Rückwärts in die Dunkelheit

Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

(- die letzten Worte eines Sterbenden.)


24. Kapitel

Teil 2

Sternenschimmer


"Richte dich nach den Sternen.
Wenn du glaubst, dich in Dunkelheit verlieren zu können."

(- unbekannt)

Sirius blieb abrupt stehen, als er den Wohnsaal von Grimmauld Place Nr. 12 betrat und eine kleine Ansammlung von Todessern vorfand.

Bellatrix, ihr Verlobter Rodolphus Lestrange, dessen Cousin Aryan und Lucius Malfoy.

Regulus war bei ihnen, der sie auch offenbar begrüßt hatte. Ihre Eltern waren nicht zu Hause.

Silbrige Fackeln spendeten genügend Licht, von außen drangen helle Sonnenstrahlen durch die hohen Fenster und tauchten den Saal in milden, goldenen Schein. Aber die Düsternis, die in dem Haus vorherrschte, ließ sich niemals vollständig vertreiben. Wie eine schwarze Gewitterwolke hing sie in allen Räumen, wie ein finsteres Grau ließ sie das Licht zwar gewähren, machte aber durch ihre dunklen Schatten unmissverständlich klar, dass sie durch nichts auf der Welt weichen würde.

Der Wohnsaal war luxuriös eingerichtet. Der polierte Marmorboden glänzte in Schwarz, in derselben Farbe war die Garnitur. Im großen Kamin glimmte ein schwaches Feuer.

Die Todesser mussten gerade erst gekommen sein, denn sie standen noch alle inmitten im Raum. Als Sirius ihn betreten hatte, hatten sie sich umgedreht.

Sirius spürte ihre Blicke wie feine Nadelstiche.

„Sirius", zischte Bellatrix mit kalter, verächtlicher Stimme. Ihre schwarzen Haare waren in Flechten am Hinterkopf zusammengebunden. Ihr schlanker Körper war in eine figurbetonte Robe aus dunkler Seide gehüllt, deren Ärmel lang und weit waren. Ihre großen, schwerlidrigen Augen waren schmal geworden; im stürmischen Grüngrau tobte der Hass.

„Hallo Bella", grüßte Sirius zurück und bemühte sich um einen herablassenden Ton. In Wahrheit war er innerlich angespannt.

„Lange nicht gesehen, Sirius", meinte Lucius nun im gewohnten kühlen, stets arrogant und lauernd klingendem Ton. Sein silberblondes Haar war schulterlang, es hob sich zusammen mit seiner Blässe vom Schwarz der Todesserkutte ab und schimmerte.

„Halt's Maul, Malfoy", blaffte Sirius ihn an.

„Wohlerzogen, wie eh und je", grinste nun auch Aryan. Seine Stimme klang leise und lauernd, umhaucht von illusionärer Sanftheit. Wie immer.

Sirius sah ihn an. Er hatte den jungen Mann lange nicht gesehen, doch er schien sich kaum verändert zu haben.

Auf seinem ebenmäßigen, fein geschnittenen Gesicht mit den hohen Wangenknochen lag Ausdruckslosigkeit. Sein dunkles, fast schwarzes Haar hatte er in kurzen Haarsträhnen, die spitz zuliefen, konfus in alle Richtungen gestylt. Die blasse Haut kontrastierte mit dem Haar; der Gegensatz verlieh ihm etwas Finsteres. Aber die langen, dichten Wimpern, die ihm etwas Mädchenhaftes gaben, milderten es ein wenig. Die hellen, fast bleichen, grünen Augen waren schwarz umschminkt. Wie immer.

Auch sein hochgewachsener, schlanker Körper war in eine Todesserkutte gehüllt; Rodolphus trug ebenfalls eine.

„Los, verpisst euch von hier", forderte Sirius im aggressiven Ton. Seine rechte Hand legte sich auf seinen Zauberstab, bereit, ihn jederzeit zu ziehen.

„Hier verpisst sich niemand", entgegnete Lucius gelassen, dunkle Belustigung schwang in seiner Stimme mit.

Sirius wurde wütend. „Ich denke nicht, dass du hier im Hause Black das Sagen hast, Blödmann!"

Lucius hob beschwichtigend die Hände. „Sicher nicht", lächelte er. „Aber wir sind Gäste."

„Gäste von wem?", blaffte Sirius.

„Von Regulus."

Sirius starrte Lucius an, dann sah er langsam zu seinem Bruder. Dieser schaute zurück, dessen Blick war leicht herausfordernd, ein wenig nebulös.

Sirius wusste, dass er sie alle schlecht rausschmeißen konnte. Er war eh in der Unterzahl. Er war allein. Auf Regulus, glaubte er, konnte er nicht zählen.

