Rückwärts in die Dunkelheit

Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?

(- die letzten Worte eines Sterbenden.)


36. Kapitel

Zwielicht


„Obwohl wir hinauf ins Licht schauen,
wird Dunkelheit uns verzehren."

(- unbekannt)

Anfang August 1980.

James hielt das kleine Bündel in seinem Arm und strahlte über das ganze Gesicht. Seine Augen leuchteten, seine Wangen waren leicht gerötet, als er auf seinen Sohn herabblickte.

Harry James Potter.

Harry hatte rabenschwarzen Flaum, die Farbe hatte er von James. Clark behauptete, er sähe aus, wie James früher als Baby. Nur die Augen... die Augen hatte er von Lily. Leuchtend dunkelgrün, die Farben eines Smaragds, eines funkelnden Juwels.

Harry sah einfach nur wunderschön aus, fand James, und Lily teilte seine Meinung.

Sirius hatte behauptet, Harry sähe aus, wie ein zerknautschter Knäuel, war sich aber sicher, dass sich das noch geben würde. „Alle Neugeborenen sehen komisch aus", hatte er leicht feixend behauptet. „Aber habt Geduld, in ein, zwei Jahren wird er gut aussehen." Er hatte gegrinst. „Das muss er ja wohl, als zukünftiger Rumtreiber."

Er hatte sowohl von James, als auch von Lily Schläge gegen die Rippen bekommen, denen er lachend versucht hatte, auszuweichen.

James wusste, dass Sirius stolz auf Harry war. Und auf ihn und Lily. Sirius mochte Harry aus ganzem Herzen, das erkannte jeder an dessen Blicken.

Für James war ein neues Zeitalter angebrochen. Eine neue Welt. Er war selig und unendlich glücklich. Gleichzeitig fühlte er sich mit so großer Verantwortung konfrontiert wie noch nie. Aber diesmal sah er es nicht als Übel an. Diesmal wollte er sich ihr nicht entziehen, nicht vor ihr fliehen, wie sonst immer. Diesmal nahm er sie an – und das nicht ohne Stolz – und er schwor sich, immer für seinen Sohn da zu sein und auf ihn Acht zu geben.

Die Sonne schien für James in all den Tagen ewig zu scheinen. Er sah nur noch Licht vor lauter Fröhlichkeit. Er hätte nicht gedacht, was für ein unglaubliches Gefühl es war, Vater zu werden. Es war unbeschreiblich...

Viele Freunde hatten Lily und den kleinen Harry bereits in St. Mungos besucht, wo sie ihn zur Welt gebracht hatte. Dann, als sie wieder in die Wohnung gezogen waren, waren tagtäglich welche vorbeigekommen.

Sie trafen sich häufiger mit Alice und Frank, die ebenfalls einen Sohn bekommen und ihn Neville genannt hatten. Und Sirius, Remus und Peter waren natürlich auch ständig da. Die Prewetts spekulierten bereits, was Harry und Neville später einmal werden würden. Neville, so nahmen sie an, würde Auror oder Eingreifzauberer werden, bei den ausgekochten Eltern, wie sie zwinkernd meinten. Harry, so glaubten sie, würde vielleicht Quidditchkapitän werden. Oder irgendeinen Job im Zaubereiministerium, Auror vielleicht, oder etwas Vernünftiges. Vielleicht hatte er ja auch Lilys Begabung in Zauberkunst geerbt und würde diese Richtung einschlagen. Oder aber er würde in Askaban landen.

James hatte Fabian und Gideon sprachlos angestarrt, als sie mit dieser Vermutung ankamen. „WAS?", hatte er schließlich herausgepresst und ihnen Harry hastig weggenommen. „ASKABAN?"

Die Zwillinge hatten unheilvoll gegrinst. „Ja, James. Wenn er nach dir kommt, noch dazu mit Sirius abhängen wird, kann er ja nur zum größten Gesetzesbrecher werden, den die Welt je gesehen hat, oder?" Ein Feixen folgte. „Vielleicht werden wir es sein, die ihn verhaften müssen."

James hatte geschnaubt und gedroht, sie kurz und klein zu hexen, wenn sie so etwas tatsächlich in Erwägung ziehen sollten.

Sirius hatte vergnügt gelacht. „Genau."

James hatte dankbar angenommen, Unterstützung zu erhalten, war aber eines Besseren belehrt worden.

In Sirius' schwarzen Augen hatte der Schalk gefunkelt. „Besser, ihr verhelft ihm zur Flucht. Er könnte irgendwo auf den kleinen Inseln von Hawaii untertauchen, jederzeit Gras rauchen und -"

Weiter war er nicht gekommen, denn Lily hatte ihn mit einem entrüsteten Schweigezauber belegt.

Sirius war Harrys Pate geworden. Er würde den Jungen zu sich nehmen, wenn James und Lily etwas zustoßen würde. Aber daran wagte James nie zu denken.

Sirius hatte Harry zur Taufe einen kleinen Mini-Rennbesen geschenkt, Marke Nimbus. „Damit er früh lernt, durch die Lüfte zu preschen und sich wilde, waghalsige Verfolgungsjagden liefern kann", hatte die scherzhafte Erklärung gelautet.

James hatte die Stirn gerunzelt und in einem Anfall von Beschützerinstinkt Sirius den Besen weggenommen, als er dabei war, Harry darauf zu setzen. Sirius hatte nur gelacht. „Prongs, das ist ein babysicherer Besen", hatte er argumentiert. „Da passiert wirklich nichts. Ich halt ihn doch fest, ich lasse ihn nicht alleine fliegen."

Aber James hatte nicht mit sich reden lassen und den Besen im Kleiderschrank versteckt.

Harry war noch so klein und wirkte so verletzlich.

xx

Ende August 1980.

Es war purer Zufall gewesen. Sirius war im Auftrag von Amelia Bones in der Nokturngasse unterwegs gewesen, als er Remus gesehen hatte.

