Rückwärts in die Dunkelheit
Zu den Sternen schaut man auf,
wenn es auf der Welt nichts mehr zu sehen gibt.
Oder blickt man auf,
wenn man nichts mehr sehen will?
(- die letzten Worte eines Sterbenden.)
39. Kapitel
In der Dunkelheit
„Wohin gehen die Tage,
an die sich keiner erinnert?
Sie folgen den Träumen,
die keiner mehr lebt."
(- unbekannt)
31. Oktober 1981. Halloween.
Wenn Halloween war, schien es in der magischen Welt immer ein wenig seltsamer zuzugehen als sonst. Alles wirkte viel dunkler, viel rätselhafter; es hieß, Halloween sei ein besonderer Tag in der Welt der Magie. Aber die wahre Bedeutung sei über die Jahrtausende hinweg verloren gegangen.
James verschwendete an diesem Abend keinen Gedanken an Halloween. Er saß mit Lily und dem kleinen Harry im Wohnzimmer in Godric's Hollow; ein Feuer tanzte gemütlich im Kamin.
Sie saßen auf der Couch, aneinander gekuschelt, und Harry saß auf Lilys Schoß. Ab und an krähte er vergnügt und vergrub eine kleine Hand in James' Hemd, das Ärmchen nach oben streckend. Die andere Hand verfing sich manchmal in Lilys Haaren.
James hatte das Verstecken satt. Er hoffte, bald wieder hinausgehen zu können. Aber solange Voldemort es direkt auf sie abgesehen hatte und töten wollte, war es gefährlich. Und seit er Vater geworden war, wusste James auch, dass er seinen Leichtsinn zügeln musste.
Harrys wegen ließ er sich in seinem eigenen Haus einsperren. Harrys wegen versteckte er sich, anstatt zu kämpfen. Harrys wegen hatte er Sirius' Idee zugestimmt und aus Peter den Geheimniswahrer gemacht. Es war ein brillanter Schachzug, denn alle Welt glaubte, Sirius sei es. Die Todesser jagten seinen besten Kumpel, während niemand auf die Idee kommen würde, dass in Wahrheit Peter die Information über seinen Verbleib und den seiner Familie hatte.
James war beruhigt. Er vertraute Peter blind. Niemals würde Voldemort sie ausfindig machen und vielleicht schafften sie es auch irgendwann, ihn und seine Truppen zu besiegen. Auch wenn es derzeit keine Hoffnung gab. Die Todesser waren überlegen und sie holten sich einen nach dem anderen. Viele, die sich ihnen nicht angeschlossen hatten, taten so, als wüssten sie nichts vom Terror in ihrem Land, als bekämen sie nichts von Folter, Mord und Unterdrückung mit. James verachtete sie. Fast mehr, als die Todesser, die wenigstens offen für ihre Ideologien kämpften.
Lily kuschelte sich an James. „Ich bin froh, wenn das Verstecken ein Ende hat", murmelte sie.
James, der einen Arm um sie gelegt hatte, nickte. Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf ihren Haaransatz. „Ich auch."
Lily seufzte. „Ich hoffe immer, dass es nur auf Zeit ist. Alles. Dieser Krieg. Und dass wir letzten Endes siegen und alles wieder gut wird."
„Aber das wird es auch", sagte James zuversichtlich.
„Hm", machte Lily; sie schien nachdenklich. „Glaubst du das? Weißt du... manchmal denke ich, dass diese Hoffnungen nur Träume sind. Nichts als Träume, die sich niemals verwirklichen lassen. Weil wir irgendwann einmal aufwachen. Ich kann mich kaum noch an die Tage erinnern, in denen alles, einfach alles sorglos war. Da war ich noch ein Kind."
James drückte sie näher an sich; Harry krähte.
„Sag so etwas nicht, Lily", meinte er sanft. „Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Auch wenn die Tage des Friedens schon so weit zurückliegen, dass sich kaum einer an sie erinnern wagt, so müssen wir nach vorne blicken. Ich wette, wenn Harry in Hogwarts eingeschult wird, wird schon längst alles wieder in Ordnung sein."
Lily sah zu ihm hoch und er grinste sie schelmisch an.
„Und dann wirst du keine Sorgen mehr haben, außer denen, dass unser Sohn zum respektablen Nachfolger der Regelbrechergeneration wird", neckte James sie.
Lily kicherte und stieß ihn spielerisch in die Rippen. „Ich muss mir Sorgen machen?", wiederholte sie zwinkernd. „Das war mir klar. Du wirst ihm wahrscheinlich alles Wissenswerte übers Gesetzbrechen beibringen."
James lachte selig, während sie von einer möglichen Zukunft träumten. „Genau. Ich und Sirius werden ihn alles lehren. Wer weiß, vielleicht wird er ja sogar noch geschickter als wir und raubt McGonagall den letzten Nerv." Er grinste den grünen Augen entgegen, die zu ihm hochschauten. Er machte schnell ein bestürztes Gesicht. „Oder glaubst du, er wird deinen Ordnungsfanatismus haben?" James sprach schockiert. „Das wäre grauenhaft."
Lily lachte und knuffte ihn wieder in die Seite; dann gab sie ihm einen Kuss. „Pass nur auf, James, Harry wird sich mit mir verbünden!"
James zog seine Augenbrauen in die Höhe. „Gegen mich?"
Lily nickte strahlend. „Und gegen Sirius."
Er gab ihr eine Kopfnuss. „Pah. Niemals!", behauptete er inbrünstig.
Er küsste Lily zurück; dann erhob Harry Protest aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit. James lachte, nahm ihn in die Arme und wirbelte ihn hoch in die Luft.
Harrys grüne Augen leuchteten und er jauchzte.
Dann presste James ihn an sich und atmete den typischen Babygeruch ein. Wie durch Zufall ließ er seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen, hin zum Fenster.
Und dann glaubte er, sein Herz würde stehen bleiben. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Dort, am Fenster, stand eine Gestalt, so dicht an der Scheibe, dass James genug erkennen konnte.
Das Gesicht war frei von einer Maske; es war unmenschlich und die Augen glühten rot.
James war sprachlos. Gedanken wirbelten in seinem Kopf auf, durcheinander und verzweifelt. Ihm war es sofort bewusst: Peter hatte ihr Versteck verraten.
