Rückwärts in die Dunkelheit
Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?
(- die letzten Worte eines Sterbenden.)
25. Kapitel
Teil 1
Das Siebte Schuljahr
"Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt."
(- Ernest Hemingway)
Sirius war gut im Verdrängen. Er war gut darin, gewisse Dinge, die ihn negativ betrafen, auszugrenzen. So wie die Sache mit seinen Eltern und der damit verbundene Ausriss. Er ignorierte sie. So, als gäbe es sie nicht.
Ob es das besser machte? Wohl kaum. Die Welt veränderte sich nicht dadurch, dass man einen Teil von ihr mied. Die Erde drehte sich weiter, und irgendwann würden grausame Erkenntnisse zur Gewohnheit werden, weil Zeit die Wunden heilen konnte. Aber das bedeutete nicht, dass es jene Tatsachen nicht gab.
Eine solche Erkenntnis vermochte es dunkel im Herzen werden zu lassen. Nicht völlig, nein, und schon gar nicht bei Sirius. Aber da war ein kleiner Fleck. Ein kleiner, dunkler Fleck inmitten des Herzens.
Sirius ließ sich davon nichts anmerken. Er lachte, er war unbekümmert, er tat, als gehöre ihm alles, was das Sonnenlicht berührte; als könne er mit seinen Freunden die Welt aus den Angeln heben. Vor allem, seit sein Onkel Alphard ihm nach seinem überraschenden Tod ein Erbe hinterlassen hatte, das sich sehen lassen konnte. Es handelte sich dabei um ein gewaltiges Sümmchen Galleonen, von denen Sirius ein unbeschwertes Leben führen konnte.
Doch Peter ließ sich nicht täuschen. Er war ein guter Beobachter. Er hielt sich stets mehr im Hintergrund. Denn jeden, der ihn auch nur einmal schräg anschaute, sofort in die nächste Woche zu hexen, wie Sirius und James es immer taten, war nicht sein Stil.
Er blieb diplomatisch. Er beobachtete. Er zog Schlüsse und Erkenntnisse, speicherte sie in seinem Gedächtnis ab, um sie sich in Erinnerung zu rufen, wenn es notwendig war.
Er tat es beinahe schon unbewusst.
Jetzt, in diesem Moment saß er auf der Quidditchtribüne in der Gryffindorflanke und feuerte sein Hausteam an. Sirius spielte, ebenso wie James.
James war Captain. Es war selbstverständlich gewesen, dass er Captain wurde.
Nicht selbstverständlich war es, dass er Schulsprecher geworden war. Er. Ausgerechnet er.
Die ganze Schule war fassungslos gewesen. Ungläubig. Alle hatten es für einen Witz gehalten. Wie konnte einer der größten Regelbrecher, die Hogwarts je gehabt hatte, Schulsprecher werden? Was hatte sich Dumbledore dabei gedacht?
Gut, dachte Peter, wenn er es genau überlegte, gab es kaum potentielle Kandidaten aus ihrem Schuljahr, die vernünftig genug für dieses verantwortungsvolle Amt waren. Es hatte einer sein müssen, der in der Lage war, sich bei anderen durchzusetzen, das war klar. In so spannungsreichen, feindseligen Zeiten wie diesen, wo es geradezu ständig Streit zwischen den Gryffindors und Slytherins gab, hatte nur jemand Schulsprecher werden können, der sich bei beiden Häusern durchsetzen konnte. Demnach kam schon mal nur jemand aus einen dieser beiden Häuser in Frage.
Es war ja nicht so, dass die Slytherins James respektierten. Im Gegenteil. Aber er war ein begnadeter Zauberer, der noch dazu den Mut hatte, sich gegen das ganze Haus zu stellen, der sie mit Freuden zu Duellen herausforderte... ja, natürlich musste sich Dumbledore etwas dabei gedacht haben, als er James erwählte.
James hatte Mut. Er schreckte nicht vor den rassistischen Sprüchen und den gemeinen Plänen der Slytherins zurück, denn er selbst war es, der sie herausforderte. Und James war, wenn man von den Slytherins absah, bei allen beliebt.
Sozusagen... wenn Peter genau darüber nachdachte, war es ein taktisch kluger Schachzug gewesen, gerade jemanden wie James zum Schulsprecher zu ernennen.
Und James konnte durchaus Verantwortung zeigen, wenn es darauf ankam. Das hatte er am besten bewiesen, als er Snape vor Remus in Werwolfsform rettete und dabei sein eigenes Leben in Gefahr brachte.
Sirius war natürlich geschockt gewesen, als er hörte, dass James zum Schulsprecher ernannt worden war. James selbst war es ja ebenfalls gewesen, wie sich Peter erinnerte. Dennoch hatte er annehmen müssen. Und er hatte am Anfang völlig ignoriert, dass er Schulsprecher war, hatte seine Aufgaben und Pflichten vernachlässigt, bis McGonagall ihm einmal eine Predigt gehalten hatte, die sich gewaschen hatte. Aus purem Trotz fing James an, völlig willkürlich und ungerechtfertigt Punkte von allen und jedem abzuziehen. Sirius hatte das ungemein witzig gefunden. Aber dann hatte Dumbledore mit James ein sehr ernstes Gespräch geführt. Von da an hatte er sich etwas gemäßigt.
James war kein guter Schulsprecher. Das hatte Peter sofort erkannt. Dazu hatte er viel zu viel Unsinn im Kopf. Hogwarts hatte eindeutig bessere gehabt. Doch er verschaffte sich eben durch seine Zauberkünste und seine Streiche sowie seinen Mut Respekt. Und das war der Schlüsselpunkt. In so feindseligen Zeiten war es nur taktisch klug, eine Person, die sich Respekt verschaffen konnte, als Schulsprecher einzusetzen.
Peters Aufmerksamkeit wandte sich allmählich wieder dem Spiel zu. Die Spieler hatten sich bisher ein brisantes Match geliefert.
