No Future

Ein klingelndes Telefon schreckte Cloe aus dem Tiefschlaf. Sie hatte die Nacht bei Ved verbracht und die beiden hatten nicht gerade viel Zeit mit schlafen verbracht. „Ja, sie ist da…ich gebe sie dir Ellie…ein Moment.", kam Veds Stimme aus der Küchen. Dann stand er auch schon vor ihr und reichte ihr das Telefon. „Hi Ellie.", antwortete Cloe gähnend.

„Hi Cloe. Du hast wohl ne lange Nacht gehabt, was?"

„Kann man so sagen."

„Ich freu mich so für dich. Und für Ved natürlich auch. Ich wusste doch immer, dass ihr füreinander geschaffen seid."

„So? Na wie dem auch sei, was gibt es den bei dir Neues? Geht's dir wieder besser?", erkundigte sich Cloe um möglichst schnell das Thema zu wechseln.

„Ja, ich muss dir was ganz tolles erzählen. Du weißt doch, dass ich mich beworben habe…"

„Warte mal einen Moment Ellie…"
Ved war mit einem Tablett auf dem Kaffe, frische Brötchen und eine rote Rose lagen ins Zimmer gekommen. Nun hielt er ihr ein Marmeladenbrötchen direkt unter die Nase.

„Ved, nein danke. Siehst du nicht, dass ich telefoniere? Ähm Ellie, da bin ich wieder. Also du hast dich beworben bei diesem Pharmakonzern…"

„Ja genau. Bei Pandorex. Und weißt du was? Sie haben mich sofort genommen. Ich weiß, es ist zwar noch über ein halbes Jahr bis ich mit der Schule fertig bin, aber danach kann ich dort mit einem Praktikum anfangen. Ist das nicht toll?", fragte Ellie begeistert.

„Ja das ist super.", stimmte Cloe ihr zu und Ellie schwärmte: „Ach die Highschool ist klasse, wer brauchst schon das College, wenn er sofort Arbeiten kann?"

„Wenn du meinst. Ich muss jetzt Schluss machen, Ved wartet mit dem Frühstück auf mich. Ciao."

„Bye."

Nachdem Cloe und Ved gemeinsam gefrühstückt hatten, war es für Cloe an der Zeit abzureisen. Ihr Zug ging um elf und Ved begleitete sie natürlich zum Bahnhof. Händchenhaltend standen sie am Abfahrtsgleis und Ved umarmte sie zum Abschied. Dabei flüsterte er ihr ins Ohr: „Cloe, ich liebe dich."

Sie schluckte und zögerte einen Moment, dann sagte sie: „Ja, ich weiß."

Erstaunt sah Ved sie an. „Wie du weißt? Soll ich dir das deshalb nicht mehr sagen?"

„Doch es ist nur…"

„Und ich dachte immer ihr Frauen könnt das nicht oft genug hören."

Cloe drehte sich um und ging auf den Zug zu. Das Signal zur Abfahrt würde in wenigen Sekunden ertönen. „Ved, können wir das nicht ein anderes Mal diskutieren? Mein Zug..." Mit diesen Worten stieg sie in den Zug und öffnete das nächst beste Fenster. Sie sah zu Ved herunter und er fragte zu ihr hinauf: „Cloe, liebst du mich noch?"

Wieder zögerte sie mit einer Antwort als der Zug plötzlich anfuhr. Er war schon einige Meter gerollt als Cloe endlich den Mund öffnete und rief: „Ja, ich liebe dich auch." Doch der fahrende Zug war so laut, dass Ved ihre Worte unmöglich gehört haben konnte. Wie ein begossener Pudel stand er am Bahnsteig und blickte ihr nach. Wie er so dastand tat er ihr richtig Leid.

Aber eine ganz andere Frage war, warum sie ihm nicht sofort geantwortet hatte. Vielleicht hatte es etwas damit zutun, dass sie, als sie das letzte Mal diese Worte gesagt hatte, von ihm enttäuscht und verletzt worden war. Sie wusste es nicht genau und hatte auch keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen, denn plötzlich hörte sie hinter sich jemanden ihre Namen rufen. Sie drehte sich um und blickte in das Gesicht von Danni Beauchamp. Oh wie sie diese dumme Pute aus ihrer Stufe hasste.

„Hi Cloe."

„Hi Danni.", antworte Cloe übertrieben freundlich.

„Na, hast du schon für den Chemietest gelernt?"

„Ja, ich lern immer mit Dal zusammen."

„Ha-ha-ha.", lachte Danni gekünstelt. „Ihr seid wirklich ein süßes Paar."

Fragend sah Cloe sie an. „Äh Danni, ich weiß nicht ob du das weißt, aber wir sind kein Paar. Mein Freund wohnt hier in Wellington und ich habe ihn gerade besucht."

„Ach tatsächlich? Ist das so? Schön für dich. Ich werde später auch nach Wellington ziehen. Weißt du, manche Menschen sind einfach für die Großstadt geboren, so wie ich." Dabei strich sie sich ihre schwarz glänzenden Locken hinter die Ohren und Cloe hätte sich fast übergeben müssen. Doch sie lächelte tapfer. „Hast du den schon für den Chemietest gelernt?"

Verächtlich sah Danni sie an. „Als wenn ich das nötig hätte. Ich brauch diesen dummen Schulabschluss eigentlich gar nicht. Ich werde sowieso später in der Firma meines Vaters anfangen. Und du, weißt du schon was du später machen willst?"

„Erwischt.", dachte Cloe. „Das ist ja genau die richtige Frage für mich." Sie überlegte einen Augenblick, dann antwortete sie überheblich. „Ich will später mein Diplom in Bionik machen und in New York mit einem Stipendium studieren."

Das hatte gesessen und Danni verabschiedete sich postwendend. Das dumme daran war nur, dass Cloe nie vorhatte Bionik zu studieren, im Gegenteil, sie wusste noch nicht einmal was genau Bionik überhaupt war. Im Moment war es nur die schnellste Lösung Danni loszuwerden. Und ihr dummer Gesichtsausdruck war wirklich zu lustig. Doch Cloe hatte wirklich ein Problem. Sie wusste einfach nicht was sie nach der Highschool machen sollte. Jeder um sie herum schien sich dessen absolut sicher zu sein. Ellie würde bei Pandorex anfangen, Ram und Ved würden bestimmt Informatik studieren und Jack würde wahrscheinlich mal den Nobelpreis in Physik gewinnen. Und dann war da Cloe, die einfach nichts wirklich gut konnte, oder sich zumindest so fühlte. Sie war kreativ, doch konnte dies meist nicht umsetzten weil ihr das nötige handwerkliche Geschick fehlte. Sie konnte Biologie, aber dafür keine andere Naturwissenschaft, weder Chemie noch Physik noch Mathematik. Und gute mathematische Kenntnisse wurden heutzutage sowieso fast überall vorausgesetzt. Sie könnte Medizin studieren, aber sie hatte kein Latein gehabt. Denn Sprachen lagen ihr auch nicht wirklich. Okay, sie war gut in English, aber in Französisch war sie die absolute Null.

Na schön, sie konnte vielleicht gute Gedichte schreiben, doch das war wohl eher eine brotlose Kunst. Es war ein schreckliches Gefühl nichts wirklich gut zu können.

Als vor ein paar Monaten die Schüler die ihren Highschoolabschluss geschafft hatten verabschiedet worden waren, wären ihr fast die Tränen gekommen. Aus welchem Grund auch immer, sie war sich nicht ganz sicher. Cloe sah sich schon in einem Jahr genauso da stehen, nur, dass sie nicht wusste was danach auf sie zukam. Ihr graute es schon jetzt vor diesem Tag. Nicht weil sie ihre Klassenkameraden danach wahrscheinlich eine sehr lange Zeit, oder gar nicht, mehr wieder sehen würde, nein, sie war ja noch nicht solange in dieser Stufe, es war eher die Angst davor was danach kam, die sie beunruhigte.

Um sie herum plante jeder seine Zukunft und sie saß da und hatte von ihrer einfach keinen Plan. Sie wusste zum verrecken nicht was sie später machen wollte und der Gedanke, dass sie nur noch weniger als ein Jahr Zeit hatte dies zu überlegen versetzte sie in Panik.

Wozu sich überhaupt für irgendeinen Beruf entscheiden? Warum meldete sie sich nicht sofort beim Arbeitsamt an, dort würde ihr Weg wahrscheinlich eh enden. Bei der politischen Lage in ihrem Land gab es mehr als genug Jugendliche ohne Job. Außerdem, selbst wenn sie wüsste was sie studieren sollte, woher sollte sie das Geld nehmen? Ihre Mutter verdiente jetzt zwar mehr, aber immer noch nicht genug um ihr ein ganzes Studium zu finanzieren. Also würde sie einen Kredit aufnehmen müssen sich gleichzeitig um ihre Rente kümmern…verdammt manchmal hasste sie die Welt der Erwachsenen.

Erwachsen werden war schwierig, viel schwerer als sie als kleines Kind immer angenommen hatte. Warum war alles so kompliziert geworden? Ihre Freundschaften litten unter der Distanz und sie vermisste es eine so gute Freundin wie Ellie in der Nähe zu haben. Sie vermisste Ellie. Und Jack. Und Ram. Und…Ved. Ganz zu schweigen von Ved. Denn auch ihre Beziehung war komplizierter geworden. Warum konnte nicht alles wieder so einfach werden wie früher? Cloe grübelte die ganze Zugfahrt über und hätte fast ihre Haltestelle verpasst. „Wenigstens für das Problem mit Ved muss ich schnellstens eine Lösung finden.", dachte sie und stieg aus dem Zug.