Never Let Me Down Again

Cloe konnte Ved überreden sich noch einmal mit seinem Bruder zu treffen. Beide trafen gegen elf Uhr im Heim ein, wo sie schon von Herr Almeida, dem Heimleiter erwartet wurden. „Schön Ved, dass du auch mal wieder vorbei schaust."

Ved verdrehte die Augen, eine Standpauke war so ziemlich das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Doch er hatte nicht mit Cloes Unterstützung gerechnet. „Herr Almeida, es tut Ved wirklich leid, es ist nur so, wir waren beide sehr überrascht von den gestrigen Ereignissen, dass wir total vergessen haben anzurufen und zu sagen, dass Ved die Nacht bei mir verbringt." Mehr oder weniger überzeugt von Cloes Ausführungen wies Almeida die zwei an Platz zu nehmen und erklärte ihnen, dass Jay in wenigen Minuten hier eintreffen würde.

Also blieb ihnen nichts anderes übrig als zu warten. Veds Fuß wippte die ganze Zeit nervös hin und her und jeder zweite Blick galt der Uhr. „Er wird schon auftauchen.", versuchte Cloe ihn aufzumuntern und legte ihre Hand auf seine. „Es wäre nicht das erste Mal, dass Jay einfach abhaut.", grummelte Ved vor sich hin, wurde aber von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Im nächsten Augenblick ging die Tür auf und Jay trat herein.

Cloe musterte ihn von oben bis unten, sie konnte es nicht glauben, Jay und Ved waren wirklich eindeutig Brüder. Jay sah aus wie eine größere Ausgabe von Ved, die gleichen Augen, die gleichen Gesichtszüge und nicht zu übersehen die gleichen wasserstoffblonden Haare. „Hallo, ich bin Jay.", stelle er sich Cloe vor und sie nahm die ihr gereichte Hand. „Hi Jay, ich bin Cloe, Veds Freundin."

„Schön dich kennen zulernen Cloe. Hi Ved."

Ved sah seinen Bruder verächtlich an. „Hätte nicht gedacht, dass du noch auftauchst."

„Ved!" rief Cloe entrüstet „du wolltest dir Mühe geben."

„Schon gut. Ich kann ja verstehen, dass Ved sehr sauer auf mich ist.", meinte Jay und ließ sich auf einen Stuhl gegenüber von Ved fallen. „Du hast dich bestimmt gefragt, warum ich wieder da bin..."

Doch bevor Jay den Satz beenden konnte viel Ved ihm ins Wort. „Eigentlich hab ich mich gefragt, warum du damals einfach abgehauen bist. Hattest du keine Lust mehr auf mich? War es dir zu lästig dich um deinen kleinen Bruder zu kümmern? Aber dafür ist es nun zu spät, jetzt komm ich prima ohne dich klar!"

Ved wollte schon aufstehen und gehen, aber Cloe nahm ihn beiseite und flüsterte ihm ins Ohr: „Gib ihm bitte eine Chance alles zu erklären." Also setzte sich Ved wieder und bemühte sich seinem Bruder zuzuhören, auch wenn man ihm ansehen konnte wie geladen er war.

„Ich hatte damals schwere Probleme. Nach Rochelles Tod kam ich mit niemandem mehr klar, auch nicht mit mir selbst. Eines Nachts hab ich dann Hals über Kopf das Haus verlassen und bin ziellos in der Gegend rumgerannt. Ich konnte es einfach nicht mehr ertrage, der Tod von Rochelle, der Tod von Mom, von Dad…verstehst du Ved?" Jay sah seinen jüngeren Bruder verzweifelt an, dann setzte er fort: „Jedenfalls bin ich dann auf das erst beste Hochhaus gestiefelt, mit der Absicht herunter zu springen."

Cloe sah ihn schockiert an. „Doch als ich oben ankam stand da ein Mädchen, ich werd diesen Augenblick nie vergessen, mit einer Zigarette im Mund und einem roten Ledermantel. Sie sagte zu mir: „Hey Kleiner, wenn du springen willst, dann lass dich von mir nicht aufhalten. Warte nur bitte, bis ich aufgeraucht habe und wieder unten bin, sonst denken die Bullen noch ich hätte was damit zutun." Ich war so irritiert, dass ich nicht wusste was ich tun sollte und meine Absicht zu springen total vergaß. Nachdem wir uns einige Zeit lang über belangloses Zeug unterhalten hatten, bot das Mädchen, Ebony war ihr Name, mir an bei ihr zu pennen. Sie war ein Straßenkind und lebte in einem alten Fabrikgebäude, mit einer Gang, die sich die Locos nannten und die einen Anführer namens Martin hatte. An diesem Abend ging ich mit ihr, denn eins war mir klar, wenn ich wieder zurück nach Hause gehen würde, dann würde ich die Schuldgefühle und die Gedanken an Rochelles Tod nie wieder loswerden und bei der nächsten Gelegenheit vom Dach springen."

Ved war sich nicht sicher was er von der Geschichte seines Bruders halten sollte. Wollte er nun Mitleid von ihm? Zögerlich fragte er: „Und was ist dann passiert?"

Jay schluckte, bevor fortfuhr: „Die Locos beschlossen kurze Zeit später die Stadt zu verlassen, sie waren nie länger als zwei Monate in ein und derselben Stadt und ich beschloss mich ihnen anzuschließen. Ganz ehrlich Ved, ich dachte wirklich, dass Tante Maude und Jackie dich aufnehmen würden."

„Wenn du jemals angerufen hättest, hättest du gewusst, dass es Maude sehr schlecht ging und Jackie sich um sie kümmern musste. Die hatten weder Zeit noch Geld mich bei sich aufzunehmen.", rief Ved zornig.

Bevor er ganz die Kontrolle verlor, beschloss Cloe Jay zu fragen, was danach geschehen war. „Na ja, ich bin dann einige Zeit bei den Locos geblieben, aber später hab ich Mega wieder getroffen und der hat mich bei sich wohnen lassen. Dort wohn ich heute noch und arbeite in einem kleinen Restaurant als Kellner.", antwortete Jay geduldig.

Das war jedoch zu viel für Ved. Entrüstet schrie er: „Und die ganze Zeit über hast du dich mit Mega amüsiert und nicht einmal an mich gedacht. Du hast dich nicht ein einziges Mal gemeldet, es hat dich ja scheinbar nicht interessiert, wie es mir ging. Du hast mal wieder nur an dich gedacht. Cloe komm wir gehen." Damit stand er auf und ging zur Tür.

„Ich weiß ich hab großen Mist gebaut, und es ist alles mein Fehler. Es tut mir Leid, schrecklich Leid, hörst du Ved?", rief Jay ihm nach und blickte Cloe frustriert an. Sie entgegnete ihm: „Gib Ved Zeit, er muss das alles erstmal verarbeiten.", dann stand sie auf und lief ihrem Freund hinterher.