Wenn Gryffindor und Slytherin gegeneinander spielten, glich es ohnehin einem Krieg. Jedes nur erdenkliche Mittel war ihnen recht, um das andere Team außer Gefecht zu setzen. Einer der gryffindorischen Treiber war bereits von einem Klatscher so hart getroffen worden, dass er beinage spielunfähig war; einem Jäger Slytherins war dasselbe widerfahren. Es gab Strafschüsse (sie zu zählen machte hier keinen Sinn) und beide spielten verletzt weiter, da ein Spieler, der das Feld verließ, nicht ersetzt werden durfte.
Es ging hier nicht nur um Quidditch, das war Peter schon seit Jahren bewusst. Nicht nur ums Gewinnen. Es ging darum, die andere Mannschaft regelrecht fertig zu machen. Es wurde gekeilt, gekollert, gezockelt, gepfeffert und alles andere. Klatscher wurden als taktisches Foul in die Zuschauermengen gepfeffert, um den feindlichen Jäger vor einem Torschuss zu stoppen. Es wurde der gegnerische Besenschweif angegriffen, um den anderen Spieler zu bremsen. Die Hüter flackten, indem sie sich mit ihrem Körper durch die Torringe quetschten, um einen Quaffel abzufangen, was nicht erlaubt war. Der Fantasie in Sachen Fouls waren keine Grenzen gesetzt.
Die Zuschauer johlten, pfiffen und buhten. Der Lärm war ohrenbetäubend. Die Sonne brach immer wieder durch dunkle Regenwolken hindurch und tauchte das Quidditchfeld und die Tribünen in goldenes Licht. Es war November, der ein Wetter mit sich brachte, so wechselhaft wie das Spiel.
Mal führte Gryffindor, mal Slytherin.
Es stand 60 zu 50 für Slytherin.
„Gryffindor in Ballbesitz", sagte Tommy McKay mit sich überschlagender Stimme gerade, ein aufgeweckter Sechstklässler aus Hufflepuff, der die Moderation der Spiele übernommen hatte. „Jäger Jones spielt zu Black, Black zischt mit seinem Besen los uuund... durchbricht die Slytherinverteidigung! Wilkes und Rosier, die Treiber, hetzen ihm die Klatscher hinterher, aber Black taucht ab, wirft uuuuuuuuuuuuuuund... AUSGLEICH!", rief Tommy.
Die Gryffindors tobten auf ihren Rängen, die Slytherins buhten in krachender Lautstärke.
Das Spiel ging schnell weiter. Der Hüter der Slytherins warf den Quaffel zu seinen Jägern, welche die Taktik des Porskoff-Täuschung (der Jäger im Quaffelbesitz flog in die Höhe, um die gegnerischen Jäger glauben zu machen, er wolle ihnen entkommen und einen Treffer landen. Aber dann warf er den Quaffel hinunter zu einem Jäger seiner Mannschaft, der schon auf den Ball wartete) ausprobierten. Es kam auf exaktes Timing an. Aber ein Klatscher traf einen der Jäger – einen Lestrange - welcher direkt mit dem Besen nach unten trudelte.
Ein Raunen ging durch die Arena, doch der Slytherin konnte sich wieder fangen. Erbost flog Lestrange zu einem der gryffindorischen Treiber und boxte ihm mit voller Wucht ins Gesicht.
„WOAH! LESTRANGE SCHLÄGT MILLER!", rief Tommy empört. „DAS GIBT STRAFSTÖßE!"
Seine Ansage wurde von einem wütendem Gebrüll der Gryffindors begleitet, während Hooch gerade dabei war, Lestrange niederzuschreien und Miller zwei Strafschüsse freigab, die er beide versenkte.
„WER HÄTTE DAS GEDACHT! GRYFFINDOR FÜHRT 80 ZU 50!"
Peter beobachtete James, der ein wenig oberhalb der anderen Spieler auf seinem Besen flog und Ausschau nach dem Schnatz hielt. Er schien ihn plötzlich entdeckt zu haben, denn er stürzte mit seinem Rennbesen im Sturzflug hinab, alsbald angefeuert von den Gryffindors. Der Slytherinsucher – der Fünftklässler Bartemius Barty Crouch Junior - hetzte hinter ihm her, alle Klatscher wurden auf beide Sucher abgeschossen – und ein chaotisches Durcheinander entstand, als James und der Slytherinsucher ausweichen wollten und kollidierten.
Der Schnatz war in all der Aufregung wieder verschwunden.
Und so ging es weiter. Foul folgte auf Foul, eine gerissene Taktik wurde mit einer hinterlistigen Strategie beantwortet. Offene Gewalt verdrängte immer mehr den ursprünglichen Plan der beiden Captains und Hooch verteilte alle drei Minuten Strafschüsse.
Schon bald stand es 150 zu 140 für Gryffindor. Aber Slytherin war dabei, mit der kompletten Mannschaft – sogar dem Hüter – vorzudringen, um mit Gewalt ihren Jägern Platz zu verschaffen, damit diese den Quaffel in einem der Tore versenken konnten. Mit Erfolg, der Ausgleich war erzielt. Doch da der Hüter den Torraum nicht verlassen durfte, vergab Hooch einen Strafwurf für Gryffindor; der Quaffel wurde aber vom Hüter blockiert.
Barty flog gleichsam wie James über die Köpfe des restlichen Teams hinweg. Hin und wieder provozierten sich die beiden Sucher gegenseitig, angefangen von hitzigen Beleidigungen bis hin zum gegenseitigen Anrempeln mit den Besen und blindwütigen Boxhieben.
Die Zuschauer wurden immer unruhiger. Die Spieler waren gezeichnet von Verletzungen, allerdings nie schlimm genug, dass sie vom Feld mussten.
Und dann fiel der Slytherinsucher in einen Sturzflug. Peter sprang auf und versuchte mit wilden Gesten James dazu zu bewegen, hinterher zu fliegen, auch wenn er wusste, dass sein Kumpel ihn gar nicht wahrnahm.
Aber James tat es ohnehin schon. Er hatte den Barty schnell eingeholt und ein Kopf-an-Kopf-Rennen begann.
„Die beiden Sucher verfolgen den Schatz!", rief Tommy aufgeregt. Er bemühte sich stets um Neutralität und war darin besser als seine Vorgänger aus Gryffindor. Wahrscheinlich hatte Dumbledore mit Absicht einen aus Hufflepuff ernannt, weil die Schule schon oft genug ein rotgoldenes und silbergrünes Schlachtfeld von Auseinandersetzungen gewesen war.