Sein Kumpel hatte ihn nicht bemerkt, und Sirius hatte ihm hinterher rufen wollen, als Remus bereits direkt in den Hofeingang eines Koboldgeschäftes abgebogen war. Sirius war erstaunt gewesen und hatte sich gefragt, was er denn da machte. Schnell war er ihm gefolgt, um ihn zu fragen, als er noch gerade rechtzeitig sehen konnte, wie Remus den Hintereingang des Ladens betrat.

Sirius hatte die Stirn gerunzelt und war wieder nach vorne gebogen. Er wusste auch nicht, wieso, aber er hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und das Geschäft betreten. An der Kasse vorbei hatte er direkt durch die offene Tür in den Hinterraum blicken können und Remus gesehen, der an einem Tisch Platz genommen hatte und von einem Kobold einen Auftrag entgegennahm.

Sirius war perplex gewesen. Remus arbeitete hier. Er arbeitete für die Kobolde. Er arbeitete in einem Laden, in dem zwielichtige Flüche an ebenso zwielichtige Gestalten verkauft wurden.

Sirius war herumgewirbelt und wieder aus dem Geschäft gestürmt. Um ganz sicher zu gehen, hatte er Remus drei Tage lang verfolgt. Bis er die Tatsache nicht mehr leugnen konnte, so sehr er es auch wollte: Remus hatte sie alle angelogen. Er arbeitete gar nicht für die Rennbesenfirma. Und er hatte auch nie für sie gearbeitet; Sirius hatte dort angefragt. Er musste die ganze Zeit schon über hier in der Nokturngasse gearbeitet haben... und er hatte es seinen Freunden verschwiegen.

Aber warum? Warum log Remus sie alle ohne mit der Wimper zu zucken an, erzählte ihnen nicht die Wahrheit?

Sirius hatte es James erzählt. Sie beide hockten in Sirius' Wohnung; James war fassungslos.

„Er muss Geheimnisse haben", meinte Sirius und nippte an seiner Flasche Butterbier. Er schaute düster vor sich hin. „Andere Geheimnisse."

James starrte Sirius an. „Glaubst du? Vielleicht wollte er es uns einfach nicht sagen, weil es ihm peinlich ist."

Sirius hob die Schultern. Das mochte natürlich sein. Doch wieso vertraute Remus ihnen nicht? Nun gut, er sollte seine Ansprüche nicht zu hoch stellen, er hatte Remus auch vieles nicht mehr erzählt. Aber Remus hätte es James sagen können. Oder wenigstens Peter. Doch Peter schien ebenfalls zu glauben, dass Remus in der Versandabteilung für Nimbusbesen arbeitete.

„Ich finde, er ist ohnehin merkwürdig geworden", meinte Sirius nachdenklich. „Stiller, zurückhaltender. Er scheint immerzu Sorgen zu haben und vertraut sich uns nicht mehr an. Er verheimlicht uns so viele Sachen..."

James atmete aus. Seine Stirn war in Falten gelegt. „Ich weiß auch nicht, Padfoot", murmelte er ratlos. „Ich weiß es auch nicht... wir – ich denke, wir sollten mit ihm reden."

Sirius blickte zweifelnd drein. „Mmh."

„Das sollten wir, Padfoot. Sonst zieht sich Moony weiter von uns zurück, wenn wir nicht endlich mal alles aussprechen, was zwischen uns liegt."

Sirius seufzte und lehnte sich zurück. „Wenn du meinst. Aber wir müssen eine passende Gelegenheit finden."

James nickte und so beließen sie es dabei. Nur... die passende Gelegenheit kam nie. Alsbald würde Dumbledore ihnen bekannt geben, dass er aus sicherer Quelle von einem Spion in ihren engeren Reihen wusste. Einem Spion, der auch den Potters nahe stand.

Und für Sirius würde in diesem Augenblick klar werden, dass nur Remus als Spion in Frage kam.

xx

Zwei Tage später.

Regulus hatte schon lange damit gerechnet. So war er nicht überrascht, als er hörte, dass der Dunkle Lord auf ihn aufmerksam geworden war und einen Treuebeweis forderte. Einen weiteren Beweis, nachdem er sich schon das Dunkle Mal auf seinen Unterarm hatte brennen lassen.

Die Schmerzen waren damals gewaltig gewesen. Es schien, als brannte der Körper von innen heraus, als wäre zähe, heiße Lava durch die Adern geflossen und kein Blut. Alles hatte sich gedreht, die Dunkelheit wuchs in Augenblicken in diesen. Qual und Pein waren unendlich stark gewesen, selbst der Cruciatus war nichts im Vergleich dazu. Aber Regulus hatte es überstanden, es über sich ergehen lassen und war dabei recht standhaft gewesen. Dann, als die Schmerzen aufgehört hatten und nur noch eine dumpfe Last zurückgeblieben war, hatte er einen Totenkopf auf seiner Haut gesehen. Das Dunkle Mal; er würde nun für immer damit gekennzeichnet sein. Bis zum Tod. Und noch weit darüber hinaus.

Nach dem Einbrennen des Dunklen Mals kam noch der zweite Teil hinzu. Der Teil, der erklärte, warum sie sich Todesser nannten. Sie aßen vom Tod. Ein jeder musste, bevor er das Dunkle Mal bekam, einen Muggle gefangen nehmen, ihn foltern und schließlich töten. Und dann, nach dem Ritual, musste jeder sein Opfer mit einem Dolch aufschlitzen, blutdurchtränktes Fleisch herausschneiden und davon kosten. Es essen, so wie Menschen Tiere aßen, so taten es diese schwarzmagischen Zauberer mit den Mugglen. Und abschließend tranken sie gegenseitig von ihrem reinen Blut. Es wurde immer eine gerade Anzahl von Rekruten zu vollwertigen Todessern genannt. Das bedeutete, dass sie sich immer zu zweit aufteilen konnten und gegenseitig von ihrem Blut kosten konnten. Nicht viel, eine kleine, schmale Phiole voll. Damit besiegelten sie ihre Blutsbrüderschaft, damit ehrten sie das reine Blut.

