Rückwärts in die Dunkelheit

Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

(- die letzten Worte eines Sterbenden.)


34. Kapitel

Um Leben und Tod


„Der größte Trick,
den der Teufel je gebracht hatte,
war die Welt glauben zu lassen,
es gäbe ihn nicht!"

(- Die üblichen Verdächtigen)

Februar 1980, einen Monat später.

Er hatte es ganz genau geplant. Die Idee war ihm schon vor einiger Zeit gekommen. Als er noch in Hogwarts gewesen war.

Er hatte den Plan von Beginn an immer als Notlösung betrachtet. Eine Notlösung, die nur dann eintreten sollte, wenn es gar nicht mehr anders ging. Wenn es keinen Ausweg mehr gab. Und nun war exakt dieser Fall eingetreten. Es war soweit.

Nun war er alle möglichen Wege gegangen und vor einer Schlucht ohne Brücken geendet. Nun würde er jene Idee in die Tat umsetzen, um weitergehen zu können.

Regulus lächelte kalt. Es musste einfach klappen. Der Plan war listig und strategisch geschickt. Tückisch und gemein. Hinterhältig und er würde vielleicht Opfer mit sich bringen. Aber diesen Preis war er gewillt zu zahlen.

Seit sein Vater so überraschend früh gestorben war, ging es mit der mächtigen Dynastie der Blacks bergab.

Regulus wusste, dass er Hilfe benötigte, um den Stern seiner Familie aufrecht zu erhalten. Hilfe von einem Ebenbürtigen, einem mit demselben reinen Blut. Sirius.

Aber Sirius wollte ihm nicht helfen. Auf Narcissas Hochzeit hatte er es ihm nur allzu deutlich gezeigt.

Aber, nun gut, dachte Regulus heimtückisch. Das machte nichts. Was er nicht freiwillig bekam, holte er sich eben mit Gewalt...

xx

Zwei Abende später.

James war mit Peter und Remus bei Sirius gewesen. Es war ein lustiger Abend gewesen, nun war er mit Peter auf dem Rückweg. Remus war ein wenig eher gegangen.

Sie waren vorsichtig; sie mussten es sein, um sicherzugehen, keinem Todesser zu begegnen. Sie hätten apparieren können, sie hätten das Floonetzwerk benutzen können, aber James war nach frischer Luft gewesen und er hatte Peter überreden können, mitzukommen. Den Tarnumhang hatte er Lily geliehen.

So ging er mit Peter durch die Straßen; Sirius wohnte ohnehin in der Nähe. Vor James' und Lilys Wohnung würde Peter dann disapparieren.

Es war früher Abend und bereits dunkel; die Straßenlaternen spendeten Licht. Sie bogen soeben um die Ecke, als die Lichter in ihrer Nähe auf einmal ausgingen.

Peter keuchte auf, James zog auf der Stelle seinen Zauberstab und beschwor den Lumos-Zauber herauf. Er spürte einen Windhauch hinter sich, wirbelte herum und jagte blindlings einen Lähmungsfluch los.

Ein leuchtender Blitz zischte hervor; ein Aufstöhnen folgte dem.

„Disapparier!", zischte James Peter zu, er hatte genug gesehen. Schatten waren da; aber das Aufschimmern der silbernen Masken war nur zu deutlich zu erkennen gewesen.

Todesser. Und zwar überall. Sie waren umzingelt. Und sie hatten sie noch nicht einmal anschleichen hören.

Er wollte im selben Augenblick verschwinden, als Peter von einem Cruciatus-Fluch getroffen wurde.

Peter schrie auf und fiel auf die Knie; das Gesicht war vor Schmerzen verzerrt.

James fluchte, wollte wieder einen Angriffszauber anwenden, als ihn ein Fluch traf, der ihm das Bewusstsein raubte.

xx

Wenig später.

Remus fuhr zusammen, als jemand wie wild gegen seine Tür hämmerte.

„Moony!", rief eine aufgeregte Stimme, die eindeutig Sirius' war.

Remus starrte die Tür an. Er war doch eben noch bei Sirius gewesen.

„Mach verdammt noch mal die Tür auf! Ich weiß, dass du da drinnen bist!"

Remus glaubte an keinen Trick seitens seines Kumpels, nur, um endlich mal in diese kleine, schäbige Wohnung zu kommen, was er nämlich nach wie vor hatte verhindern können. Wäre da nicht diese erstickte Panik gewesen, die in Sirius' Stimme mitschwang, hätte er wohl an einen Trick geglaubt. Aber so...

