Rückwärts in die Dunkelheit
Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?
(- die letzten Worte eines Sterbenden.)
28. Kapitel
Im Schatten der Liebe
„Ho gaya hai tujhko to pyaar sajna
Laakh kar le tu inkaar sajna.
Dildaar sajna, hai yeh pyaar sajna."
Du hast dich verliebt, Sweetheart.
Du kannst es hunderttausendmal leugnen.
Aber du hast dich verliebt, Sweetheart.
(- Lyric by Anand Bakshi)
Dezember 1978, vier Tage später.
Für Remus hatte die Hölle auf Erden begonnen. Auch wenn er wusste, dass, wenn die Frist von zwei Wochen ablief, ihn erst dann die wahre Hölle erwarten würde. Aber diese Unruhe, dieses ohnmächtige Gefühl, tatenlos zuzusehen, wie die Zeit weiterlief, ohne dass sie eine Lösung fanden, Voldemort von seinem Angebot und seiner Drohung abzubringen, machten ihn noch verrückt.
Unruhig lief er in seiner kleinen Wohnung auf und ab und warf Sirius, der sich in den einzigen Sessel geworfen hatte, hin und wieder einen gehetzten Blick zu. Die schwarzen, kurzen Haare fielen diesem wie immer in die Augen.
„Komm schon, Kumpel... das wird schon wieder", versuchte Sirius, ihn zu beruhigen. Er wirkte müde, es war ja auch früh am Morgen.
Remus blitzte ihn an. „Klar. Voldemort wird kommen, sich für seine Drohung entschuldigen, mir als Entschädigung einen Blumenstrauß überreichen und versichern, dass er mein Geheimnis niemals ausplaudern wird."
Sirius grinste frech. Er zwinkerte. „Ja, vielleicht wird er das. Er scheint ja ohnehin eine Schwäche für Werwölfe zu haben."
Remus knurrte. „Unheimlich witzig, Sirius. Wirklich."
Sirius streckte seine langen Beine aus und wurde ernst. „Wir haben ja noch ein bisschen Zeit. Uns wird schon noch was einfallen."
Remus erwiderte nichts, sondern wandte sich im Aufkeimen neuer Frustration ab. In fünf Tagen waren die zwei Wochen abgelaufen. Sie hatten bisher keine Idee gehabt. Vielleicht sollte er ein wenig optimistischer sein, so wie Sirius, aber es misslang ihm. Schließlich ging es ja auch direkt um ihn.
„Wenn uns doch nur ein Trick einfallen würde. Irgendeiner...", seufzte er geknickt.
Er sah sich schon auf der Flucht, in abgelegenen, dunklen Ecken auf der Straße schlafen.
Remus hörte, wie Sirius aufstand und auf ihn zutrat. Kurz darauf spürte er eine Hand auf seiner Schulter.
„Selbst wenn, Moony... selbst wenn uns nichts einfällt und alle Welt Bescheid weiß, wird es immer Leute geben, die zu dir halten. Du wirst einfach zu mir ziehen und eines deiner Probleme wäre gelöst."
Remus drehte sich halb um und brachte ein schwaches Lächeln zustande. Natürlich wussten sie beide, dass das Zaubereiministerium ihn als erstes bei seinen Freunden suchen würde, wenn sein Geheimnis herauskam. Aber er wusste, wie Sirius es gemeint hatte. Dass er und James und Peter zu ihm halten würden, ganz gleich, was auf ihn zukam.
Und in all der stärker werdenden Dunkelheit sah Remus ein kleines, schwaches Licht. Eine Metapher für Freundschaft. Er brauchte nur auf die Flamme zuzugehen, aber er musste achtsam sein. Ein einziger Windstoß vermochte das Licht zu löschen...
xx
Sirius hatte Remus' Wohnung verlassen und soeben die zweite Etage im Zaubereiministerium betreten. Er hatte, bevor er in die Aurorenzentrale ging, Remus noch einen Besuch abstatten wollen, um ihn ein wenig aufzuheitern. Abzulenken.
Jetzt war er spät dran, was ihn allerdings nicht davon abhielt, in normalem Tempo die Zentrale zu betreten und auf die Unterrichtsräume zuzugehen.
Theorie stand an, Marlene McKinnon führte den Unterricht. Verheimlichen und Aufspüren.
Sirius setzte sich zu James in die letzte Reihe; aber er war nicht der einzige, der zu spät kam. Felice schob sich kurz nach ihm durch die Tür und nahm neben Sirius am Fenster Platz.
Der ehemalige Slytherin war außer Atem; eine sanfte Röte zierte seine Wangen. Sowohl von der Kälte, als auch vom Rennen.
Marlene warf ihnen strafende Blicke zu, ehe sie mit dem Unterricht fortfuhr. Seit der Stinkbombenaktion war sie ohnehin nicht ganz so gut auf Sirius und James zu sprechen, auch wenn sie einige Streiche von ihnen lustig fand. Sie hatte ihnen Überstunden aufgehalst. Die beiden mussten eine Woche lang Akten ordnen, sortieren, auf ihre Vollständigkeit überprüfen. Eine überaus lästige und langweilige Arbeit.
Felice hatte Sirius nur eine Begrüßung zugemurmelt, ihn dann aber nicht weiter beachtet und dafür den Unterricht verfolgt. Sirius schenkte Marlene ebenfalls seine Aufmerksamkeit, aber da er und James über eine schnelle Auffassungsgabe verfügten, unterhielten sie sich nebenbei unauffällig. Scherzten herum.
Sie waren mit ihren Stühlen nach hinten gekippt, um sich an die Wand lehnen zu können.
Als die Stunde zu Ende war und Sirius seine Sachen zusammen packte, um mit James hinauszugehen, hielt Felice ihn auf.
„Kann ich dich kurz sprechen?"
Sirius drehte sich um; James lief bereits hinaus, um Lily zu treffen.
„Klar. Was gibt's?"
Felice schien nach Worten zu suchen. Ein unruhiger Ausdruck war in seinen blassblauen Augen aufgeglimmt; er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und machte sie unordentlicher, ohne dass es ihm auffiel. Es war eine unbewusste Geste, geboren aus leichter Nervosität.
Hinter ihm befand sich die Fensterwand und die Sonne schien hindurch. Sie ließ ihn im Licht erstrahlen, aber dennoch war da etwas Dunkles.
„Du kennst doch Serpentys, hm?", fragte Felice nun und seine Stimme klang ausdruckslos.