Das war jetzt schon etwas länger her und Regulus war schon eine ganze Weile vollendeter Todesser.

Seit er diese völlig missglückte Aktion mit Potters Entführung durchgeführt hatte, um seinen Bruder auf seine Seite zu zwingen, war ihm klar, dass Voldemort eines Tages einen neuen Treuebeweis fordern würde.

Denn dem Dunklen Lord musste klar gewesen sein, dass bei jener Aktion die Familie für Regulus oberste Priorität gehabt hatte. Und nicht Voldemort.

Genau das missfiel dem mächtigen Schwarzmagier. Er wollte jeden Todesser an sich binden, unwiderruflich, und so auch Regulus. Regulus mochte diese Vorstellung nicht. Dazu hatte er zu sehr die Erziehung seines stolzen Vaters genossen, so dass ihm bewusst war, dass ein Black niemandem dienen sollte. Er selbst hatte sich nur aus zweckmäßigen Gründen dem Dunklen Lord angeschlossen. Und aus jugendlichem Leichtsinn. In der Erwartung, der Dunkelheit damit zu helfen.

Aber je länger Regulus bei den Todessern weilte, umso mehr kamen ihm Zweifel. War es richtig gewesen, ihnen beizutreten? Hätte er nicht, wie sein Vater, sich raushalten, Voldemort nur indirekt unterstützen sollen, ohne ihm aber zu dienen?

Aber er wusste nicht, wie er das alles wieder rückgängig machen sollte. Dazu gab es keine Möglichkeit. Und austreten... niemand trat wieder aus. Nur der Tod erlöste einen.

So dachte Regulus und so sagte er sich, dass er eben weiter Todesser bleiben würde. Vielleicht sprang später ja wirklich noch mal was äußerst Lukratives für ihn heraus.

Es war Antonin Dolohow, der ihm den Befehl des Lords nannte. Regulus hatte den Todesser in Grimmauld Place empfangen und ihn mit einer Mischung aus ausgesuchter Höflichkeit und herablassender Arroganz behandelt.

Aber seine hochmütige Maske wankte und drohte zu zerfallen, als er den Befehl vernahm.

Bei Salazar...

Dolohow hielt sich nicht lange auf, sondern verabschiedete mit einem aufmunternden Schulterklopfen wieder.

Regulus blieb auf dem Sessel im Wohnsaal sitzen, jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.

So gerissen er auch war, so kaltblütig er auch mordete, so gewissenlos er über Leichen stieg... und so begeistert er von dem Dunklen Lord auch war, das würde er niemals tun können. Niemals.

Oder...?

Das ging gegen seine Prinzipien. Gegen alles, was ihn die Erziehung seines Vaters gelehrt hatte. Es war unmöglich.

Regulus stieß einen langen, frustrierten Atemzug aus. Bei allen dunklen Mächten, wie sollte er da bloß wieder rauskommen? Er sah sich nun endgültig in die Enge getrieben. Seit dem Tod seines Vaters war er Schritt für Schritt in Richtung Abgrund gegangen, er hatte gemerkt, wie ihm der Rückweg abgeschnitten wurde, indem der Boden aufriss und Schluchten hinter ihm die Erde spalteten, aber er hatte versucht, nur nach vorne zu blicken. Einzig und allein nur nach vorne.

Und nun stand er am Abgrund und konnte weder nach vorne, noch zurück. Ganz gleich, in welche Richtung er ging, er würde fallen. Er stand auf einem kleinen Krater und ringsherum waren nichts als tiefe Gräben, gefüllt mit Lava.

Er musste mit jemandem reden. Er musste sich Rat suchen. Er wusste, dass er den Befehl des Lords niemals durchführen konnte, das wusste er aus tiefstem Herzen. Auch wenn sein Verstand ihn niederbrüllte, ihn zwingen wollte, es zu tun, sein Herz, so finster es auch geworden war, weigerte sich.

Es musste einen Ausweg geben. Es musste einfach. Auch wenn er nicht mehr weitergehen konnte, jemand musste nur mit einem Besen angeflogen kommen und mit ihm in die Lüfte steigen.

Regulus stand auf. Seine Bewegungen waren mechanisch, sein Gesicht starr. In seinen Augen lag eine erdrückende Leere. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schrieb einen kurzen Brief. Dann rief nach dem Falken, den er von seinem Vater bekommen hatte, band die Pergamentrolle an dessen Fuß und flüsterte dem königlichen Tier zu, schnell loszufliegen, aber Acht zu geben, dass er weder von Auroren noch von Todessern abgefangen würde.

xx

Felice Zabini kam noch am selben Abend. Regulus nahm es mit einer warmen Dankbarkeit auf, die er immer nur bei Felice spürte. Sonst bei niemandem.

Felice war sein Freund und merkwürdigerweise hielten sie zusammen, auch wenn sie auf verschiedenen Seiten standen. Auch wenn niemand wusste, dass sie Kontakt hatten, dass sie sich oftmals sogar noch trafen. Sie sprachen nie über Voldemort, über die Aurorenzentrale oder sonstwie über Politik. Nie sprachen sie über die Opfer, nie über jene, die Regulus zu töten und Felice gleichzeitig zu verteidigen versucht hatte.

Sie blendeten diese Themen völlig aus und redeten einfach über andere Dinge. Über arglose, unbekümmerte. Über das Leben, das sie sonst noch führten.

Aber nun... nun sah Regulus sich gezwungen, dieses ungeschriebene Gesetz zu brechen.

Felice sah müde aus. Die Arbeit schien bei ihm immer mehr zu stressen. Kein Wunder, es gab ja auch immer weniger Auroren. Immer mehr wurden getötet, und da sich kaum noch einer ausbilden lassen wollte, fehlte der Nachwuchs.

Sie setzten sich in den Wohnsaal und plauderten eine Weile. Felice erzählte von Blaise und war dabei voller Stolz. Regulus hörte mit einem aufrichtigen Lächeln zu.

Dann fragte Felice, was los war. Regulus schwieg einige Augenblicke, dann erzählte er. Er berichtete, was Voldemort von ihm verlangte und dass er es aber nicht durchziehen konnte. Er konnte es nicht, aber er sah keinen Weg, dem zu entkommen. Und er sagte auch, wie er gelernt hatte, dass ein Black niemandem dienen sollte.

Felice versteifte sich ein wenig und warf Regulus aufmerksame Blicke zu. „Heißt das... heißt das, du willst aussteigen?"

Regulus sah zurück und nickte allmählich. „Ja... ich muss. Ich muss aussteigen, Felice. Ich kann nicht tun, was er verlangt."

Felice zog die Augenbrauen zusammen. „Und wieso nicht?", fragte er; Kälte beherrschte seine Stimme. „Wieso kannst du es nicht? Du hast doch sonst nie Skrupel mit so was gehabt."

Regulus erstarrte. „Wie kannst ausgerechnet du mich so etwas fragen?", fuhr er seinen Freund an.

„Weil ich wissen will, wie ehrlich du es meinst."

Regulus atmete aus; seine linke Hand hatte sich zur Faust geballt. „Ich meine es ehrlich, Felice!", presste er wütend hervor. „Verdammt, ich bin sogar bereit, auszusteigen! Eher die Todesser zu verlassen, als das zu tun!"

Felice schaute ihn an, starr, aber wachsam. Dann nickte er. Im blassen Blaugrau seiner Pupillen schimmerte etwas auf. Mochte es Entschlossenheit sein, oder Standhaftigkeit. Was es auch war, es erklärte Regulus, dass sein Freund ihm beistehen würde.

Ganz gleich, was kommen mochte.

„Du weißt, dass niemand aus des Dunklen Lords Elitetruppe wieder austreten kann", fing Felice schließlich an.

„Du hast auch die Seiten gewechselt", entgegnete Regulus stur. Ihm war klar, dass Felice nur aus Respekt vor ihm den Namen des mächtigen Schwarzmagiers nicht aussprach. Und aus Vorsicht. In Gegenwart eines Todessers, der mit dem Mal an Voldemort gebunden war, war es klüger, seinen Namen nicht zu nennen.

Felice machte eine spöttische Geste. „Ich bezweifle, dass du gleich die Seiten wechseln willst, hm."

Er sagte nichts dazu. Felice hatte ja Recht. Nur, weil er den Todessern entkommen wollte, hieß es nicht, dass er gleich zur Seite der Weißen Magie rennen würde. Dagegen sprach sein Stolz. Seine Überzeugung. Seine Ideologien.

„Außerdem war ich noch kein Todesser, als ich dem Lord fortlief", fügte Felice leise hinzu. Er warf Regulus unter dunklen Wimpern einen resignierten Blick zu. „Auch wenn die Todesser mich für diesen Verrat töten wollen, so wird deiner schwerwiegender sein und das weißt du." Er wurde eindringlich. „Du bist Todesser, Regulus. Du hast dich mit Fleisch und Blut an den Dunklen Lord gebunden."

„Ich weiß", fuhr Regulus auf und blitzte Felice ärgerlich an. „Das brauchst du nicht noch einmal extra betonen."

Felice schwieg. Er schien nachzudenken. „Aber wie soll dir die Aurorenzentrale helfen, wenn du dich nicht auf ihre Seite stellen willst?"

„Wer sagt, dass sie mir helfen soll? Du sollst mir helfen. Mehr Hilfe fordere ich nicht. Andere Hilfe nehme ich nicht an."

Felice seufzte. „Und die Vampire?"

Regulus schüttelte den Kopf. Die Augen schloss er zu Halbmonden, als er sich zurücklehnte und seine Beine ausstreckte. „Ich kann nicht mehr auf sie rechnen."

Felice wurde neugierig und argwöhnisch zugleich. „Wieso nicht?"

„Lange Geschichte, die nichts zur Sache tut. Aber... wenn du auf die Kette anspielst. Die habe ich. Sie ist hier im Haus. Sie gehört mir, weil ich ein Black bin. Sie wird immer einem Black gehören, so, wie Stôyan es versprochen hat."

Sie sahen sich an. Sie erkannten das Aufglitzern im Blick des jeweils anderen und wussten, dass sie denselben Einfall hatten: die Kette.

Die Kette war der Schlüssel für das geheimnisvolle Reich hinter dem verschleierten Torbogen. Dieser Torbogen befand sich angeblich im britischen Ministerium in der Mysteriumsabteilung. In das Reich konnte man nur lebend gelangen, wenn man die Kette trug. Und dieses Reich konnte man auch nur mit ihr lebend wieder verlangen. Es hieß zwar, es forderte einen Preis – welchen, war ungewiss. Die Legende spekulierte darüber, aber...

„Du könntest mit der Kette in dieses Reich fliehen", sprudelte es aufgeregt aus Felice hervor.

Regulus nickte langsam. „Ja. Nur, wir wissen nicht, was genau sich dahinter befindet und ob es stimmt, dass man durch die Kette lebend sowohl hinein-, als auch wieder hinausgelangt."

„Das wissen wir nicht", gab Felice zu. Ein kurzer, besorgter Ausdruck flackerte über seine Iris. „Aber dies könnte dein einziger Ausweg sein. Wir können natürlich auch andere Wege nehmen. Ich versuche, dich ins Ausland zu bringen, du versteckst dich und ich bin dein Geheimnisbewahrer."

Regulus lächelte. „Dazu müsste ich es erst einmal bis ins Ausland schaffen", sagte er sanft, erfreut, dass Felice nur für ihn so große Risiken eingehen würde.

„Schon... aber zum Torbogen müsstest du auch erst einmal gelangen. Wenn es stimmt, dass er sich in der Mysteriumsabteilung befindet – und selbst das ist unklar – dann wird es nicht einfach sein, dorthin zu gelangen."