„Sie haben Prongs! Und Wormtail!", fügte Sirius noch hinzu und klang auf einmal ausdruckslos.

Remus sog die Luft ein. Augenblicklich warf er alle Prinzipien über Bord, eilte zur Tür, entzauberte die Schutzwälle und öffnete sie.

Sirius fiel regelrecht hinein. Er raffte sich auf, das Gesicht war bleich, die Augen weit aufgerissen. In der Hand hielt er eine Pergamentrolle, die er Remus überreichte.

„Sie haben ihn entführt. Und Wormtail auch. Wir müssen sie befreien! SOFORT!" Sirius lief in der Wohnung auf und ab, sich gar nicht umsehend.

Remus, der die Tür geschlossen und sich dagegen gelehnt hatte, entrollte das Pergament und las den Brief.

Mit jedem Wort, das er aufnahm, kroch stärkeres Entsetzen in ihm hoch.

Wir haben Potter.

ICH habe Potter. Mit Hilfe einiger... Freunde... habe ich ihn entführt. Er wird sterben, wenn du nicht kommst und mir mit Blut das schwörst, was ich von dir verlange. Und falls du damit argumentieren willst, dass Schwüre, die erzwungen werden, nicht gelten, so wirst du deinen Eid ehrlich meinen, wenn du erkennst, dass nur du Potters Leben retten kannst.

Regulus.

P.S. Wenn du mir nicht glaubst, anbei eine Phiole mit seinem Blut. Du hast eine halbe Stunde Zeit. Solltest du bis dahin nicht bei mir sein, wird Potter zu viel an Blut verloren haben, um eine Überlebenschance zu haben. Nutze die Phiole als Portschlüssel.

P.P.S. Und diesen Pettigrew haben wir auch. Er war zufällig dabei. Da er mir nichts nützt, habe ich ihn den anderen überlassen und bin nicht an seinem Wohlergehen interessiert. Ich schätze, sie werden Freude an ihm haben.

Remus sah langsam auf. Sirius war vor ihm stehen geblieben; die schwarzen Haare fielen ihm zerzaust in die Augen. „Wir haben noch fünfzehn Minuten. Ich habe den Prewetts eine Eule geschickt. Lily müsste hier ebenfalls gleich auftauchen. Sie müssen uns helfen."

„Du willst mit nur fünf Mann dorthin?", fragte Remus ungläubig.

Sirius fuhr auf. „Wir können nicht länger warten! Und wenn ich der Aurorenzentrale oder den Phönixorden Bescheid gebe, verlieren wir Zeit! Wer weiß, was die dann wieder diskutieren wollen!" In seinen schwarzen Pupillen blitzte es auf. „Und hierbei gibt es nichts zu diskutieren!"

Es klopfte wie wild. Remus drehte sich um und öffnete die Tür. Lily, Alice und Frank, Fabian und Gideon standen vor der Tür.

„Alice! Frank!", rief Sirius erleichtert aus. „Gut, dass ihr da seid! Los, wir müssen auf der Stelle dorthin!"

„Wir wissen nicht, was uns erwartet", wandte Alice ein.

Sirius warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Wir haben keine Zeit zum Planen!"

Lily schob sich an ihnen vorbei und rannte zu Sirius. Sie war leichenblass. „Ihr braucht ja nicht mitzukommen!", rief sie hitzig über die Schulter. Dann blickte sie Sirius fahrig an. „Wo ist der Portschlüssel?"

Sirius holte die Phiole aus seiner Tasche.

Remus hechtete zu ihnen hin. Gefolgt von den anderen. „Wartet, verdammt!"

„Wir kommen ja mit!", sagte Frank eilig. „Aber haltet eure Zauberstäbe bereit und lasst uns einen Kreis bilden, damit wir die Rücken frei haben!"

Sie taten es, dann hielten sich alle an der Phiole fest. Sie war durch einen Zauber gesichert, damit sie nicht sofort als Portschlüssel wirkte. Sirius kannte den Gegencode, nannte ihn und sie wurden zu einem anderen Ort gebracht.

xx

Regulus sah sie kommen. Und er hatte sich gefragt, ob Sirius alleine kommen würde. Es hätte ihn nicht überrascht, aber er hatte auch damit gerechnet, dass er einige von seinen Freunden mitnehmen würde.

Regulus kannte sie alle. Die Prewetts, die Longbottoms, Lily Potter, Remus Lupin. Sie standen alle Rücken an Rücken, die Zauberstäbe bereit und griffen sofort an, als ihre Füße den Boden berührt hatten.

Die Todesser, alles Freunde von Regulus aus seinem Jahrgang, die ihm bei der Entführung James' geholfen hatten, verteidigten sich auf der Stelle.