„Beide Besen sind verdammt gut... es hängt also nur vom Geschick der Sucher ab! Und da, schon wieder haben die Treiber beider Mannschaften die Klatscher auf den jeweiligen feindlichen Sucher abgeschossen! Ich glaub's ja nicht!" Tommy war fast außer sich. „Peilen sie nicht, dass sie damit ihren eigenen Sucher treffen können, diese Idioten?"
„HEEEH! HALT'S MAUL, TOMMY!", erschallte es beinahe kollektiv von den Slytherin- und Gryffindorrängen.
Tommy feixte. „Haltet selber das Maul, ihr Aasgeier."
„HEY! KOMMENTIEREN SIE DAS SPIEL!", fuhr McGonagall erbost dazwischen.
Tommy grinste, ehe er weiter sprach. „Wo war ich? Ach ja... bei der miserablen Taktik der Treiber beider Mannschaften. Okay, noch immer jagen die Sucher den Schnatz, ein Klatscher hat sein Ziel verfehlt und rast gerade auf die Tribüne zu – Achtung, Ravenclaws, das könnte wehtun. Der andere... waaaaah, ihr beiden, passt auf, der Klatscher ist direkt hinter euch!" Tommy unterbrach sich kurz, nur um verwirrt fortzufahren: „Hey, Leute, wo ist der Schnatz überhaupt? Sieht ihn einer? Nicht, dass unsere Sucher mal wieder bluffen... Ahh, daa!", machte Tommy dann wieder. „Hey, wer hat Lust auf ein Ratespiel? Ich sehe was, was ihr nicht seht und das ist GOLD! Na los, schneller, ihr Sucher, wo habt ihr denn das Fliegen gelernt, so wird das nichts... der Schnatz verarscht euch mit links! Hahahahaha! Geschieht euch recht! Und..."
„Bitte, Tommy, Sie verwirren die Sucher", schaltete sich Professor Sprout gemütlich ein, ihren Hausschüler gelassen ermahnend.
„UND DA!", brüllte Tommy plötzlich los, ohne auf Sprout reagieren zu können. „DER SCHNATZ IST DIREKT EINE ARMLÄNGE VON DEN SUCHERN ENTFERNT! LOS, KLEINER SCHNATZ, HAU AB! SIE WOLLEN DICH FANGEN! DICH DEINER FREIHEIT BERAUBEN! HAU AB! HAU AB! HAAAUUU AAAAAB!"
„MCKAY! HÖREN SIE GEFÄLLIGST AUF, DEN SCHNATZ ZU BESCHWÖREN!", schrie McGonagall, die, den Blick fest auf die beiden Sucher gerichtet, ihre Hände vor lauter Spannung in die Gryffindorfahne gekrallt hatte.
„NOCH LÄSST DER SCHNATZ SICH NICHT FANGEN, DER GUTE!", kommentierte Tommy hastig weiter, ehe die Hauslehrerin der Löwen noch auf die Idee kam, ihm das Mikrofon wegzuschnappen. „ABER BEIDE SUCHER VERSUCHEN SICH GEGENSEITIG BEIM FLUG ZU BEHINDERN! UND DA, DER SCHNATZ TAUCHT UNTER IHNEN HINWEG! POTTER REAGIERT... UND OH NEIN, ICH KANN KAUM HINSEHEN! DER ARME SCHNATZ! ER HAT SEINE FLUGRICHTUNG GEÄNDERT UND POTTER IST IHM DICHT AUF DEN FERSEN! ABER CROUCH HOLT AUF UND WAGT ES DOCH TATSÄCHLICH, AN POTTERS BESEN ZU ZIEHEN! HEY SCHNATZ, NUTZE DIE GELEGENHEIT UND FLIEEEEG!"
Peter lachte herzlich über Tommy. Tommy war immer dagegen, wenn jemand versuchte, den Schatz zu fangen. Eigentlich war er gegen alles. Als Sohn eines Muggle-Hippies vertrat er explizit die Ideologie Love and Peace und nebenbei noch hemmungslosen und freizügigen Sex mit allen in der Schule, die seinem Charme nicht entgehen konnten, aber das war ein anderes Thema.
Währenddessen waren die Jäger beider Teams, dicht gefolgt von den Treibern, bei den Suchern, um auf der einen Seite ihrem Mitspieler den Weg frei zu boxen und auf der anderen Seite dem anderen das Leben zur Hölle machen.
Der Schnatz tauchte nicht ab, sondern flatterte fröhlich vor dem unüberschaubaren Haufen aus Quidditchspielern her und forderte sie geradezu neckisch auf, ihn zu fangen.
Hooch flog herbei und schrie aller nieder, die es wagten, zu foulen. Aber es war in dem Durcheinander kaum nachzuweisen, ob jemand foulte.
„FREIHEIT FÜR DEN SCHNATZ! FREIHEIT FÜR DEN SCHNATZ! FREIHEIT FÜR DEN SCHNATZ!", fing Tommy mittlerweile an, Parolen zu schwingen und wurde mit Flüchen von der Gryffindor- und Slytherinflanke belohnt, denen er geschickt und lachend auswich.
James und Barty konnten sich indessen aus dem Knäuel befreien und hatten die Jagd wieder aufgenommen. Noch immer hielt der goldene Ball die Sucher zum Narren, er flog nur noch etwa drei Meter über den Boden, huschte mal nach links, mal nach rechts, um den Händen von James und Barty auszuweichen, welche zudem versuchten, sich gegenseitig zu behindern...
Peter konnte James' konzentriertes Gesicht ausmachen. Wahrscheinlich hatte er jeden Gedanken aus seinem Kopf verbannt; nur die Jagd nach dem Schnatz und die schnellen Reflexe galten und waren wichtig.
Er schrammte Barty, welcher ein wenig zur Seite trudelte, aber dann selbst gegen James' Besen stieß. Wieder waren auf einmal die Klatscher da und James duckte sich, legte sich ganz flach auf den Rennbesen, der Schnatz wich Barty aus, welcher kurz danach von einem Klatscher gerammt wurde.