Bei Merlin.
„Was ist denn los?", fragte Lily verwirrt; er schien seinen letzten Gedanken ausgesprochen zu haben.
Seine Frau folgte seinem Blick. Dann schrie sie entsetzt auf.
James erwachte aus seiner Apathie. Voldemort verschwand vom Fenster.
James sprang auf und reichte Lily Harry. „Lily, nimm Harry und lauf! Er ist es!"
Lily starrte James an. Ungläubig, panisch. „D-das... das... aber Peter..."
James packte sie an den Schultern. Harry hatte längst aufgehört, fröhlich zu krähen und schien beunruhigt.
„Peter", stammelte James. Oh Gott, er konnte es nicht glauben. „Er hat uns verraten."
Etwas knackte, es kam aus der Richtung der Haustür. James schauderte.
„Schnell fort, ich halte ihn auf…"
Er warf ihr einen eindringlichen Blick zu; Lily war leichenblass, dann wirbelte sie herum und eilte nach oben.
James sah ihr kurz nach, dann drehte er herum und sah in Richtung Zimmertür. Er wartete. Jeden Moment würde Voldemort hereinkommen.
Die Tür explodierte, Holzsplitter flogen durch die Luft. Und dann stand ein hämisch grinsender Fanatiker im Türrahmen, die Augen ein einziges Feuer.
„Potter", schnarrte Voldemort. „Guten Abend."
James hielt seinen Zauberstab fest umklammert. Er musste klar denken. Er musste seine Gedanken bannen. Denn immer wieder dachte er daran, dass Peter der Verräter war. Dass alle aber Sirius die Schuld in die Schuhe schieben würden. Bei Merlin...
Er spannte sich an; Voldemort kam näher.
Er musste Zeit gewinnen. Damit Lily und Harry entkommen konnten.
„Raus hier", presste er hervor.
Voldemort schnalzte nur mit der Zunge. „Na, na, wer wird denn hier so unhöflich sein?"
James starrte ihn an. Hass, Panik und unendliche Enttäuschung in Bezug auf Peter erfüllten ihn.
„Dein letztes Stündlein hat geschlagen", fuhr Voldemort fort. „Sei froh, dass es ein schneller, schmerzloser Tod sein wird." Er lächelte kalt. „Nun, ich nehme es zumindest an. Ich bin ja noch nie selbst gestorben, musst du wissen." Er lachte. Grausam und tückisch.
„STUPEFY!", brüllte James, entschlossen zum Angriff. Der Blitz hätte Voldemort beinahe getroffen. Noch während der Zauberer auswich, hetzte James den Entwaffnungszauber hinterher.
Aber der Dunkle Lord war mächtig. Und er fackelte auch nicht lange. „Avada Kedravra", zischelte er; James duckte sich und der Blitz traf irgendwo die Wand hinter ihm.
„Potter, du magst dich mir dreimal widersetzt zu haben, aber ein viertes Mal wird es dir nicht gelingen", behauptete der Schwarzmagier gehässig.
Hass beherrschte James. Kalter Hass. „Auch du wirst irgendwann verlieren!", presste er hervor und schleuderte Voldemort erneut einen Fluch entgegen.
Voldemort wich aus, griff seinerseits an, James ging in Deckung.
So ging es eine Weile weiter; das Wohnzimmer sah aus, wie ein Schlachtfeld.
Aber der Dunkle Lord galt als der mächtigste Zauberer, direkt nach Dumbledore. James wusste, dass er auf Dauer das Duell nicht gewinnen würde, wenn das Glück ihm nicht zur Seite stand.
Aber das Glück schien ihn verlassen zu haben. Ebenso all seine Träume.
Er musste jedoch gewinnen. Er musste es für Lily tun. Für Harry. Und auch für Sirius.
Er musste...
Voldemort lachte kalt. „Du kämpfst tapfer, Potter."
Ein grüner Blitz jagte auf den Rumtreiber zu; James sprach zur Seite, als Voldemort bereits einen neuen Todesfluch auf ihn gehetzt hatte.
Und diesmal wurde James getroffen. Der eisige Blitz zischte auf ihn zu und kollidierte mit ihm.
James riss die Augen auf.
Nein. Neinneinnein...
Voldemort lachte wieder höhnisch.
James' spürte die kalte Klaue des Todes, die nach ihm griff. Nach seiner Seele zerrte, brutal und mit Gewalt. Entschlossen.
Das letzte, was James spürte, war grenzenlose Verzweiflung. Dann sackte er zu Boden und war tot.
xx
Stunden später.
Sirius hetzte mit dem Fliegenden Motorrad durch die kalte Nacht. Etwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht.
Er hatte Peter besuchen wollen, dem von Dumbledore und auch von Sirius verboten worden war, seine Wohnung zu verlassen. Er hatte eine neue Wohnung bekommen, eine, die sehr versteckt war und als sicher galt.
Aber Peter war nicht daheim gewesen. Nichts hatte nach Angriff ausgesehen, alles war ordentlich gewesen. Peter hatte die Wohnung freiwillig verlassen.
Nun gut, das sollte gar nichts bedeuten. Sirius wusste selbst am Besten, dass auch Peter ein Rumtreiber war und sich nicht an Regeln zu halten brauchte, wenn er nicht wollte.
Aber dann war ihm ein merkwürdiges Gefühl hochgekommen; eisige Kälte und eine dunkle Verzweiflung hatten ihn beschlichen, ohne dass er wusste, wieso.
Irgendetwas stimmte nicht. Sirius konnte es sich nicht erklären, aber er entschied, zu James zu fliegen. Ganz gleich, wie riskant es war, er musste sich vergewissern, dass alles in Ordnung war.
Er roch den Rauch schon von weitem.
Sirius spürte die aufkommende Angst. Sie lähmte ihn regelrecht. Dann flog er laut knatternd in das Dorf hinein; in der Dunkelheit erkannte er das Dunkle Mal, das in der Luft schwebte. Direkt über der Ruine von Godric's Hollow.
Sirius wäre beinahe mit dem Motorrad gestürzt.