So machte er ein finsteres Gesicht. „Na gut, dann bleibt", knurrte er. „Und plant schön weiter eure dämlichen Todesserpläne! Früher oder später landet ihr eh in Askaban und dann verreckt ihr allesamt hoffentlich!"

Er drehte sich um und ging zur Tür des Wohnsaals.

„Also, offensichtlich hast du im letzten Schuljahr auch alles dran gesetzt, nach Askaban zu kommen", hielt Bellatrix' scheinheilig klingende Stimme ihn auf.

Sirius blieb abrupt stehen, mit dem Rücken zu ihnen.

„Ich hab gehört, wie du versuchst hast, Severus umzubringen", fügte sie hämisch hinzu. „Ja, ja, Sirius... wie es scheint, bist du doch nicht der strahlende Held für die Weiße Magie, hm? Du musst mehr dunkles Potential in dir besitzen, als du immer allen weismachen willst."

Sirius ballte seine Hände zu Fäusten. Er atmete tief durch, ehe er sich zu Bellatrix umdrehte.

Sie stand dort, ihn aus großen Augen fixierend, in denen es vor Hohn und Spott nur so glitzerte. Ihr Mund war zu einem boshaften Lächeln verzogen. „Ooooh, wird der kleine Sirius jetzt wütend?", fing sie plötzlich mit einer nachgeahmten Babystimme an.

Sie lachte und die anderen – bis auf Aryan – stimmten mit ein. Regulus hörte immerhin als Erster wieder damit auf.

Sirius' Hand hatte sich derweil auf seinen Zauberstab gelegt. Nicht aufregen, redete er sich ein. Nicht aufregen, genau das will diese Schlampe doch. Wende einfach ihre Waffen an.

Leichter gesagt, als getan, aber immerhin versuchte Sirius es. Er rang sich ein bissiges Grinsen ab. „Nun, Bella... dann solltest du dich in Acht nehmen", knurrte er. „Potentielle Mörder reizt man besser nicht. Mach ruhig weiter so und ich werde in die Geschichte als der Junge eingehen, der seine eigene Cousine tötete."

Stille folgte als Antwort. Lodernde Stille, die bereit war, zerstörerisches Feuer zu entfachen.

Danach schien die Hölle auszubrechen. Bellatrix, die ebenfalls absolut keine Meisterin der Beherrschung war, kreischte zornig auf, zückte ihren Zauberstab und feuerte einen Cruciatus-Fluch auf Sirius.

Dieser wich aus, hatte seine Waffe gezogen und schleuderte ihr viele, heiße Feuerfunken entgegen, welche sie im Gesicht trafen und ihre Haut verbrannten.

„AAAAAAAHHH!", schrie Bellatrix entsetzt und voller Schmerz.

Lucius feuerte den Crucio ab, Sirius ging wieder rechtzeitig in Deckung und benutzte den Expelliarmuszauber. Er tat es mit einer solchen Heftigkeit, dass ein gewaltiger roter Blitz aus seinem Zauberstab entsandt wurde. Lucius duckte sich spielerisch und der Fluch prallte gegen die Terrassentür. Es gab ein lautes Klirren, als das Glas zerbarst.

Bellatrix benutzte einen Feuerzauber, der direkt vor Sirius' Füßen auftraf und den Teppich in Brand setzte.

Rodolphus hatte sich vorgekämpft und warf sich einfach auf Sirius. Sie fielen zu Boden, eine augenblickliche Schlägerei entstand.

Crucio!", rief Lucius, der die Unachtsamkeit des Gryffindors ausnutzte und Sirius keuchte auf.

Schmerz traf ihn, so sehr, dass er es kaum aushielt. Quälende Wellen durchfuhren seinen Körper, hinterließen unsichtbare Brandmarken, durchfolterten Körper und Seele. Sirius hatte Schwierigkeiten beim Atmen.

Rodolphus schlug weiter auf ihn ein. Erbarmungslos und ohne Mitleid.

Der Cruciatusfluch brach auf einmal ab; Lucius schien zu protestieren, aber Sirius nahm es nur wie durch einen Nebel war. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepumpt, als Rodolphus ihm seine geballte Faust in den Magen boxte. Er rang nach Sauerstoff und versuchte, den Todesser von sich zu stemmen.

Im Hintergrund wurde herumgebrüllt, offenbar war ein Streit zwischen Bellatrix und Lucius auf der einen und Aryan auf der anderen Seite entstanden. Regulus schien alle wegen der Verwüstung des Wohnsaals anzumeckern und versuchte anscheinend das Feuer zu löschen.

Sirius schaffte es inzwischen, halbwegs zurückzuschlagen, war aber noch zu geschwächt vom Cruciatus.

STUPOR!", brüllte jemand plötzlich, der Fluch galt wohl nicht Sirius, verfehlte und zerstörte den Kamin.

„AAAW!" Das schien Regulus zu sein. „SPINNT IHR? MOM WIRD UNS ALLE UMBRINGEN!"

Das Chaos herrschte. Geboren aus Hass, durchlebt von Hass.

Dann wurde Rodolphus wegzerrt; Sirius verspürte kein Gewicht mehr auf sich und schnappte nach Luft. Er rappelte sich auf; Blut lief aus seiner aufgeplatzten Unterlippe und seiner Nase. Ihm war übel und sein ganzer Körper schien zu schmerzen.

Aryan war es, der Rodolphus weggezogen hatte.

Bellatrix schrie wütend auf Aryan ein, der diese mit einem Bein- und Armklammerfluch belegt hatte. Lucius war soeben dabei, sie davon zu befreien.

Regulus schimpfte und versuchte nach wie vor, das Feuer zu vernichten, die Terrassentür wieder herzurichten und den Kamin in Ordnung zu bringen.

Sirius sah sich um. Rauchschwaden erfüllten die Luft, das Feuer hatte einen guten Teil des schwarzen Teppichs zerstört. Das Herumgebrülle im Hintergrund, die Glasscherben, der völlig zerstörte Kamin...

Bellatrix war von dem Fluch befreit und drauf und dran, Aryan die Augen auszukratzen. Lucius hielt sie am Arm gepackt zurück. Rodolphus befreite sich aus Aryans Griff und verpasste ihm einen Kinnhaken. Regulus hatte seinen Zauberstab auf den Kamin gerichtet und probierte einen Wiederherstellungszauber. Es klappte nur halbwegs. Das Feuer hatte er einkesseln können, so dass es sich zumindest nicht mehr ausbreitete; aber er schien Schwierigkeiten damit zu haben, es zu löschen.

Sirius fragte sich, welche Diskrepanzen Aryan mit den anderen hatte. Denn die schien er offensichtlich zu haben. Dass er – Sirius – der Grund, oder ein Mitgrund war, war ihm klar, aber inwiefern...?

Schließlich, inmitten des ganzen Durcheinanders tauchte auf einmal Mrs Black auf. Sie fing augenblicklich an zu kreischen, herumzuzetern und war nahe dran, sie alle ins nächste Universum zu hexen.

„OH, BEI ALLEN DUNKLEN MÄCHTEN! WIE SIEHT ES DENN HIER AUS? WAS IST DENN HIER PASSIERT?", brüllte sie. „HIER SIEHT ES JA WIE AUF EINEM SCHLACHTFELD AUS!"

Sie alle hatten inne gehalten und starrten die zornige Hexe an.

Sirius wischte sich mit dem Handrücken das Blut von seinem Mund, als seine Mutter zu ihm herum wirbelte. Wütenden Blickes fixierte sie ihn. Es war offensichtlich, dass sie ihm jetzt schon die Schuld gab, ohne überhaupt hinterfragt zu haben.

Sie holte tief Luft, um eine weitere Schimpftirade über ihren Ältesten loszulassen.

Und Sirius fing an zu lachen.

xx

Sirius ging einige Tage danach am späten Abend durch Zufall am Büro seines Vaters vorbei, als er seinen Namen hörte.

„Ich sag's dir, wir wenden den Imperiusfluch an! Anders können wir mit Sirius nicht mehr umgehen!", keifte seine Mutter gerade. Die Stimme klang gedämpft durch die Tür.

Sirius blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf die geschlossene Tür. Die Augen waren weit aufgerissen.

Was?

„Aber...", fing sein Vater mit ruhiger, jedoch schattenhafter Stimme an, aber seine Mutter redete sich weiter in Rage.

„Der Junge ist völlig außer Rand und Band! Das war er schon immer und das weißt du! Was haben wir nicht schon alles versucht! Sogar Durmstrang hat nichts gebracht! Sirius ist ein Rebell! Er ist... ach, wenn ich nicht wüsste, dass ich ihn geboren habe, würde ich glauben, er sei gar nicht unser Sohn! Oh nein, jetzt hilft nur noch der Imperius! Gryffindor samt Potter verderben ihn! Wieso kann er nicht so sein wie Regulus?"

„Ich bin dagegen", sagte Sirius' Vater sachlich. „Der Fluch wird ihn zerstören. Seinen Verstand zunichte machen."

„Also-"

Diesmal war es Mr Black, der unterbrach. Und er tat es mit einer solch' kalten Stimme, dass wohl jeder verstummt wäre. „Nein. Wir wenden nicht den Imperius an unseren eigenen Sohn an! Er ist noch dazu der Erstgeborene und dazu verpflichtet, das Erbe anzutreten."

„ABER DAS WIRD ER NICHT", schrie Mrs Black außer sich. „SIEHST DU ES DENN NICHT? ER VERABSCHEUT UNS! UNS! OBWOHL ER DERJENIGE IST, DER VERABSCHEUUNGSWÜRDIG IST! DIESER MIESE KLEINE VERRÄTER!"

„Verdammt, wie soll er unsere Dynastie weiterführen, wenn er verrückt geworden ist, dadurch, dass wir ihn unter den Imperius gesetzt haben?", fuhr Mr Black seine Frau gereizt an. „Als Black muss er über einen messerscharfen Verstand verfügen! Tritt er das Amt des Oberhauptes an, wird er Feinde haben. Gefährliche Feinde! Und wenn er schwach geworden ist durch den Fluch, werden ihn alle ausnutzen und somit wird unsere Familie fallen! Nein. Der Imperius kommt nicht in Frage. Und ich dulde keine Widerrede mehr!"

Sirius hörte, wie seine Mutter schnaubte. Er stand immer noch wie erstarrt vor dem Büro und konnte kaum fassen, dass sie ernsthaft in Erwägung zog, ihn unter den Imperiuszauber zu stellen. Wie konnte sie nur? Er war ihr eigener Sohn!

Aber..., so fiel ihm ein, er war ein Black. Er war in erster Linie immer ein Black für sie und in zweiter Linie erst ihr eigener Sohn. Was zählte, war immer die Familie. Die dunklen Prinzipien. Die Dynastie. Und wenn es galt, diese zu retten, waren alle Mittel in Ordnung.

Sein Vater hatte natürlich Recht. Ihn, Sirius, unter so einen Fluch zu stellen würde den Untergang der Familie bedeuten, es sei denn, Regulus würde rechtzeitig die Fäden an der Macht an sich ziehen.

„Und was schlägst DU vor?", verlangte Mrs Black von Sirius' Vater zu wissen. Sie klang zornig. „Was ist denn DEINE Idee? Oder willst du weiterhin tatenlos zusehen, wie sich unser Sohn von uns abwendet und sich auf die feindliche Seite schlägt?"

„Nein", lautete die berechnende Antwort. „Ich hatte gehofft, dass Sirius sich uns aus freien Stücken wieder anschließt, aber... darauf kann ich nicht mehr bauen. Vielleicht schon, aber die Zeit wird knapp."

Sirius fragte sich, wieso die Zeit dafür denn ablief.

Sein Vater fuhr fort. „Ich bin an ein Rezept eines Zaubertrankes gekommen." Seine Stimme hatte einen verschwörerischen Klang angenommen. „Er lässt vieles vergessen. Dinge, die passiert sind, ja, aber in erster Linie lässt er Meinungen vergessen. Eigene Meinungen. Eigene Argumente. Und er ersetzt sie durch neue, je nachdem, welchen Zauberspruch man bei der Erstellung des Trankes annimmt. Ich werde den Trank morgen fertig haben und jene Zaubersprüche anwenden, die unserem Sohn unsere eigenen Meinungen geben werden. Er wird vergessen, dass er einmal rebellisch gedacht hat und ohne, dass sein Verstand eingeschränkt wird, wird er wieder seinen richtigen Platz als ein Black, als ein Erstgeborener einnehmen."

Sirius konnte kaum glauben, was er da vernahm. Sein Kopf war wie leergefegt. Sein Herz schien kurz vor Schock ausgesetzt haben, dann schlug es weiter, schnell und hart, es echote in seinen Ohren wider.

Er versuchte zu realisieren, was er gehört hatte, er verstand die Bedeutung, aber...

„Das... das hört sich wunderbar an", sagte seine Mutter mit einem Zögern. Begeisterung schien sie allmählich zu übermannen. „Sehr... sehr geschickt. Aber wie wird Sirius sich dann erklären, dass er in Gryffindor gelandet ist? Und dieser Potterjunge wird ihm alles erzählen, was früher einmal war... dass sie befreundet waren, dass Sirius anders dachte. Was dann?"

„Ich werde heute Nacht noch bei der nächsten Phase der Fertigstellung des Trankes einen Zauberspruch anwenden, der Sirius dann klarmachen wird, dass er Potter alles vorgespielt hatte. Dass er sich auf mein Geheiß nach Gryffindor hatte schicken lassen, um den Feind kennen zu lernen. Um sich mit ihn anzufreunden. Um ihn auszuspionieren. Denn ein Feind kann nur bekämpft werden, wenn man ihn kennt."

„Oh!", jauchzte Mrs Black hingerissen. „Das- das ist PERFEKT!"

Mr Black murmelte eine Zustimmung. „Es war nicht einfach, an das Rezept zu kommen. Und den Trank zu Brauen ist ungeheuer kompliziert. Aber... es wird schon funktionieren."

Auch wenn Sirius es nicht sehen konnte, er konnte es sich ausmalen, wie sein Vater verschmitzt lächelte und seiner Mutter zuzwinkerte.

Ihm war schlecht. Richtiggehend übel.

„Morgen wird der Trank fertig sein und wir werden ihn in seinen Becher zum Abendessen geben. Er ist geschmacklos, er wird es nicht merken", fuhr Mr Black fort.

Da schwang etwas in dieser kalkuliert klingenden Stimme mit, etwas Dunkles, Trauriges. Als ob er es bedauerte, zu solchen Mitteln überhaupt greifen zu müssen. Als ob er sich sehnlichst gewünscht hätte, dass sein Erstgeborener sich freiwillig zu ihnen gesellte. Als ob eine Spur der Reue in ihm floss, weil er als Familienoberhaupt nicht seines Sohnes Entscheidung akzeptieren konnte. Weil er nicht wie ein Vater, sondern wie ein Führer einer altehrwürdigen Familien-Dynastie zu handeln gezwungen war.

Aber Sirius nahm es gar nicht wahr. In seinem Kopf herrschte immer noch furchtbare Leere; eine kalte Klaue wollte nach seinem Herzen greifen, um sie in ewiges Eis zu schließen.

Er verharrte noch wie zu Stein erstarrt auf dem Fleck, wo er stand... dann überkam ihm die Welle der Realität so sehr, dass ihm plötzlich eines ganz klar bewusst wurde: er musste weg von hier. So schnell es ging. Am besten noch diese Nacht.

Sirius riss sich zusammen und huschte ungesehen fort, zurück in sein Zimmer. Ein Druck lastete in ihm, auf seinem Herzen, so stark, dass er es kaum noch aushielt.

Sicher, er hatte schon oft Zwist mit seiner Familie gehabt. Er hatte so oft Streit gehabt und oftmals Hass empfunden. Aber irgendwo hatte bisher immer noch die Schule zwischen ihnen gestanden, als eine Art Brücke, so paradox es auch war. Hogwarts zeichnete all das aus, was später nicht mehr sein würde: Schutz, Ignoranz vor dem, was danach kommen würde. Hogwarts bedeutete immer noch, dass er nicht volljährig war, dass der Ernst des Lebens ihn noch nicht ergriffen hatte, dass er sich eine Welt aufbauen konnte, die es nicht gab, aber in die er sich doch zu flüchten vermochte. Hogwarts bedeutete Unbekümmertheit. In gewissen Maßen zumindest. Auch dort gab es Grenzen. Aber sie waren weit gesteckt.

Doch nun... nun, mit diesem so kalten Plan seines Vaters, der doch bewies, dass sie ihn nicht liebten, sondern nur einen pflichtbewussten Erben wollten, waren Sirius alle Illusionen genommen worden. Ihm war klar geworden, dass es die harte Realität gab, ganz gleich, ob er noch Hogwarts besuchte oder nicht. Dass seine Eltern alles daran setzen würden, ihn zurückzuholen... und dass er mit ihnen brechen musste, wenn er nicht so werden wollte, wie sie.

Welches Recht hatten seine Eltern, über seinen eigenen Willen zu verfügen? Einen beachtlichen Teil seiner Persönlichkeit auszulöschen? Aus ihm jemanden zu machen, der er nicht war? Welches Recht?

Sirius lief fassungslos, wütend und erbittert in seinem Zimmer auf und ab. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, einer ohnmächtigen Geste gleich.

Sie hatten kein Recht dazu! Sie wären entsetzt, wenn jemand dasselbe mit ihnen tun würde! Sie nannten ihn ihren Sohn und doch waren sie dazu bereit, ihm seine Seele zu nehmen?

Sirius atmete aus, aber der schmerzende Druck verschwand nicht. Er lastete sehr auf ihn. Schließlich blieb er am Fenster stehen.

Die Sterne funkelten am Sommernachtshimmel. Weit entfernt, sandten sie ihm ihr Licht zu.

Wieso?

Eine stumme, einfache Frage formte sich in seinem Kopf, auf die er keine Antwort fand.

Der Sterne Licht spiegelte sich in seinen Augen wider. Doch obwohl sie sie erhellten, blieb es dunkel in ihm.

xx

Von irgendetwas wurde James langsam, aber sicher wach. Er brauchte eine Zeit, bis er realisierte, dass es ein leises, aber beständiges Klopfen an seinem Fenster war.

Schlaftrunken hob er den Kopf und blinzelte.

Mann, welcher Idiot war das denn jetzt?

Er seufzte, rieb sich die Augen und schlug die warme Decke weg. Dann stand er auf, schlurfte zum Fenster und schob die Vorhänge beiseite. Er sah schattenartige Umrisse, die das Mondlicht nachzeichnete. Jemand saß auf einem Besen, vor James' Fenster schwebend, und klopfte.

James erkannte Sirius beinahe sofort. Er riss die Augen auf; schnell öffnete er das Fenster und grinste breit.

„Padfoot!", rief er leise, aber erfreut aus. „Mensch, Alter, du hier! Komm rein!"

Sirius flog elegant hinein, landete und stieg ab. Er lehnte den Besen gegen die Wand, und James bemerkte den großen Rucksack, den sein Kumpel gerade abnahm und zum Rennbesen stellte.

James runzelte die Stirn, ging auf Sirius zu und legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulter. „Ist was passiert?", erkundigte er sich, nun leicht alarmiert.

Er erstarrte ein wenig, als Sirius sich umdrehte. Obwohl er ein flüchtiges Lächeln auf den Lippen hatte, blieb sein Blick davon unberührt; die schwarzen Augen waren düster und von einer finsteren Bitternis erfüllt, die feinen Gesichtszüge wirkten eingefroren.

James ließ seine Hand langsam sinken. Stumm sah er Sirius an.

Ein paar Augenblicke des Schweigens zogen vorüber, still, beinahe unheimlich.

„Kann ich in den Ferien bei dir bleiben, Prongs?", fragte dieser schließlich. Ausdruckslosigkeit herrschte vor.

James neigte den Kopf leicht zur Seite und musterte Sirius aus halbgeschlossenen Lidern. Aufmerksam versuchte er jede Regung wahrzunehmen, die Sirius sich gestattete, sowie jede Emotion, die der Junge zu verbergen versuchte.

„Natürlich", antwortete er. Sirius war hier immer willkommen, da brauchte er seine Eltern auch nicht extra zu fragen. Sie mochten ihn, das wusste James. Sie mochten ihn trotz der Tatsache, dass er ein Sohn von Schwarzmagiern war und hatten ihn gerade deswegen besonders ins Herz geschlossen, weil er den Mut hatte, sich dagegen zu stellen und dennoch unbekümmert zu bleiben.

Sirius schien keine andere Antwort erwartet haben. Und dennoch glitzerte für einen kurzen Moment die Erleichterung in seinen Augen auf. Aber viel zu schnell wurde sie wieder von den Schatten verbannt, die offenbar in ihm vorherrschten.

James trat zurück, ließ sich auf sein Bett sinken und lehnte sich nach hinten, auf seine Hände gestützt. „Du kannst dich auch setzen, Padfoot."

Sirius nickte abwesend, rührte sich jedoch nicht vom Fleck. Er war halb in Mondschein eingetaucht, das durch das Fenster fiel; James hatte es wieder geschlossen, die Vorhänge aber nicht mehr zugezogen.

Das nächtliche Licht versilberte ein wenig Sirius' schwarze Haare, die vom sanften Wind draußen zerzaust waren und ihm in gewohnt lässiger Eleganz in die Stirn fielen. Es zeichnete seine Konturen nach, ließ ihn von innen heraus leuchten, um die Blässe zu verschönern.

„Was ist denn los?", fragte James erneut. Besorgnis schwang in seiner Stimme mit. Irgendetwas war definitiv vorgefallen, denn Sirius wirkte völlig neben der Spur. Er klopfte auf sein Bett. „Setz dich endlich, Kumpel."

Diesmal schien Sirius sich einen Ruck zu geben, denn es kam Bewegung in ihn. Er schritt auf das Bett zu und ließ sich neben James darauf nieder.

Da Vollmond war, wurde das Zimmer ausreichend erhellt, so dass James nicht auf die Idee kam, noch zusätzliches Licht zu machen. Er konnte Sirius gut erkennen.

„Stress zu Hause? Ärger mit den Eltern? Wissen sie überhaupt, dass du hier bist?" James war ungeduldig, aber er wollte es nicht zu offen zeigen, denn ihm war diese Niedergeschlagenheit nicht entgangen, die Sirius ausstrahlte. Dieser Kummer. Dieses Dunkle, das ihm seine Arglosigkeit für den Augenblick ausgetrieben hatte.

„Nee, sie wissen nicht, dass ich hier bin", entgegnete Sirius stoisch. Er starrte vor sich hin, direkt in die Leere, als sehne er sich danach, als wolle er sich in ein Nichts hineinstürzen, weil alles andere zu belastend war. „Sie wissen noch nicht einmal, dass ich das Haus verlassen habe. Aber wenn sie es merken, können sie sich denken, dass ich bei dir bin."

James nickte andächtig. „Mmh. Und... sie werden dann hier aufkreuzen, um dich zu holen?"

Sirius lenkte endlich seinen Blick aus diesem Nichts fort, richtete ihn auf James.

James erschrak.

Ein solcher Schmerz blitzte in dieser Schwärze auf, dass es ihm schien, als werde ein scharfer Glassplitter in sein Herz gerammt.

„Das kann gut sein", meinte Sirius. „Glaubst du, deine Eltern würden mich decken?"

James überlegte rasch. Sie würden es, aber sie hatten natürlich nicht das Recht, den Sohn eines anderen hier zu verstecken. Außer, es diente zur eigenen Sicherheit des Jungen.

„Sie... sie würden. Aber rechtlich gesehen... sie sind Auroren, weißt du. Ich schätze, sie würden wissen wollen, warum sie dich decken sollten."

Sirius nickte lahm. „Klar. Verstehe ich."

Da er irgendwie teilnahmslos wirkte, wusste James nicht genau, ob Sirius wirklich verstanden hatte.

Er atmete aus. „Wie wäre es, wenn du mir erst einmal erzählst, was denn vorgefallen ist?"

Sirius' Blick irrte fluchtartig wieder in die Ferne. In diese Leere. „Nun, ich... ich habe durch Zufall ein Gespräch meiner Eltern mitbekommen", fing er schleppend an.

Ausdruckslosigkeit war nun so stark geworden, dass James erkannte, dass sie seinem Kumpel als Schutz diente. Nicht als Schutz vor ihm, James, sondern als Schutz vor der Wahrheit... vor etwas, was Sirius selbst noch gar nicht fassen konnte und was er noch verarbeiten musste.

Manche Dinge ließen sich nicht verarbeiten.

„Meine... meine Mutter wollte, dass sie mich unter den Imperiusfluch setzen", sagte Sirius tonlos, so, als sei es nichts Weltbewegendes. Aber gerade diese Emotionslosigkeit bewies, dass es eine schreckliche Erkenntnis war.

James hatte die Luft harsch eingesogen. „W-WAS?" Er war vollkommen entgeistert.

„Um..., na, du weißt schon, die alte Leier. Um mich endlich auf ihre Seite zu ziehen. Aber Dad war dagegen. Er meinte, dass der Fluch meinen Verstand beeinträchtigen würde und das würde sich ein Black nicht leisten können." Sirius grinste. Es war ein geisterhaftes, fast schon irres Grinsen. „Ja, ich könnte es mir schon gar nicht leisten. Ich, der die Black-Dynastie erfolgreich weiterführen soll. Von daher käme ein solcher Fluch nicht in Frage."

Er schwieg kurz, dann fuhr er fort. „Aber... aber er hatte einen anderen Trumpf im Ärmel. Er sprach von einem Zaubertrank, den er gerade braute. Einen höchst komplizierten, der mit vielen Zaubersprüchen bearbeitet werden muss."

Und Sirius erzählte, was er gehört hatte. Berichtete, wie dieser Zaubertrank seinen eigenen Willen unterband, ohne den Verstand zu zerstören, wie seine Meinungen durch andere ersetzt wurden, wie er James dann als Feind gesehen hätte und mit ihm nur zum Schein befreundet wäre, um zu spionieren. Um die Andersdenkenden zu verstehen, um sie anschließend zu vernichten.

James starrte Sirius einfach nur an. Zu fassungslos, zu erschüttert war er von den Worten, die sein Kumpel aussprach, die über seine Lippen prasselten, wie ein sanfter Sommerregen, und doch so sehr von düsteren Wolken umgeben waren, dass das Licht unerreichbar war.

„Weißt du... ich musste von da weg", sagte Sirius mit brüchiger, heiserer Stimme. „Sie... sie hätten mein Selbst vernichtet. Einfach so. Kompromisslos, ohne einen Funken Reue." Er lachte auf. Es klang kalt und bestürzt. „Sie hätten einfach meine Seele gestohlen und sie verformt, durch etwas ersetzt, was ich nie gewesen wäre."

James selbst konnte noch gar nicht reagieren. Er, der Eltern hatte, die ihn liebten und sich um ihn sorgten, die ihn anerkannten, so, wie er war, und niemals auf die Idee kommen würden, ihn zu verletzen, konnte sich kaum vorstellen, dass andere in der Lage waren, dem eigenen Kind so etwas anzutun, was die Blacks mit Sirius vorhatten.

„N-natürlich werden meine Eltern dich decken", sagte er schließlich zu Sirius. „Aber wir müssen ihnen erzählen, warum du ausgerissen bist. Da... da es keine Beweise gibt, werden eh keine rechtlichen Schritte gegen deine Eltern unternommen... abgesehen davon, dass es unmöglich ist, dein Vater hat immerhin großen Einfluss. Aber... aber deine Eltern werden nicht wagen, in das Haus von Auroren einzubrechen. Außerdem sind meine Eltern befugt, Schutzzauber über ihr Haus zu sprechen, weil ihre Jobs immer gefährlicher werden." James dachte nach. Ja, es war durchaus möglich, Sirius zu schützen. „Sie werden erst gar nicht hier reinkommen und so können sie dir nichts tun. Und wenn wir wieder in Hogwarts sind, bist du eh sicher. Und dann wirst du ja auch noch volljährig. Ab dann können sie dir nie wieder was tun."

Es klang wie ein Versprechen; es war auch als ein solches gemeint.

James legte seine Hand auf Sirius' Arm und sah ihn mitfühlend an. „Ein Zuhause muss nicht zwangsläufig da sein, wo die blutsverwandte Familie ist, Sirius", meinte er mit weicher Stimme. Pure Aufrichtigkeit sprach aus ihm. „Ein Zuhause ist immer dort, wo du dich am wohlsten fühlst. Ein Zuhause ist dort, wo du Menschen findest, die deine wahren Freunde sind."

Sirius sah ihn an. Sein Blick war verdunkelt. Um seinen Mund lag ein bitterer Zug.

James lächelte ihm zu. „Weißt du, meine Eltern mögen dich. Ab jetzt wird mein Zuhause auch dein Zuhause sein und nichts wird sich daran ändern, okay?"

Sirius sah James an, dann nickte er leicht. Er biss sich auf die Unterlippe, die leicht zu zittern angefangen hatte.

James rückte näher und legte einen Arm freundschaftlich um Sirius. Um ihn Halt zu geben, um ihn vor dem tiefen Fall zu bewahren, der ihm inmitten des wilden, innerlichen Sturmes drohte.

Sirius hatte sich versteift, aber dann schien er sich allmählich zu entspannen. Und dann ließ er endlich seinen Tränen freien Lauf. Er weinte stumm und leise, aber sein Körper bebte.

James sagte nichts mehr. Es gab nichts mehr zu sagen. In manchen Situationen waren keine Worte erforderlich, sondern nur Taten. Er ließ seinen Arm dort, wo er war, er zog Sirius leicht zu sich, damit dieser sich an seiner Schulter anlehnen konnte und war einfach nur noch für seinen Freund da.

Nicht immer vermochten es die Sterne am Himmel, einem Licht in der Dunkelheit zu sein, wie es in der Familienbibel der Blacks stand, aufgeschrieben von einem Ahnen aus längst vergessenen Zeiten. Aber manchmal konnte ein Freund eines anderen Stern sein.

Und vielleicht war genau das die Botschaft, die jener Black zu übermitteln versucht hatte. Die in der Familie vergessen worden war, weil Schwarze Magie einem Schatten glich, der derartiges vertrieb. Vielleicht hatte sie aber auch eine andere Bedeutung. Doch ganz gleich, was sie aussagen wollte – für Sirius gab es immer irgendwo ein Licht, einen Freund und er wusste, dass er den richtigen Weg gewählt hatte.


A/N:

Jahh, auch der coole Sirius muss mal weinen :g:

In den HP-Büchern kam Sirius immer so rüber, dass er seine Familie verachtete und sehr gelassen darüber zu sein schien, dass er sich von ihnen distanziert hatte. Ich schreibe dies der Zeit zu, die ihn all dies zur Gewohnheit hat machen lassen. Ich gehe davon aus, dass er aber am Anfang – wie hier – das alles nicht so einfach auf die leichte Schulter genommen hatte. Denn wenn er das getan hätte, wäre er herzlos gewesen, und herzlos war Sirius nun auch wieder nicht.

Das nur zur Erklärung.

Das nächste Kapitel spielt im 7. Schuljahr.

DANKE an meine lieben Reviewer! Wow, einige Reviews von euch sind ja so lang, wie meine Kapitel:strahl: