Family Affairs
Ved starrte seinen großen Bruder an. Er konnte es nicht glauben, dass Jay so plötzlich wieder aufgetaucht war. „Hallo Ved.", sagte Jay zaghaft, denn auch er fühlte sich unwohl in dieser Situation.
Ved ballte die Fäuste zusammen und schluckte, dann schrie er seinen Bruder an: „Lass mich in Ruhe. Was willst du hier?"
Jay fuhr erschrocken zurück, doch dann hatte er sich wieder gefangen und meinte mit ruhiger Stimme: „Ich wollte dich sehen."
„Das hat dich ja vorher auch nicht interessiert."
„Ved, ich hatte Probleme. Aber jetzt bin ich wieder für dich da. Versprochen."
Ved konnte es nicht fassen, der Typ ließ sich fast zwei Jahre nicht mehr blicken, und wollte jetzt auf Happy Family machen. „Und bei der nächsten Gelegenheit haust du wieder ab und lässt mich im Stich!", rief er aufgebracht.
Jay stöhnte, und nach kurzem überlegen entgegnete er: „Ich lass dich nie mehr im Stich. Wir sind doch Brüder. Du und ich sind die einzigen aus unserer Familie die noch leben, bis auf Tante Maude und Tante Jackie."
„Ja, denkst du? Für mich bist du tot, genauso tot wie Mum und Dad. Ich habe keinen Bruder mehr.", warf Ved seinem Bruder an den Kopf, dann rannte er wutentbrannt aus dem Heim.
Er lief ziellos durch menschenleere Straßen, das einzige Geräusch waren seine Schritte und sein bebender Atem. Was dachte Jay eigentlich wer er war? Plötzlich aufzutauchen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Das eine wusste er: Er würde Jay niemals verzeihen, was er ihm angetan hatte. Niemals.
Völlig außer Puste näherte sich Ved Cloes Haus. Es war schon spät und er wusste nicht, ob er noch klingeln sollte. Doch noch während er zögernd dastand, öffnete Cloe die Tür, sie hatte ihn vom Fenster aus gesehen, als sie gedankenverloren nach „ihrem" Stern suchte.
„Hey Ved, was machst du den hier? Kannst du nicht genug von mir bekommen?", begrüßte sie ihn grinsend.
Ohne zu zögern erzählte er ihr missgelaunt was geschehen war: „Jay ist wieder da…"
„Jay? Dein Bruder?"
„Ja, genau der.", seufzte Ved.
Erstaunt strich sich Cloe eine Strähne aus dem Gesicht. „Aber wieso…ich dachte…" Noch bevor sie den Satz beenden konnte wurde sie unterbrochen. „Ich weiß nicht wieso und ich will es auch gar nicht wissen."
„Er wird ja wohl irgendetwas gesagt haben…", setzte sie erneut an.
Genervt ließ sich Ved auf einen Stuhl sinken. „Angeblich will er sich jetzt um mich kümmern. Pah! Das ich nicht lache."
„Warum? Vielleicht meint er es ernst. Es war ja auch nicht gerade leicht für ihn. Immerhin hat er neben euren Eltern auch noch seine Freundin verloren.", versuchte Cloe ihn zu beruhigen. Ohne Erfolg. „Du nimmst den Penner auch noch in Schutz? Er hat mich einfach im Stich gelassen, ist abgehauen, hat mich in diesem Heim zurückgelassen, wie ein nutzlosen Gegenstand, den man nicht mehr braucht.", schrie Ved sie hasserfüllt an.
„Es war nicht richtig was er getan hat, aber vielleicht solltest du ihm eine Chance geben. Hör dir doch wenigstens mal an, was er zusagen hat."
„Ja toll, und nachher fall ich wieder auf ihn rein und er haut wieder einfach ab. Nein Danke, so was brauch ich einfach nicht."
Teilweise konnte Cloe ihn ja verstehen, aber durch seine Sturheit hatte er schon viele Chancen im Leben vertan. Also ging sie auf ihn zu und legte ihre Hand auf seine. „Ved, komm schon, beruhig dich erstmal wieder und Morgen sehen wir dann weiter."
Wütend blickte Ved sie an und schlug ihre Hand beiseite. „Ich will mich aber nicht beruhigen, sag doch gleich, dass du auf Jays Seite stehst."
Bei aller Liebe, so was ließ Cloe sich von niemandem gefallen, auch nicht von Ved. In kühlem Ton antwortete sie: „Erstens steh ich auf keiner Seite, zweitens geh ich jetzt wieder ins Bett, du weißt ja wo die Couch ist, ne Decke liegt auch da." Damit drehte sie sich um und verschwand in ihr Zimmer, einen verdutzten Ved zurücklassend.
Cloe lag wütend in ihrem Bett und konnte nicht schlafen. Was dachte Ved eigentlich wer er war? Warum musste er seine Probleme an ihr auslassen? War man in einer Beziehung nicht für den anderen da, half man ihm nicht Probleme zu lösen?
Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Ihre Zimmertür ging leise auf. „Cloe?", hörte sie Veds Stimme murmeln. Sich schlafend stellend bemerkte sie, wie er sich auf ihr Bett setzte und ihr die Haare aus dem Gesicht strich. „Es tut mir leid Schatz, ich wollte nicht so gemein zu dir sein. Aber das mit Jay hat mich echt durcheinander gebracht."
Cloe wusste, dass sie ihm nicht lange böse sein konnte, also schlug sie die Augen auf und schlang ihre Arme um ihn. Nachdem sie eine wilde Nacht zusammen verbracht hatten, wachten sie morgens dicht umschlungen auf.
„Hi Cloe." murmelte Ved verschlafen und küsste sie auf die Wange.
„Mhnnn. Hatten wir uns gestern nicht eigentlich gestritten?", fragte Cloe verwundert, sich allmählich an die gestrige Nacht erinnernd. „Wie schaffst du es bloß, dass wir uns immer so schnell wieder vertragen?"
„Ich weiß halt auf was du stehst.", grinste Ved und Cloe antwortete: „Manchmal denk ich wir passen nur im Bett gut zusammen." Dann nahm sie ein Kissen und warf es lachend nach Ved, der gerade dabei war seine Sachen zusammen zu suchen. Bevor er jedoch ins Badezimmer flüchten konnte rief sie ihm noch hinterher: „Ved, im Zweifelsfall steh ich immer auf deiner Seite!"