Felice hatte Recht. Ins Exil zu gehen war einfacher. Aber in das Reich hinter dem Torbogen zu verschwinden, war sicherer. Und doch hatten beide Auswege einen bitteren Nachgeschmack. Sie beinhalteten das Weglaufen. Die Familie im Stich zu lassen. Allerdings musste er fliehen. Er musste es, denn andernfalls würde so oder so die Familie untergehen.

xx

Regulus hatte mit Felice abgemacht, dass sie sich am nächsten Abend treffen würden. Dann würde Felice ihm helfen, nach Frankreich zu kommen. Felice hatte Verwandte dort.

Es musste in aller Heimlichkeit geschehen, damit die Todesser nichts davon mitbekamen. Felice kam pünktlich und zusammen werkelten sie am Floonetzwerk herum. Es war eine riskante Sache, aber der einzige sichere Weg, nach Frankreich zu gelangen.

Zum Disapparieren hätte Regulus Grimmauld Place Nr. 12 verlassen müssen. Und das war zu riskant. Er würde beschattet werden und vielleicht würden sich die Todesser bereits auf ihn stürzen. Immerhin mussten sie wissen, dass er noch nichts getan hatte, um den Befehl in Angriff zu nehmen.

Sie versuchten, das Floonetzwerk zu manipulieren, damit Regulus nach Frankreich kommen konnte. Und obwohl sie damit rechneten, dass Voldemort es erkennen könnte, hofften sie, dass er es zu spät bemerkte.

Sie hofften vergebens.

Die Haustür explodierte mit einem solchen Knall, dass beide gleichzeitig aufsprangen und ihre Zauberstäbe zückten.

Eine Sekunde später zersplitterte die Terrassentür.

Todesser stürmten herein, mit silbernen Masken und in den schwarzen Kutten.

Regulus fluchte. „Los, lass uns durch den Kamin abhauen! Egal jetzt, wohin!"

„Das geht nicht!", stieß Felice hektisch aus. „Wir sind nicht mehr angeschlossen!"

Regulus hielt seinen Zauberstab auf die Eindringlinge gerichtet; Felice ebenfalls.

„Sieh an, sieh an", schnarrte einer der Maskierten. „Felice Zabini. Der Verräter. Welche Ehre."

Avada Kedavra", lautete Felices schnelle, gnadenlose Antwort und der Todesser wurde tödlich getroffen. Tumult brach aus; ein Kampf entstand.

Regulus ging in Deckung, Felice ebenfalls. Sie griffen an, sie verteidigten sich, aber sie waren nur zu zweit.

„Was fällt euch eigentlich ein, mein Haus zu stürmen?", rief Regulus über den Lärm hinweg.

„Wir stürmen die Häuser von Verrätern immer, Black!", brüllte jemand und lachte gehässig.

Regulus presste die Lippen zusammen. Hastig sah er sich um; der Wohnsaal war halb zerstört. Kein Wunder, hier trafen schwarzmagische Flüche aufeinander. Drei Todesser stürzten sich auf Felice, der hinter dem Sofa lauerte.

Regulus riss seine Augen auf. „PAAASS AAAUF", schrie er und hetzte den Todesfluch auf einen der Todesser.

Die beiden anderen feuerten Blitze auf Felice ab. Dieser schaffte es zu entkommen; er rollte sich herum, stieß sich am Sofa ab und flog rückwärts in einem Salto durch die Luft. Hinter den beiden Todessern kam er zum Stehen und tötete sie mit einem einzigen Fluch.

Aber vier weitere wandten sich ihm bereits zu. Einer von ihnen hielt sich auf Distanz; er war der einzige aller Anwesenden, der bisher kein einziges Mal den Todesfluch gesprochen hatte.

„Verräter!", zischte einer von ihnen wieder.

„Ich bin kein Verräter!", entgegnete Felice. Er klang weder wütend noch feindselig.

Regulus wusste es nicht so genau, aber da lag ein kummervoller Ton in dessen Stimme, der alle inne hielten ließ. Die zwei Todesser, die Regulus bekämpft hatten, auch er selber richteten ihre Aufmerksamkeit auf Felice und die anderen drei Anhänger des Lords.

„Schwarze Magie wird untergehen, wenn sie nicht im Gleichgewicht mit dem Licht liegt", fuhr Felice fort, beinahe resignierend. „Selbst wenn sie die Weiße Magie unterdrückt." Sein schwermütiger Blick aus den blaugrauen Augen glitt über alle Anwesenden. „Er entzweit uns. Obwohl wir alle Reinblüter sind, entzweit Er uns." Der Ton in seiner Stimme wurde niedergeschlagen. „Merkt ihr es denn nicht?"

„Er tut das Richtige", entgegnete einer der Todesser. Regulus vermutete Nott dahinter. Aber Nott klang merkwürdig gepresst, so, als hätte er erkannt, dass Felices Worte wahr waren.

Der Dunkle Lord entzweite den Stand der Reinblüter, nur, damit er selbst ungehindert befehligen konnte.

„Zabini hat Recht", murmelte auf einmal jener, der den Avada Kedavra gemieden hatte. Auch wenn die Maske die Stimme verzerrte, so glaubte Regulus sie als jene von Aryan Lestrange zu identifizieren.

Sie klang neutral, wie immer, aber da war auch jene nebulöse, sanfte Gelassenheit, sowie der lauernde Unterton, der im Widerspruch dazu stand.

„Was?", zischte einer der Todesser. „Niemals!"

Aryan machte eine lässige Handbewegung. „Der Dunkle Lord entzweit uns. Er zwingt uns, Reinblüter zu töten. Jene Zauberer und Hexen, die dasselbe, reine Blut haben,wie wir. Ist das kein Verrat am reinen Blut?"

„Verdammt, was soll der Scheiß!", herrschte einer von ihnen Aryan an, vermutlich Mulciber. „Wenn der Lord das erfährt, wirst du ebenfalls des Todes sein!"