Sirius erstarrte. Er fixierte Felice ungläubigen Blickes.
Was ging denn jetzt ab?
„Es hört sich meiner Meinung nach eher wie eine Feststellung an", versuchte er Zeit rauszuschlagen, Felice mehr Informationen zu entlocken, ehe er eine Antwort gab.
Woher wusste er das?
Felice lächelte schwach. „Ich habe es... von jemandem gehört."
Auf einmal wuchs die Schwermut in seinem Blick; eine melancholische Aura schien ihn zu umgeben, den Jungen mit einer traurigen Schönheit zu erfüllen, abhängig von diesem Kummer, den er mit sich zu tragen schien.
„Und von wem?", verlangte Sirius grob zu wissen. Er überlegte, ob Felice es von Regulus erfahren haben könnte. Vielleicht hatte er ja seinen Bruder mal besucht, immerhin kannten auch sie sich, nicht nur aus der Kindheit, sondern auch aus Slytherin.
Sirius traute Regulus zu, dass dieser sämtliche Versprechungen brach, wenn er sich einen Vorteil daraus erhoffte. Sein Bruder war eine falsche Schlange, die richtig einzuschätzen unmöglich war.
Dieser Bastard, erlaubte Sirius es sich, Regulus noch schnell in Gedanken zu beleidigen.
„Das tut nichts zur Sache", meinte Felice mit einem Zögern. „Ich möchte dich nur warnen. Serpentys plant etwas und du kannst mir glauben, dass du dabei nicht gut wegkommst."
Sirius war verwirrt. Er musste Felice diesbezüglich glauben. Felice war ein Rekrut, sie wurden zusammen zu Auroren ausgebildet, und welchen Grund hatte er, ihn anzulügen?
Immer vorausgesetzt, Felice ist kein Spion.
Aber wieso sollte er es sein? Clark Potter hätte es herausgefunden. Die Tests waren gut. Der Wahrheitstrank wurde benutzt. Dieser musste Felices Verrat an der Dunklen Seite für James' Vater offen gelegt haben, denn niemand vermochte diesem Zaubertrank zu widerstehen.
Doch wieso plante der Vampir etwas in Bezug zu ihm? Er hatte von Serpentys – Vyperus – jahrelang nichts mehr gehört. Ob Snape sich bei seinem Dad ausgeheult hatte und dieser seinen Vaterpflichten nachkam, um Rache zu fordern?
Sirius grinste geisterhaft.
Felice runzelte die Stirn. „Was ist daran so lustig?"
Sirius blinzelte. „Ach, nichts", versicherte er ihm schnell. Dann zog er die Augenbrauen zusammen. „Und wieso?"
Felice hob die Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube, es geht um eine Kette. Im Untergrund ist allseits bekannt, dass dein Vater und Serpentys sich darum kloppen. Der Vampir scheint gut informiert zu sein über dich."
Felice nahm seine Tasche und nickte Sirius noch einmal knapp zu. Dann schob er sich an ihn vorbei.
Sirius reagierte augenblicklich. Er stützte seine Hand gegen die Wand, so dass Felice nicht an ihn vorbeikommen konnte.
Der Rekrut stoppte sofort; etwas flackerte in seinem Blick auf. „Was?", fragte er etwas aggressiv.
„Hat mein Bruder dir all das erzählt?", wollte Sirius schroff wissen.
Felice erstarrte kurz.
Sirius nahm überrascht wahr, wie Nervosität ganz kurz aufblitzte, aber dann so schnell wieder verschwand, dass es auch hätte Einbildung sein können.
Felice hatte sich nur einen Sekundenbruchteil später bestens unter Kontrolle; keine Emotionen verrieten, was er dachte.
„Ja", gab er nun zu. Seine Wimpern warfen halbmondförmige Schatten auf seine Wangen und verliehen ihm etwas Unschuldiges. Ehrliches.
„Hast du noch Kontakt zu ihm?" Sirius fragte sich ohnehin, was Regulus nun wohl machte. Da seine Eltern nichts mit den Todessern zu tun hatten, auch wenn sie Voldemorts Politik und Ideale teilten, bestand durchaus die realistische Möglichkeit, dass sein Bruder sich den Todessern ebenfalls nicht angeschlossen hatte. Es würde auch nicht zu den Prinzipien eines Blacks passen. Niemand war es wert, dass man ihm diente. Ein Black stand über solchen Dingen.
Felice schüttelte den Kopf. „Derzeit nicht."
Sirius horchte auf. „Was meinst du damit? Dass Clark dich demnächst als Spion zur Gegenseite schicken will? Noch wissen sie ohnehin nicht von deinem Verrat, oder?"
Felice fuhr leicht zusammen und Sirius fragte sich warum. Weil er Verrat gesagt hatte?
„Mr Potter hat nichts von Spionage gesagt", meinte er nun mit neutraler Stimme.
„Aber hast du ihm gesagt, was du mir soeben gesagt hast? Weißt du, es wundert mich, dass Clark oder ein anderer der Auroren mich noch nicht darauf angesprochen haben, dass ich in Gefahr sein soll." Sirius' Blick wurde etwas tückisch. Lauernd. „Und wenn du keinen Kontakt zu Regulus hast, dann musst du diese Information schon vorher gewusst haben, hm? Und dann hätte mir einer von denen schon was gesagt..."
„Mr Potter und Mrs Bones haben mich viele Dinge gefragt, Sirius", erwiderte Felice kühl. „Ich habe es vergessen, es ihnen zu sagen. Sei also froh, dass es mir noch eingefallen ist." Er brachte ein Lächeln zustande. „Und nun werde ich mein Versäumnis wohl nachholen." Er zog eine Braue in die Höhe; er wurde etwas spöttisch. „Lässt du mich jetzt durch oder bist du noch nicht mit deinem Verhör fertig?"
Sirius stierte ihn an. Wieso hatte er nur das Gefühl, dass Felice ihm etwas verschwieg?
Er seufzte und ließ seinen Arm sinken.
Felice ging nun an ihm vorbei und steuerte Clarks Büro an.