Regulus hatte dem Dunklen Lord nichts hiervon erzählt. Er hatte ihn ja noch nie persönlich getroffen. Und er war der Ansicht, persönliche Dinge alleine regeln zu können. Und dies war eine persönliche Angelegenheit.

Eine Familiensache.

Regulus stand abseits des heftig entbrannten Chaos' und sah amüsiert zu. Sirius und seine Leute waren unterlegen. Sie kämpften gegen elf junge Todesser. Und ein jeder war bereit, zu töten. Nur Sirius würde verschont werden.

Frank Longbottom hatte ein Schutzschild für alle gezaubert, an dem die Todesflüche brachen. Es bedurfte hoher Konzentration; Regulus war beeindruckt, aber er war sich sicher, dass der Zauberer bald zusammenbrechen würde.

Plötzlich löste sich Sirius von der Gruppe und stürzte auf ihn zu.

Regulus wich zurück, richtete den Zauberstab auf ihn.

Um sie herum tobte die kleine Schlacht.

„WO IST ER?", bellte Sirius wütend. Hass loderte in seinen Augen und Regulus wusste in diesen Moment, dass er alle ehrliche Zuneigung, die sein Bruder noch für ihn gehabt hatte, verspielt hatte.

Aber er ließ sich nichts anmerken. Er hatte sich Sirius' Schwur, ihm und der Familie zu helfen, ohnehin mit Gewalt holen wollen.

„Komm mit", sagte Regulus einfach nur, dann drehte er sich um und schritt voran. Auch wenn er Sirius den Rücken kehrte, wusste er, dass dieser ihn nicht zu Boden hexen würde. Er brauchte ihn, wenn er seinen Freund retten wollte.

Sirius folgte ihm.

In diesem Augenblick ertönten mehrere laute Plopps; Regulus fuhr herum und riss die Augen auf, als mehrere Auroren und Eingreifszauberer erschienen. Sie verloren keine Sekunde und stürzten sich direkt auf die Todesser.

Moody war dabei, Marlene McKinnon, Amelia Bones, ihr Bruder Edgar Bones, und drei weitere.

Regulus war schockiert. Er wusste augenblicklich, dass seine Aktion gescheitert war. Seine Gedanken waren wie gelähmt. Verdammt. Wie hatte das passieren können? Hatte Sirius in dieser halben Stunde etwa der Aurorenzentrale einen Tipp gegeben? Aber wie hatten sie den Ort finden können? Sie hätten ihn niemals finden können! NIE...

Regulus erkannte an Sirius' Gesicht, das dieser genauso perplex war. Also fiel Sirius weg.

Ein Todesser fiel tödlich getroffen zu Boden. Kurz danach ein Auror.

Regulus konnte ja nicht ahnen, dass es bereits zu diesem Zeitpunkt einen Verräter in den Reihen der Todesser gab, der Albus Dumbledore einen anonymen Tipp gegeben hatte. Dass dieser mögliche Überläufer noch unschlüssig war, noch nicht gewillt, vollendeten Verrat zu begehen, aber allmählich – hiermit zum ersten Mal – begann, der Gegenseite Informationen zu liefern. Anonym noch, ohne sich der Seite der Weißen Magie zu erkennen zu geben. Und dass dieser Verräter ohnehin Regulus noch nie gemocht hatte, auch wenn beide in Slytherin gewesen waren.

Sirius packte Regulus. „WO IST ER?" Hass beherrschte seinen Blick. Und Panik. „UND WO IST PETER?"

Regulus befreite sich mit einem Ruck und eilte weiter. Sollten sich die anderen Todesser mit den Auroren rumschlagen. Er hatte Wichtigeres zu tun. Er versuchte, sein Vorhaben zu retten.

„Pettigrew befindet sich an einem völlig anderen Ort", sagte er höhnisch. „Aber Potter..."

Er führte Sirius aus der Halle, hinein in einen Gang. Am Ende war eine verschlossene Tür.

Davor blieb Regulus stehen, sie bedrohten sich noch immer gegenseitig mit den Zauberstäben.

„Ich will, dass du mir einen Blutschwur leistet", sagte er mit gepresster Stimme. Er klang gehetzt, denn nun musste er sich beeilen. Er hatte doch nicht mehr die Zeit, die er brauchte. Die er wirklich brauchte. Kostbare, wertvolle Zeit. Jeden Augenblick konnten die Auroren ihnen folgen.

Verdammt. Er würde es nicht schaffen...

Sirius' Augen weiteten sich. „WAS?"