Aryan blickte den Todesser an. Dann, in einer langsamen Bewegung, schob er die Kapuze herunter und nahm die Maske ab. Das gutaussehende Gesicht offenbarte sich, die Augen wie immer schwarz umschminkt. Die Haare wie üblich konfus gestylt. Die bleichgrünen Augen waren starr auf den anderen fixiert; Zweifel blitzten schattenhaft in ihnen auf.

„Und ihr würdet mich töten, hm", meinte er und es klang eher wie eine Feststellung, denn einer Frage. Bitternis schwang im Ton mit. Dann sah Aryan Regulus an. „Sirius weiß, was Freundschaft bedeutet", meinte er. „Und er würde einen Freund niemals töten, selbst dann nicht, wenn dieser Verrat begeht."

Er lächelte. Melodiös und träge zugleich. „Ich habe ihn schon immer darum beneidet, dass er den Mut hatte, sich für eine Freundschaft einzusetzen und notfalls alles für sie herzugeben."

„Verflucht noch einst, Lestrange!", brüllte ein anderer Todesser aufgebracht. „Jetzt setz' wieder deine Maske auf und hilf uns, sie zu töten!"

Aryan aber dachte nicht daran. Etwas Resigniertes huschte über sein ebenmäßiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Etwas Stoisches, etwas, das ihn mit Gleichmut erfüllte und ihn kapitulieren ließ.

Er schüttelte den Kopf. „Ich töte keine Reinblüter", entgegnete er mild. Ein wenig arrogant; er machte nur allzu deutlich, dass er sich mit diesem Ideal für besser hielt als seine Kameraden.

Doch damit sprach er auch sein eigenes Todesurteil. Er würde Regulus und Felice genauso wenig töten, wie die anderen Todesser.

Und er stand aufrecht da, mit Stolz im Blick, als ein Todesser – es musste Mulciber sein – ihn mittels des Grünen Blitzes tötete.

Regulus starrte fassungslos auf Aryan, der zu Boden gefallen war. Er war tot. Getötet von seinen eigenen Kumpanen und das nur, weil er sich geweigert hatte, Reinblüter zu töten.

Und er wusste, dass, so verlockend, so idealistisch auch des Dunklen Lords Versprechungen und Ziele auch sein mochten, sie waren fanatisch. Sie spalteten den Stand der Reinblüter, so sehr, dass sie vor Mord in den eigenen Reihen nicht zurück schreckten. Sie töteten einander, um die Gunst ihres Anführers zu erlangen.

Und schon immer in der Geschichte der Menschheit, ob in der Welt der Magischen oder der Muggle, hatten Tyrannen diese Taktik verwendet: indem sie unter ihren Anhängern Zwietracht und Konkurrenzkampf säten, verstärkten und sicherten sie ihre eigene Macht. Denn die Untertanen waren so sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig auszubooten, dass sie gar nicht bemerkten, wie sie allesamt ausgenutzt wurden.

Regulus konnte nur noch den Kopf schütteln. Es wäre besser gewesen, einen Pakt mit den Vampiren geschlossen zu haben, um mit ihrer Hilfe den Dunklen Lord zu töten, anstatt selbst Todesser zu werden, um die Macht der Blacks zur Geltung zu bringen.

Aber das wurde ihm erst jetzt klar. Viel zu spät und unverzeihlich.

Er zögerte; er hielt seinen Zauberstab auf Felice, so, wie die anderen beiden Todesser auch. Selbst wenn Felice eher zauberte und einen tötete, wenn Regulus schnell handelte und den zweiten umbrachte, bliebe da immer noch der Dritte, der seinen Freund ins Jenseits zu schicken vermochte.

Regulus ging das Risiko ein. Er sprach den tödlichen Fluch, er ging selbst in Deckung, damit die zwei Todesser, die ihn bekämpften, ihn nicht töten konnten und nahm somit wieder den Kampf auf.

Regulus' Fluch traf; Felice reagierte sofort und schleuderte den Avada Kedavra auf den anderen Todesser, aber im selben Augenblick wurde er selbst getroffen.

Irgendjemand schrie. „NEEEEIIIIIIIINNNN!"

Regulus ahnte nicht, dass er es selbst war. Fassungslos musste er mit ansehen, wie Felice zurückstolperte, vom grünen Licht berührt, und schließlich zu Boden fiel. Da war ein Ausdruck auf seinem ganz bleich gewordenen Gesicht, der all seine Last, all seine Bestürzung widerspiegelte und Regulus konnte kaum atmen vor seelischem Schmerz.

Er stürzte zu Felice hin, merkwürdigerweise hinderte ihn niemanden daran.

Er fiel auf seine Knie, direkt neben Felice, der seinen letzten Atemzug nahm. Panisch und verzweifelt sah er auf ihn herab.

Ein Lächeln... ein ganz schwaches Lächeln huschte über Felices Lippen, erhellte sein schönes Gesicht. Und Regulus wusste, dass sein Kumpel – trotz allem – froh schien, dass er wenigstens für etwas Nobles, wie die Freundschaft, gestorben war.

Felice hatte zwar nicht sterben wollen, auch wenn er vielleicht gewusst hatte, dass er dem Tod an diesem Abend nicht entkommen konnte. Aber immerhin hatte er sein Leben für eine edle Sache gelassen.

Seine Augen fielen zu; das sanfte Lächeln blieb, erfroren in der eisigen Kälte des Todes.

Er war gestorben, weil er Regulus hatte helfen wollen. Weil er ihre Freundschaft nicht im Stich hatte lassen wollen, weil sie ein Licht für ihn war, trotz der unendlichen Dunkelheit, die ihn unbarmherzig in die Tiefe zog.

In Regulus tobte ein Sturm. Ein Sturm der Verzweiflung, des Zornes, der Bestürzung und des Hasses. Alles drehte sich in ihm, zog ihn in die Höhe, nur, um ihn wieder fallen zu lassen.

Er schaute auf und sah, dass er umzingelt war. Es waren vier Todesser. Ihre Gesichter waren hinter den Masken verborgen; das Fackellicht ließ sie aufschimmern.