Sirius sah ihm hinterher, die Unterlippe zwischen die Zähne geschoben, und dachte sich, dass er häufiger mit Felice reden sollte. Vielleicht bekam er ja etwas mehr aus dem Jungen heraus, der so geheimnisvoll, so bekümmert geworden war, und dennoch den Mut gehabt hatte, die Seiten zu wechseln, sich für jene zu entscheiden, die schwächer war.
xx
Nach dem arbeitsreichen Tag erwartete James Lily vor den Unterrichtsräumen mit einem strahlenden Gesicht. Er wollte sich vor den Überstunden drücken und sie am nächsten Tag dranhängen. Er hatte seinen Rennbesen geschultert. „Fertig? Kommst du?"
Sie lächelte ihn wohlwollend an und küsste ihn ungeniert auf den Mund. „Und wohin?"
„Lass dich überraschen!"
Sprach's, und zog Lily ungeduldig mit sich mit. Lachend ließ sie es geschehen. Sie rannten beinahe James' Vater um, der auf dem Weg zu Moodys Büro war.
Das Zaubereiministerium hinter sich lassend, setzte James sich auf seinen Besen. „Los, steig auf", forderte er sie auf.
Lily starrte ihn an. „Wir können doch nicht durch London fliegen! Muggles könnten uns sehen!"
James winkte gleichmütig ab. „Ich werde hoch fliegen. Niemand wird uns sehen", versprach er.
Lily zögerte. „Ich weiß nicht, James... ich halte es für keine gute Idee."
Aber James ließ nicht mit sich verhandeln. Er zerrte Lily einfach hinter sich auf den Nimbus und flog los, ehe sie wieder abspringen konnte.
„James!", rief sie entgeistert aus, aber er lachte nur.
„Fliegen macht Spaß, Lily! Genieße es!"
Sobald er durch die Lüfte flog, fühlte er sich schwerelos. Leicht. Und frei. Es gab keine Sorgen, es gab nur das aufgeregte, aber dennoch entspannte Gefühl. Der Wind trug ihn dann irgendwo hin und manchmal breitete er seine Arme aus, lehnte sich zurück, schloss die Augen und flog so lange, bis er drohte vom Besen zu fallen, weil er keinen entsprechenden Halt hatte.
Lily stöhnte. „War das etwa deine Überraschung?"
Er grinste, während der kalte Winterwind ihm ins Gesicht blies. „Nein. Die kommt noch."
Sie flogen sehr hoch, und James achtete darauf, Routen zu nehmen, wo Muggles sie nicht sehen konnten. Schon bald hatten sie eines der Vororte der Stadt erreicht und er lenkte den Besen nach unten.
An einem kleinen, verlassenen, tiefgefrorenen See landeten sie; keine Menschenseele außer ihnen war hier. Vögel, die hier überwinterten, flogen über ihre Köpfe hinweg. Schmale, kahle Bäume standen nahe dem See. Ein geschlängelter Pfad führte vom See aus zu Wiesen und Feldern, auf denen eine dicke Schneedecke lag. Einige Raben staksten darauf herum. Eine friedliche Atmosphäre hatte sich über das Eis gelegt, still und sanftmütig.
„Oh, wie hast du diesen Ort nur entdeckt?", rief Lily erstaunt aus. „Hier gefällt es mir!"
Sie trug einen Schal und eine Wollmütze, aus der ein paar ihrer roten Strähnen hervorlugten. Ihr Körper war in einen Wintermantel eingehüllt, dicke Handschuhe wärmten ihre Hände.
James, der etwas aus dem Gebüsch geholt hatte, kam mit einem großen Paket wieder zurück. Auch er war vermummt. „Schau mal..."
Er stellte den Karton ab und öffnete ihn. Zwei Paar Schlittschuhe lagen darin.
Lily hatte ihm letztens von Schlittschuhlaufen erzählt und dass sie sich welche von ihren Eltern zu Weihnachten wünschte. Da James so etwas nicht gekannt hatte, war er dem zuvorgekommen und mit Sirius in ein Mugglesportgeschäft gegangen, um welche zu kaufen. Es hatte sich als schwieriger herausgestellt, als sie es sich gedacht hatten, aber letztendlich waren sie fündig geworden.
Lily jubelte. „Schlittschuhe! Wo hast du die denn her!" Sie holte die zwei Paare heraus, nahm die, die ihrer Größe entsprachen, setzte sich hin und zog sie ungeduldig an.
James grinste nur sein Ich-halte-mich-für-unwiderstehlich-Grinsen und tat es ihr nach. „Jetzt bist du beeindruckt, was. Wäre ich auch."
Lily stieß ihn verspielt in die Rippen, dann stand sie auf und stakste zur Eisfläche. Sie hatte gelernt, James' Arroganz nicht ernst zu nehmen.
James folgte ihr – er hatte das Schlittschuhfahren zuvor mit Sirius ausprobiert, um sich nicht lächerlich zu machen. Es war am Anfang gar nicht so einfach gewesen.
Die Sonne ließ die vereiste Fläche aufglitzern, als ob dort unzählige Diamanten lägen.
Lily fuhr bereits, zunächst etwas unsicher, weil sie ihr Gleichgewicht und das Gefühl wiederfinden musste, über den See und James holte sie allmählich ein, als auch er sich sicherer fühlte. Er nahm sie an der Hand und zog sie ausgelassen mit sich. Sie lachten, als sie ungestüm über das Eis glitten. Das sorglose, heitere Lachen der beiden jungen Menschen hallte über die einsame Landschaft, flog hinauf zum Himmel, um sich in der Sonne zu verflüchtigen.
Sie lieferten sich eine wilde Verfolgungsjagd, die James initiiert hatte und die letztendlich im Schnee am Ufer endete, wo sie gestürzt waren. James lag auf dem Rücken, Lily über ihn, die Gesichter vor der Fahrt erhitzt. Lily hatte sich mit den Händen links und rechts neben seinem Kopf abgestützt.
Sie lachte ihn atemlos an; aus ihren smaragdgrünen Augen funkelte es verliebt. James glaubte immer noch, sich jedes Mal darin zu verlieren. Er legte seine Hände auf ihren Rücken und zog sie näher. Ihr heißer Atem streifte sein Gesicht. Ihre Haarsträhnen, die aus ihrer Mütze hervorlugten, kitzelten seine Haut.
Lily beugte sich zu ihm herüber; James' Blick wanderte hinunter zu ihrem Mund.
Ihre Lippen fanden sich; James fühlte das vertraute und doch jedes Mal aufregende Prickeln, als seine Zunge schließlich sanft über ihren Mund fuhr. Lily öffnete ihn mit einem leichten Lächeln und sie vertieften den Kuss in ungeduldiger Leidenschaft. Die Kälte machte ihm nichts aus, denn das Feuer der Liebe erhitzte ihn genug; schien ihn zu verbrennen.