Im Nachhinein wusste er nicht mehr, wie er gelandet war. Ihm fehlten so einige Erinnerungen an die nachfolgenden Ereignisse in der Ruine. Das lag am Schrecken. Sirius stand augenblicklich unter Schock, als er das zerstörte Haus wahrnahm.
Jemand stand immer dann unter Schock, wenn schreckliche Dinge passiert waren und die Seele erkannte, dass sie damit niemals fertig werden würde. Niemals... So schützte sie sich, indem sie sich in einen dumpfen Schockzustand hineinmanövrierte.
Wie paralysiert betrat Sirius die Ruine; Hagrid war bereits da. Er war von Dumbledore geschickt worden, offenbar wusste der alte Zauberer bereits, dass etwas geschehen war. Es überraschte Sirius nicht. Es kümmerte ihn nicht.
Er war ganz blass und zitterte, als er im ehemaligen Wohnzimmer stand und auf James' Leiche blickte. Die Augen waren weit aufgerissen vor Entsetzen und er glaubte, Verzweiflung darin zu sehen. Die Brille war zerbrochen. Das Gesicht ebenmäßig, aber unnatürlich weiß.
Hagrid redete auf Sirius ein, beruhigend, aber selbst unter Schock. Sirius bekam davon nichts mit. In seinem Kopf drehte es sich. Sein Herz schrie. Schrie und drohte zu zerreißen.
Sirius ließ sich neben James auf die Knie fallen. Fassungslos starrte er auf seinen besten Freund.
„Prongs...", brach es schließlich erstickt aus ihm hervor. Er rüttelte ihn. „Komm, du... du musst aufstehen!"
Eine große Hand legte sich auf Sirius' Schulter. „Er... er ist tot, Kleiner", sprach Hagrid mit brüchiger Stimme.
Sirius riss sich los. „NEIN!", brüllte er verzweifelt und zornig zugleich. „ER IST NICHT TOT!"
Er ballte seine Hand zur Faust. „Er ist nicht tot", murmelte er. Er schloss die Augen. Dunkelheit lag hinter den geschlossenen Lidern. So groß, so stark, sie zog Sirius mit sich.
Er kann nicht tot sein. Nicht er. Nicht Prongs...
„W-was ist mit Lily? Und Harry?", fragte Sirius dann; er öffnete die Augen und konnte seinen Blick nicht von James losreißen. Von James, für den er gestorben wäre.
„Lily ist auch tot, Sirius", antwortete Hagrid. Er klang sehr bestürzt.
Sirius stieß einen Atem aus. Verzweiflung hatte sich wie ein Ring um seine Brust gelegt und machte ihm das Atmen sehr schwer. Zittrig beugte er sich hervor und strich mit einer langsamen, liebevollen und doch einsamen Geste über James' Augen, damit sie zufielen.
„Aber Harry... er lebt...", hörte er Hagrid sagen.
Sirius sah auf. Harry lebte! Er sprang auf. Harry lebte...
Er starrte auf das kleine Bündel, das Hagrid im Arm hielt.
Sirius hatte schon alles begriffen, als er das Dunkle Zeichen gesehen hatte. Peter war der Verräter. Ausgerechnet Peter. Und nicht Remus! Verdammt... wieso hatte er nie mit darüber Moony gesprochen. Wieso...
Egal, er musste weg von hier. Mit Harry. Er hatte James geschworen, auf ihn Acht zu geben. „Gib Harry mir, Hagrid", befahl er mit ausgezehrter Stimme. „Ich bin sein Pate. Ich kümmere mich um ihn. Gib ihn mir."
Er streckte seine Hände aus, aber Hagrid schüttelte den Kopf. „Nein, Sirius. Ich habe direkte Anweisungen von Dumbledore, Harry zu ihm zu bringen."
Sirius blieb stur. „Das ist mir egal! Ich bin sein Pate! Ich!"
Sie stritten eine Weile. Sirius war klar, dass Dumbledore wollte, dass Harry zu ihm gebracht wurde. Dumbledore hielt Sirius für den Verräter. Das musste so sein, denn niemand wusste, dass Peter der Geheimniswahrer war.
Schließlich gab Sirius nach. Er wusste nicht mehr, was der Auslöser gewesen war, aber es musste mit Hass zu tun haben. Peter musste sich noch irgendwo herumtreiben. Und er würde ihn ausfindig machen, ihn zur Rede stellen. Ihn umbringen.
Etwas funkelte in seinen Augen auf. „Nimm mein Motorrad", sagte er also. Er klang monoton. „Und bring Harry dorthin, ich brauch es nicht mehr."
Hagrid stutzte, aber Sirius kümmerte sich nicht weiter darum.
So oder so würde sein Leben, wie es einmal war, ein Ende finden. Wenn er Peter nicht fand, würde er verhaftet werden. Und wenn er Peter fand und ihn tötete, würde er auch verhaftet werden. Nur, wenn er Peter bei Dumbledore ablieferte, könnte er Askaban entgehen. Aber dieser Gedanke stillte seinen Hass nicht. Also kam diese Idee auch nicht in Frage. Auch wenn sie die Vernünftigste von allen war.
Alles in ihm drehte sich nach wie vor. Noch konnte er nicht glauben, dass James tot war. Und Lily. Dass Peter der Verräter war. Aber etwas in ihm war zerbrochen. Etwas, das fanatischen, hasserfüllten Rachegelüsten freien Lauf ließ. Und Verzweiflung. Etwas, das den Sturz in den tiefen, dunklen Abgrund nicht mehr aufzuhalten vermochte.
xx
Einige Stunden später. 1. November 1981.
Sirius hatte das Unmögliche möglich gemacht. Er hatte Peter gefunden.
Er hatte ihm den Weg verstellt, sie standen inmitten auf einer Mugglestraße, einander gegenüber. Mittlerweile verspürte er große Schuldgefühle. Wieso hatte er James nur dazu überredet, Peter zum Geheimniswahrer zu machen? Wieso nur? Wenn er das nicht getan hätte, wenn er seinen Plan nicht für außerordentlich brillant gehalten hätte, wären James und Lily noch am Leben. Peter war sicher hocherfreut gewesen, als er eingeweiht worden war.
Sirius glaubte, seine Seele würde zerrissen werden; aber da trumpfte wieder Hass auf, Hass auf Peter, reiner Selbstschutz, um an den Selbstvorwürfen nicht unterzugehen.
Peter hatte gestoppt, schien zu wissen, dass eine Flucht unmöglich war. Sein dickes Gesicht war völlig bleich.
Sirius verspürte nichts anderes, als den Wunsch, ihn zu töten. Diesen Verräter.
„Wieso, Peter?", fragte Sirius aber noch; diese eine Frage wollte er noch beantwortet haben, ehe er seinen einstigen Freund ins Jenseits verschaffte. „Wieso hast du sie verraten?"
Peters Augen weiteten sich. Er fuhr zusammen. Aber dann... das Entsetzen in den wässrigen Augen verschwand allmählich. Dann schluchzte er auf einmal.
„LILY UND JAMES, SIRIUS!", brüllte er auf einmal völlig verzweifelt los.
Sirius erstarrte.
„WIE KONNTEST DU DAS TUN?" Es waren anklagende Worte. Peter griff nach seinem Zauberstab.
Sirius wollte reagieren, aber zum ersten Mal im Leben war Peter schneller. Auf einmal gab es eine gewaltige Explosion; Sirius wurde ein wenig zurückgeworfen. Blut spritzte, verzweifelte Schreie waren überall, gleichwie Rauch.
Sirius hustete und blinzelte. Er konnte erkennen, wie Peter sich in eine Ratte verwandelt hatte; er blutete aus einer Wunde. Dann jagte er davon, den anderen Ratten hinterher in die Kanalisation.
Sirius stand auf; sein Umhang war blutbefleckt. Er starrte auf die Stelle, wo Peter gestanden hatte.
Er erkannte, dass er hereingelegt worden war. Dass Peter einen brillanten Schachzug gemacht hatte, so hinterhältig, so unberechenbar, dass er schon genial war. Das musste man dem kleinen Mann lassen.
Sirius hatte ihn unterschätzt. Er hatte ihn schon immer unterschätzt.
Immer noch erfüllten panische Schreie die Luft. Es musste mehrere Tote gegeben haben. Die Straße war regelrecht zerfetzt. Und er, Sirius, stand inmitten der Trümmer, vor ihm ein Krater, so tief, dass die Kanalrohre in der Erde aufgerissen waren. Dort hinein war Peter verschwunden.
Sirius wusste, er war in eine Falle getappt. Unglaube erfüllte ihn, Fassungslosigkeit.
Peter hatte James und Lily ausspioniert. Das ganze Jahr über. Peter war zu Voldemort gerannt, nachdem Sirius dachte, es sei gerissen, mit ihm den Geheimniswahrer zu tauschen. Voldemort konnte so zu James und Lily und sie töten. Und nun... nun hatte Peter seinen eigenen Tod vorgetäuscht. Sirius sah einen Wurstfinger im Krater liegen. Er war von Peter, das wusste er mit eiskalter Logik. Und jeder würde denken, er selbst sei der Verräter und nun auch Mörder gewesen.
Wann hatte Peter sich vom furchtsamen Einfaltspinsel in einen ausgefuchsten Überläufer gewandelt? War die Angst vor dem Tod so groß gewesen, dass ihm nichts und niemand mehr etwas wert gewesen war?
Sirius konnte nur den Kopf schütteln.
Und plötzlich tauchten Eingreifzauberer auf. Jene gut ausgebildete Truppe des Ministeriums zur Stellung ganz besonders gefährlicher Zauberer.
Er sollte sich geehrt fühlen, kam ihm der abstruse Gedanke.
Sirius spürte, wie er wirklich den Verstand zu verlieren drohte. Und er merkte, wie er keinen Ausweg mehr hatte. Keinen einzigen. Er würde zu Unrecht beschuldigt werden und die, die das Gegenteil hätten bezeugen können, waren tot oder wurden für tot gehalten.
Er stand mit dem Rücken am Abgrund und konnte nur noch einen Schritt nach hinten gehen; damit würde er den Boden unter den Füßen verlieren.
Und plötzlich kam Gleichgültigkeit auf. Pure, flackernde Gleichgültigkeit ob dieser verzweifelten Lage.
Sirius fing an, hysterisch zu lachen.
xx
Wenige Tage später. November 1981.
Irgendwo in Großbritannien.
Wormtail rannte und rannte. Er war schon längst wieder aus der Kanalisation aufgetaucht, in die er mit den anderen Ratten geflohen war. Als er die ganze Straße hatte explodieren lassen.
Tage waren seitdem vergangen. Tage, in denen viel passiert war. In denen sein ganzes Leben auf dem Kopf gestellt worden war.
Der Dunkle Lord war verschwunden. Wormtail konnte nicht glauben, dass er tot war. Seine Leiche war nicht gefunden worden, also musste er irgendwo untergetaucht sein; seiner Kräfte entraubt, die ihm ein kleines, unschuldiges Baby genommen hatte.
Sollte er den Dunklen Lord suchen? Aber war er nicht froh, dass der so gefährliche Schwarzmagier fort war? Nur... sein Verschwinden bedeutete auch seine eigene Nicht-Existenz. Peter Pettigrew lebte nicht mehr. So nahm es die ganze Zaubererwelt an, so hatte er es sie glauben lassen. Er würde nur dann zurückkehren können, wenn der Dunkle Lord wiederkam und die Macht an sich riss. Andernfalls würde er verhaftet werden. Jeder würde ihn nicht länger als den Helden sehen, sondern den Mörder. Den Verräter.
JA! VERRÄTER!, zischte ihm eine Stimme im Kopf laut zu; sie war ein Teil seines früheren Selbst. MÖRDER!
Wormtail fiepte auf und rannte schneller, wie um dieser Stimme zu entfliehen. Er war weder Mörder noch Verräter. Er hatte doch nur versucht, sich selbst zu retten. War es etwa ein Verbrechen, sein eigenes Leben zu beschützen? War es Unrecht, Angst zu haben? Er war im Recht gewesen. In so finsteren Zeiten war es tödlich, auf andere zu achten. Er war nicht der Typ von Mensch, der sein Leben für das eines Freundes gab. Und Wormtail wusste, dass die Mehrheit der Menschheit dies ebenfalls nicht tun würde, auch wenn sie es vielleicht abstreiten würden.
