One Step Closer
Gegen vier Uhr nachts wachte Jay wieder auf, gequält von den Sorgen um seinen Bruder. Leise schlich er in Veds Zimmer, doch als er die Tür öffnete fand er ein leeres Bett vor. „Ved?", rief er fragend, als er keine Antwort bekam schrie er verzweifelt: „VEEEEED!" Wieder nichts. Panisch lief Jay durchs ganze Haus und suchte jedes Zimmer zweimal ab. Nichts. Vielleicht war Ved zu Cloe ins Krankenhaus gegangen, grübelte er und rannte sofort zum Telefon. Aber die Frau an der Rezeption konnte ihm nur sagen, dass seit drei Stunden niemand mehr den Eingang passiert hatte. Wie auch, die Besuchszeit war ja längst überschritten. „Denk nach, denk nach Jay.", sagte er immer wieder laut zu sich selbst. Schließlich wusste er sich nicht anders zu helfen, als in Veds Zimmer nach einem Hinweis zu suchen wo sein Bruder sich aufhielt. Zuerst durchstöberte er die Schubladen als er ein Kreuz fand, dass einst seiner Mutter gehört hatte kamen ihm fast die Tränen. „Du vermisst sie genauso wie ich, was Ved?", sprach er zu sich selbst, dann machte er mit dem Schreibtisch weiter. Zwischen alten Comics fand er einen Zettel auf dem folgendes stand:
With You
I woke up in a dream today
To the cold of the static and put my cold feet on the floor
Forgot all about yesterday
Remembering I'm pretending to be where I'm not anymore
A little taste of hypocrisy
And I'm left in the wake of the mistake slow to react
Even though you're so close to me
You're still so distant
And I can't bring you back
It's true the way I feel
Was promised by your face
The sound of your voice
Painted on my memories
Even if you're not with me
I'm with you
You, now I see, keeping everything inside
with you
You, Now I see, Even when I close my eyes
I hit you and you hit me back
We fall to the floor the rest of the day stands still
Fine line between this and that
When things go wrong I pretend the past isn't real
I'm trapped in this memory
And I'm left in the wake of the mistake slow to react
So even though you're close to me
You're still so distant
And I can't bring you back
No, no matter how far we've come
I can't wait to see tomorrow
With you
Ved hatte es einst geschrieben, damals als er Cloe noch nicht so gut kannte. Damals, als sie nebeneinander vor dem Physikraum standen und Cloe gegen Ved geschupst wurde, so dass sie beide übereinander liegend auf dem Boden landeten... Oder als sie beiden auf der Brücke standen und Cloe ihm ihr Gedicht über „den großen Unbekannten" gezeigt hatte. Von dem Augenblick an wusste Ved, dass er der Richtige für Cloe war. Auch wenn die Distanz zwischen ihnen nun unendlich schien, selbst wenn sie nun nicht mehr zusammen sein würden, er würde immer bei ihr sein, genauso wie er immer in Gedanken bei Patsy war.
Jay legte den Zettel beiseite und suchte weiter bis er ein Bild von einem süßen Mädchen fand, dass zwar auch sehr hübsch aussah, aber nicht Cloe war. Daneben lag eine aus einer Zeitung ausgeschnittene Todesanzeige:
Auf einmal bist du nicht mehr da,
und keiner kann es verstehen.
Im Herzen bleibst du uns ganz nah
bei jedem Schritt, den wir nun gehen.
Nun ruhe sanft und geh' in Frieden,
denk immer dran, dass wir dich lieben.
„Patsy!", dachte er und das schien die einzige Möglichkeit zu sein wo Ved sich jetzt aufhielt. Auf dem Friedhof. Bei Patsy. An ihrem Grab.
Der Mond schien helle und leuchtete direkt auf Patsys Bild, was auf ihrem Grabstein befestigt war. „Sie ist nun frei", stand in silberner Schrift darunter. Ved saß da, den Rücken an den Stein gelehnt, leise weinend. Manchmal kam es ihm so unwirklich vor, dass er nie wieder mit Patsy reden würde, nie wieder ihr Lächeln sehen würde, sie nie wieder berühren konnte. „Nur wenige Meter trennen uns jetzt, und doch ist es mehr als die Ewigkeit.", dachte er traurig.
Wieder nahm er die Scherbe in die Hand und legte die scharfe Klinge auf seine Pulsadern. Ein Schnitt und er wäre bei ihr.
Er zögerte, grübelte, war sich unschlüssig, da hörte er plötzlich ein Knacken und Jay stand vor ihm. Schnell lies Ved die Scherbe hinter seinem Rücken verschwinden und setzte sich gerade hin.
Langsam kam Jay auf ihn zu und meinte: „Hier bist du. Ich hab dich schon überall gesucht. Ich wusste nicht genau wo das Grab ist, den Friedhof hab ich aus der Anzeige erfahren, die du in deinem Schreibtisch aufbewahrst. Genau wie das Kreuz von Mam."
Mit tränenerstickter Stimme fragte Ved: „Warum muss jeder den ich liebe sterben, warum? Bis jetzt hab ich jeden den ich geliebt habe verloren. Auch Cloe."
Jay ließ sich neben seinen Bruder fallen und legte den Arm um ihn. „Das glaub ich nicht. Cloe wird die verzeihen können. Irgendwann."
Wieder zuhause stopfte Ved als erstes seinen Pullover in eine Schüssel heißen Wassers, da dieser nicht nur voller Erde, sondern auch voller Blut war. Zum Glück hatte Jay davon nichts mitbekommen weil der Mond von aufziehenden Wolken verdeckt wurde und es stock finster geworden war. Nachdem Ved sich ein paar Stundenlang ausgeruht hatte brachte Jay ihn zum Krankenhaus wo er mit Cloe reden wollte.
Cloe war seitdem sich die ersten Sonnenstrahlen am Himmel zeigten wach. Die Geschehnisse hatten sie bis in ihre Träume verfolgt und ließen ihr auch jetzt keine ruhige Sekunde. Wenn sie sich nicht verteidigt hätte, wäre sie vergewaltigt worden! Und was hatte Ved getan? Er hatte zugeguckt, nicht mal als sie ihn angefleht hatte ihr zu helfen, hatte er etwas unternommen. Das konnte sie einfach nicht verstehen.
Plötzlich klopfte es an der Tür. „Herein", sagte sie missmutig in Erwartung des Psychologen den man ihr schicken wollte, auch wenn sie zweimal dankend abgelehnt hatte. Die Tür öffnete sich und Ved trat ein mit einem Straus roter Rosen in der Hand. „Hi Cloe.", murmelte er verlegen. Cloe konnte es nicht glauben. Was dachte er eigentlich wer er war? Sie hatte gerade die schlimmste Nacht ihres Lebens verbracht und er stolzierte hier mit einem Strauß Blumen herein und meinte damit wäre alles vergessen? Nicht mit ihr. „Was willst du?"
Zögernd legte er die Blumen auf ihr Bett: „Mit dir reden. Mich entschuldigen."
„Und kannst du mir auch bitte mal verraten wie ich dir das jemals verzeihen soll?"
Er blickte zu Boden. „Lass mich versuchen es dir zu erklären. Ich konnte dir nicht helfen…"
„Du konntest nicht oder du wolltest nicht?", unterbrach sie ihn barsch.
„Ich konnte nicht weil…….."
„Ja, weil was Ved?"
„Weil ich dachte, also ich war völlig weg, ich dachte du wärst jemand anderes."
Cloe konnte nicht anderes, sie musste laut loslachen. „Wer war ich denn deiner Meinung nach? Ein Außerirdischer vielleicht?"
„Cloe bitte lass mich ausreden, hör mir zu!"
„Nein, jetzt hörst du mir zu, Ved. Du hast mich das letzte Mal belogen. Was war zum Beispiel mit den Chosen? Hattest du mir nicht erzählt Jay hat alles geregelt? Ich kann dir nicht mehr glauben und ich will es auch nicht mehr. Ich will deine Ausreden nicht mehr hören, ich hab einfach nicht die Kraft dafür."
Damit riss sie die Balkontür auf und warf die Rosen die ganzen vier Stockwerke hinunter, wo sie ein rotes Muster hinterließen.
Entgeistert sah Ved sie an. „Cloe!" Doch sie ignorierte ihn und stieg auf die unterste Brüstung des Balkongeländers, dann rief sie: „Wehe du kommst einen Schritt näher, dann spring ich."
„Bist du jetzt völlig übergeschnappt?", fragte Ved entsetzt.
„Nicht viel bescheuerter als du. Ich halte dich zumindest nicht für jemand anderen. Ich weiß das du ein mieser Lügner bist…"
„Cloe, bitte…"
„Nein, entweder sagst du mir jetzt die Wahrheit oder du gehst und zwar für immer."
Ved dachte einen Moment nach, er konnte ihr einfach nicht von Patsy erzählen, er würde diesen Alptraum nicht noch mal durchstehen. Seine Vergangenheit und die Erinnerung hatten ihm schon soviel Schmerz bereitet, und nicht nur ihm, auch Cloe. Vielleicht war es wirklich besser, wenn er verschwand. Langsam ging er zur Tür hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Es war als wäre die Zeit stehen geblieben. Er durchquerte leere weiße Korridore, die ihm so kalt erschienen wie sein Herz. Dann, nach einer Ewigkeit wie ihm schien, erreichte er endlich den Ausgang.
Cloe war auf dem Balkon stehen geblieben und beobachte wie Ved zu Jay ins Auto stieg. Mit tränenerstickter Stimme rief sie: „Warum hast du mir nicht geholfen?" Doch Ved konnte sie schon längst nicht mehr hören.
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