Sein Herz schlug schneller, und während sie sich innig küssten, wurde ihm einmal mehr bewusst, wie sehr er sie liebte. Es war wie Fliegen, wenn er mit Lily zusammen war.
Einmal, als Lily noch in Hogwarts in siebtes Jahr beendete, hatte sie ihm eine Eule geschickt. Im Brief hatte in einem Nachtrag ein altes Sprichwort, das aus Indien stammte, zitiert:
Fällt der Schatten der Liebe über dich, fühlst du dich wie im Himmel.
Und das tat James.
xx
Sirius war nach Feierabend mit seinem Fliegenden Motorrad direkt zu seiner Wohnung geflogen. Natürlich hielt er seine Maschine geheim und benutzte sie normalerweise immer im Schutze der Dunkelheit. Aber manchmal ritt ihn der Teufel und er flog mit voller Absicht tagsüber, weil er das Risiko liebte.
Er öffnete die Tür zu seiner großen Wohnung und merkte schon beim Hereintreten, das etwas nicht stimmte.
Mit einem schnell gesprochenen Zauber erhellten Fackeln an den Wänden das Apartment. Da er die Wohnung einem Muggle abgekauft hatte, konnte er damit tun, was er wollte. Und als erstes hatte er sie magisch verwandelt.
Misstrauisch sah er sich um, den Zauberstab griffbereit in der Hand. Als er den Flur überquerte und das Wohnzimmer betrat, spürte er sie sofort. Es war das Eine, das sie verband, sodass er sogleich wusste, dass sie es war.
Er fühlte sich an Schnee erinnert.
Langsam drehte er sich um, damit er die weiträumige Küche ins Visier nehmen konnte, die vom Wohnzimmer nicht durch eine Wand, sondern von einer Theke getrennt war.
Sie lehnte am Tresen, einen Arm darauf gelegt; in der anderen hielt sie lässig ein Kognakglas, das zu einem Viertel mit einer goldfarbenen Flüssigkeit gefüllt war. Sie stand ihm zugewandt und lächelte ihn an. Ihre leicht spitzen, etwas schiefen Eckzähne funkelten hell auf. Ihre Augen schimmerten so grau, wie das englische Meer, und vermochten silbern zu werden, wenn das Licht sich in ihnen einfing. Sie trug ihre Haare locker hochgesteckt, doch einige ihrer Strähnen hatten sich aus der Frisur gelöst. Sie trug ein schlichtes Kleid mit langen, weiter werdenden Ärmeln und mit einem hohen Schlitz, der mehr von ihren langen Beinen preisgab, als gut für ihn war.
Sirius ließ seinen Zauberstab sinken. Er ignorierte, wie sein Herz einen Sprung machte.
Aber er ließ seinen Verstand walten. Nur zu genau erinnerte er sich an ihre letzte Begegnung, an die letzten Blicke im Zaubereiministerium und an diese Sehnsucht, die alles zu verzehren drohte. In einer Welt wie dieser waren sie Feinde. Die schützenden Mauern Hogwarts oder auch Durmstrangs gab es für sie längst nicht mehr.
„Wie bist du herein gekommen, Kisic?" Er gab seiner Stimme einen abweisenden Ton. Es war besser für sie beide, wenn sie die Distanz aufrechterhielten. Er benutzte mit Absicht ihren Nachnamen.
Er hatte nicht gedacht, sie so schnell wiederzusehen. Es warf ihn aus der Bahn.
„Zweifelst du so sehr an meinen Fähigkeiten, Black?", antwortete sie mit einer Gegenfrage; ihre Stimme klang hell, aber arrogant und hochtrabend; ein wenig schleppend, so wie immer.
Sirius hob seine linke Augenbraue. „An deinen Fähigkeiten als Einbrecherin?", grinste er spöttisch. „Ich sollte daran wohl eher nicht zweifeln, was?"
„Ich bin keine Einbrecherin", stellte sie sofort richtig, und auch das war typisch für sie.
Immer wollte sie in gutem Licht stehen, immer diejenige sein, die Moral hatte, eine formvollendete junge Dame aus reinblütigem, altem Hause. Aber formal gesehen gehörte sie nicht zu jenen, die Moral hatten.
Wenn es denn so etwas wie Moral gab. Moral war leicht zu definieren, doch erklärte es selten das Richtige. Nur weil irgendwelche Zauberer und Hexen in höheren Positionen sich das Recht nahmen, festzulegen, was gut und was böse, was moralisch richtig und moralisch verwerflich war, musste das noch lange nicht bedeuten, dass es korrekt war. Moral war subjektiv, fand Sirius. Und so war Mina vielleicht sogar moralisch. Wenn sie glaubte, es zu sein, dann war sie es. Aber auf ihre Weise. Und nicht nach der Definition der Zauberergesellschaft der Weißen Magie.
Sirius schlenderte auf sie zu, nahm den gläsernen Krug und ein Glas und goss sich ebenfalls Kognak ein.
Er fragte sich, was sie hier wollte. Es war wirklich keine gute Idee von ihr, hier in seiner Wohnung zu sein.
Er lehnte sich ebenfalls an die Theke, seitlich, damit er Minas Profil mustern konnte. Sie schaute geradeaus, wahrscheinlich, um ihn nicht ansehen zu müssen.
„Dann hattest du einfach nur Sehnsucht nach mir?", erkundigte er sich schalkhaft. Seine schwarzen Augen lächelten.
Mina sah ihn nun doch an; sie wirkte empört. „Na klar, Black", sprach sie zynisch. „Sehnsucht nach einem Blutsverräter. Eher friert die Hölle zu."
Auch sie wollte offenbar vergessen, was zwischen ihnen zu spüren gewesen war, als sie sich vor vier Tagen gesehen hatten.
Sirius grinste. „Cool. Dann können wir dort ja vielleicht Schneeballschlacht spielen."
Sie sog die Luft ein, ihre Augen wurden schmal und dunkel vor Zorn. Sie war leicht in Rage zu bringen, obschon sie selbst bei jeder Gelegenheit versuchte, ihn zu verhöhnen und zu verspotten. „Ich bin nicht gekommen, um mir deine dummen Witze anzuhören, Black!"
