My Misery

„Ganz toll Jay. Du hast Recht, ich hab wirklich genau das passende Gefühl für den richtigen Augenblick.", rief Cloe frustriert und suchte nach ihrer Jacke.

Ihr beim suchen helfend antwortet Jay: „Sorry, ich wollte nicht…"

„Ach schon gut, ich hab dich ja zurückgeküsst. Ich bin genauso gut Mitschuld. Aber jetzt müssen wir Ved finden.", grummelte sie und knöpfte sich den letzen Knopf der Jacke zu. „Hast du ne Idee wo er sein könnte?"

„So wie ich Ved kenne ist er entweder im Park oder an der Riverside Brücke. Geh du zur Brücke, ich such im Park."

„Abgemacht, wenn einer von uns ihn gefunden hat, sagt er dem anderen über Handy bescheit."

Daraufhin stürmten beide aus dem Haus und machten sich auf die Suche.

Als Cloe im Park angekommen war beschloss sie als erstes zu der Bank zu gehen, wo sie und Ved sich damals versöhnt hatten. Von weitem konnte sie niemanden auf der Bank sitzen sehen doch nachdem sie sich bis auf wenige Meter genähert hatte, fand sie eine zusammengekauerte Person dahinter. „Ved?", fragte sie zaghaft und trat noch einen Schritt näher.

Der Anblick der sich ihr bot war erschreckend. Veds Unterarme waren übersäht von Schnitten aus denen rotes Blut sickerte.

„Veeeed? Was ist passiert? Wer hat dir das angetan?", schrie sie entsetzt und kniete sich neben ihn.

Immer noch geschockt blickte sie ihn an. Doch Ved schien sie gar nicht wahrzunehmen, er starrte nur ins Leere. Hektisch suchte Cloe nach einer Packung Taschentüchern in ihrer Jacke und als sie welche gefunden hatte, versuchte sie diese auf die Wunden zu pressen. Dabei viel ihr Blick auf eine Rasierklinge, die neben Ved lag. Sie wusste nicht was sie davon halten sollte, als sie plötzlich Veds Stimme aus den Gedanken riss.

„Geh weg Cloe."

Erschrocken sah sie auf, direkt in Veds ausdruckloses Gesicht. Er war kreidbleich. Aber wahrscheinlich würde sie selbst auch keinen besseren Anblick bieten, wenn sie jetzt in den Spiegel sehen würde. „Ved? Ich, es, tut mir so Leid…Ich lass dich doch nicht alleine.", stotterte sie völlig verwirrt.

„Geh Cloe.", war seine einzige Antwort.

„Nein. Ich werde nicht gehen." sagte Cloe energisch. „Sag mir jetzt endlich wer das getan hat."

„Ich.", meinte Ved monoton und starrte weiter in die Luft.

„Was? Sag das noch mal…", forderte ihn Cloe ungläubig auf.

„Ich." entgegnete Ved und diesmal ergriff er nach der Rasierklinge. Er setzte sie am Arm an und zock sie ganz langsam durch seine Haut. Sie hinterließ eine rote Spur.

Cloe konnte nicht fassen was sie da sah. Hysterisch schrie sie: „Hör auf damit Ved. Hör auf. Bitteeeeeee!" Dabei flossen Tränen über ihre Wangen und sie fing an zu zittern. Als Ved immer noch nicht aufhörte riss sie ihm die Klinge aus der Hand und schluchzte: „Hör auf. Hör auf. Hör doch auf damit…"

Ermattet ließ sie sich neben ihn mit dem Rücken zur Bank fallen. Sie wusste nicht was sie sagen sollte, sie wusste ja noch nicht mal was sie denken sollte. So saß saßen die beiden einige Minuten schweigend nebeneinander, lediglich Cloes leise Schluchzer waren zu hören.

Sie hatte das Gefühl, dass die Zeit stehen geblieben war. Jeder Augenblick schien eine Ewigkeit zu dauern. Endlich faste sie neuen Mut und fragte: „Ved, warum tust du das?"

Sie musste fast eine Stunde warten, oder so kam es ihr zumindest vor, bis er ihr antwortet: „Ich hätte wissen müssen, dass du mich nicht liebst. Jay wird immer mehr geliebt als ich."

„Was?" Ungläubig schrie Cloe auf. „Warum sagst du so was?"

„Ich hätte es wissen müssen, so jemand wie mich kannst du gar nicht lieben. Ich hab dich gar nicht verdient." Dabei hörte es sich fast so an, als würde er lachen.

Cloe wusste nicht was sie noch tun sollte. Warum redete Ved bloß so ein Schwachsinn? „Es tut mir Leid, ich wollte Jay gar nicht küssen, es ist einfach so passiert. Zwischen uns hat sich irgendwas verändert, seit der Sache mit den Chosen…"

„Ja, sag schon, das dies doch auch meine Schuld war.", sagte er matt.

„Das hab ich doch gar nicht gemeint. Deine Eifersucht, ich habe mich in unserer Beziehung manchmal sehr einsam gefühlt, aber ich wusste einfach nicht, wie ich dir das sagen soll."

Ved drehte den Kopf in ihre Richtung und sah sie das erste Mal richtige an. „Ich…ich will nicht, dass du jemand anderen findest, jemand besseren, ich hab so schreckliche Angst dich zu verlieren, Cloe. Ich kann das nicht noch mal durchstehen."

Cloe war überrascht von seinen Worten. Hatte Jay doch Recht gehabt? „Ich werde niemals jemand anderen lieben außer dir. Das weißt du doch.", sagte sie mit tränenerstickter Stimme und lehnte sich an Ved. „Hast du dir das deswegen angetan? Ved, ich versteh einfach nicht wie du dich selbst verletzen kannst."

„Das weiß ich manchmal auch nicht."

„Versuch doch wenigstens es mir zu erklären. Wie lange machst du das schon?"

Ved betrachte seine Arme und deutete auf die Narben, die er gerade nicht neu aufgeschnitten hatte. „Seit ich im Heim bin. Seitdem die Chosen mich verprügelt haben."

„Aber…aber wie konntest du dir dann selbst noch diesen Schmerz antun? Ich dachte immer, die Chosen wären für die Narben verantwortlich."

„Das kannst du nicht verstehen. Dieser Schmerz ist anders. Befreiend. Erlösend. Das hört sich wahrscheinlich dumm an, aber das kannst du nur begreifen, wenn du mal in so einer Situation warst."

Cloes Stimme zitterte als sie fragte: „Hast du es auch getan, als wir schon zusammen waren? Ich hab nie was bemerkt…"

„Nur einmal, nach der Sache mit den Chosen."

Grübelnd meinte Cloe: „Vielleicht kann ich dich doch verstehen. Nach der Sache hätte ich mich am liebsten auch aufgeschnitten, damit das schreckliche Gefühl…einfach, mhn, heraus fliest. Ist das so ähnlich?"

„Ja, vielleicht. Es ist irgendwie betäubend. Lenkt dich von seelischem Schmerz ab. Cloe…" Ved sah sie an. „Es tut mir Leid, dass du mich so sehen musstest. Ich wollte doch immer für dich da sein. Ich wollte stark für dich sein. Mein Gott, ich bin schließlich der Junge, ich wollte dich beschützen."

Behutsam leget Cloe den Arm um ihn und sagte: „Das hast du. Mehr als einmal. Jetzt ist es an mir für dich da zu sein."

Dann saßen die beiden noch eine lange Zeit schweigend da.