And Justice For All

Am nächsten Morgen hatte Ved einen Entschluss gefasst: Keine Cloe mehr, keine Patsy mehr, keine Alpträume mehr und nie wieder ritzen. Wenn er schon alles verloren hatte, war dies die Gelegenheit noch mal neu anzufangen. Beim Frühstück sagte er entschlossen zu Jay: „Ich werd mich morgen bei der Wellington High anmelden." Jay legte die Zeitung beiseite und sah seinen Bruder fragend an. „Warum willst du die Schule wechseln?"

„Nun ja, ich denke ein Neuanfang ist das was ich jetzt brauche."

Skeptisch meinte Jay: „Es ist wegen Cloe, oder?"

Ved senkte den Löffel mit Cornflakes, den er sich gerade in den Mund stecken wollte und antwortet noch halb kauend: „Auch. Aber ich denke es ist für sie genauso gut wenn wir uns nicht mehr sehen. Außerdem wäre ich dann mit Ram auf einer Schule."

„Du bist wirklich ein Meister im Verdängen Ved, das warst du schon immer. Doch wenn du meinst, dass es richtig ist, dann tu es."

Cloe saß in ihrem Zimmer und starrte an die Decke als ihre Mutter rief: „Cloe, Besuch für dich, es ist Ellie."

„Ist gut, sie soll hoch kommen.", schrie Cloe zurück und warte darauf, dass Ellie das Zimmer betrat.

„Hi Cloe.", meinte Ellie mit besorgtem Gesichtsausdruck und ließ sich neben sie auf das Bett fallen. „Ich hab davon gehört, es ist ja so schrecklich…Wie fühlst du dich den?"

Genervt rutschte Cloe ein Stück zur Seite und meinte mit gereizter Stimme: „Wie soll ich mich schon fühlen? Aber es ist nicht so schlimm gewesen wie es sich anhört, ich konnte mich ja einigermaßen verteidigen. Und jetzt sprich mich bloß nicht wieder darauf an. Und sag das auch den anderen, ich will mit niemandem über das Thema reden."

Beleidigt sah Ellie sie an. „Ich wollte nur nett sein, tut mir leid kommt nicht wieder vor."

Jetzt erst realisierte Cloe wie gemein das war, was sie gerade gesagt hatte. Sie rutschte wieder ein Stück näher und sagte entschuldigend: „Sorry, ich bin einfach noch völlig fertig."

„Schon gut.", murmelte Ellie wieder einigermaßen friedlich gestimmt. „Cloe, du bist meine beste Freundin und du kannst mit mir über alles reden, ich bin immer für dich da, das weißt du ja hoffentlich." Damit nahm Ellie sie in die Arme und Cloe konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

„Es war so furchtbar.", schluchzte sie.

„Ich weiß, schon gut." tröstete Ellie sie und nach einigen Minuten hatte sie sich wieder gefangen.

Zögernd fragte Ellie: „Und Ved hat dir wirklich nicht geholfen?"

Cloe dachte einen Moment nach. „Nein, er hat die ganze Zeit nur da gesessen. Ich versteh das einfach nicht."

„Hast du versucht mit ihm darüber zu reden?"

„Ja, aber er wollte mir keine ehrliche Antwort geben und dann hab ich gesagt, wenn er mich weiter belügen will soll er gehen."

„Und ist er gegangen?"

„Jaaa.", antwortete Cloe mit leiser Stimme.

„So ein Idiot. Der weiß gar nicht was er an dir hat oder besser gesagt was er jetzt verloren hat. Ich hab's ja immer gewusst. Ved ist und bleibt ein verquerer Sturkopf. Also mach dir nichts draus."

„Leichter gesagt als getan."

„Da kennst du aber das Super-Duper-Ellie-Ablenkungsprogramm noch nicht. Ich ruf jetzt Jack an und der bringt uns gaaaaanz viel Eiscreme mit und jede Menge Actionfilme, damit du auf andere Gedanken kommst. Was willst du lieber: James Bond oder Mission Impossible?"

„Mission Impossible ist mit Tom Cruise nicht? Dann lieber den, der ist wenigstens noch ein richtiger Mann im Gegensatz zu Ved, diesem feigen Arschloch."

Ellie nickte und kramte ihr Handy aus der Tasche um Jack anzurufen.

Einige Tage waren vergangen und Ved und Ram kamen gerade vom Basketball spielen zurück, als sie vor Veds Haus dem Briefträger begegneten. Der Mann sah die beiden an und fragte: „Ist zufällig einer von ihnen Ved Johnson?"

Ved bejahte dies und nahm einen Brief entgegen. Neugierig wollte Ram wissen: „Und was ist es?"

Nachdem Ved den Brief geöffnet hatte murmelte er: „Vorladung vom Gericht. Wegen der Sache mit den Chosen. In drei Tagen."

Die drei Tage waren vorüber und Ved wurde von seinem Bruder zum Gericht begleitet. Jay hatte ihn zwar versucht zu überreden von Patsy zu erzählen, doch er war stur geblieben. Sichtlich nervös Cloe wieder zusehen, lief er den Gang zum Gerichtsaal entlang.

Plötzlich sah er sie. Cloe. Sie stand mit ihre Mutter, Ellie, Jack und einem Mann der ihr Anwalt zu sein schien vor dem Raum und wartete darauf, dass man sie rein ließ. Als sie ihn kommen sah, versuchte sie alles um Augenkontakt zu vermeiden, stattdessen redete sie weiter mit Ellie. Auch Ved bemühte sich auf den Boden zu starren und nicht zu häufig zu ihr rüberzublicken.

Dann ging die Tür auf und alle setzten sich auf ihre Plätze. Ved drei Reihen hinter Cloe, neben ihm Jay. Als erstes ergriff ein Mann mittleren Alters das Wort, er schien der Staatsanwalt zu sein. Er erklärte den Fall, als nächstes wurde dann der Angeklagte verhört. Doch Lukes Anwalt teile nur mit, dass sein Mandant jede Aussage verweigere. Darauf folgte Jimmy, der Mann der Cloe gerettet hatte. Natürlich schilderte er genau was passiert war, jedoch nicht ohne seine Verachtung gegenüber Luke zum Ausdruck zu bringen.

Als nächstes wurde Cloe in den Zeugenstand gerufen. In dem Moment wo sie sich setze schrie Luke auf mal los. „Du miese kleine Schlampe! Ich bring dich um, wenn du irgendwas sagst!" Sofort verwies die Richterin ihn aus dem Gerichtsaal, danach fuhr sie mit Cloe fort, welche ihre Fragen mit zittriger Stimme beantwortete. Sie war schon fast fertig, da wollte die Richterin noch etwas wissen. „Ein kleines Detail ist noch dabei was ich nicht verstehe. Ihr Freund, Ved Johnson hat sie begleitet. Warum hat er nicht versucht ihnen zu helfen?"

Alle Augen richteten sich auf Cloe, auch Veds. Eine Pause entstand, dann antwortete sie wahrheitsgemäß: „Es tut mir leid, aber dass kann ich leider nicht beantworten. Da müssen sie Ved schon selber fragen."

Die Richterin runzelte die Stirn, sie schien ihr aber Glauben zu schenken. „Ja, das werde ich tun. Sie können jetzt wieder im auf der Zuschauerbank Platz nehmen. Als nächstes der Zeuge Ved Johnson.

Mit zitternden Knien ging Ved nach vorne und setzte sich, dann wurde die erste Frage an ihn gerichtet. „Können sie die Ereignisse soweit bestätigen?" Ved bejahte.

„Sie sind der Freund von Cloe Bergmann?"

Ved schüttelte den Kopf und fügte hinzu: „Ich bin ihr Freund gewesen."

„Gut Ved, aber sie wahren am besagten Abend noch zusammen, oder?"

Er nickte.

„Warum haben Sie ihrer Freundin dann nicht geholfen?"

Keine Antwort. Alle warteten gespannt auf Veds Reaktion, doch er blieb stumm.

„Herr Johnson, es würde helfen, wenn Sie mit mir reden würden."

Wieder nichts.

„Was ist ihr Problem? Haben Sie die Lage falsch eingeschätzt?"

….

„Hatte Sie Angst? Das braucht ihnen nicht peinlich zu sein."

„Reden Sie doch mit mir Junge, oder wollen Sie ihrer Freundin nicht helfen?"

Verzweifelt blickte Ved Cloe an. Er musste die Wahrheit sagen, egal wie weh es tat, das war er ihr und Patsy schuldig. Seine Hände zitterten wie wahnsinnig und er hatte Angst, dass seine Stimme gleich völlig versagen würde, doch dann redete er einfach drauflos. „Ich konnte Cloe nicht helfen, denn ich war wie gelähmt, weil es nicht das erste Mal war, dass die Chosen versucht haben ein Mädchen zu vergewaltigen. Ich hatte eine Freundin, Patsy, bei der sie es geschafft haben. In dem Moment wo Luke auf Cloe zuging hab ich die ganze Zeit Patsys Gesicht vor Augen gehabt, hab mich wieder so schrecklich hilflos und ohnmächtig wie damals gefühlt. Die Chosen haben mich seit ich in das Heim gekommen bin regelmäßig verprügelt. Ich hatte keine Kraft mehr immer und immer wieder gegen sie anzukämpfen. Es ist so sinnlos gewesen, ich konnte Patsy einfach nicht helfen. Und Cloe auch nicht. Es tut mir so leid."

Ein Schweigen setzte ein, dann ergriff die Richterin wieder das Wort. „Ja, ich verstehe. Es ist schrecklich was Sie durchmachen mussten, doch ich bin sehr froh, dass sie endlich den Mut dazu gefunden haben alles auszusprechen. Mir ist klar wie schwer das für sie war. Dennoch bräuchte ich für weitere Ermittlungen ihre Zusammenarbeit und die von Patsy."

Ved schluckte, dann sagte er nüchtern: „Patsy ist tot. Sie hat danach Selbstmord begangen."

Endlich war er fertig mit seiner Aussage und es gab eine kurze Pause in der das Urteil vorbereitet wurde. Jay klopfte Ved auf die Schulter und meinte: „Ich bin froh, dass du die Wahrheit gesagt hast. Jetzt kriegt das Schwein was es verdient. Das erforderte eine Menge Mut von dir, ich bin stolz auf dich."

Nachdem Jay ausgesprochen hatte kam Cloe auf die beiden zu und sah Ved direkt in die Augen. „Danke.", sagte sie mit einem Anflug eines Lächelns auf den Lippen. So schnell wie sie gekommen war so schnell ging sie wieder zu ihrem Platz zurück. In diesem Moment viel Ved ein Stein vom Herzen, er war froh, dass sie die Sache endlich geklärt hatten, auch wenn er wusste, dass es nie wieder wie früher werden würde.

Als die Pause beendet war und alle wieder auf ihren Plätzen waren, las die Richterin den Urteilsspruch vor: „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte Luke Gore wird zu drei Jahren Jugendarrest ohne Bewährung verurteilt."