Sirius hörte aus ihrer Stimme heraus, dass sie es ernst meinte. Da schwang etwas Verzweifeltes mit, schattenartig und flüchtig nur, aber er nahm es durchaus wahr. Sein Grinsen verblasste allmählich und er runzelte die Stirn, sie aufmerksam betrachtend.
Verwirrt stellte er fest, dass er sie vermisst hatte. Sein Herz flatterte immer noch aufgeregt, als sei es ein Schmetterling, der eine besonders wunderschöne Blume entdeckt hatte, und in seinem Magen fühlte er ein prickelndes Ziehen.
Mina wich seinem Blick aus, ließ ihr Glas schwenken, so dass der Kognak sich darin zu drehen und golden im Fackellicht aufzuglitzern begann und steckte sich mit der anderen Hand eine widerspenstige, dunkle Locke aus dem Gesicht.
Sie war nervös.
„Okay", sagte er langsam. Er wusste nicht, was ihn erwartete. „Schieß los."
Sie war ein Feind, das war ihm bewusst. Ein politischer Feind. Sie arbeitete für die Gegenseite. Sie war zwar keine Todesserin oder diente in irgendeiner Weise Voldemort, aber sie arbeitete in Kroatien der Schwarzen Macht in England zu. Die schwarzmagische Partei, die in ihrem Land die Wahlen gewonnen hatte, war rassistisch und fanatisch. Es fiel in Kroatien vielleicht kaum auf, weil offenbar über 90 Prozent der Bevölkerung ebenso dachte. Und der neue Präsident hoffte auf ein Bündnis mit England, um die überaus rebellische, kroatische Opposition in Schach zu halten.
Ein Bündnis mit einem schwarzmagischen England.
Die Opposition in Kroatien hatte zwar kaum Unterstützung vom Volke aus, was sie aber nicht daran hinderte, gewaltsamen Widerstand zu leisten. Erst gestern, so hatte Sirius sich schlau gemacht, hatten sie Feuer im Parlament gelegt. Zwei von den Rebellen waren geschnappt und öffentlich hingerichtet worden.
Doch merkwürdigerweise war ihm das alles im Moment gleich. Sie war nicht deswegen hier. Es war irgendetwas anderes und er vermutete, dass es gleich erfahren würde. Ihm war durchaus bewusst, dass er das ganze Vertrauen des Phönixordens und der Aurorenzentrale verlieren würde, wenn sie herausfänden, dass er mit Mina Kisic friedlich in seiner Wohnung abhing und Kognak trank. Mit Ausnahme James'. Er würde ihm glauben – zwar nicht verstehen – aber er würde ihm nach wie vor vertrauen. James vertraute ihm immer.
Aber ganz davon abgesehen, dass der Phönixorden und die Abteilung für Magische Strafverfolgung hiervon ja nicht erfahren mussten, da er ja der Gegenseite nicht half, störte ihn das Risiko nicht. Er hatte sich mit Mina schon immer auf irgendeine merkwürdige, nicht erklärbare Weise verbunden gefühlt und er würde sich anhören, was sie auf dem Herzen hatte.
„Stôyan verlangt meinen Kopf", eröffnete sie ihm mit brutaler Offenheit und sah ihn wieder an. Sie bemühte sich um Ausdruckslosigkeit, versuchte gelassen zu klingen, aber Sirius entging ihr Entsetzen darüber nicht.
Er selbst starrte sie an. Er atmete aus und merkte, wie er seinen Atem kurz angehalten hatte. Er erinnerte sich an ihre blutigen Kratzer, die sie nun hatte heilen lassen. „Wow."
„Er glaubt, ich besäße die Kette, die er deinem Vater einst geschenkt hatte. Die Vyperus gestohlen hat."
Sie wusste also davon.
Die Kette hatte seitdem des Öfteren ihren Besitzer gewechselt. Sirius' Vater hatte sie sich wieder zurückgestohlen, Vyperus hatte sie erneut zurückerobert. Nun schien Mr Black wieder kurz davor zu stehen, sich die Kette anzueignen. Stôyans Hilfe hatte er mit Sicherheit, wie Sirius glaubte.
„Und? Hast du sie?"
„Nein!" Sie klang ehrlich. Nahezu empört, dass er ihr solch eine Frage stellte. „Ich bin doch nicht so dumm und würde die Kette stehlen, um Stôyan damit herauszufordern!"
Sirius hob die Schultern. „Wer weiß", entgegnete er lauernd. „Die Kette wollen sehr viele haben. Viel Geld wird dafür geboten. Geld und andere Dinge, die Macht mit sich bringen."
Er hatte sich auf dem Schwarzmarkt umgehört. Die Kette war dort in aller Munde.
Sie presste ihre Lippen zusammen und nahm eine straffe Haltung an. „Ich verfüge über genug reiches Erbe, ich brauche derartiges, wie die Kette, nicht, um mir eine Machtposition in der Gesellschaft zu verschaffen. Die habe nämlich ich schon!"
Er lächelte amüsiert. „Und warum glaubt Stôyan dann, du würdest die Kette besitzen?"
„Weil ihm irgendwer das glaubhaft gemacht haben muss!"
„So? Und wer? Und vor allem: warum?" Sirius runzelte die Stirn. Das könnte kompliziert werden.
„Vyperus", sagte Mina schlicht und Sirius erstarrte. Sie sah ihn eindringlich an. „Verstehst du nicht? Vyperus besitzt zwar die Kette, aber er versucht Stôyan zu verklickern, dass das ein Irrtum sei und ich sie gestohlen habe. Unter anderem als Rache dafür, was Stôyan meiner Cousine Marijana angetan hatte. Vyperus will damit von sich ablenken."
Sirius sah sie zweifelnd an. „Aha. Okay... und angenommen, Stôyan kriegt dich und findet heraus, dass du die Kette gar nicht besitzt. Dann sind Vyperus' Lügen aber verdammt schnell aufgeflogen. Was hätte er also von solch einer Lüge?"
Mina atmete lange aus. „Es ist kompliziert. Vampire lieben Listen und Intrigen. Schau... dein Vater ist hinter der Kette her und Vyperus muss sich vor ihm und Stôyan in Acht nehmen. Er behauptet, dass ich die Kette habe, aber nicht nur, um von sich abzulenken. Denn er weiß, dass seine Lügen rauskommen, wenn Stôyan sich die Mühe macht, dem nachzugehen. Dies tut Stôyan jetzt. Er lässt mich verfolgen. Vor vier Tagen hat mich ein Vampir überrascht, der mich fangen wollte. Daher diese Kratzer. Vyperus will nur, dass Stôyan denkt, ich habe die Kette, weil er damit rechnet, dass ich dir davon erzähle. Er hofft, dass du dich einmischen wirst. Dass du unvorsichtig wirst, damit er dich kriegen kann. Um dich als Druckmittel gegen deinen Vater zu wenden. Damit dein Vater die Besitzansprüche an der Kette aufgibt. Vyperus weiß, dass er schlecht an dich herankommt. Mich benutzt er als Köder, um an dich und deinen Vater heranzukommen, um uns alle umzubringen, damit er endlich diese Kette für sich allein hat. Damit will er in dieses unbekannte Reich. Mit ihr. Der Frau, die er liebt." Ihr Blick wurde düster. „Er ist völlig besessen davon."
Sie wusste erstaunlich viel.
„Und Vyperus muss diesen Torbogen finden, um in das andere Reich zu kommen. Gerüchte besagen, dass es sich in der Mysteriumsabteilung eures Zaubereiministeriums befände. Vyperus will genau dies aus deinem Vater entlocken, sich Zugang dazu verschaffen, bevor er ihn töten will. Deswegen all seine hinterhältigen Pläne an euch ranzukommen."
Sirius nahm einen Schluck Kognak. Er hatte ihren Erzählungen gelauscht und durch die vielen tückischen Fäden den Zusammenhang begriffen.
Kalt fixierte er Mina. „So?", fragte er hart. „Und wieso glaubt Vyperus, ich würde mich einmischen und unvorsichtig werden?"
Mina starrte ihn an; sie war eine Spur blasser geworden. Sie rückte ein wenig von Sirius ab, lenkte ihren Blick mal hierhin, mal dorthin, ehe sie wieder wagte, ihn anzuschauen. Schließlich verdrängte sie ihre Unsicherheit und ließ dem Hochmut die Überhand.
„Nun... ich schätze mal, weil Vyperus annimmt, dass du es für mich tun würdest. Dass du dich einmischen und Stôyan erklären würdest, dass er keinen Grund habe, mich töten zu lassen."
Sirius' Augen weiteten sich leicht. Alles in ihm geriet in Aufruhr und so sehr er auch versuchte, es unter Kontrolle zu halten, er schaffte es nicht. Er merkte, wie sein Blut zu rauschen begann. Er lachte, in der Hoffnung, höhnisch zu klingen. „Vyperus ist verrückt geworden, so erscheint es mir."
Woher wusste Vyperus überhaupt, dass er und Mina sich kannten?
Mina zeigte keine Regung. Der Hochmut war vergangen, hatte Ausdruckslosigkeit Platz gemacht. Dann sprach sie es mit rauer Stimme aus. „Er weiß, dass du mich liebst, Sirius."
Er hätte beinahe sein Glas fallen lassen. Er konnte es gerade noch verhindern und ließ nur seinen Arm sinken, Mina ungläubigen Blickes fixierend. Ihm fiel überhaupt nicht auf, wie sie ihn beim Vornamen nannte.
Sie lächelte. Es war ein wehmütiges, trauriges Lächeln, das ihre Augen erreichte und dort aufglitzerte, tränengleich.
„Ich liebe dich nicht, Kisic", presste Sirius heraus und musste dafür seine ganze Selbstkontrolle in Anspruch nehmen. Es war eine Meisterleistung, eine völlige Beherrschung von eiskalter, berechnender Vernunft, welche die wahren Emotionen tief irgendwo an einem finsteren, schwer erreichbaren Ort seines Herzens verschloss.
„Ich liebe dich nicht", wiederholte er stur. „Und glaub nicht, dass du mich so um den Finger wickeln kannst, damit ich Stôyan gegenüber behaupte, du habest die Kette nicht gestohlen, um dich zu retten. Weißt du, woher soll ich überhaupt wissen, ob du nicht lügst?"
„Warum leugnest du es?"
Sirius konnte kaum glauben, was er da hörte. „Sag mal, hast du mitgekriegt, was ich vorhin gesagt habe, Kisic?"
Sie funkelte ihn an. „Ja! Dass du mich nicht liebst."
Sirius sog den Atem ein.
Scheiße.
„Ich meinte den Teil mit der Kette, verdammt!" Er durfte sich nicht auf das Thema einlassen. Er durfte nicht, denn er wusste, sonst war er verloren. Also sprach er über die Kette. Das war schließlich wichtiger und der Grund, warum sie überhaupt hergekommen war.
Mina stapfte mit dem Fuß auf, als wäre sie ein kleines Mädchen. Zorn umhüllte sie, wie eine dunkle Gewitterwolke. „Stôyan weiß eben nicht, wer die Kette besitzt! Er kann vielleicht vermuten, dass Vyperus lügt, aber offenbar war Vyperus in seinen Erklärungen sehr glaubhaft und hat ihm weismachen können, dass ich die Kette habe! Und als Sterbliche kann ich es kaum wagen, einfach so in den vampirischen Untergrund zu gehen, um Stôyan aufzufordern, den Veritastrank einzusetzen, damit er mir glaubt! Danach würde einer von ihnen mich ohnehin aussaugen, weil es nun mal Vampire sind!"
Sirius hörte konzentriert zu. Vyperus behauptete also, Mina habe die Kette, in der Hoffnung, sie renne zu Sirius, um ihn um Hilfe zu bitten. Der Vampir erhoffte sich seine Einmischung und Unvorsichtigkeit, um ihn zu fangen. Dann würde er Mr Black anlocken, in der Annahme, dieser würde sich noch um seinen Erstgeborenen kümmern, um sie alle zu töten, damit er die Kette für sich allein hatte?
Weswegen diese Komplikationen? Wieso versuchte Vyperus nicht einfach hier aufzutauchen, um Sirius zu entführen?
Er fragte Mina all das.
„Weil Vyperus selbst beschattet wird. Von Stôyans Vampiren. Er würde dich nicht entführen können, ohne dass sie es merken. Dann würden seine Lügen alle auffliegen. Außerdem hätte er dann noch die Auroren am Hals. Wenn er dich aber zu sich lockt, freiwillig und unauffällig, sähe das alles ganz anders aus!"
„Und wieso will Stôyan denn unbedingt wissen, wer die Kette nun hat?", fragte er mürrisch.