Regulus nickte. War um Kühle bemüht. „Du hast richtig gehört. Nämlich, dass du mir helfen wirst in allem, was unserer Familie zugute kommt, ganz gleich, wie schwarzmagisch und gesetzwidrig diese Gefälligkeiten sind. Das muss sein; nur so können wir die Macht unserer Familie retten."

Sirius stierte ihn sprachlos an. Kurz danach nagelte er Regulus gegen die Wand, die Hände in den Roben gekrallt. „Hast du sie nicht mehr alle, du Dreckskerl?"

Regulus, dessen Hinterkopf hart aufgeschlagen war, atmete zischend aus. Zornig funkelte er Sirius an. „Dort drinnen befindet sich Potter. Zusammen mit einem Todesser. Dieser wird ihn auf der Stelle töten, wenn du da einfach so eindringst, um deinen Kumpel zu befreien. Schwörst du mir aber vorher einen unverbrüchlichen Blutseid, dann wird Potter am Leben bleiben." Er sah Sirius eindringlich an. „Es ist für die Familie, Sirius!"

Sirius war bleich vor Zorn. „Du kleine miese Ratte... du... dass du so was bringst, hätte ich nicht gedacht, Regulus!"

Regulus sah grollend zurück. „Und auf diese Annahme deinerseits habe ich bei diesem Schachzug gebaut. Ironischerweise scheint diese Aktion den Bach herunter zu gehen."

„Ja, das tut sie!", zischte Sirius. Er hielt ihn immer noch brutal gegen die Wand gepresst. Die Augen waren ganz schmal, so dass das Schwarz der Pupillen von den Wimpern verdeckt wurde. „Wie kannst du nur glauben, ich würde dir so etwas schwören? Und nun sag diesem beschissenen Todesser da drinnen, er soll rauskommen!"

Regulus lächelte boshaft und dieses kühle Lächeln ließ Sirius verstummen. „Angst vor Potters Tod, Sirius?", fragte er höhnisch. „Habe ich dir nicht schon immer gesagt, dass Freundschaft schwächt? Das hast du jetzt davon. Sie verlangt einen Preis, der zu hoch ist."

Sirius starrte ihn an.

Regulus wollte auf der Stelle seinen Bruder einen Fluch auf den Hals jagen, als er das Glitzern in dessen Augen wahrnahm. Und dann rammte Sirius ihm bereits die geballte Faust mit voller Wucht in den Magen. Regulus krümmte sich, rang nach Luft, als Sirius wieder zustieß. Wieder und immer wieder. Regulus konnte förmlich spüren, wie ihm längst jeglicher Sauerstoff aus den Lungen gepumpt worden war; er konnte nicht atmen und Übelkeitswellen überkamen ihm.

Die Situation war schon längst eskaliert.

Dann merkte er, wie Sirius ihn losließ und einen Schritt zurücktrat. Da er so keinen Halt mehr hatte, rutschte Regulus nach unten zu Boden, die Hände presste er auf seinen Magen. Mühsam versuchte er, Luft zu bekommen. Er wollte seinen Zauberstab heben und seinen Bruder schocken.

„Du Bastard", zischte Sirius hasserfüllt. „Expelliarmus!"

Regulus' Waffe flog ihm aus seiner Hand. Er war nicht einmal mehr überrascht. Seit die Auroren gekommen waren, hatte er gewusst, dass er zum Scheitern verurteilt war.

„Ich hasse dich", presste Sirius abgehackt hervor. „Ich hasse dich!" Dann murmelte er einen Fesselzauber; Seile schwirrten aus der Luft, schlangen sich um Regulus Handgelenke. Als seine Hände gefesselt waren, nahm Sirius' das Ende des Seils und verknotete es an dem Griff der Tür direkt neben ihnen.

Mit einem letzten, unendlich finsteren Blick drehte Sirius sich um, wandte sich der Tür zu, hinter der sich James verbarg, dann schien er tief einzuatmen, richtete seinen Zauberstab auf den Eingang und ließ ihn mit einem lauten Knall explodieren.

Regulus musste hilflos mit ansehen, wie Sirius in den Raum hineinstürmte und mit einem unglaublichen Hass den Todesfluch auf den Todesser schleuderte, noch ehe dieser James töten konnte.

James hing in Ketten an der Wand, halb bewusstlos. Er blutete aus einer klaffenden Wunde an der Schläfe und schien von Folterflüchen gepeinigt. Sein Blick war stumpf und benebelt.

Sirius befreite James mit schnellen Zaubern. Dieser fiel zu Boden, nicht mehr fähig, sich zu halten.