Leute, wie Sirius und James waren schon immer Ausnahmen gewesen.
Wormtail fürchtete sich viel zu sehr vor dem Tod. Und wer würde denn schon freiwillig für jemanden anderen sterben?
SIRIUS UND JAMES! UND REMUS!, durchfuhr ihm wieder die innere Stumme wie ein Blitz. MÖRDER! VERRÄTER!
Wormtail quiekte wieder auf, als sei er verletzt wurden, und huschte schnell durch den Park.
Es war Nacht. Und dunkel. Der Mond bot nur spärliches Licht und die funkelnden, hellen Sterne waren viel zu weit weg, um die Schwärze zu vertreiben. Sie waren unerreichbar. Wie so vieles im Leben.
Lily war tot. Ermordet vom Dunklen Lord. Und dadurch auch durch Peter. Dabei hatte er sie leben sollen! Leben! Der Dunkle Lord hatte sie schonen wollen, damit Peter sie bekommen konnte – als Belohnung für seine Treue – aber Lily war lieber für ihren Sohn gestorben.
Warum? Warum nur? Ach, und warum hatte er nun alles verloren, was ihm einst lieb und teuer war? Wie hatte es nur so weit kommen können?
Wormtail schüttelte heftig den kleinen Rattenkopf, um die Selbstzweifel loszuwerden. Ihm war nichts anderes übrig geblieben. Der Dunkle Lord und die Todesser waren zu stark, die Weiße Magie zu schwach gewesen. Was hätte es genützt, sich dem Dunklen Lord zu widersetzen? Nichts! Denn er wäre selbst getötet worden! Jeder Mensch hatte den Instinkt zum Überleben!
Was sollte er jetzt tun? Er hatte in den vergangenen Tagen darüber nachgedacht, in denen Sirius auf Befehl von Barty Crouch, dem Leiter der Magischen Strafverfolgung, ohne ein Gerichtsverfahren zu lebenslanger Haft nach Askaban gebracht worden war.
Er würde vielleicht bei einer Zaubererfamilie als Ratte untertauchen. So würde ihm nichts entgehen. Fest stand, dass die Todesser ihm die Schuld an des Dunklen Lords Niederlage geben und ihn dafür foltern und töten würden, wenn sie je erfuhren, dass er noch am Leben war. Zudem waren einige von ihnen auf freiem Fuß. Auch deswegen hatte Peter seinen Tod initiieren müssen. Und wenn der Dunkle Lord selbst irgendwann zurückkehren sollte, würde er es am ehesten erfahren, wenn er bei Zauberern lebte. Bei weißmagischen Zauberern. Bei Freunden Dumbledores.
Er hatte auch schon eine Ahnung, wo er demnächst leben konnte. Die Familie, an die er dachte, galt als großherzig und würde auch eine Ratte aufnehmen.
Ein Zeitungsblatt flog durch die Mitternachtsbrise. Sie landete aufgeschlagen vor Wormtail. Er stoppte unwillkürlich.
Es war der Quibbler. Eine unseriöse Zeitung, die niemand ernst nahm.
Es Bild von James, Sirius, Remus und Peter selbst war darauf abgebildet. Es war am Anfang des sechsten Schuljahres gewesen, wo sie noch unbekümmert und unbeschwert gewesen waren.
Der wahre Verräter ist auf der Flucht, stand über dem Foto in großen, anklagenden Buchstaben. Sirius Black unschuldig. Peter Pettigrew ist der Mörder, lautete der Untertitel.
Wormtail erstarrte. Er fing an zu zittern. Es war nicht die Tatsache, dass es jemand geschrieben hatte – niemand glaubte dem Quibbler – aber es war nichtsdestotrotz die Wahrheit.
James' lachendes Gesicht schwebte vor seinem inneren Auge.
Ich vertraue dir, Wormtail, hörte Peter ihn ehrlich sagen. Es waren Erinnerungen. Du bist ein Freund. Und Freunde verraten einander nicht.
Wormtail hielt es nicht mehr aus. Binnen einer Sekunde verwandelte er sich als Mensch zurück und fiel wimmernd auf die Knie.
Es fing an zu regnen. Peter bemerkte es nicht.
Was machst du für ein sorgenvolles Gesicht, Wormtail?, hörte er wieder James' Stimme aus vergangenen Zeiten.
Die Zeiten sind unruhig, Prongs, hatte er geantwortet. Er hörte James lachen. Das nette, arglose Lachen.
Aber Wormtail... WIR sind doch für dich da. Wir passen schon aufeinander auf.
Peter wimmerte noch lauter und vergrub seinen Kopf in den Händen.
„Geh weg, Prongs! Geh weg!", schrie er verzweifelt. „Ich musste es tun! Verstehst du denn nicht? Ich musste es tun! Er hätte mich sonst getötet!"
Er schluchzte.
Und tief in seinem inneren Herzen wusste er ganz genau, dass James es vielleicht sogar verstanden hätte. Er hätte es getan, weil er in Peter immer einen Freund gesehen hatte. Und er oftmals zu sehr das Gute in einer Person zu finden versuchte, der er einmal vertraute.
Diese Gewissheit machte alles nur noch schlimmer.
Ob James nun wusste, dass sein Sohn Waise war? Das sein allerbester Freund Padfoot in Askaban war, ohne Hoffnung auf ein Leben, dass er sich zu führen gewünscht hatte? Dass Moony sich in Einsamkeit zurückgezogen hatte? Ob James wusste, dass ihre Freundschaft, so glorreich, so wundervoll sie gewesen war, durch Peters Verrat ins Bodenlose gefallen war?
Ja, gab sich Peter bitter zur Antwort. James wusste es. Er musste all das in dem Moment gewusst haben, als der Dunkle Lord bei ihm in Godrics Hollow aufgetaucht war. In dem Augenblick musste James erkannt haben, dass Peter sie alle verraten und die Leben aller vier für immer zerstört hatte.
Und, noch schlimmer, Lily hatte es auch gewusst. Lily… für einen Moment tauchte ihr lächelndes Gesicht in seinem Inneren auf, ihre strahlenden grünen Augen... ihr aufrichtiges Lächeln, das sein Herz trotz allem stets erwärmt hatte. Jetzt würde sie niemals mehr lächeln und sollte es eine Begegnung nach dem Tod geben, so konnte Peter sich sicher sein, dass sie ihm auch niemals mehr ein Lächeln schenken würde.
Peters Herz zog sich krampfhaft zusammen. Er heulte auf. „NEEEIINN!"
Hass auf James, doch noch größerer Selbsthass keimten in ihn auf und ließ Trauer um die verflossene Freundschaft zu. Es war in seiner Hand gewesen, der Freundschaft Tribut zu zahlen und Loyalität zu zeigen oder sie zu verraten und zu vernichten. Und er hatte sich für den Verrat entschieden. Einfach so. Um sein Leben zu retten.
Doch auch, wenn er es sich nicht offen zugestand, er wusste: er hatte seinen Körper durch den schrecklichen Verrat gerettet, doch dabei seine eigene Seele hintergegangen und in tiefste Finsternis gestürzt.
Ein bitterer Fehler, für den er noch büßen würde.
Irgendwann. Irgendwann...
xx
Es war Dumbledore, der ihn nach Askaban gebracht hatte, damit er Sirius besuchen konnte. Nun, wo er vor der Zelle seines früheren Freundes stand, die Dementoren auf Dumbledores Anweisung für die Dauer seines Besuchs abgezogen, wusste Remus nicht so recht, warum er gekommen war.
Die Gitterstabswand ließ ihn Einblick in die Zelle gewähren. Sie war klein, nackt, feucht und grau. An der linken Wand stand eine Pritsche. An der Wand gegenüber der Gitterwand befand sich ganz hoch oben ein winziges Fenster, das ein kleines Stück vom wolkenverhangenen Himmel preisgab.
Sirius stand darunter, mit verschränkten Armen vor der Brust, an die Steinwand gelehnt. Die schwarzen Haare fielen noch immer elegant in seine Augen. Sein gutaussehendes Gesicht war von Bartstoppeln beschattet, was ihm einen viel verwegeneren Ausdruck gab als sonst. Schatten lagen unter seinen Augen. Dunkle Ränder. Seine Miene war ausdruckslos, sein Blick frei von Emotionen, als er Remus sah. Er schwieg. Er sagte kein Wort.
Remus trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
So musterten sie einander, als würden sie sich das erste Mal sehen. Als verband sie keine jahrelange Freundschaft. Wie sollte es auch anders sein, wenn Verrat sich zwischen ihnen gestellt hatte. So glaubte Remus es jedenfalls, auch wenn da Hoffnung war. Hoffnung, der unstillbare Drang von Sirius zu hören, dass er unschuldig war.
Es konnte doch nicht sein, dass ausgerechnet Sirius James verraten hatte. Nicht Sirius. Nicht er.
Aber Sirius schwieg noch immer und bemühte sich erfolgreich um eine unleserliche Miene.
Ein Kichern erschallte hinter Remus. Er drehte sich nicht um. Er wusste auch so, dass in der Zelle gegenüber von Sirius Bellatrix Lestrange saß, die ihre unverbrüchliche Treue zu Voldemort aufrecht erhalten hatte.
Nur die geschlossenen Gitterwände und der Gang trennten Cousin und Cousine. Und sonst auch die Dementoren.
„Warum, Sirius?", wisperte Remus nun mit heiserer Stimme. Verzweiflung und Trauer kämpften um de Vorherrschaft. „Warum?"
Er konnte plötzlich sehen, wie die kalte Ausdruckslosigkeit in Sirius' schwarzen Augen brach, in tausend Spiegelsplitter zerfiel und eine Welle von Emotionen darüber hinweg brach. Zorn war abzulesen. Hass, der nicht Remus galt. Trauer. Unendliche Hilflosigkeit, Verzweiflung und blanker, selbstzerstörerischer Schmerz.
In diesem Moment wusste Remus, dass nicht Sirius der Verräter war. Der Blick war zu verletzlich dafür. Er wusste, dass er die falsche Frage gestellt hatte.
Doch noch ehe er die Gedanken weiterverfolgen konnte, sah er Schuld in den dunklen Augen aufblitzen. Tiefe Schuld. Sie schien die Pupillen zu versilbern, ließ sich nicht verleugnen.
Remus' obskure Hoffnung schwand, ebenso das Eingeständnis, die falsche Frage gestellt zu haben.
Schuld. Da lag eindeutig Schuld in Sirius' wundem Blick.
Remus spürte den Kummer so sehr, dass es wehtat. „Warum, Sirius?", wiederholte er hilflos und bestürzt.
Er wollte endlich wissen, wie Sirius – gerade Sirius – James, Lily, Harry und Peter verraten konnte. Und ihn. Es ergab keinen Sinn. Überhaupt keinen. Es war unlogisch und nicht erklärbar.
Da lag eine Antwort im Raum, die sich jedoch nicht erfassen wollte.
„Prongs hat einmal gesagt, dass man immer erst dann weiß, ob der Preis der Freundschaft zu hoch gewesen war, wenn der Tag gekommen ist, an dem man zu zahlen hat", sprach Sirius schließlich.
Er hatte die Emotionslosigkeit wiedergewonnen, die sowohl seine früher einmal arglose Stimme und seinen einstigen schelmischen Blick beherrschte. Das Fackellicht im Gang reichte aus, um flackernd sein Gesicht zu streifen. Die Schatten unter seinen Augen wurden dadurch verstärkt.
„Wie du siehst, war der Preis der Freundschaft zu hoch für mich", fuhr Sirius tonlos fort.
Es war, als wollte er noch etwas sagen. Ich war nicht in der Lage, James zu retten, zum Beispiel. Aber Sirius sagte nichts dergleichen.
Warum auch, dachte Remus, wenn er schuldig war und James niemals hatte retten wollen.
Da war er wieder. Dieser Widerspruch. Sirius und James hatten einander oft das Leben gerettet – wieso auf einmal nicht mehr? Hatte Voldemort Sirius ein Angebot machen können, das wertvoller war, als die Freundschaft zu James? Das schien ebenfalls absurd. Sirius hatte für James und deren Freundschaft sogar mit der Familie gebrochen und auf seinen Machtanspruch als Erbe der Blacks verzichtet. Wie hatte es also nur dazu kommen können, dass Sirius die Freundschaft verriet, für die er sonst alles aufzugeben bereit war?
Remus war, als läge eine Wahrheit zwischen ihnen, eine andere Wahrheit, die alles erklären konnte. Alles. Er wünschte sich, dass es eine Wahrheit gab, die alles bisher Vorgefallene als Lüge brandmarkte.
Aber wenn dem so war, so würden nur wenige diese Wahrheit kennen. Sirius, unter anderem. Und wenn er sie nicht erzählen wollte, wer dann? Und warum wollte er sie nicht erzählen? Weil es keine Beweise dafür gab?
Weil du vorhin die falsche Frage gestellt hast, flüsterte Remus' innere Stimme ihm zu.
Dann aber kam Wut. Viel zu schnell, um den anderen Gedanken aufrecht zu halten. „Ich will wissen, warum du Lily und James verraten hast!", rief er zornig aus, den grenzenlosen Schmerz in seinem Herzen nicht mehr aushaltend. Er umklammerte mit den Händen die Gitterstäbe. „Warum hast du Harry seine Eltern genommen? Warum hast du Peter getötet? Warum hast du unsere Freundschaft zerstört? Warum, Sirius, warum! Sag es mir! Sag es mir endlich, Padfoot!"
Wieder hörte er das Kichern von Bellatrix im Hintergrund und wieder ignorierte er es.
Sirius starrte ihn nur an. Schmerzvoll, aber im Großen und Ganzen belanglos. Leere schien ihn schon längst erfasst zu haben, bleierne Ausweglosigkeit.
Und dann fing er an zu lachen. So, wie er bei seiner Festnahme gelacht hatte. Es war nicht sein charmantes, ansteckendes Lachen, das Remus so sehr vermisste. Es war ein resigniertes, frustriertes Lachen voller Verzweiflung.
Remus wusste, dass Sirius früher immer dann angefangen hatte zu lachen, wenn es keinen Ausweg für ihn gab. Wenn sich alles meist zu Unrecht gegen ihn gestellt hatte und es nichts zu beweisen gab, was ihn hätte retten können. Wenn er am Abgrund stand und es nur noch einen Weg nach vorne gab, in die bodenlose Schlucht hinunter.
Aber verdammt, was konnte er nicht beweisen? Seine Unschuld? Also war alles doch eine Lüge?
„Padfoot, was verbirgst du nur vor mir?", rief Remus hilflos aus. „Sag es mir! Und hör auf zu lachen!"
Sirius tat ihm den Gefallen und hörte mit dem gespenstischen Gelächter auf. Ernst sah er Remus an.
„Ich sagte es dir doch schon, Moony", meinte er leise. „Ich konnte nicht zahlen. Unsere Freundschaft war von Dunkelheit überschattet. Und letztendlich war diese Dunkelheit stärker." Er richtete seinen Blick in die Ferne, immer noch emotionslos, doch auch ein wenig bestürzt. Kummer wurde mächtiger. Verzweiflung glitzerte auf. „Stärker, als alles andere."
Remus starrte Sirius unverständlich an. Was meinte er bloß? Was meinte Sirius bloß?
„Remus?"
Dumbledore erschien, in Begleitung eines Wärters. „Wir müssen gehen." Er warf Sirius einen halb nebulösen, halb traurigen Blick zu.
Remus blieb, wo er war, und sah Sirius an. Er wusste, er würde ihn nie wieder hier besuchen. Verzweiflung beherrschte ihn schon lange. So, wie Schmerz, Bitternis, Wut und Unverständnis. Sie zerstörten sein Leben, sie zogen ihn in die Finsternis. Unbarmherzig. „James wäre für dich gestorben, Sirius."
Ein letztes Mal trafen sich ihre Blicke. Sirius schwieg.
Remus hoffte auf eine Antwort, die alles erklärte, aber er wartete vergebens. So ließ er die Gitterstäbe los und ging langsam fort. Mit hängenden Schultern, mit gebeugtem Haupt. Er bekam nicht mehr mit, wie Sirius ihm tatsächlich eine Antwort gab.
„Ich wäre auch für James gestorben, Moony", murmelte Sirius leise und voller Schmerz.
Doch es war nur Bellatrix, die ihn hörte.
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Als die Schritte der Besucher endgültig verklungen waren, hörte Sirius seine Cousine lachen.
„Warum hast du ihm nicht die Wahrheit gesagt?", fragte sie über den Gang hinaus. Sie saß auf der Pritsche und blickte ihn aus ihren schwerlidrigen Augen an. Schatten lagen auf ihrem schönen Gesicht. Sie wirkte müde und matt. Der Schock über die Niederlage ihres Lords zehrte an ihrer Seele.
Sirius hob die Schultern. Er atmete bewusst aus. „Welchen Sinn hätte es gehabt?"
Er spürte, wie die Dementoren langsam näher kamen. Aber merkwürdigerweise machten ihn nicht so verrückt, wie die anderen. Dennoch schauderte er.
Bellatrix nickte, ehe sie zusammenfuhr. Auch sie musste das Näherkommen der Dementoren fühlen.
„Pettigrew hat es geschickt angestellt", meinte sie; Hass gegen den Verräter loderte auf.
Sirius' Miene verdüsterte sich bei dem Namen des Überläufers.
„Verräter", zischte Bellatrix hasserfüllt. „Nur wegen ihm ist der Dunkle Lord nicht mehr da!"
Paradox, wie beide, obwohl sie auf verschiedenen Seiten standen, denselben Zauberer als Verräter betitelten.
Und wegen ihm leben James und Lily nicht mehr, dachte Sirius unglücklich. Und wegen mir. Weil ich Peter vertraut habe. Weil ich diese Idee mit dem Tausch hatte.
„Weißt du, es muss die Ironie sein, Sirius", fuhr Bellatrix etwas mühsam, aber immer noch feindselig fort.
Sirius sah mit halbgeschlossenen Augen zu ihr herüber.