Und woher wusste Vyperus, dass Sirius dies tun würde – für sie? Woher nahm der Vampir seine Gründe zu glauben, er würde Mina lieben?
Er wagte dies nicht zu fragen.
Mina sah Sirius derweil sprachlos an. „Weil sie ein mächtiger Gegenstand ist, Sirius!", rief sie aus. „Weil sie der Schlüssel zu einer anderen Welt ist! Weil er, warum auch immer, beruhigt wissen will, dass ein Black sie besitzt! Ich weiß nicht, was dein Vater getan hat, dass Stôyan so tief in seiner Schuld steht und ihm aus Dankbarkeit die wertvolle Kette geschenkt hat, darauf vertrauend, dass ihr pflichtbewusst damit umzugehen wisst, aber er will sichergehen, dass sie einem von euch gehört!"
Das leuchtete ihm ein. Stôyan war schon immer davon besessen gewesen, sicherzustellen, dass die Kette den Blacks gehörte und niemand es wagte, sie ihnen wegzunehmen.
„Warum bist du eigentlich hierher gekommen?", fragte Sirius schließlich, sie aus halb geschlossenen Augenlidern musternd.
Mina schien ein wenig zu erstarren. Kurz fixierte sie die Leere, schaute ins Nichts, als ob sie darin eine Antwort finden könnte. Dann hob sie ihren Blick. „Um... um dich um Hilfe zu bitten", antwortete sie schließlich leise, beinahe wispernd.
Ihre Stimme schwebte durch die Luft, hin zu ihm, schien ihn zu streifen, so sanft und zart, dass es ihn ein wenig von dem Ernst der Lage ablenkte.
Er war zwar froh um ihre Ehrlichkeit, auch wenn seine innere Stimme ihn warnte. Sie flüsterte ihm zu, dass sie ebenso aus List und Tücke handeln konnte, wie sie es über Vyperus behauptete. „Und du tust genau das, was Vyperus sich erhofft?"
„Nein", sagte Mina, diesmal nicht mehr so leise. „Ich erwarte ja nicht, dass du unvorsichtige Dinge tust."
Sirius hob die Augenbrauen, nahm dann einen Schluck Kognak. „Und was dann?", fragte er anschließend.
Er stellte keines ihrer Worte in Frage, auch wenn ihm der Gedanke gekommen war, dass sie alles nur erfand. Aber welchen Nutzen sollte sie daraus ziehen? Keinen. Und selbst wenn Sirius nicht gewusst hätte, dass Mina keinen Vorteil daraus zog, wenn sie ihm hier etwas über die Intrigen der Vampire erzählte, hätte er ihr geglaubt.
„Dass du zum Beispiel zu deinem Vater gehst, um ihm zu sagen, was du nun weißt. Er wird dir glauben. Und zum einen wird nur er Stôyan davon überzeugen können, ohne dass ihm selbst etwas geschieht. Und zum anderen können sie dann Gegenmaßnahmen treffen, um sich zu schützen. Um Vyperus die Kette abzunehmen. Um uns somit ebenso vor Schwierigkeiten zu bewahren."
Sirius war bei ihren arglosen Worten erstarrt. Das Blut schien in seinen Adern zu gefrieren, so glaubte er. „Oh, nein", stieß er voller Inbrunst hervor.
Mina blinzelte verwirrt. „Sirius... ich weiß ja, dass du dich gegen deine Familie gestellt hast. Aber das hier ist wichtig."
„Nein." Nein, nein und nochmals nein. „Ich gehe nicht zu meinem Vater. Nie! Niemals!"
Er sprach gehetzt ohne es selbst zu merken. Zu groß war die Unruhe, zu stark die Verzweiflung, die sie mit ihrem Vorschlag bei ihm ausgelöst hatte.
Sirius war intelligent. Er hatte augenblicklich begriffen, dass Minas Idee die einzige Möglichkeit war, Unheil abzuwenden. Vyperus würde nicht aufgeben, er war wahnsinnig. Aber wenn Mr Black wusste, was der Vampir plante, dann wäre nicht nur Mina gerettet. Sondern auch er, Sirius. Und nebenbei natürlich auch sein Vater. Aber das spielte für ihn keine Rolle.
„Ich will ihn nie wieder sehen!", presste er noch hervor.
Mina war verdutzt. Sie schien seinen Hass, seine Abneigung nicht zu verstehen. Wie auch, sie wusste ja nicht, was bei ihm daheim vorgefallen war. Was er von seinen Eltern heimlich gehört hatte, kurz bevor er ausgerissen war.
„Aber eine bessere Möglichkeit gibt es nicht", beharrte sie. „Du selbst kannst auch nicht zu Stôyan. Dazu hast du ihn zu wenig gesehen, um das Privileg zu erlangen, vorgeladen zu werden. Auch wenn du ein Black bist. Du müsstest zunächst seine Vampire davon überzeugen, denn an denen müsstest du vorbei. Und das ist ein Ding der Unmöglichkeit."
Sirius schüttelte den Kopf. Er wollte nichts davon hören. „Gib auf, Mina. Ich werde nicht zu meinem Vater gehen."
Sie starrte ihn verständnislos an. „Warum nicht, Sirius?", rief sie aus. Ungeduld schwang in ihrer Stimme mit, begleitet von Zorn und Verwirrung. „Kannst du nicht einmal an die übergeordneten Zusammenhänge denken, anstatt immer nur an dich?"
Er packte sie mit seiner freien Hand am Arm und zog sie mit einem Ruck zu sich. Ihr Kognakglas fiel ihr dabei aus der Hand, fiel mit einem Klirren auf den schwarzen, glänzenden Marmorboden und zerbarst in viele, kleine Scherben. Keiner von ihnen nahm davon Notiz. Mina hatte sich mit ihrer flachen Hand gegen Sirius' Brust gestützt, um nicht gegen ihn zu prallen; sein Griff um ihren Oberarm musste ihr das Blut abschnüren. Wütend funkelten sie sich an.
„Was verstehst du an dem Wort Nein nicht, Mina?", zischte er. Er ignorierte die Empfindung an Schnee, die stärker geworden war, seit sie nur wenige Millimeter von ihm entfernt stand. In seinem hilflosen Zorn war ihm auch nicht ihre Körperwärme bewusst, die er eigentlich spürte. „Vergiss es. Ich werde nicht zu meinem Vater gehen. Ich betrachte ihn noch nicht einmal mehr als einen solchen!"
