreundet waren. Die Jungen teilten fast schon seine Begeisterung für gefährliche Tiere, allen voran James und Sirius, die das Risiko ohnehin liebten.
Rasch folgte er ihr; er konnte nicht abstreiten, dass er von Lily angetan war. Sie war klug, sie war schön und sie war liebenswert. Oft gelang es ihm, sie in der Bibliothek ausfindig zu machen. Dann setzte er sich mit seinen Büchern zu ihr und jedes Mal schaffte er es, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Anfangs hatte er immer gedacht, er würde sie nur unnötig beim Lernen stören, aber schon bald merkte er, dass Lily den kurzfristigen Ablenkungen niemals abgeneigt war.
Er schaffte es als Ratte gerade noch, durch den Türspalt zu huschen, da wäre er auch schon beinahe gegen Lilys Füße gerannt. Sie war nämlich mit ihrer Freundin direkt hinter der Eingangstür stehen geblieben und Peter erkannte auch den Grund.
Am Fuße der Treppe hockten Sirius und James in gewohnter, vertraulicher Eintracht nebeneinander. Sie unterhielten sich und hatten die Mädchen nicht bemerkt.
Es war schon dunkel draußen und die Sterne schimmerten am Nachthimmel vom indigoblauen Horizont herab; spendeten helles Licht, dass sie Lichtjahre zuvor zu ihnen gesandt hatten. Der Abend war lau, de frische Frühlingsbrise wehte über ihre Köpfe hinweg.
„So langsam formieren sich die Todesser zu einer militärischen Einheit", hatte Sirius gerade gesagt, was die Mädchen offenbar dazu veranlasst hatte, stehen zu bleiben. „Ich sag's dir, nicht mehr lange und sie starten eine Anschlagsserie, statt immer nur sporadisch irgendwo aufzutauchen", fuhr er fort.
James nickte brummend. „Schon die einzelnen Angriffe waren mehr, als genug. Und es wird kaum etwas dagegen unternommen..."
„Ja, weil das Zaubereiministerium korrupt ist. Über die Hälfte sind heimliche Todesser, da wette ich drauf", behauptete Sirius düster.
„Und was macht dich da so sicher?", horchte James auf.
Sirius sah ihn an und Peter konnte ihn in seinem Profil grinsen sehen. „Ich spüre das. Das sind meine schwarzmagischen Gene, die jeder Black hat."
James stieß einen langen Atem aus und stieß Sirius in die Seite. Sirius lachte und knuffte zurück, woraufhin James erneut reagierte. Sie fingen an zu kabbeln und Peter hörte Lily leise, aber entnervt seufzen. Sie setzte sich gerade in Bewegung, um die Treppe hinab zu gehen, und ihre Freundin wollte ihr folgen, als die beiden Jungen wieder ernst wurden.
„Na, Dad macht halt immer so Andeutungen", antwortete Sirius nun auf James' Frage. Er klang nachdenklich.
Lily blieb wieder stehen, ihre Freundin tat es ihr nach. Peter war ein wenig erstaunt, denn auch wenn er selbst viel herumspionierte, wusste er doch, dass Lauschen recht unhöflich war.
„Ich frage mich, wie viele mutig genug sein werden, sich gegen Voldemort zu stellen", fing James grüblerisch an.
„Ja... wenn er immer mächtiger wird, werden es immer weniger sein", meinte Sirius seufzend. „Eine Schande ist es, einem nur aus Angst zu dienen."
„Jep." James klang zusehends grimmig. „Feiges Pack, davon gibt es ja jetzt schon zu viele. Selbst die Journalisten vom Tagespropheten werden immer furchtsamer und halten sich mit der Kritik am Ministerium zurück. Und mit Berichten über die Scheiß-Schwarzmagier."
Sirius hob die Schultern, streckte seine Beine aus und legte den Kopf in den Nacken. „Die Mehrheit der Menschen werden niemals gewillt sein, ihr Leben für eine bestimmte Sache aufzugeben. Sie werden sich lieber fügen und die Augen schließen, als ihr Leben in Gefahr zu bringen. Schau dir die Geschichte doch an... in Staaten, wo eine tyrannische Diktatur geherrscht hat, konnte sie nur deswegen herrschen, weil das Volk Angst vor dem Tod hatte, anstatt sich anständig zu wehren."