Slytherin heulte laut auf und schrie sofort „FOUUULLL!"
Aber das war es nicht und James schien einfach seinem Instinkt zu folgen und ließ seinen Besen scharf nach links schwenken, obwohl der Schnatz geradeaus umherflatterte. Aber genau in diesem Augenblick wechselte der goldene Ball die Richtung, da hin, wo James gerade flog, erkannte zu spät die Falle, die der gryffindorische Sucher ihm gestellt hatte...
Die ganze Arena schien die Luft anzuhalten, denn es war auf einmal totenstill.
James fing den Schnatz, flog Sekunden danach kopfüber vom Besen und landete auf dem Boden.
„Ufff", machte Tommy matt, der als erster wieder seine Sprache gewann. „Was für'n Spiel! GRYFFINDOR HAT GEWONNEN!"
Und der Jubel brach so laut aus, dass die Tribünen zu zittern anfingen. Gleichzeitig buhten die Slytherins und pfiffen das gegnerische Team aus.
„FOOOUUL! HOOCH, DAS WAR EIN FOUL!", schrie Wilkes aufgebracht. Er flog zu Hooch. „DER SIEG GILT NICHT! ICH VERLANGE EINE WIEDERHOLUNG! MEIN SUCHER WURDE GEFOULT!"
Doch sein Zetern und Schimpfen half nichts, denn niemand vermochte zu sagen, ob der Klatscher, der Barty hart getroffen hatte, von den gryffindorischen oder slytherin'schen Treibern abgefeuert worden war, da das Chaos zu groß gewesen war. Und davon abgesehen wäre es kein Foul gewesen, selbst wenn der Klatscher von Gryffindor kam.
Die Gryffindors sangen Siegeshymnen und hüpften ausgelassen umher, zauberten rotgoldene Feuerraketen in die Luft und lachten die Slytherins aus.
Ravenclaw und Hufflepuff gratulierten Gryffindor und stimmten in den Jubel ein, und Tommy machte eine Statistik, bei der er, so wurde gemutmaßt, jedes Mal übertrieb.
„Leute, es gab etwa 65 Strafschüsse und mehr als 198 Fouls in einem Spiel, das 300 zu 150 für Gryffindor endete! UND HEH, POTTER! LASS GEFÄLLIGST DEN SCHNATZ WIEDER FREI ODER DU WIRST WEGEN FREIHEITSBERAUBUNG ANGEKLAGT!"
xx
Im Gryffindorturm stieg eine gewaltige Party, zu der selbst McGonagall kaum etwas sagte, da Dumbledore ihr offensichtlich nahe gelegt hatte, die Schüler zur Abwechslung mal ein wenig feiern zu lassen.
Ein wenig war gut. Alle Gryffindors waren im Gemeinschaftsraum versammelt, noch dazu unzählige Ravenclaws und Hufflepuffs, die sich die Party nicht entgehen lassen wollten und mithilfe ihrer gryffindorischen Freunde hinein gelassen wurden.
Jemand hatte einen magischen Plattenspieler mit Boxen aufgebaut, von wo laute Musik dröhnte. Getränke allen möglichen Kalibers gab es gleich fassweise. Von Butterbier über Feuerzangenbowle bis hin zum brennenden Drachenwhisky. Süßigkeiten und Knabberzeug gab es in Unmengen; die Rumtreiber hatten die Hauselfen in der Küche dazu überreden können, eine riesige Siegestorte zu backen, die schon halb aufgegessen war.
Der Gemeinschaftsraum leuchtete nahezu in den Siegesfarben, das Stimmengewirr und das Gelächter konkurrierte mit der Lautstärke der Musik. Einige hatten in einer freigeräumten Ecke zu tanzen angefangen und ein paar Betrunkene starteten ein wildes Table-Dancing mitsamt Striptease unter grölenden Anfeuerungen. Tommy McKay war ebenfalls mit dabei, der mit einem anderen Hufflepuff-Mädchen aus seinem Jahrgang heiß zu tanzen angefangen hatte. Die ersten knutschenden Pärchen verdrückten sich in irgendwelche Ecken.
Die Hitze im großen Raum war gewaltig, da jemand auf die Idee gekommen war, aus der Siegesfeier eine Art Beach-Party zu veranstalten. Blumen und Palmen waren hergezaubert worden, die den Raum üppig verzierten. In einer Ecke stand ein Strandkorb, der von einem beschäftigen Gryffindorpaar besetzt war, drum herum lag Sand.
Die Luft war geschwängert vom Alkohol und anderen, schwach drogenhaltigen Zaubertränken, welche die älteren Schüler mitgebracht hatten.
James wurde immer wieder von mehreren in die Höhe gehoben und ließ sich lachend feiern. Sein sonst so widerborstiges, abstehendes Haar lag ihm schweißnass auf der Stirn. Sein buntes Hemd war ganz aufgeknöpft, einige Jungs hatten ihre ganz ausgezogen. Die Mädchen liefen in kurzen Röcken und Tops herum.
Jemand hatte die Turmwände mit einem raffinierten Schallzauber belegt, damit McGonagall nicht aufmerksam wurde.
James kämpfte sich mit erhitztem, strahlendem Gesicht durch die Menge, ein Glas mit rotem Drachenwhisky in der Hand, das ständig überschwappte. Er suchte Sirius, der vorhin mit gleich drei Mädchen recht heftig geflirtet hatte und jetzt irgendwo in der Masse verschwunden war. Remus hockte mit Peter und einigen anderen aus ihrem Jahrgang in einer Ecke und sie spielten ein schnelles Kartenspiel, wobei der Verlierer jedes Mal ein Glas vom sogenannten Blutwodka in einem Zug leeren musste. James konnte sich kaum vorstellen, dass Remus da mitmachte... aber andererseits... diese Party musste jeden hemmungslos werden lassen.
James schob sich an einer Gruppe Ravenclaws vorbei, stieß mit einem Hufflepuff zusammen, bekam einen Schwall Feuerzangenbowle ins Gesicht und ging weiter. Er war schon gut angetrunken.
Und dann stand er plötzlich vor Lily Evans.
Zwei Jungen aus Gryffindor aus ihrem Schuljahr standen bei ihr und ihrer Freundin Emily Prewett.
Lily hatte die Arme verschränkt und hatte eine etwas finstere Miene aufgesetzt. Auch sie war leicht gerötet, ihre feuerroten Haare trug sie als Pferdeschwanz, doch die vorderen Strähnen fielen ihr ins hübsche Gesicht. Die smaragdgrünen Augen verrieten, dass sie auch bereits getrunken hatte. Sie trug einen Blumenrock und ein buntes Top mit dünnen Trägern. In ihrer rechten Hand hielt sie ein Cocktailglas.
„Wieso wollt ihr nicht tanzen?", fragte sie soeben die Jungs mürrisch. „Was ist denn schon dabei?" Sie verdrehte die Augen, ehe sie ein wenig giftig fortfuhr. „Ach, ja... ihr habt noch nicht genug getrunken, hm!"
Einer der Jungs grinste. „Lily, hab Geduld! Die Nacht ist noch jung!"
James kam augenblicklich etwas in den Sinn und ohne weiter darüber nachzudenken, setzte er es in die Tat um. Mit seiner freien Hand fuhr er sich durch die Haare, die aber, schwer geworden durch die Feuchtigkeit, wieder zurück auf die Stirn fielen. Dennoch schaffte er es, sie unordentlich zu machen. Schnell nahm er noch einen Schluck vom Whisky, ehe er das Glas auf der nächstbesten Ablage abstellte.
Dann trat er auf die kleine Gruppe zu, mit einem schalkhaften Glitzern in den haselnussbraunen Augen und einem schelmischen Grinsen auf den Lippen.
Er nahm Lily ihr Cocktailglas ab, reichte es an Emily weiter und nahm die Hand seiner Angebetenen.
„Tanzen willst du, Lily?", fragte er grienend, sie ausnahmsweise zur Feier des Tages nicht beim Nachnamen nennend. „Dein Wunsch sei mir Befehl."
Dann zog er sie einfach mit, sich wieder einen Weg durch das Getümmel bahnend, was alles andere als einfach war.
Lily begann zu protestieren. „Potter! Potter, ich will nicht tanzen!", rief sie.
„Aber vorhin hast du das Gegenteil behauptet, Werteste", entgegnete James unbekümmert. Diesmal würde sie ihm nicht entkommen, das schwor er sich.
Er spürte, wie ihre freie Hand sein Handgelenk umschloss und daran zerrte, um sich zu befreien. „Ich will aber nicht mit dir tanzen, Potter!", stieß sie hervor.
Abrupt blieb er stehen und wirbelte zu ihr herum, immer noch ihre linke Hand fest umschlossen. Lily sah es zu spät kommen und prallte direkt gegen ihn. Schnell presste sie ihre freie Handfläche gegen seine Brust und lehnte sich ein wenig zurück. Sie funkelte ihn aus ihren grünen Augen an.
James glaubte zu wissen, dass sie ihn früher immer viel ärgerlicher angefunkelt hatte als jetzt.
Immerhin hatten sie im Laufe des sechsten Schuljahres begonnen, teilweise wieder einigermaßen normal miteinander zu reden. Begonnen hatte es damit, als sie zufällig ein Gespräch mitbekommen hatte, das er mit Sirius geführt hatte. Es war um die politische und soziale Zersplitterung der Gesellschaft in Weiße und Schwarze Magie gegangen und wie er, James, unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er immer für das Gerechte kämpfen würde und keine Angst davor hatte, sich Feinde zu machen.
Es musste Eindruck hinterlassen haben.
„Willst du, dass Gryffindor im Quidditch weiterhin siegreich ist?", fragte James.
Lily blinzelte. „Ja, schon", antwortete sie zögernd, offensichtlich war sie misstrauisch ob dieser unvermittelten Frage.
James versuchte ernst zu bleiben, damit seine Lügen nicht enttarnt wurden. Sein Blut rauschte ein wenig in ihm. Ob durch den Alkohol oder durch Lilys Nähe, vermochte er nicht zu sagen.
„Es ist Tradition im Quidditch, dass den Spielern eines Teams nach einem Sieg eine Bitte gewährt wird, damit sie auch beim nächsten Mal wieder gewinnen."
Lily zog ihre Augenbrauen zusammen und musterte James argwöhnisch.
James sah sie treuherzig an. „Und ich bitte dich, mit mir zu tanzen."
Sie schob ihre Unterlippe zwischen die Zähne und schien nachzudenken. Schließlich atmete sie aus und nickte knapp. „Na gut, Potter, aber merk dir eins, das ist eine Ausnahme! Und wenn ich herausfinde, dass das eine Lüge war, dann gibt das Rache!"
James grinste ergeben. „Ja, ich finde dich auch unglaublich charmant."
Damit drehte er sich um und zerrte Lily weiter mit zur Tanzfläche. Als sie sich endlich durch die Menge gekämpft hatten, lief ein schnelles Lied. Andere tanzten bereits ausgelassen und die beiden gesellten sich zu ihnen und machten mit.
Lily lachte und schien recht schnell zu vergessen, dass sie ursprünglich nicht mit James hatte tanzen wollen. Sie konnte gut tanzen, bewegte sich passend zum Rhythmus. Doch selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wäre es ohnehin niemandem mehr aufgefallen.
Jemand stellte sich auf einen Tisch und begann Sekt aus einer Flasche über die Tanzenden zu spitzen, die es mit Gelächter gelassen hinnahmen.
Dann begann auf einmal ein langsames Lied. Jemand machte das Licht ein wenig schummriger und dann ertönte Tommys Stimme durch ein magisches Mikrofon, der lallend verkündete, dass jetzt der rechte Augenblick sei, jemanden „anzuspringen".
James grinste nur. Sämtliche Paare um ihn und Lily herum hatten angefangen, sich eng umschlungen zu den sanften Takten der Musik zu bewegen.
James stand vor Lily und wurde – trotz des Alkohols – ein wenig verlegen. Sie lächelte schwach zurück, trat von einem Bein auf das andere; die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ihr rotes Haar war dunkel geworden durch den Sekt.
„Also, dann", sagte sie dann und klag selbst verlegen. „Danke für den Tanz."
Sie drehte sich halb herum, um wieder zu gehen. James stand da und er wusste einfach: wenn er sie jetzt gehen ließe, würde er nie wieder so eine gute Chance bekommen.
So lehnte er sich hastig vor, fing ihr Handgelenk und zog sie zu sich zurück. Schnell legte er eine Hand auf ihre Taille und führte mit der anderen ihre Hand auf seine Schulter, ehe er seine ebenfalls auf ihre Hüfte legte. Der Stoff ihrer Kleidung war feucht von vergossenen Getränken.
Lily hatte erstaunt den Atem eingesogen und sah ihn perplex aus großen Augen an.
Die Musik wurde in James' Ohren nur noch durch das heftige Rauschen seines Bluts überlagert. Sein Herz klopfte wie wild und er spürte ein angenehmes Prickeln im Magen, als er Lilys Nähe bewusst wahrnahm. Ihr Atem streifte flüchtig seine Wange.
James lächelte ein wenig schüchtern. Er wollte etwas sagen, am liebsten etwas Schlagfertiges, aber aus irgendeinem Grund unterließ er es. Er tat gut daran, denn es hätte sich so oder so nur arrogant angehört. Es wäre fehl am Platz gewesen.
Lily entspannte sich nach einigen Takten und legte langsam beide Arme um James' Hals, andeutungsweise und scheu zurücklächelnd.
James hielt kurz den Atem an, dann zog er Lily nach einigen Augenblicken näher zu sich. Er spürte ihre Körperwärme, ihren schlanken Körper, der sich leicht an seinen lehnte und konnte selbst durch den Geruch des ganzen übergeschütteten Alkohols, der sowohl von ihm, als auch von ihr ausging, ihren eigenen Duft ausmachen. Es war ein blumiger Duft, der ihn an den Frühling erinnerte.
So tanzten sie langsam zum Rhythmus des Liedes, sagten kein Wort, lächelten sich hin und wieder flüchtig an, vermochten aber nicht, den Blickkontakt lange aufrecht zu halten. Lily errötete meist und senkte ihre Lider und James war froh darum, weil er sich selbst etwas unsicher fühlte. Glücklich, aber unsicher.
Da hatte er es nach Jahren sturer, beständiger Anmache endlich geschafft, Lily zu einem Tanz mit ihm zu bewegen, noch dazu zu einem so langsamen Lied, und verspürte einen unendlichen Frohsinn, er fühlte sich leicht, so leicht... und dennoch war da eine gewisse Unsicherheit. Sie war dadurch bedingt, dass es ungewohnt war, Lily so nah zu spüren, ohne dass sie sich stritten oder dass sie ausrastete, weil er mal wieder mit Sprüchen und Taten gleichermaßen übertrieben hatte.
Die Zeit vermochte er nicht anzuhalten und alsbald ging das Lied zu Ende. Jemand legte eine neue magische Platte auf und flottere Musik dröhnte wieder aus den Boxen, begleitet von begeistertem Jubel. Die Paare lösten sich aus ihren Umarmungen und begannen entweder wild weiter zu tanzen oder händchenhaltend die Tanzfläche zu verlassen.
Auch James und Lily lösten sich voneinander, er tat es nur zögernd. Ob er jemals wieder die Gelegenheit dazu haben würde, dem Mädchen so nahe zu sein?
Lily ließ ihre Arme sinken und lächelte leicht. Offenbar suchte sie nach Worten. James vergrub seine Hände in den Hosentaschen, was taktisch wirklich nicht klug war. Aber er war nicht Sirius. Er mochte ebenso cool sein, aber in Sachen Mädchen – konkret Lily – war er nicht ganz so gelassen, wie sein Kumpel.
„Uhm... magst du noch was trinken gehen?", fragte er Lily schließlich, fast schon schreiend, um die Musik zu überbrücken.
Sie schien ihn verstanden zu haben, denn sie machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ich... ich weiß nicht...", sagte sie.
James erriet es mehr, als das er sie verstand. Er fühlte die Enttäuschung, aber so schnell ließ er sich nicht vergraulen. Das hatte Lily immerhin all die Jahre hindurch nicht geschafft und würde es auch heute nicht schaffen.
„Na, komm schon", sagte er überredend und breitete seinen Arm aus, wie um ihr den Vortritt zu lassen, von der Tanzfläche zu gehen.
Lily starrte ihn an.
James konnte ja nicht ahnen, dass da etwas Aufrichtiges, angenehm Warmes in seinem Blick lag, das sie durchaus wahrnahm.
Dann seufzte Lily. „Du gibst wohl nie auf, was." Sie ging voran und ihr folgte ein selig grinsender James.
Sie gingen zur Palmen- und blumengeschmückten Bar, in der ein paar Mädchen in Bikinis die Cocktails mixten.
Sie bestellten zwei und als sie sie bekamen, drehten sie sich um, lehnten mit dem Rücken an der Theke, nippten an den Strohhalmen und verfolgten das ausgelassene, chaotische Geschehen um sie herum.
James rückte unauffällig näher, so dass ihre Oberarme sich berührten. Entweder merkte Lily nichts oder sie ließ es einfach geschehen.
James wusste nicht so recht, worüber er mit Lily reden sollte. Mit Quidditch wollte er nicht anfangen. Sirius hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass das Mädchen seine Arroganz offenbar nicht mochte und er wollte nicht wieder überheblich klingen, wie sonst immer. So konnten die Gesprächsthemen Streiche und allen voran gemeine Streiche an Snivellus ebenfalls komplett gestrichen werden.
Nur... über was sollte er dann mit Lily reden?
James nahm einen großen Schluck durch den Strohhalm und hoffte, der Alkohol würde ihm helfen, sich was einfallen lassen. Verdammt, wieso war es jetzt auf einmal so schwer, mit ihr zu reden?
Emily kam plötzlich herbeigestürzt. „Da bist du ja!", rief sie und zwinkerte Lily verschwörerisch zu. „Ich bin mal eben weg... mit Alan." Sie grinste, dann warf sie James einen kurzen Blick zu. „Wenn McGonagall erfährt, dass du als Schulsprecher diese Party zugelassen hast..." Sie beendete den Satz nicht, da sie zu kichern anfing, dann stob sie bereits wieder davon.
James sah ihr verblüfft nach, dann lachte er.
Lily sah zu ihm herauf. „Du könntest deines Amtes enthoben werden", meinte sie nun laut, damit er sie verstand.
James sah sie an. Leicht beugte er sich herab. „Wenn McGonagall das hier sieht, wird sie sich denken können, dass es unmöglich war, solch eine ausgeartete Party zu beenden", meinte er feixend.
Er erwartete, dass Lily kritisch wurde. Sie war ein wenig ordnungsfanatisch, fand er.
Lily sah ihn an. James schaute zurück, und versuchte, den Blickkontakt diesmal nicht so schnell abzubrechen.
Schnell stellte er fest, dass er sich in ihren Augen zu verlieren glaubte, wenn er sie zu lange ansah. Wenn er sich nicht vorsah, würde er fallen.
Wieder war da diese Unsicherheit. Liebe bedeutete Vertrauen. Aber vor allem bedeutete sie sich fallen lassen. Bedingungsloses Zutrauen.
Aber Lily sagte nichts Missbilligendes. Stattdessen flog ein Lächeln über ihre Lippen, das kurz darauf in ihrem Blick abzulesen war. „Außerdem ist es eine gute Party", sagte sie schließlich und klang etwas verschmitzt.
Sie trank aus dem Strohhalm. Der Blickkontakt brach. James konnte sehen, dass sie einen großen Schluck nahm, denn das Glas wurde deutlich leerer.
Möglichst unauffällig legte er seinen rechten Arm auf die Theke, das Ziel verfolgend, ihn um Lily zu legen. Noch wagte er es nicht...
Und dann kam auf einmal Sirius, der sich gerade mit einem völlig betrunkenen Peter der Theke näherte. Sirius fing sofort an zu lachen, als er James und Lily sah. Dann klopfte er auf Peters Schulter.
„Wormtail macht's nicht mehr lange", grinste er. Er selbst sprach auch bereits recht undeutlich und sein Atem roch stark nach Alkohol. Sein Hemd hatte Sirius ausgezogen, sein nackter, sportlich gebauter Oberkörper glänzte ein wenig von Schweiß und übergeschüttetem Alkohol. Das Haar klebte ihm auf dem Kopf, die Wangen waren leicht gerötet, die Augen klein.
James erkannte, dass Sirius nicht nur Alkohol zu sich genommen hatte.
Auch er grinste.
Peter hatte gerötete Augen, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und seine Kleidung war unordentlich.
„I'willll meeeeehr", lallte er.
Sirius lachte wieder. „Alter, dann kippste um, sach' ich dir."
„Ejaaaaaaallllllll", lautete die beinahe schon entrüstende Antwort von Peter. Er riss sich von Sirius los, machte einen wankenden Schritt auf die Bar zu und hielt sich noch gerade rechtzeitig an der Theke fest, um nicht umzufallen. Er zog sich umständlich auf einen Barhocker neben James hoch und verlangte einen Drachenwhisky.
Ein Gryffindormädchen kicherte und überreichte ihm ein Glas. Peter bedankte sich mit einem „Daaanche, Süße."
Sirius feixte wegen diesem Spruch. Dann hielt er auf einmal ein Glas in der Hand, das mit einer silbrig schimmernden Flüssigkeit gefüllt war.
„Was hast du da?", fragte James neugierig.
Sirius hob die Schultern. „Das hat hier irgendeiner angeschleppt."
Offensichtlich war es ihm egal, was es war und seine nicht gerade aussagekräftige Antwort ließ James vermuten, dass da nicht nur Alkohol drin war.
Ein attraktives, reichlich betrunkenes Mädchen aus Ravenclaw erschien plötzlich an Sirius' Seite, lachte und fiel ihm um den Hals.
„Sirius! Wollt'n... wollt'n wir nich taaansszzen?", fragte sie und küsste ihn stürmisch auf den Mund. Sirius ließ sich auf den Kuss ein, seine freie Hand glitt auf ihre Hüfte und zog sie näher zu sich. Dann löste er sich atemlos von ihr und nickte schelmisch.
„Doch. Lass uns gehen."
Sie hakte sich fröhlich bei ihm ein. Sirius warf noch einen Blick auf James und Lily zurück.
James fragte sich unwillkürlich, ob Sirius noch an Mina dachte. Er war sich sicher, dass sein Kumpel es tat, denn allein seine Leichtfertigkeit, die er an den Tag legte im Umgang mit den anderen Mädchen, bewies es schon.
„Sirius war in sie verliebt, nicht wahr?", fragte Lily plötzlich, als dieser mit dem Mädchen im Getümmel verschwunden war.
James' Kopf flog herum. Entgeistert starrte er Lily an. Für kurze Zeit merkte er den Alkohol nicht mehr, als ob ein Schlag ihn völlig aus ihm vertrieben hätte. „W-WAS?"
Konnte Lily etwa Gedanken lesen?
Lily lächelte nachsichtig. „Du hast laut gedacht, James. ... Und außerdem hat es sich damals mit Sirius und dieser Kisic rumgesprochen. Die Blicke zwischen ihnen beantworteten den Rest aller Fragen."
James sah sie noch immer fassungslos an. „Verdammt, Evans!", rief er aus.
Lilys Lächeln wurde spöttisch. „Vorhin hast du mich noch Lily genannt."
Diese Antwort verwirrte James gehörig. Er spürte wieder den Alkohol, diesen Nebel im Kopf, der immer kam, wenn man betrunken war.
Er seufzte. „Ach... Kisic ist vergessene Sache", meinte er abwinkend. „Sie ist ja nicht mehr da." Er nahm einen Schluck. „Außerdem wird sie sich für die falsche Seite entscheiden", fügte er leise hinzu.
James sah kurz zu Peter. Dieser hatte seinen Kopf auf die Theke gelegt und war eingeschlafen. Sein Glas mit Whisky hielt er schräg in der Hand und der Alkohol floss langsam, aber sicher über sein Hemd.
James tat es mit einem Achselzucken ab und schenkte Lily wieder seine Aufmerksamkeit. Sie hatten ausgetrunken und bestellten diesmal Blutwodka.
Nachdem sie auch den geleert hatten, war Lily nur noch am Kichern. James hatte inzwischen seinen Arm um sie gelegt und sie lehnte ihren Kopf an seiner Schulter.
Er wusste nicht mehr, wie lange sie so an der Bar lehnten.
Diese ungewöhnliche, traute Zweisamkeit wurde letztendlich von McGonagall unterbrochen, die hereingeplatzt kam und vor Entgeisterung und anschließender Aufgebrachtheit beinahe den Verstand zu verlieren drohte.
Sie zeterte herum, orderte den Hausmeister an, die Hauslehrer von Hufflepuff und Ravenclaw zu holen, damit sie ihre Schüler abholten – die wenigsten waren in der Lage, den Weg zu ihren Schlafsälen zu finden - und beendete mit einigen schnellen Zaubern die Party.
Die Musik wurde ausgemacht und ein ganzer Schwall kaltes Wasser über alle Schüler gegossen. Sie quiekten auf und stoben kichernd auseinander, wankend, lallend und teilweise nicht wirklich mitbekommend, dass McGonagall anwesend war.
Remus tauchte auf, leicht betrunken, und warf James und Lily überraschte Blicke zu. „Los, Prongs, lass uns gehen, ehe McGongall noch weiter austickt", meinte er.
James nickte lahm. Lily lehnte sich noch immer an ihn. Sie war fast eingedöst. Alkohol konnte mitunter auch müde machen.
„Hey, Lily... die Party ist vorbei", sagte James enttäuscht.
Sie murmelte etwas, was er nicht verstand, aber sie löste sich allmählich von ihm und blinzelte. Sie strahlte ihn kurz an, dann war Emily auf einmal wieder da und zog Lily aufgeregt davon, ihr bereits von Alan erzählend.
James sah ihr hinterher, ehe er mit Remus Peter in die Mitte nahm und ihn halb tragend, halb stützend, zu ihrem Schlafsaal ging. Auf dem Weg dorthin trafen sie Sirius.
McGonagall entdeckte sie auch und rief erbost etwas von „vernachlässigten Schulsprecherpflichten" und „das wird ein Nachspiel haben!"
Sirius war mittlerweile bleich, die Augen waren kleiner geworden und leicht gerötet. Sein Blick war verschleiert. Er nahm seine Umgebung nicht mehr richtig wahr, hatte James den Anschein.
„Woah, Padfoot, was für Drogentränke hast du denn genommen?"
Sirius reagierte gar nicht. Als ob er unter dem Imperiusfluch stünde, marschierte er mechanisch zu seinem Bett, ließ sich fallen und schloss die Augen.
James und Remus hievten Peter mit einigen Anstrengungen in sein Bett, ehe sie sich selbst schlafen legten.
xx
Der nächste Morgen kam und begrüßte die Schüler mit einem schmerzhaften Kater. Die Schlafsäle stanken nach Alkohol und stickiger Luft, vom gryffindorischen Gemeinschaftsraum gar nicht erst zu reden, und sie alle wachten in verklebter Kleidung und Haaren auf. Die meisten hatten noch Alkohol im Blut oder mussten mit den Nachwirkungen leben, die so manche Drogenzaubertränke mit sich brachten.
McGonagall erwartete ihre Schützlinge mit einer Strafpredigt, die sich gewaschen hatte und hatte sich mit den anderen Hauslehrern aus Ravenclaw und Hufflepuff geeinigt, dass alle Schüler aus diesen drei Häusern den Gemeinschaftsraum der Löwen nach Muggelart wieder in Topzustand bringen mussten. Da das gewaltig viel Arbeit war, verbrachten die Schüler das ganze Wochenende damit, zu schrubben, zu putzen, die Wände teilweise mit magischer Farbe neu zu überstreichen. Nur der Teppich und die Sessel wurden von McGonagall selbst saubergezaubert. Sie führte strenge Aufsicht und duldete keinen Aufschub, keine Beschwerden, kein Gerede.
So bekamen Lily und James am Wochenende keine Gelegenheit mehr, miteinander zu reden, denn abends fielen sie alle todmüde in die Betten.
Dumbledore tat das alles mit einem Augenzwinkern ab und sprach von eigenen Erfahrungen: „Ach ja, das erinnert mich an meine eigene Jugend" – sehr zum Entsetzen von McGonagall, die doch immer darum bemüht war, ein Vorbild für die Schüler zu sein und niemals die eigenen Streiche und Regelverletzungen aus früheren Zeiten zugeben würde.
Nur die Slytherins ergingen sich in Schadenfreude, waren sie doch noch ob ihrer Niederlage mehr als grimmig. Nun war ihre Gefühlslage auch noch überlagert vom Groll, dass eine so große und gelungene Party im Gryffindorturm gestiegen war, an der sie allein schon wegen ihrer Slytherinehre nicht hatten teilnehmen können.
A/N:
Okay, mein Beta, ein hoffnungsloser Romantiker (:grins:), hat mir gesagt, ich solle auch ein wenig romantisch sein und die anfängliche Liebesgeschichte zwischen James und Lily besser zur Geltung bringen. Deswegen gibt es auch mehrere (nämlich zwei) Teile von Kapitel 25. :)
Hooch ist die spätere Tante von der Hooch aus den HP-Büchern, und Sprout, sollte sie damals nicht in Hogwarts gewesen sein, auch eine Verwandte. Behaupte ich jetzt einfach mal so ;)
Mir ist durchaus bewusst, dass das für Hogwarts-Verhältnisse eine heftige Party war. Aber hey... es waren die 70er Jahre!
Das Spiel und die Party fanden an einem Freitag statt. Teil 2 wird wahrscheinlich direkt am Montag, nach dem Wochenende, wo sie alle putzen mussten, anschließen.
Und eure Reviews waren mal wieder hammer:strahl:
DAAAAANKE!