Die Dementoren kamen immer näher. Er fühlte ihre kalten Klauen, die nach glücklichen Gedanken suchten. Er fröstelte. Er war nicht glücklich. Er hatte keinen angenehmen Gedanken. Er schwebte in Dunkelheit, getrieben von Schmerz, Hass, Selbstvorwürfen und Rachegelüste. Wenn er doch nur Peter töten könnte. Aber er wusste, dass auch dies kein erfreulicher Gedanke war. Und selbst die Erinnerungen an ihre frühere Freundschaft machten ihn nicht froh. Sie machten ihn traurig. Unglücklich und elend.
„Wir sind beide Blacks", meinte Bellatrix brüchig. „Wir stehen aber auf verschiedenen Seiten. Und dennoch sind wir beide hier. In Askaban. Verurteilt und verraten." Sie blinzelte. „Ob das der Fluch unserer Familie ist?"
Sirius schwieg.
„Der Dunkle Lord wird wiederkommen und mich befreien, Sirius", fuhr Bellatrix angestrengt dort. „Und weißt du, was noch?" Sie lachte wieder. Höhnisch und gemein. „Jeder denkt, dass du als Black das bist, wovor du geflohen bist. Du bist vergebens geflohen. Alle denken nun, dass du ein Schwarzmagier bist. Dass du spioniert und die Potters verraten hast." Triumph blitzte in ihren Augen auf. „Ich habe dir doch schon immer gesagt, dass du vor deiner Herkunft, vor deinem Namen nicht fliehen kannst, Sirius."
Sirius widersprach nicht. Er ließ sich langsam auf den Boden sinken, an der Wand herabrutschend. Sein Herz schmerzte mit jedem Schlag. Sie hatte Recht. Alle dachten, er sei den Fußstapfen eines typischen Blacks gefolgt.
Er spürte Dunkelheit.
Nur James kannte die Wahrheit. Nur James wusste, dass er kein Verräter war. Aber James war tot. Sein bester Freund war tot. Und er, Sirius, hatte es nicht verhindern können. Flüchtig erinnerte er sich an Mina. Sie musste dasselbe Schicksal erdulden, lebenslang in einem Kerker zu hocken, wie er. Er fragte sich, ob sie sich diese Schuld, sich auf ihn eingelassen zu haben, zugestand und für immer in Gefangenschaft zu sitzen bereit war, oder eher eine ihr heimlich zugeschmuggelte Phiole mit tödlichem Gift nahm und trank.
Finsternis ergriff ihn. Er trug so viel Schuld. An Prongs' Tod. Er hätte Peter niemals vertrauen dürfen. Er war es, der James von der Idee mit dem geheimen und heimlichen Tausch des Geheimniswahrers hatte begeistern können. Es war sein Vorschlag gewesen.
Freunde waren füreinander da, wenn es am Dringendsten war. Aber wo war er, als James ihn am bittersten gebraucht hatte?
Sirius schloss frustriert die Augen.
Ich kann dich noch nicht einmal um Verzeihung bitten, Prongs. Ich kann es nicht. Denn dafür ist meine Schuld zu groß. Und ich kann mich noch nicht einmal um deinen Sohn kümmern, obwohl ich es dir einst versprochen habe.
Verzweiflung trieb ihn langsam, aber sicher in den Wahnsinn.
Sie hatten geträumt, sie hatten gehofft. Sie hatten gedacht, letztendlich dennoch zu siegen, zumindest hatten sie es sich eingeredet. Niemals hatten sie über den Tod gesprochen, nie einen Gedanken daran verschwendet, dass sie einander verlieren konnten. Und nun waren all ihre Träume zerstört. Sie würden für immer ungelebt bleiben.
„Je größer die Freundschaft, umso tiefer kann sie fallen, Sirius", hörte er Bellatrix wie aus der Ferne.
Sirius verkrampfte sich. Alles in ihm schrie aus lauter Schmerz, aus lauter Kummer. Er hielt es nicht aus. Er befand sich in der Dunkelheit und kam nicht mehr hinaus.
Ja, stimmte er in Gedanken seiner Cousine unglücklich zu. Sie kann tief fallen. Und nun sind wir tief gefallen.
Obwohl sie ihre Gesichter dem Licht zugewandt hatten. Obwohl sie sich der Hoffnung hingeneigt hatten. Mit dem Licht in den Augen aber waren sie zurück gestolpert. Nach hinten getaumelt und den Abgrund hinunter gestürzt. Rückwärts... in die Dunkelheit hinein.
A/N:
Waaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhh!
Das war das letzte Kapitel. In Kürze erfolgt ein Kürze, im Grunde nichtssagender Epilog, nichts mehr Weltbewegendes. Und nun hoffe ich, jeder weiß, wieso meine Geschichte „Rückwärts in die Dunkelheit" heißt :zwinker:.
Das Kapitel hier hat ja nichts Neues verraten, weil JKR dazu ja schon vieles gesagt hat. Deswegen geht es hier noch mal v.a. um die einzelnen Gedanken der Charaktere.
Ob die Kette nun in Sirius' Besitz ist und er sie bei seinem Sturz durch den Bogen getragen hat, bleibt offen. Sollte Sirius in Band 6 oder 7 zurückkehren, wer weiß... vielleicht hat er sie dann ja getragen.. .:smile: Unklar bleibt auch, ob Mina lebt oder nicht. Sie sitzt auf jeden Fall im Gefängnis.
Und sicher, es gibt noch viele Lücken... genaues Verhältnis James/Remus, James/Peter, usw., aber irgendwann muss auch mal Schluss sein. Insgesamt sind es über 50 Kapitel und das reicht total. Alles wichtige wurde aufgeklärt, was nicht aufgeklärt wurde, dazu könnt ihr euch dann einfach selber Gedanken zu machen.
Ich danke euch für alllleee Reviews, ihr seid sooo lieb! Überhaupt haben mir eure Reviews immer viel Aufschwung gegeben, diese Geschichte zu beenden. Als ich angefangen hatte, wusste ich zwar, dass die FF interessant werden könnte, aber nicht, dass es gleich zu solch einem Mammutprojekt wird ;)
Die Antworten sowie einige Danksagungen und Hinweise gibt es in wenigen Tagen, wenn ich den Epilog hochlade, denn ich bin arg im Unistress.