„Ja, weil sie blind vor Furcht sind." James sprach es verächtlich aus. „Wie kann man nur..."
„Sie sind schlimmer als die, die wenigstens an das glauben, für das sie dienen", sagte Sirius grollend. „Wie einige der Todesser... sie glauben an das, was sie tun und wofür sie einstehen... heftig, oder, Prongs?"
James nickte heftig. „Yeah, ich kann's nicht nachvollziehen. Wie scheiße im Hirn muss man sein?"
„Mmh", machte Sirius. „Bella ist so eine."
„Deine Cousine ist ja auch schon immer idiotisch gewesen", stieß James abfällig hervor.
Wieder sah Sirius James an, wieder konnte Peter ihn geisterhaft grinsen sehen. „Ja, Prongs... du würdest dich selbst dann gegen Schwarze Magie und somit gegen Voldemort stellen, wenn du der einzige Widersacher auf Erden wärst."
James wollte antworten, als er sich plötzlich aus reiner Intuition halb herum drehte.
„HEY!", rief er dann halb erstaunt, halb empört aus. Dann erkannte er, dass es Lily war, denn er sprang hastig auf und zerwuschelte sich seine Haare. In seinen Augen begann es augenblicklich verliebt zu leuchten.
Auch Sirius wandte sich um. Er zog seine Augenbrauen in die Höhe und belächelte sie mit mildem Spott. „Evans... wer hätte gedacht, dass du deine sonst so perfekten Manieren vergisst und uns ausspionierst, hm?"
Lily schnaubte, gab sich einen Ruck und stieg die Treppe hinab. „Halt die Klappe, Black, wir haben nicht gelauscht."
Sie schob sich an den beiden Jungen vorbei, ihre Freundin ebenfalls.
„Wo geht ihr hin?", fragte James schnell.
Die Mädchen blieben stehen. „Zu Hagrid", antwortete Lily und klang überraschenderweise nicht unfreundlich. Sie warf James abschätzende Blicke zu, dann lächelte sie sogar warm, ehe sie sich wieder abwandte und mit ihrer Freundin eiligen Schrittes davon ging.
Peter stutzte. Seit wann lächelte Lily James an?
Sirius pfiff durch die Zähne, legte einen Arm lässig auf James' Schulter und stützte sich so. „Ich sag's dir doch schon die ganze Zeit... sie ist nur deshalb immer so scheiße zu dir, weil sie in Wahrheit was von dir will", grinste er.
Peter hielt den Atem an, selbst als Ratte.
„Ach ja?", machte James zweifelnd. „Sie will aber immer noch nicht mit mir ausgehen."
Sirius hob die Schultern. „Sie steht auf vernünftige Jungs." Er löste sich von James und sah ihn augenzwinkernd an. „Sich gegen Voldemort und für das Gerechte zu stellen, auch wenn man dabei draufzugehen droht, ist vernünftig, Prongs..."
xx
Einen Monat später.
Regulus saß auf einer breiten Fensterbank irgendwo in Hogwarts in einem der verlassenen, dunklen Flure. Er schaute aus dem großen Bogenfenster, sein Blick irrte ziellos über die mondbeschienenen Ländereien. Der Himmel war dunkelblau und übersäht mit funkelnden Sternen, die unerreichbar für ihn waren. Sie waren faszinierend. Geheimnisvoll. So voller Rätsel, die nie ein Mensch zu entschlüsseln vermochte.
Sterne hatten schon immer Einfluss auf seine Familie ausgeübt. Sie galten als Wegweiser, als Licht, das sie durch düstere Nächte führte, ganz gleich, wie finster sie sein mochten.
Richte dich nach den Sternen, hieß es in ihrer Familienbibel, die bereits über achthundert Jahre alt war. Einer ihrer Vorfahren hatte diese Worte auf der ersten Seite geschrieben.
Richte dich nach den Sternen. Wenn du glaubst, dich in Dunkelheit verlieren zu können.
Früher hatte Regulus sich oftmals gefragt, warum sie ein Licht brauchten, wenn es finster geworden war. In ihrem Haus war es immer recht düster und er hatte früh gelernt, dass Schwarze Magie starke Dunkelheit versinnbildlichte.
Aber dann hatte Regulus erfahren, dass es nur symbolisch gemeint war. In Wahrheit brauchte jeder ein Licht, wenn es zu dunkel war, so, wie jeder die Finsternis benötigte, wenn es zu hell geworden war. Alles hing vom Gleichgewicht ab. War es einmal gestört, so begann ein Kampf, der niemals enden würde.
Das Gleichgewicht war derzeit gestört. Zuviel Licht regierte in diesem Land, fand Regulus; so sehr, dass er geblendet wurde. Er wünschte sich, dass Dunkelheit sich endgültig erhob und die Helligkeit zurückdrängte, bis die Waage wieder in Harmonie gebracht worden war. Und sollte sie dabei zugunsten der Düsterkeit fallen, so hätte er nichts dagegen.
Ihm war bewusst, dass die Streiter des Lichts davon überzeugt waren, dass zu viel Finsternis im britischen Königreich herrschte. Sie glaubten, sie müssten sie bekämpfen, um das Licht mehr Raum zu verschaffen. Sie glaubten, das Gleichgewicht zugunsten des Lichts wiederherstellen zu müssen und Regulus fand, die Dunkelheit müsse einen Vorteil haben.
Vielleicht war alles eine Ansichtssachte. Konnte man Licht und Dunkelheit überhaupt völkerrechtlich definieren? Regulus bezweifle es. Sie lebten in einer Welt, die versuchte, alles zu definieren, in Gesetzen festzuhalten. Vorzuschreiben.
Wer aus der Reihe tanzte, wurde gebrandmarkt. Für die Ewigkeit.
Zwei Seiten, einander befehdend, seit der Mensch behauptet hatte, dass es so etwas wie Licht und Dunkelheit gab. Existierten aber Tag und Nacht nicht schon viel länger? Sie taten es und selbst wenn sie versuchten, einander zu erobern, hatten sie sich auf einen Kompromiss geeinigt. Die Dämmerung, die beide einigte, die beide in ein Gleichgewicht brachte.
Regulus war aber zu keinem Kompromiss bereit. Vielleicht wäre er es, wenn die Auroren und ein Teil des Zaubereiministeriums nicht so arrogant wären. Wenn sie nicht so überheblich, so selbstgerecht wären und glaubten, sie wären die personifizierte Gerechtigkeit.
Er hatte sie zu hassen gelernt. Und er hasste sie. Oh ja, er hasste sie.
Diese Schlammblutfreunde, Blutsfeinde und Verräter. Wieso war es so schwer zu verstehen, dass das reine Blut das höchste Gebot auf Erden war? Und auch wenn das Blut bei allen rot war... Reinheit drückte sich nicht in der Farbe des Bluts aus.
Mit der Reinheit des Blutes wurde einem eine kostbare Ehre zuteil, die dieses Gesindel nicht zu schätzen gelernt hatte.
Plötzlich riss Regulus ein Geräusch aus seinen Gedanken. Das Geräusch von sehr leisen, schnellen Schritten.
Er ließ sich nicht beirren, blieb auf der breiten, ins Mondlicht getauchten Fensterbank sitzen und schaute hinaus.
Er höre, wie die Schritte näher kamen. Behände waren sie, flink. Wer auch immer die Person war, sie kam näher und näher. Er blickte auf den Flur, aber er sah niemanden.
Regulus runzelte seine Stirn. Dieser Jemand müsste längst in seiner Sichtweite sein, eigentlich nahezu auf seiner Höhe.
Die Schritte hörten abrupt auf.
Er starrte auf den Flur, versuchte angestrengt, etwas zu sehen, wo es nichts zu sehen gab, und ließ meine Hand zu seinem Zauberstab gleiten. Misstrauen war immer besser, als Vertrauen.
Dann sah Regulus, wie eine Hand wie aus dem Nichts in der Luft erschien. Und zwei Sekunden später hatte Sirius den Tarnumhang von seinen Körper gezogen. Den musste er von Potter ausgeliehen haben. Es ging das Gerücht um, dass Potter einen besaß.
„Regulus!", rief sein Bruder aus und sah ihn an.
Seine schwarzen Haare waren zerzaust und fielen ihm in die Stirn; seine ebenso dunklen Augen funkelten verwegen und ein spitzbübisches Grinsen lag auf seinen Lippen. Das blasse, gutaussehende Gesicht strahlte Unbekümmertheit aus. Und Arroganz. Und noch etwas, das dem Slytherin auffiel.
Regulus lehnte seinen Hinterkopf an den Steinbogen des Fensters und musterte Sirius aus halbgeschlossenen Lidern.
Schatten. Er erkannte Schatten auf seinem Gesicht. In seinen Augen.
Feine Schatten. Leichte. Sie waren kaum wahrzunehmen. Aber sie waren da.
„Hallo, Sirius", antworte Regulus ruhig. Er hob fragend seine Augenbrauen. „Warum bist du nicht auf der gryffindorischen Siegesparty?"
Gryffindor hatte gegen Ravenclaw im Quidditch gewonnen.
Sirius hob die Schultern. „Ich musste einfach mal raus."
„Raus?", wiederholte er argwöhnisch. „Raus aus der Burg?"
Sirius schüttelte den Kopf. Er schloss halb die Augen, sah ihn aus seinen Pupillen an, die vom Mond versilbert wurden, und wirkte auf einmal ausdruckslos. „Raus aus dem Gryffindorturm."
Regulus atmete aus und war erstaunt, dass er nicht überrascht war. Er lächelte flüchtig. „Also fort von diesen Leuten, Sirius", stellte er fest und merkte, wie er zu hoffen begann, obwohl die Hoffnung längst gestorben war.
Sirius warf ihm einen scharfen Blick zu. Die Ausdruckslosigkeit wich. „Was meinst du damit?"
Das wusste Regulus selber nicht so genau. Er hatte nur gemerkt, wie so einiges in diesem Schuljahr anders war, als sonst. Seit jenem verhängnisvollen Streich, den Sirius Snape gespielt hatte. Im Herbst, wo noch wilde Stürme über das Land gefegt hatten. Regulus wusste nicht, was genau vorgefallen war, denn selbst Snape redete nicht darüber. Bekannt war nur, dass Sirius offenbar versucht hatte, den Slytherin umzubringen. Er war sehr erstaunt gewesen, als er es gehört hatte – und irgendwie auch wieder nicht. Sirius war schon immer unbeherrscht gewesen und wenn sein Hass einmal zum Tragen kam, tat er sehr vieles. Regulus hatte aber auch gemerkt, dass die vier sonst so zusammengeschweißten Rumtreiber sich irgendwie voneinander distanzierten. Es war kaum wahrzunehmen, aber ihm selbst war es nicht entgangen. Sirius und James taten vieles nur noch zu zweit; Remus hatte sich besonders am Anfang stark zurückgezogen. Die Gryffindors waren lange Zeit sehr wütend auf Sirius gewesen, welcher seinerseits immer auf der Hut sein musste, da er sich generell keine Fehltritte erlauben durfte.
In Slytherin wurde gemunkelt, dass Sirius seine angeborene, schwarzmagische Seite niemals würde leugnen können, seit sie gehört hatten, dass er Snape hatte umbringen wollen – sei es aus purer Absicht oder aus unüberlegtem Hass und in Wirklichkeit nicht gewollt.
Aber nicht nur in Slytherin wurde es behauptet. Auch in anderen Häusern, einschließlich Gryffindor. Es waren nicht viele, die es sagten. Aber es wurde gesagt.
„Nun... fort von diesen Leuten, die dir genau das unterstellen, wovor du seit Jahren zu fliehen versuchst", antwortete Regulus schließlich auf Sirius' Frage; er sprach schleppend und nachdenklich, wobei er seinen Bruder nicht aus den Augen ließ.
Sirius zog die Augenbrauen zusammen. „Du weißt genau, dass ich auf das Gerede der anderen scheiße."
Regulus nickte langsam. „Ja... ja, das weiß ich. Aber ich weiß nicht, ob diese Leute Recht haben mit dem, was sie sagen."
Schwacher Zorn blitzte in Sirius' Blick auf, ließ die schwarze Iris groteskerweise erhellen. Die Schatten, welche von dem Fackellicht im Gang erzeugt wurden, zeichneten seine Gesichtskonturen nach, den feinen Knochenbau und verdunkelten die helle Haut, während die Himmelslichter der Nacht das Gegenteil versuchten.
Er kam einen Schritt näher, hatte die Fensterbank beinahe erreicht. Aufrichtige Ernsthaftigkeit war es, die aus ihm sprach, als er auf Regulus' Antwort etwas entgegnete. „Sie haben Unrecht, Regulus. Ich hätte gedacht, dass es dir klar geworden ist."
Regulus presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Natürlich. Jetzt schon war Sirius einen Weg gegangen, der ihn unweigerlich von seinen Eltern trennte. Von ihm. Es war ein Weg, den er nach Hogwarts strikt weitergehen würde, die Brücken hinter sich abbrechend, damit ein Rückzug niemals möglich sein würde.
Er mochte nicht daran denken, er hatte es all die Jahre zu ignorieren versucht, hatte gehofft, ersehnt und herbeigewünscht, dass Sirius eines Tages wieder zur Besinnung kommen würde. Aber je älter sie wurden, je näher die Zeit anrückte, in der sie Hogwarts verlassen würden, je größer wurde die Gewissheit: Sirius würde es nicht tun und somit würden sie Feinde werden, sofern sie sich im Kampf unter der Flagge Dumbledores und den Auroren und dem finsteren Banner des Dunklen Lords verwickeln lassen würden.
In einem Jahr würde Sirius die Schule beenden. Ein Jahr mochte aus einer gewissen Sicht lange erscheinen, aber wenn er bisher sechs Jahre ein Rebell geblieben war, würde es etwas geben, was ihn innerhalb nur eines Jahres ändern würde?
Regulus bezweifelte es. Und so musste er weiter Pläne spinnen, um Sirius zurückzuholen. Er würde es noch tun, aber zu gegebener Zeit. Denn wenn sie auf verschiedenen Seiten standen und sich im Krieg begegnen würden... wäre es nicht Verrat, brüderliches Blut zu vergießen, um Prinzipien aufrecht zu halten und nicht zu brechen, an die man glaubte?
Regulus wandte seinen Blick von Sirius ab und schaute wieder hinaus aus dem Fenster. Er war innerlich zerrissen, wenn es um seinen Bruder ging. „Wir werden Feinde sein, wenn wir die Schule verlassen, Sirius."
Er merkte, wie Sirius näher trat und sich an das Steinsims lehnte. Sie berührten sich fast. „Nicht, wenn du dich aus allem raushältst."
Regulus schnaubte und blickte ihn wieder an. Wut kam auf und er verengte seine Augen. „Wirst du dich denn aus allem raushalten?"
Sirius antwortete nicht. Er sah Regulus nur an, ehe er selbst den Blickkontakt brach, nun ebenfalls aus dem Fenster sah, hinauf zu den Sternen, deren Licht sich in den nachtschwarzen Augen widerspiegelte.
Das Schweigen war Regulus als Antwort genug. „Siehst du, Sirius... wenn du es nicht tust, wieso sollte ich es tun?"
„Weil du auf der falschen Seite stehst!", zischte Sirius plötzlich, starrte Regulus wieder an und packte ihn grob am Oberarm. „Weil es nicht richtig ist, was du tun würdest, wenn du dich auf diese schwarzmagische Seite stellst!"
„Lass mich los!", presste Regulus erzürnt hervor und riss sich mit einem Ruck los. Er gab Sirius einen Schubs. „Und erzähl mir nicht, dass ich auf der falschen Seite stehe! Du stehst auf der falschen Seite, du jämmerlicher Blutsverräter!"
Es dauerte keine Sekunde und Sirius hatte seinen Zauberstab gezückt und bohrte die Spitze gegen Regulus' Brust. Groll umwölkte ihn, ließ ihn bedrohlich erscheinen. „Warum kannst du es nicht erkennen, du Idiot?", stieß er erhitzt hervor. „Merkst du nicht, dass es falsch ist, nach etwas zu gehen, was man sich nicht aus eigener Leistung verdient hat? Kapierst du nicht, dass es nur Zufall ist, dass in uns dieses scheiß reine Blut fließt? Dass wir auch in eine Mugglefamilie hinein geboren hätten können?"
Regulus biss seine Zähne zusammen, die Hände waren zu krampfhaften Fäusten geballt. „Du bist es, der nichts versteht! Du bist es, der das reine Blut entehrt, der sich noch nicht einmal für seine eigene Familie interessiert!"
Sirius lachte auf, abfällig und kurz. „Wieso sollte ich, wenn diese niemanden akzeptiert, der nicht so denkt wie sie?" Er stieß einen langen Atem aus, ließ seinen Arm sinken und bedrohte Regulus somit nicht mehr mit dem Zauberstab.
Frustration huschte über seine Augen hinweg, dicht gefolgt von Resignation. Er trat einen Schritt zurück. „Ach, vergiss es. Es... es lohnt sich nicht, darüber zu diskutieren."
Regulus legte seinen Kopf schief und schloss seine Augen zu Halbmonden. Seine Wut war noch da, aber durch die Erkenntnis von Sirius' hilfloser Frustration geschwächt. „Das mag sein. Es ist die Welt, die Gesellschaft, die uns trennt, Sirius."
Ein flüchtiges Lächeln flog über dessen Lippen. Es schien traurig, irgendwie wehmütig; der Blick wurde nicht davon erreicht. „Und niemand tut etwas dagegen."
Regulus schüttelte den Kopf. „Nein, niemand. Stattdessen geht jeder seiner Wege, darum bemüht, seine Ansichten zu verteidigen, wobei er die Abgründe zwischen sich und seinem Feind nur weiter aufreißt. Aber weißt du, warum sie uns so einfach zu trennen vermögen? Weil du derjenige bist, der von uns beiden der Verräter ist. Du bist derjenige, der sich gegen mich und den Rest der Familie wendet. Du, Sirius, nur du. "
Es mochten harte Worte sein, aber er meinte jedes einzelne bitterernst. Er zürnte seinem Bruder deswegen, konnte nicht verstehen, wie dieser seine Familie und sein Blut verriet und lieber mit dem Feind hofierte.
Er hatte erwartet, dass sein Bruder dagegen aufbegehrte, aber diese müde Resignation schien stärker zu sein. Der Ausdruck in dessen Augen war stumpf geworden, der Zug um seinen Mund bitter. „Merkst du denn nicht, wie du dir selbst widersprichst, Regulus?", fragte Sirius mit leiser, vor Ausdruckslosigkeit übermannter Stimme. Die Schatten der Fackeln sammelten sich in der Grube seines Schlüsselbeins, das Licht der Sterne vermochte selbst aus der weiten Ferne sein Gesicht zu streifen. „Indem du die Familie und ihre Prinzipien heiligst, das Toujours pur stets aufrecht zu halten versuchst, wirst du selbst zum Verräter, weil du einen der Deinen nicht billigst."
Regulus wurde aufgebracht. „Aber das tue ich! Ich würde dich akzeptieren, wenn du nur... wenn du nur deine Denkweise ändern würdest!"
Sirius hob leicht die Augenbrauen. Enttäuschung blitzte in den Pupillen auf, leicht nur, kaum zu erfassen, denn die anfängliche Feindseligkeit war dabei, stärker zu werden, auf Vormarsch zu gehen, um dem Hass zwischen zwei Brüdern den Weg zu ebnen.
„Nenn mich Blutsverräter, so oft du willst, Regulus. Vergiss nur nicht, dass du selber einer bist. Wer ein Familienmitglied nicht akzeptiert, so, wie es ist, verrät dieses ebenfalls. Somit verrätst du, um aus deiner Sicht zu sprechen, das reine Blut." Sirius lächelte wieder, aber seine Augen blieben unberührt davon; nicht einmal ein Aufglitzern, ein schwaches Funkeln, wie ein Morgentropfen im sanften Lichte der Morgensonne machte sich bemerkbar. „Ist es nicht lustig, dass wir dann in Wahrheit sehr wohl gleich sind? Und ist es nicht paradox, dass wir trotzdem auf verschiedenen Seiten stehen, obwohl wir demnach beide Blutsverräter sind? Nur... jeder auf seine eigene Weise?"
In Regulus explodierte der Zorn mit so einer Wucht, dass er sie nicht mehr kontrollieren konnte. Auch wenn er immer beherrscht war, so vermochte er es nicht mehr, seinen Verstand handeln zu lassen, sondern nur noch sein Herz.
Er sprang nämlich von der Fensterbank, behände und doch stürmisch, warf sich beinahe schon auf Sirius; diese Geschwindigkeit ließ beide stolpern, aber Regulus schaffte es noch, die Oberhand zu behalten, so dass er Sirius gegen die Wand drücken konnte.
Sein Atem ging schnell, Wut durchwallte seine Venen und brachte sein Blut zum Kochen; in seinen schwarzen Augen blitzte es hell und aggressiv auf. „Ich bin nicht wie du!", zischte er erzürnt. „Ich bin nicht wie du, Sirius! Und ich werde auch niemals so sein wie du, denn so tief werde ich niemals fallen!"
Zornig starrte er seinen Bruder an, welcher böse zurückschaute. Er stieß Sirius noch einmal grob gegen die Wand, ehe er ihn losließ und einen Schritt zurückwich. „Du wirst schon sehen, was du von deiner beschissenen Freundschaft zu Potter hast! Sie wird dich noch alles kosten, was du besitzt!" Er wurde verächtlich und erbittert. „Und glaube mir, Sirius, damit meine ich nicht das Materielle!"
Sein Herz klopfte heftig gegen seine Rippen, dass er glaubte, es würde sie zum Zerbersten bringen. Er hörte sein eigenes Blut in den Ohren rauschen und verspürte den damit verbundenen Schwindel.
Sirius lehnte sich gegen die Wand; sein Gesicht war sturmumwölkt, sein Blick unendlich finster, dass er jegliche Lichtreflektionen zu bannen schien. „Schön, Regulus", fing er höhnisch an. „Und ich wette mit dir, dass du ebenfalls alles einbüßen wirst, was du zu erringen versuchst. Ich wette mit dir, dass du letztendlich im Leben verlieren wirst."
Regulus biss die Zähne zusammen. Wieso konnte Sirius es denn nicht kapieren? Wieso verstand er nicht, dass er auf der völlig falschen Seite stand? Aber er unterließ es, noch irgendetwas zu sagen, um seinen Bruder zu überzeugen.
Stattdessen bemühte er sich um Kälte und Hohn, denn er wollte nicht als der Unterlegene wirken. Er lächelte nun, schwach nur, aber herablassend.
Er merkte nicht, dass Wolken am Himmel aufgetaucht waren, dass die Sterne verdeckt wurden. Er konnte nicht bemerken, wie das Licht dieser Himmelsgestirne verschluckt und es so unmöglich wurde, sich in finsterster Nacht nach etwas Hellem zu richten, weil er mit dem Rücken zum Fenster stand.
„Die Wette gilt, Sirius."
A/N:
Und, wie fandet ihr das Kapitel?
Ich habe lange mit mir gerungen, wie ich das mit Sirius und Remus mache. Sie miteinander reden lassen oder nicht? Erst fand ich, dass es vielleicht besser wäre, sie nicht miteinander reden zu lassen. Dass Sirius mit Remus gar nicht darüber reden WILL und somit alles nur noch schlimmer macht. Aber das wäre wohl sehr feige gewesen und so schätze ich Sirius nicht ein. Zumal Remus ihn sicher abgefangen und mit ihm darüber geredet hätte. So haben sie nun darüber gesprochen und erst dachte ich, dass es vielleicht unlogisch sei, dass Remus sich DANN immer noch mit Sirius schwer tut, aber... es ist logisch, finde ich nun. Auch wenn sie sich zum Teil ausgesprochen haben, so reichen Worte nicht aus, um diese Sache vergessen zu machen. Viele Jahre später ja, aber nicht jetzt.
DANKE FÜR EURE REVIEWS! Ihr seid immer noch in meiner Schatzkammer und da bleibt ihr auch!
WIE, IHR WOLLT DA WIEDER RAUS?