Regulus sah, wie auf einmal eine junge Hexe mit roten Haaren und vor Schock weit aufgerissenen, unglaublich grünen Augen an ihm vorbeirannte, ohne Notiz von ihm zu nehmen, und kurz danach schrie.

„JAMES! OH, MEIN GOTT!"

Regulus spürte, wie Verzweiflung in ihm hochkam. Er zerrte an seinen Fesseln. Er wusste, diesmal würde Sirius ihn nicht gehen lassen. Nun war die Feindseligkeit zu groß.

Sirius und die Hexe waren mit James beschäftigt; sie riefen gerade per Accio-Zauber James' Zauberstab herbei. Die anderen Auroren schienen noch in der Halle zu kämpfen.

Plötzlich schlitterte jemand anders durch den Gang, immer näher kommend. Regulus sah auf und erkannte Felice sofort.

Er erstarrte.

Dieser blieb abrupt vor ihm stehen; verlor beinahe das Gleichgewicht.

Blaugraue Augen fixierten ihn, die Blässe in ihnen stach deutlich hervor. Entsetzen legte sich auf die feinen, schönen Gesichtszüge.

„Du...", brach es aus Felice hervor; er klang bestürzt.

Da lag ein Kummer in seinem Blick, der tief aus seiner Seele kam. Regulus wusste, dass Felice früher, in Hogwarts, diese Last niemals gehabt hatte. Da war er von Unbekümmertheit erfüllt gewesen, von sorgloser Fröhlichkeit.

Regulus war bewusst, dass es die Dunkelheit war, die Felice verändert hatte. Aber kaum war ihm der Gedanke gekommen, verschloss er sich ihm. Die Dunkelheit war das einzig Richtige auf dieser Welt.

„Verdammte Scheiße", murmelte Felice, dann richtete er seinen Zauberstab auf ihn.

Regulus gefror das Blut in den Adern, so glaubte er. Er biss die Zähne aufeinander. Er und Felice waren Freunde gewesen. Sie hatten einst füreinander eingestanden und selbst jetzt im Krieg hatten sie es vermieden, aufeinander zu treffen. Und wenn dies nicht möglich war, hatten sie sich doch nie duelliert.

Es war das ungeschriebene Gesetz der Freundschaft, das selbst in Zeiten wie diesen galt, auch wenn die meisten es brachen.

Felice schien es diesmal ebenfalls brechen zu wollen. Der Ausdruck in seinen Augen war zu verzweifelt, als dass er ihn diesmal würde gehen lassen.

Regulus atmete aus. Seine Gedanken drehten sich. Er sagte nichts. Er würde Felice nicht bitten. Er sah ihn einfach nur an, eigentümlich und irgendwie... nachsichtig. Er wusste selbst nicht, woher er diese Ruhe nahm. Diese Gelassenheit. Diese Gleichgültigkeit.

Vielleicht ahnte er schon irgendwo in seinem Unterbewusstsein, dass er unterging. Langsam. Und unaufhörlich.

Und dann zischte ein Blitz aus Felices' Zauberstab; Regulus stockte der Atem, er kniff die Augen zusammen... und er war frei.

Ungläubig bemerkte er, wie seine Fesseln sich lösten und er seine Arme wieder bewegen konnte.

Felices' Gesicht war eine Maske der Ausdruckslosigkeit, umhaucht von sanftem Trübsinn. Aber nun huschte ein flüchtiges Lächeln über seine Lippen, ganz kurz nur.

Aus dem Raum der Zelle wurden die Stimmen von Sirius und der Hexe laut; James stöhnte auf.

Felice verlor keine Zeit. Er wendete den Stupor-Zauber an, ließ ihn absichtlich gegen die Wand prallen. Dann noch schnell drei, vier andere Angriffs- und Verteidigungszauber, wohl nur für den Fall, falls sie im Ministerium seinen Zauberstab auf die letzten Flüche überprüfen sollten.

Regulus bückte sich und griff nach seinem Zauberstab.

„Los, hex mich bewusstlos", drängte Felice ihn hektisch. „Ich sage dann, ein Todesser ist gekommen und hat dich befreit."

Regulus wurde nervös. „Aber die anderen Auroren?"

Felice winkte ab. „Der Kampf ist zu chaotisch, als das sie diese Lüge erkennen würden."

Regulus nickte; er wusste, er musste sofort handeln. Ein kurzer Blickwechsel, der klar machte, dass sie beide sich niemals gegenseitig verraten würden. Freundschaft schwächt, hatte er vorhin erst zu Sirius gesagt. Er ignorierte erfolgreich, dass er selbst durch derartiges geschwächt wurde.

Dann zauberte er Felice bewusstlos und disapparierte.

Keine Sekunde zu früh, denn Sirius und Lily erschienen an der Tür, James in ihrer Mitte stützend.

xx

Die Widerstandskämpfer hatten nur deshalb so ein leichtes Spiel gegen die Todesser gehabt, weil es alles junge Rekruten der Dunkelheit gewesen waren. Unerfahren waren sie, und sie hatten nicht mit einem so heftigen Angriff gerechnet.

Dennoch hatten sie drei Auroren verloren. Die anderen waren verletzt. James war in St. Mungo's geheilt worden. Drei Tage hatte er auf der Station gelegen, ehe sie ihn wieder entlassen hatten.

Dann hatte er erfahren, dass Peter sich noch immer in Gefangenschaft befand.

Er war leichenblass geworden. Bei Merlin... drei Tage.

James hatte schon die wenigen Stunden mit dem Todesser schrecklich gefunden, wie würde es erst Peter ergehen?

Die Aurorenzentrale plante bereits mit der Magischen Polizeibrigade eine Befreiungsaktion. Dumbledore hatte bei Clark Druck gemacht. Peter durfte nichts vom Phönixorden erzählen.

Sie alle konnten ja nicht ahnen, dass niemand von den Todessern Peter Fragen stellte. Sie alle hielten ihn für zu unwichtig und folterten ihn lieber.

xx

(Point-of-View-Wechsel, Peter, Ich-Form)

Alles, was ich tun muss, ist bis zehn zu zählen. Und all das verschwindet. All der Schmerz. All die Angst. Alles... einfach alles.

Eins...

Ich höre Schritte. Sie kommen näher. Näher und näher. Leise sind sie, aber beständig. Sie wissen genau, in welche Richtung sie gehen müssen. Sie kommen auf mich zu. Auf die verschlossene Tür, hinter der sie mich gefangen halten.

Dann aber höre ich immer Schritte. Diese Schritte, vor denen ich Angst habe, weil sie Fürchterliches mit sich bringen. Schmerz, unendliche Qual, dunkles Leid.

Ich kann nicht mehr auseinanderhalten, wann ich diese Schritte wirklich höre und wann ich sie mir nur einbilde. Einbilde aus lauter Furcht.

Kommt da nun jemand? Oder ist das Geräusch nur eine trügerische Illusion... ein Symbol des Wahnsinns, der mich erfasst hat, seit sie mich foltern. Mich einfach nur foltern, um ihren Spaß zu haben.

Zwei...

Diese Dunkelheit. Diese erschreckende Dunkelheit... ab wann ist die Finsternis zu stark, so dass es für das Licht unmöglich ist, sie zu bekämpfen? Ich weiß es nicht und ich bin viel zu erschöpft, um darüber nachzudenken.

Ich lausche auf diese Schritte. Ich meine, sie immer noch zu hören. Zwischendurch scheinen sie zu stoppen. Aber dann erklingen sie wieder.

Drei...

Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass sie mich noch nicht einmal etwas gefragt haben. Sie haben mir keine einzige Frage gestellt. Dabei könnte ich ihnen zumindest ein paar Informationen geben. Aber sie haben ja ohnehin nichts wissen wollen. Sie scheinen nicht zu ahnen, dass ich in einer streng geheimen Widerstandsorganisation bin, scheinen vielleicht gar nicht anzunehmen, dass es überhaupt solch eine gibt. Sie haben mich einfach nur gefoltert. Haben es genossen, wie ich mir die Seele aus dem Leib schrie.

Hass erzeugt Wahnsinn, denke ich. Sie sind alle wahnsinnig. Sie sind alle verdorben durch die Schwarze Magie. Und doch... und doch sind sie mächtig. Welcher Widerstand kann stark genug sein, um gegen so viele Todesser etwas zu erreichen?

Sie sind fanatisch. Und sie glauben tief und fest an ihre widerlichen Prinzipien. An den Rassenwahn. Gerade das macht sie gefährlich. Gerade das macht sie stark und die Weiße Magie so schwach.

Es ist immer einfacher, den Dunklen Weg zu nehmen. Es ist immer einfacher, zu lügen, zu betrügen, zu verraten, als die Wahrheit zu sagen, als aufrichtig zu sein und loyal zu kämpfen, bis zum bitteren Ende, bis zum Tod.

Vier...

Blut. Blut ist überall, hauptsächlich von mir. Als ich mich das letzte Mal übergeben habe, habe ich Blut gespuckt. Meine Wunden heilen nicht und werden bei jeder Folter erneut aufgerissen.

Meine Emotionen sind so sehr abgestumpft, dass mir fast schon gleichgültig ist, was mit mir geschehen wird. So viel Folter, so viele Qualen... ich halte es ohnehin kaum noch aus. Und es gibt keine Hoffnung.

Ich habe gewimmert, geheult, um Gnade gefleht und gebettelt. Ich habe sogar geschrieen, dass sie mich als Spion einsetzen können, nur, damit ich nie wieder diese unerträglichen Schmerzen erdulden muss.

Nie wieder.

Sie haben mich ausgelacht. Sie wollten nichts davon wissen und nannten mich einen dummen, kleinen Jungen.

Ich werde weiterzählen.

Obwohl ich Angst vor dem Tod habe – schreckliche Angst – frage ich mich so langsam, ob er nicht auch eine Erlösung sein kann.

Fünf...

Da sind sie wieder. Diese Schritte. Sie machen mich noch verrückt. Warum kommt mich denn niemand retten? Ich will nicht sterben. Auch wenn es erlösend sein mag, muss eine Rettung viel erlösender sein. Dann würde ich der Folter entkommen, dem Hass dieser blindwütigen Streiter der Finsternis, und ich wäre immer noch am Leben.

Sechs...

Was, wenn ich gerettet werde und ich würde abermals in Gefangenschaft geraten? Irgendwann? Später einmal?

Denn dann werde ich von Anfang wissen, was mich erwartet. Von Anfang an, selbst, wenn sie mich noch nicht angerührt haben, werde ich wissen, wie sehr ich leiden muss. Wie sehr das Höllenfeuer mich verbrennen wird.

Kann ich mit dieser furchtbaren Angst denn überhaupt weiterleben? Kann ich jemals wieder ein sorgloses Leben führen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wieder einmal so furchtbar und Schrecken erregend gefoltert zu werden?

Schatten schlagen über meinen Kopf zusammen, bilden eine höhnische Grimasse. Ich schließe die Augen.

Sieben...

Wenn ich die Augen ganz fest zukneife, tanzen helle Punkte vor meinen Lidern. Wild und unbändig durchtanzen sie die Schwärze.

Ich sitze auf dem kalten Boden. Es stinkt. Ich spüre mein rechtes Bein nicht mehr. Es rasselt, wenn ich atme. Rippen sind gebrochen. Es tut weh.

Ich leide. Ich leide so sehr... wann hat das endlich ein Ende? Wann werde ich mich frei fühlen? Wann? Oh, wann?

Acht...

Angst lähmt. Sie blockiert den Verstand, so lange, bis die Schlucht ums Herz herum durch diese Belagerung zu groß geworden ist. Dann wird der Verstand eiskalt. Egoistisch.

Furchtbare Gedanken kommen mir in den Sinn. Sie sind dunkel und voller Verrat. Ich schäme mich meiner selbst, so sehr, dass ich wimmere. Aber sie kommen immer wieder, ohne dass ich es verhindern kann.

Ich bin schwach. Ich bin nicht stark und ich bin auch nicht aufopfernd. Ich würde meiner Seele immer abtrünnig werden, nur um mein Leben zu sichern. Das geht mir allmählich in dieser schrecklichen Finsternis auf.

Soll ich noch weiterzählen? Ich glaube, die Schritte sind verklungen. Doch wie kann es sein? Außer... die Person steht direkt vor der verschlossenen Tür.

Ich öffne meine Lider.

Mein Herz schlägt schneller, mein Puls rast. Ich atme heftig trotz der stickigen Luft voller Blut und anderem.

Oh, ein weiteres Mal werde ich niemals aushalten...

Neun...

Die Tür öffnet sich. Licht fällt hinein und durchdringt die Düsternis. Es scheint in meinen Augen, es blendet mich.

Ich blinzle, zittere vor Furcht. Warum kann ich nicht so mutig sein wie meine Freunde? Warum kann ich meinen Ängsten nicht tapfer ins Gesicht sehen?

Alles, was ich erkenne, ist eine Silhouette. Schlank, größer als ich. Sie steht am Türrahmen, bewegt sich nicht. Als sei sie erfroren.

Nein. Neinneinnein. Ich merke, wie ich schreie. Schreie aus Panik.

Meine Augen sind weit aufgerissen. Ich würde alles tun, alles... alles, einfach alles, nur um nie wieder so entsetzlich gequält zu werden. Folter ist das Schlimmste auf Erden. So etwas würde ich nicht noch einmal ertragen.

Die Gestalt wankt auf mich zu.

„Wormtail", höre ich jemanden mit erstickter Stimme sagen. Herausbrechen. Erschütterung klingt darin. Schauder.

Es ist James' Stimme, erkenne ich verblüfft und höre auf zu schreien. James. Es ist James.

Ich blinzle erneut. Träume ich?

James geht in die Hocke und ich sehe endlich sein Gesicht. Getrocknete Blutspuren zieren sein blasses Gesicht. Dunkle Ränder liegen unter seinen warmen Augen, schattengleich.

„Du lebst! Ich bin so froh, dass du lebst! ... Komm, Wormtail. Komm, wir gehen nach Hause!", bricht es aus James hervor. Er scheint immer noch erschrocken über mein Aussehen.

Ich nicke, wie betäubt. Nach Hause. James ist da. Zu meiner Rettung geeilt.

Er hilft mir umständlich auf. Ich wäre wieder zusammengebrochen, wenn er mich nicht gestützt hätte. Körperlich bin ich ein Wrack.

Andere Silhouetten erscheinen an der Tür. Sie reden, sie klingen aufgeregt und hektisch. Beinahe panisch.

Ich bekomme all das nicht so richtig mit. Nur durch einen Nebel... einen dichten, gespenstischen Nebel. Mir wird allmählich klar, dass sie keine Feinde sind. Sondern Freunde.

Wir gehen nach Hause.

Ein letztes Mal blicke ich halb zurück in meine dunkle Zelle, in der ich durch die Hölle gehen musste ohne einen ersichtlichen Grund.

Ich zittere noch mehr.

Wir gehen jetzt nach Hause. Alles wird wieder gut. Alles wird wieder so sein wie früher.

Ich erkenne, dass das nicht meine Gedanken sind, sondern die Worte von James, die er mir beruhigend zuflüstert, während wir fliehen.

Und ich erkenne, dass ich seinen Worten nicht glaube, auch wenn ich an seiner Aufrichtigkeit nicht zweifle.

Nein, James, denke ich. Nichts wird wieder gut. Nichts wird wieder so, wie es einmal war. Ich werde mich niemals mehr wie zu Hause fühlen, wenn wir am Ziel angekommen sind.

Dazu ist es zu spät. Dazu habe ich zu sehr gelitten. Dazu habe ich mich zu sehr gefürchtet. So sehr, dass ich alles tun würde, um nie wieder so etwas durchleben zu müssen. Alles...

Doch ich versuche ein Lächeln auf mein verwundetes Gesicht zustande zu kriegen und nicke schwach, als ob ich James zustimmen wolle.

Zehn...

Alles, was ich tun muss, ist bis zehn zu zählen. Und all das verschwindet. All der Schmerz. All die Angst. Alles... einfach alles.

Aber nun... nun wird mir klar, dass ich mein früheres Leben nicht zurückbekommen kann. Nun glaube ich nicht, dass all das Leid einfach so verschwindet. All die Angst. Denn es ist dunkel geworden. Viel zu dunkel...


A/N:

Ihr merkt wahrscheinlich selber, wie sich alles dem Ende zuneigt, hm? ;-)

Peter beginnt noch nicht den Verrat, aber bald. Der kleine Teufel in ihm erwacht allmählich immer mehr ;) Näheres dazu zu gegebener Zeit.

Ich hielt es nicht für nötig, die Befreiungsaktion Peters' auch noch aktiv zu schreiben. Es würde zu Wiederholungen kommen... immer das gleiche: es wird gekämpft, es wird chaotisch, es wird versucht zu töten. Tot e gab es bei der Befreiungsaktion, wie bei so jeden Kämpfen. Wer, das ist aber nicht wichtig, es gibt sie nur, damit das alles auch halbwegs realistisch bleibt. Felice wird, dass kann ich jetzt auch schon sagen, keinem Verhör unterzogen. Er wurde ja bewusstlos aufgefunden und nachher erzählt er, ein anderer Todesser habe ihn überrumpelt; man glaubt ihm.

Und noch einmal: eigentlich hätten die Auroren nie dort bei Regulus auftauchen können. Nur Rekruten hatten davon gewusst, vielleicht auch einige Todesser. Also muss es einen Spion geben oder aber – und das ist es – einen, der anonym Tipps weitergibt, ohne NOCH selber zu wissen, ob er nun wirklich zur weißen Magie überlaufen soll oder nicht. Ich denke, es ist eh klar, um wen es sich dabei handelt. Das hat Regulus schlecht ahnen können, also ist seine Aktion gescheitert.

Daaaanke für eure süßen Reviews!