So schnell, wie der Sturm gekommen war, so schnell verstummte er.

Angst überkam ihn, der Schweiß brach ihm aus, aber er ließ sich nichts anmerken. Langsam... als hätte er alle Zeit der Welt, stand er auf.

„Nun. Worauf wartet ihr", meinte er tonlos. Er würde nicht betteln.

Der Gedanke, dass Felice tot war, war der einzige, der ihn beherrschte. Und noch ein anderer. Einer, der ihn unwillkürlich mit Stolz erfüllte. Er hatte dem Befehl des Dunklen Lords nicht gehorcht. Er hatte bewiesen, dass er ihm nicht diente. Dass er ein würdiger Blacks war.

Einer der Todesser nickte. „Gleich. Du lässt uns keine Wahl."

Regulus runzelte die Stirn, als er diese Rechtfertigung heraushörte. Und er wunderte sich, als ein amüsiertes Lächeln über seine Lippen flog. „Es gibt immer eine Wahl."

„Niemand widersetzt sich dem Dunklen Lord!", zischte ein anderer. Es mochte Mulciber sein. Er klang feindselig. „Und niemand rennt vor ihm davon! Du konntest deine Treue zu ihm nicht aufrecht halten, also wirst du sterben!"

Regulus winkte ab. Er wusste, er würde hier nicht mehr lebend rauskommen. Diese Gewissheit schnitt ihn messerscharf, aber nun, anstatt Panik oder Furcht, ließ sie nur Gleichgültigkeit hervorquellen. Felice musste es auch gewusst haben. Das erklärte, wieso er nicht überrascht war, als er starb.

Seltsam, dass ihn diese Erkenntnis langsam, aber sicher mit Teilnahmslosigkeit erfüllte. „Ich bleibe nur mir selbst treu", antwortete er kühl. „Mir selbst. Meinem Blut. Und meiner Familie."

Zauberstäbe richteten sich auf ihn.

Noch zögerten sie.

Regulus sah ihnen aus dunklen Augen entgegen; sie waren vom Fackelschein versilbert. Das schwarze, sonst so streng zurückgekämmte Haar fiel ihm nun in die Stirn und ließ die Ähnlichkeit mit Sirius nur noch größer werden.

Ihm war klar, dass er viel zu früh sterben würde. Dass er in dieser Hinsicht versagt hatte, dass er mit Schuld daran trug, dass die Black-Dynastie langsam, aber sicher in den Untergang getrieben wurde. Aber wenigstens würde er als Black sterben. Und nicht als einer, der dem Dunklen Lord treu geblieben war.

Und dann traf ihn gleich vierfach der Todesfluch.

Regulus spürte die eisige Kälte, er rang nach Atem, aber da war kein Sauerstoff mehr. Er keuchte auf, sein Körper bog sich nach hinten, dann fiel er langsam zu Boden. Es war auf einmal so eisig.

Noch während er starb, wusste er, dass Sirius niemals den wahren Grund für seinen Tod erfahren würde. Dass Regulus starb, weil er sich dem Befehl widersetzt hatte, seinen eigenen Bruder zu töten.

Er mochte es deswegen getan haben, weil er gelernt hatte, dass jemand, der einen Verwandten tötete, das familiäre, reine Blut verriet und sich somit zu einem Blutsverräter machte. Es mochte daran gelegen haben, dass Regulus immer gewusst hatte, dass die Familie das Wichtigste von allem war. Dass er nur zum Todesser geworden war, um zu versuchen, die Macht der Blacks in des Dunklen Lords Regime mit einzubringen, auch wenn er daran gescheitert war.

Es mochte daran gelegen haben, dass er irgendwo, in all der Dunkelheit, in all dem Zwist und all dem Hass dennoch gewusst hatte, dass er niemals in der Lage gewesen wäre, Sirius zu verraten. Einfach, weil die brüderlichen Bande es niemals zugelassen hätten.

xx

Zwei Tage später.

Die Rumtreiber waren mit Lily und Harry bei Peter. Sie hatten gegessen und noch während sie mit wenigen Zaubersprüchen abräumten, erwähnte Sirius beiläufig:

„Regulus ist tot."

Remus, der soeben die Teller in die Spüle zaubern wollte, fuhr zusammen und das Geschirr fiel klirrend zu Boden, wo es zerbarst.

Sirius warf Remus einen eigenartigen Blick zu. „Was... erschreckt dich daran denn so, Moony?", fragte er.

Remus war über den lauernden Unterton in Sirius' Stimme verwundert. „Nun... er war dein Bruder."

„Und ein Todesser", erwiderte Sirius, immer noch misstrauisch. „Eigentlich dürftest du nicht erschrocken sein."

Remus starrte ihn an. Was sollte das denn jetzt?

„Ich denke, Remus ist erschrocken darüber, wie beiläufig du es erwähnt hast", intervenierte Peter und runzelte die Stirn. „Wie... wie ist es denn passiert?"

Da weder James noch Lily erstaunt waren, mutmaßte Remus, dass sie es schon gewusst hatten.

Sirius hob die Schultern. Sein Gesicht war finster und Remus bemerkte erst jetzt die dunklen Ränder unter seinen Augen. Er schien in den letzten Nächten kaum geschlafen zu haben.

„Er wollte den Todessern davonrennen." Er klang bitter. „Aber niemand steigt aus Voldemorts Elitetruppe aus. Also haben sie ihn getötet."

Remus schüttelte fassungslos den Kopf. „Bei Merlin..."

„Felice war dabei gewesen", sagte James nun. Er klang tonlos.

Remus erstarrte.

„Er hatte Regulus offenbar da raus helfen wollen. Er hatte uns aber kein Wort gesagt. Er ist ebenfalls getötet worden."

Remus spürte, wie das ganze Blut aus ihm wich. Wieso hatte das nicht im Tagespropheten gestanden? Sonst hätte er es doch schon gewusst. Er fragte.

James hob die Schultern. „Vater meldet es der Zeitung erst heute."

Remus nickte lahm. Es war, als stünde er völlig neben sich. Er erinnerte sich noch ganz genau daran, wie Felice ihn, ohne Namen zu nennen, gefragt hatte, ob er einem Freund helfen könne, selbst wenn sie auf verschiedenen Seiten stünden. Und Remus hatte mit ja geantwortet. Mit ja, weil man einem wahren Freund immer beistehen sollte.

Und nun hatte Felice es getan. Und war dabei gestorben.

Remus merkte die Verzweiflung, das nackte Entsetzen, das in ihm hoch kroch, das Blut zum Rauschen brachte und ihn bestürzte.

„Remus? Remus?", drang Lilys besorgte Stimme an sein Ohr. Wie aus weiter, sehr weiter Ferne.

Remus kam nur langsam wieder zu sich. Er blinzelte. „Was? Ich... ich bin erschüttert", antwortete er matt.

Lily nickte und legte ihm eine Hand auf seinen Arm. „Das sind wir alle", flüsterte sie kummervoll. „Felice hat den Tod nicht verdient."

Remus sah zu ihr herab. „Wer verdient den Tod schon?", fragte er heiser.

„Regulus", behauptete James kalt. „Ich will gar nicht wissen, wie viele er schon getötet hat. Jetzt kam der Tod zu ihm."

Remus war sprachlos. Er wäre es nicht gewesen, wenn es sich um irgendeinen Todesser gehandelt hätte. Aber hierbei ging es um Regulus. Sirius' Bruder, ganz gleich, wie viele Menschen er auf dem Gewissen hatte. Um jenem Zauberer, mit dem sie einst sogar einen kurzfristigen Waffenstillstand geschlossen hatten, um zusammen zu arbeiten. Jenem, der vor Voldemort fliehen wollte. Der sich von ihm abwenden wollte!

Auch Peter schien perplex. Er hatte James mit offenem Mund fixiert. Lily blickte unbehaglich drein und Sirius... Sirius war vollkommen ausdruckslos. James stand direkt neben ihm und schaute seinen besten Freund an.

Wenn nicht erst vor zwei Tagen Vollmond gewesen wäre, hätte Remus das Gewisper nicht gehört. Aber so nahm er wahr, wie Sirius zu James zurückblickte, mit langsam aufkeimendem Kummer in den schwarzen Augen.

„Ich hätte ihm helfen müssen, als er fortrennen wollte", flüsterte Sirius leise. Und verzweifelt.

James schüttelte entschieden den Kopf und legte seine Hände auf Sirius' Schultern. Recht brutal, denn Sirius verzog leicht das Gesicht.

„Nein", wisperte James eindringlich zurück. „Du hättest ihm niemals helfen können. Und das weißt du auch. Er hatte sich nun mal für den dunklen Weg entschieden und was auch immer ihn zur Flucht hatte bewegen wollen... er war schuldig, Padfoot. Unschuldiges Blut klebte an seinen Händen."

Remus beobachtete sie nachdenklich. Was er gehört hatte, hatte recht vieles erklärt. Sirius glaubte, dass er seinem Bruder beim Davonkommen hätte helfen müssen. Aber weil er jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen hatte, hatte Regulus sich nur an Felice gewandt, und nicht noch an Sirius. So war es Felice gewesen, der den Anstand besessen hatte, eine verloren geglaubte Seele retten zu wollen. Aber die beiden jungen Männer waren gescheitert. Sirius glaubte offenbar, wenn er mitgeholfen hätte, wenn er Regulus unterstützt hätte, wären beide noch am Leben. Und James wirkte nur so herzlos, weil er mit aller Macht verhindern wollte, dass Sirius sich Schuldgefühle machte.

Was Remus aber am Schlimmsten traf, war der Tod von Felice. Seinen Freunden mochte es nicht bewusst sein, aber er hatte sich seit der Hochzeit von Lily und James gut mit ihm verstanden. Und seit Felice eines Tages im Hinterraum des Koboldgeschäfts aufgekreuzt war und unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er alle Geheimnisse von Remus kannte, sie aber niemandem verraten würde, war etwas wie Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Denn auch Remus hatte als einziger gewusst, dass Felice Kontakt zu Regulus hielt, dass er bereit war ihm zu helfen. Und auch er hatte es für sich behalten, einfach, weil es wichtig war, eine Freundschaft nicht zu hintergehen.

Im Krieg war es schwer, so etwas wie Moral aufrecht zu halten. So etwas wie Freundschaft. Zwielicht herrschte in diesem Land. Dämmerung. Was man auch immer selbst als richtig empfand, die Gegenseite nannte es falsch.

Felice hatte stets irgendwo versucht, es beiden Seiten recht zu machen. Er hatte sich von der Dunkelheit getrennt, ohne sie direkt zu verraten, denn alles, was er wollte, war das Gleichgewicht zu erringen. Dabei zu helfen, dass Licht und Finsternis im Einklang miteinander harmonisierten.

Trotz der Tatsache, dass dieser Krieg, diese ganzen Opfer auch Remus hart gemacht hatten, vermochte die Trauer, ihn dieses Mal zu übermannen. Er dachte sich, dass er, wenn er Blaise, Felices Sohn, mal gegenübertreten sollte, ihm vielleicht sagen würde, dass sein Vater als einer der wenigen für das einzig Richtige gekämpft hatte.

Dabei hielt er selbst offen, ob er die Freundschaft meinte, oder das Gleichgewicht. Vielleicht beides...


A/N:

JKR hat mal gesagt, dass Theodore Nott so was wie ein Außenseiter in Slytherin sei. Obwohl er reinblütig ist, schließt er sich noch nicht einmal Malfoys Clique an, so Rowling. Deswegen habe ich mich für seinen Vater entschieden, der hier seine Zweifel bekommt und beinahe ebenfalls einem Befehl Voldemorts verweigert, es aber dann halt doch durchzieht.

Die Idee bei den Todesserritualen, was das Mugglefleisch betrifft, habe ich von meinem Beta :)

Und daaanke für eure Reviews:strahl: