Dieses Jahr war Harry Potter zum ersten Mal auf den Bahnsteig 9¾ appariert, doch eigentlich wollte er gar nicht mehr nach Hogwarts. Zwar hatten ihn die Dursleys in diese Sommerferien weit aus besser behandelt als in den Jahre zuvor, doch der versprochene Aufenthalt bei Rons Familie hatte sich in Luft aufgelöst, als die gerade eingelieferten Todesser erneut aus Askaban entflohen.

Alle sagten sie, dass er nun, da es über alle zu Angriffen kommen konnte, nur bei den Dursleys sicher war und sogar die Apparations-Prüfung hatte er bei den Muggeln abgelegt!

Ok, Hermine und Ron hatten für den Großteil der Ferien bei ihm gewohnt. Sie hatten im Schlafzimmer von Mr. und Miss. Dursleys geschlafen und diese hatten wohl oder übel mit in Dudleys Zimmer ziehen müssen.

Doch diese Tatsache hatte seine Ferien auch nicht unbedingt verbessert, da seine beiden besten Freunde nun fest zusammen waren. Nun fühlte er sich jedes Mal wie das sprichwörtliche fünfte Rad am Wagen.

Zudem kamen noch die Selbstvorwürfe, die er sich machte, so viele Menschen die ihm mehr oder weniger nahe standen, waren wegen ihm gestorben.

Wenn Harry klüger und vorsichtiger gewesen wäre, hätte er Sirius Leben retten können!

Wenn er sich nicht den Pokal mit Cedric geteilt hätte, oder wenn er schneller durch das Labyrinth gekommen wäre hätte Cedric nicht sterben müssen!

Wenn er nur nicht das Trimagische Turnier gewonnen hätte, wäre Cedric vielleicht tot, doch Voldemort wäre nicht an die Macht gekommen!

Und wenn man es aus Harrys Bildwinkel sah, war er selbst an dem Tod seiner Eltern schult, denn wäre er nicht der Auserwählte gewesen, hätte Voldemort sie niemals persönlich angegriffen!

Er war einfach von Selbstzweifeln zerfressen und niemand kümmerte sich darum, denn niemand sah es, alle waren sie zu sehr mit wichtigeren Dingen zu tun.

Es war in der ersten Ferienwoche gewesen, als er den Spiegel, den Sirius ihm geschenkt hatte, repetiert und für Stunden versucht hatte seinen Patenonkel zu erreichen. Natürlich war es vergebens gewesen und am Schluss hatte er den kostbaren Gegenstand wieder zerschmettert. Doch als er dieses Mal die Scherben auf sammelte hatte er sich unvorsichtiger Weise geschnitten. Nur wenig Blut war aus der Wunde geflossen, doch die rote, im Sonnenlicht glänzende Flüssigkeit hatte ihm eine Linderung seiner seelischen Schmerzen versprochen.

So hatte er angefangen über Tag soviel Garten- und Hausarbeit wie irgend möglich zu tun und sich abends mit der Scherbe des Spiegels an den Oberschenkeln zuritzen. Nur die Oberschenkel, denn die Muggel sollten nichts davon wissen und im Garten trug er meist nur seine Shorts.

Seine neue Lieblingsbeschäftigung war leichter geworden, als Hermine und Ron zu ihm kamen, denn die brünette Alleswisserin hatte ihm einen Spruch beigebracht, der seine Blitznarbe verschwinden ließ. Zumindest war dies der Grund, den Harry ihr genannt hatte. Da der Spruch auch auf alle anderen Wunden wirkte, konnte er sich nun endlich auch an empfindlicheren Stellen wie den innen Seiten seiner Arme zufügen, ohne, dass jemand etwas davon erfahren würde.

Da Ron und Hermine Vertrauensschüler waren, Ginny bei Dean Thomas und seinen Freunden saß und Harry eh keine Gesellschaft wollte, saß er nun allein in einem der Abteile des roten Hogwarts Express.

Harry hatte die Tür verschlossen und alle Fenster, die zum Gang hin, wie auch die nach Draußen verhängt. Nur ein wenig künstliches Licht erlaubte er sich, als er das erste R des Wortes Mörder in die innen Seite seines rechten Unterarmes ritzte. Und genau das war er doch auch, zumindest in seinen Augen.

Warum er sich nicht schon die Pulsadern durchgeschnitten hatte wusste er selbst nicht. Wahrscheinlich weil er es nicht bei den Muggeln und unter der Nase seiner Freunde tun wollte. Auch hier in dem nun fahrenden Zug war nicht der richtige Ort!

Vielleicht würde er heute Abend nach dem Festessen seinen Tarnumhang nehmen und vom Astronomieturm springen. Vielleicht. Doch vielleicht würde er auch einfach in den Kerker gehen und sich einer von Snapes Giften holen.

Halb lächelnd sah er auf das halb fertige Wort. Jedes Mal, wenn er den brennenden Schmerz spürte, den er sich mit der Scherbe selbst zufügte, wurden die vielen Stimmen in seinem Kopf leiser, die ihn „Mörder", „Nichtsnutz" und „Schwächling" schimpften.

Das D war einer der schwersten Buchstaben, doch da Harry die Schmerzen keines Wegs störten, ließ er sich Zeit damit es auch gut wurde, denn mit der linken hand war er nicht so geschickt, wie mit der rechten.

Bald waren all seine Gedanken verschwunden und er spürte nur noch den erlösenden Schmerz. Bis plötzlich jemand an die Scheibe der Abteiltür klopfte und ihn damit aus seiner Trance riss.

Schnell waren seine Wunden und die Scherbe verborgen, die Vorhänge nach Draußen geöffnet und die Tür aufgeschlossen. Es waren seine beiden Freunde, denen er mit einer lächelnden Gesichtsmaske, die der Malfoys sicher Konkurrenz machen konnte, die Tür öffnete.

Beide lachten und erzählten Harry, dass Draco wohl leichte Familien-Probleme hätte, da er allein auf dem Gleiß gewartet, mit seiner Freundin Schluss gemacht und das Vertrauensschülertreffen verpasst hatte. Doch das alles kümmerte Harry nicht. Letztes Jahr hatte Malfoy ihm gedroht ihn umzubringen, aber darüber konnte Harry nur lachen.

Nach einer Weile begannen Ron und Hermine sich wieder mal mit einander zu beschäftigen und der Schwarzhaarige ging auf den Gang hinaus, denn obwohl er sich für die Beiden freute, konnte er es nicht aushalten mit ihnen in einem Raum zu sein, wenn sie sich küssten.

Auf dem Gang lehnte er sich mit verschränkten Armen, lässig gegen die Wand und dachte ungewollt wieder einmal über den Tod seines Patenonkels nach. Er starrte auf die gegenüberliegende Fensterscheibe, ohne die dahinter vorbei ziehende Landschaft zu bemerken und wurde noch kurzer Zeit von einer fröhlichen Stimme unterbrochen.

„Hy Harry, willst du nicht mit zu uns ins Abteil kommen?" fragte Seamus Finnigan, der ohne dass Harry es bemerkt hatte mit einer blonden Ravenclaw im Arm neben ihn getreten war.

Wieder lächelte der Junge mit der Blitznarbe, ohne das ihm danach zumute war, schüttelte den Kopf und meinte dankbar, „Nein, Seamus, ist schon okay. Trotzdem, danke!"

„Wenn du meinst." Lachte der Ire, zuckte mit den Schultern und ging, seine Freundin auf die Wange küssend an Harry vorbei.

Gedanken verloren sah er den beiden Schülern nach und erwischte sich dabei, dass er keines Wegs der Blonden, sondern seinem Ziemmerkammeraden auf den Arsch glotzte!

Schnell sah er vor sich auf den Boden.

Was war bloß los mit ihm? Hatte Cho ihn wirklich so abgeschreckt, oder war er schon immer mehr an Jungs interessiert gewesen? Er wusste es nicht, denn eigentlich hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht.

Nicht, bis Ron ihm sein erstes Pornoheft gezeigt hatte, dass sich per Zauberstab in eine Quidditchmagazin verwandelte. Die nackten Frauen darin sahen zwar alle ganz nett aus und so, doch er war nicht geil von ihnen geworden, als er das Heft durchgesehen hatte. Auch dies war eine Tatsache die ihm sehr zu schaffen machte. Seine Gedanken wanderten von dem Heft zu Ron, dem Harry dabei zugesehen hatte, wie er sich mit Hilfe des Heftes befriedigte. Und bei dem Anblick seines erregten Freundes war auch Harrys Körper in Wallung gekommen.

Seine Hände waren wie von selbst in seine Umhangstasche geglitten und hatten die nun schon von seinem Blut etwasrötlich gewordene Scherbe hervorgeholt. Harry setzte die Klinge unter seinem Ärmel an die noch einiger Maßen unverletzte Haut seines rechten Oberarms. Er wusste, dass er es nie jemandem eingestehen konnte, dass er schwul war, besonders nicht seinen Freunden. Seine Situation war aussichtslos und er hatte sich damit abgefunden.

Doch bevor er sich eine neue Wunde zufügen konnte, hörte er die laute, gutmütige Stimme der Hexe, die den Essenswagen schob. Harry sah auf und sah, sich innerlich erschreckend, einen überlegen und kalt lächelnden Malfoy allein auf sich zukommen.

Hoffend, dass der Blonde sein Erschrecken nicht bemerkt hatte, stieß sich Harry von der Wand ab und ließ die Scherbe gleichzeitig wieder in seine Umhangtasche verschwinden.