Sie versuchte sich seinem harten Griff zu entwinden, aber Sirius ließ es nicht zu. So flackerte die Rage in ihrem Blick noch mehr auf, sie schien Dolche aus ihren grauen Augen zu schießen, offenbar in der Hoffnung, dass jeder einzelne den jungen Rekruten traf.
„Weißt du, dass du mit dieser verdammten, engstirnigen Ignoranz alles nur noch schlimmer machst?", rief sie. „Vyperus wird sich etwas Neues ausdenken, um dich zu kriegen. Denn er glaubt, dass nur du der Schlüssel dazu bist, um deinen Dad zu bekommen! Und ich werde dann sowieso tot sein, du beschissenes Arschloch!" Sie holte tief Luft; ihre Wangen waren vor Wut gerötet, und sie schloss ihre Hand, die auf Sirius' Brust gelegen hatte, zur Faust, um damit gegen seinen Oberkörper zu trommeln.
Sirius ließ ihren Arm los und fing ihr Handgelenk, damit sie aufhörte, auf ihn einzuschlagen. Er konnte ihren Puls fühlen, er raste wie wild.
„Hör auf damit!" Er blitzte sie erbost an und verstärkte seinen Griff. Oh, er wusste, dass Minas Vorschlag der einzige richtige Weg war, aber so einfach war das alles nicht. „Du weißt ja gar nicht, was er mir antun wollte!", rief er frustriert aus.
Sie entriss sich seinem Griff mit einem Ruck und schlug ihm aus lauter Wut sein Glas aus der Hand. Auch dieses fiel zu Boden und zersprang. „Dann erzähle es mir, Sirius!"
Es lag so große Verzweiflung in ihrer Stimme, in ihrem Blick, dass Sirius zusammenfuhr. Er ließ sie so abrupt los, als hätte er sich verbrannt.
Sie hatte ihn aus großen Augen fixiert, Emotionen huschten über die Iris, schnell, als würden sie gejagt werden. Aber jedes einzelne Gefühl war zu erkennen. Wut, Feindseligkeit, Verständnislosigkeit, Frustration und etwas anderes. Etwas, das Sirius lieber nicht definieren wollte.
Er ließ seine Arme sinken, lehnte sich an den Tresen zurück. Mina stand immer noch schräg vor ihm, ganz dicht. Jetzt wurde ihm wieder die Erinnerung an Schnee bewusst. Sie wurde ihm bewusst, dass sie viel zu nah vor ihm stand.
„Ich... ich kann nicht", entgegnete er heiser. Er konnte nicht leugnen, dass das Vorhaben seiner Eltern ihn immer noch verletzte. Dass Hass noch nicht endgültig geschafft hatte, diese Wunde zu schließen, die sie seinem Herzen zugefügt hatten. Manche ließen sich nicht heilen.
Mina sah ihn aufmerksam an; was auch immer sie in seinen nachtschwarzen Augen lesen konnte, sie schien zu verstehen. Denn sie bohrte nicht weiter nach. Stattdessen wurde ihr Blick auf einmal sanft, wehmütig. Dann senkte sie ihn.
„Es ist ja nicht so, dass du es für mich tun sollst, Sirius. Sicher, ich leugne nicht, dass ich deine Hilfe benötige. Aber das alles betrifft auch dich. Vyperus ist bereit jeden zu opfern, um diese Kette für sich und seine Geliebte zu erringen, zu verteidigen."
Sirius starrte auf ihren gesenkten Kopf. Das Fackellicht warf Schatten auf ihr dunkles Haar, das Licht ließ es glänzen.
Dabei würde er es, wenn, dann sogar für sie tun. Darum ging es Sirius nicht. Sondern darum, dass er nun mal nicht einfach so seinem Vater gegenüber treten konnte. Es lag nicht nur an den vorgefallenen Ereignissen, sondern auch daran, dass er und sein Dad jetzt auch politische Feinde waren. Sein Vater würde etwas planen, versuchen, einen Nutzen daraus zu ziehen, wenn sein rebellischer Erstgeborener zu ihm ging, um ein Mädchen zu schützen, für das er verbotenerweise etwas empfand.
Er seufzte und fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare, die ihm wieder zurück in die Stirn fielen.
„Ich hätte nicht hierher kommen sollen", sagte Mina plötzlich. Als sei sie auf einmal davon überzeugt, dass sie keine Hilfe von Sirius bekommen würde. Sie ging einen Schritt in Richtung Raummitte hinein und drehte sich zu ihm um. Ihre Augen waren riesig. „Ich werde schon allein damit fertig. Ich weiß auch nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, ausgerechnet zu dir zu kommen." Sie lachte kurz und unsicher. Hektisch. „Aber pass auf dich auf. Wie ich dir schon sagte... Vyperus wird neue Pläne schmieden, wenn dein Vater ihn nicht in Ruhe lässt."
Sirius fiel in diesem Augenblick eine Entscheidung; er machte einen Schritt auf sie zu. Sie standen beide im Schein der Fackellichter.
Er wollte ihr sagen, dass es schon okay sei und er zu seinem Vater gehen würde, um die ganze Angelegenheit zu regeln. Ja, er würde es auf sich nehmen. Für sie. Weil er etwas für sie empfand, was er nach wie vor zu leugnen versuchte. Es war niemals einfach, in den Schatten der Liebe zu ziehen, Gefühle zu zeigen, die einen verletzlich machten.
Aber ehe er dazu kam, etwas zu sagen, sprach sie etwas aus, was ihn verharren ließ. Was ihm drastisch vor Augen führte, dass sie längst im Schatten der Liebe weilten. Sie mussten es einfach nur noch anerkennen.
Es war der Ton in ihrer Stimme, der ihre Worte Lügen strafte und der unmissverständlich klar machte, dass sie auch von seinen Worten wusste, dass sie gelogen waren.
„Weißt du, Sirius, ich liebe dich auch nicht."
Ein schwaches, ehrliches Lächeln, ein silbriges, schwermütiges Glitzern in ihren Augen, dann war sie disappariert.
A/N:
Das Zitat am Anfang des Kapitels ist aus einem indischen Song; die Übersetzung gibt nur sinngemäß wieder, was dort geschrieben steht, da die indischen Sprachen sehr viel blumiger sind, als die Deutsche; deswegen habe ich den Originaltext mit reingenommen.
Seeehr kitschig, ich weiß – he he.
Daaaanke, meine süßen Reviewer,
ihr seid lieb.
