Es waren inzwischen einige Wochen vergangen und Sisilia hatte schon gute Erfolge
vorzuweisen in ihrer Braukunst. Professor Snape musste immer weniger Hilfestellung leisten und arbeitete oft schon nebenher an anderen Sachen oder kontrollierte die Hausaufgaben seiner Schüler. Doch war er immer noch sehr wortkarg und sie sprachen eigentlich nur über den Unterricht. Bisher war es Sisilia nicht gelungen große Private Gespräche zu führen, den er blockte immer sofort ab. Um so überraschter war sie an diesem Abend, dass er auf ihr Angebot an diesem Abend einging.
„Heute sind wir aber schnell fertig geworden, hätten Sie nicht Lust noch eine Tasse Tee mit mir zu trinken?"fragend sah Sisilia zu Snape, der gerade die letzte Flasche zukorkte.
„Warum nicht, aber dann bei mir"antwortete Snape und stellte die Flaschen in einen Schrank, der an der Seite des Klassenzimmers stand. Er schwang den Zauberstab und verschloss
magisch den Schrank mit den Worten „Colloprotus".
Dann verließen sie den Raum und gingen wortlos hinüber in Snapes Büro. Während er den Tee zubereitete, machte es sich Sisilia vor dem Kamin gemütlich in dem ein kleines Feuer brannte. Sie hatte sich einen Stuhl vor den Kamin gestellt.
Da es inzwischen draußen schon sehr kalt war, es lag auch schon ein Geruch von Schnee in der Luft, fror Sisilia etwas und sie versuchte sich am Feuer aufzuwärmen.
„Ist Ihnen kalt?" fragte er, als er sah, dass sie noch näher ans Feuer rutschte.
„Etwas, aber es geht schon."
Er legte noch einige Holzscheite nach und das Feuer wurde etwas größer und wärmer.
„Das nächste Mal müssen wir einen Trank machen, der die Kälte von innen vertreibt,"äußerte Sisilia scherzhaft.
„Oh, so was habe ich da. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen ein paar Tropfen in ihren Tee." bot er ihr an.
„Warum denn nicht, versuchen kann ich's ja mal"antwortete sie. Er ging zu seinem
Schränkchen, in dem er seine privaten Tränke eingeschlossen hatte, dort nahm er ein kleines blaues Fläschchen heraus und gab ein paar Tropfen davon in Sisilias Teetasse.
Danach stellte er es zurück und verschloss sorgfältig die Türe.
Nachdem er den Tee eingegossen hatte, reichte er ihr die Tasse.
Aber Vorsicht, es hat auch eine leicht berauschende Wirkung, in etwa so wie ein Glas
Sherry."
Beim ersten Schluck wurde ihr schon richtig warm.
Sie unterhielten sich über allerlei verschiedene Zutaten und wo man sie bekommen konnte, als sie merkte, dass sie sich doch ein wenig beschwipst fühlte.
„Ihre Aufwärmtropfen wirken, Professor. Oh, ich glaube, es ist besser, ich gehe jetzt auf mein Zimmer."
Sie wollte aufstehen, doch irgendwie hatte sie die Wirkung des Mittels unterschätzt, ihre Beine wollte nicht ganz so, wie sie wollte, und sie schwankte nach vorne. Snape, der neben ihr gesessen hatte und auch aufgestanden war, konnte sie gerade noch halten, sonst wäre sie
umgekippt.
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„Oh weh, entschuldigen Sie bitte, ich glaube, Sie sollten die Konzentration ihres Mittels etwas verdünnen", sagte Sisilia schon leicht lallend.
„Das tut mir leid, ich verstehe das nicht, ich nehme diese Tropfen auch manchmal und ich hatte noch nie Probleme damit"sagte Snape überrascht. „Ich bringe Sie lieber nach oben."
„Ich schaffe das schon, danke"sagte sie und wankte gleich wieder, als er sie losließ.
„Ja, ich sehe es. Kommen Sie, ich helfe Ihnen."
Snape führte sie nach oben in den 3 Stock. Sie schaffte es zwar im großen und ganzen alleine, aber auf der Treppe wäre sie beinahe einige Male gestürzt, hätte Snape sie nicht gehalten. Immer wieder sah er sich leicht nervös um, ob sich auch niemand auf den Korridoren aufhielt.
Als sie oben angekommen waren, öffnete er ihre Tür und wollte sie in ihr Büro
hineinschieben, als sie sich noch mal zu ihm herumdrehte und ihm ganz unvermittelt einen Kuss auf die Wange gab, „Danke und Gute Nacht"murmelte und in ihrem Zimmer verschwand.
Snape war sprachlos, schüttelte den Kopf, sah sich um. Er war erleichtert, es war niemand zu sehen und er kehrte in seine Zimmer zurück.
Als Sisilia am nächsten Morgen aufwachte, fand sie sich noch komplett bekleidet auf dem Bett liegend wieder.
Langsam kam die Erinnerung zurück, noch lückenhaft, aber sie wusste noch von dem Tee und den Aufwärmtropfen´. Irgendwie war ihr diese Sache peinlich.
Oder war es Snapes Absicht? Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Und sie beschloss, sich erst mal umzuziehen und zum Frühstück zu gehen.
Diesmal war sie sehr früh dran und nur Professor McGonagall war schon da.
„Guten Morgen, Sisilia, haben Sie gut geschlafen?"fragte diese.
„Wie ein Murmeltier, danke", antwortete sie ihr.
Als sie sich gerade den letzten Bissen ihres Croissants in den Mund gesteckt hatte, traten Dumbeldore und Snape durch eine Seitentür ein. Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten angeregt direkt an der Tür, so dass sie niemand verstehen konnte. Dann setzten sie sich jeder an seinen Platz.
„Guten Morgen, Professor Sisilia, geht es Ihnen wieder besser?"fragte Snape unsicher. Er schien irgendwie ein schlechtes Gewissen zu haben. So kam es ihr zumindest vor.
„Mir geht es sehr gut, danke."Dann neigte sie sich aber etwas zu ihn hinüber und sagte leise, weil sie nicht wollte, dass es ein anderer hören konnte.
„Ich habe nur irgendwie einen Filmriss, ich habe mit Ihnen Tee getrunken und dann kann ich mich erst wieder an heute Morgen erinnern, als ich in meinem Bett aufgewacht bin. Was
haben Sie mir denn um Gotteswillen in den Tee getan?"
Auch er antwortete sehr leise.
„Das war nur ein einfacher Aufwärm-Trank. Es kam mir auch merkwürdig vor, dass er bei Ihnen so gewirkt hat. Deshalb habe ich auch gestern noch in ein paar Büchern
nachgeschlagen, denn ich wollte wissen, warum dieses Mittel so eine Wirkung auf Sie gehabt hat. Und ich meine, etwas herausgefunden zu haben", erklärte er ihr und beobachtete sie nun genau, seine Augen musterten sie während er weitersprach. Sisilia war neugierig geworden und schaute ihn erwartungsvoll an.
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„Und zwar kommt es vor, dass dieses Mittel bei Zauberern, welche die Gabe des Sehens
haben, eine extrem verstärkte Wirkung hat."
Sisilia wurde bleich im Gesicht und Snape fragte lauernd.
„Könnte es vielleicht sein, dass Sie eine Seherin sind?"Doch sie kam nicht mehr dazu zu antworten, denn jemand räusperte sich hinter ihnen.
Sie wurden unterbrochen, Dumbeldore stand hinter ihnen. Sisilia drehte sich zu ihm um und der Schulleiter meinte kurz:
„Sisilia, könnte ich sich bitte kurz sprechen?"
„Ja Professor Dumbledore, selbstverständlich", antwortet sie, froh, Snape nicht antworten zu müssen. Sofort stand sie auf und folgte dem Schulleiter.
Sie verließen die große Halle durch eine Tür, hinten im Raum und als sich Dumbledore sicher war, dass sie ungestört waren, sagte er zu ihr.
„Ich habe einen Teil Eures Gespräches gehört. Du solltest etwas vorsichtiger sein und keine Sachen zu dir nehmen, deren Wirkung du nicht kennst. Du weißt nie, was passieren kann."
„Es tut mir leid, ich dachte, es wäre etwas harmloses."
„Es ist ja nichts schlimmes passiert, aber das nächste mal frage lieber nach den Zutaten",
antwortete er besänftigend und Sisilia nickte etwas unsicher.
„Nun noch was erfreuliches. Ich höre überall von den Schülern nur Begeisterung. Sie
scheinen alle deinen Unterricht zu lieben. Wie gefällt es dir denn zu unterrichten? Jetzt da du es schon eine Weile machst, kannst du bestimmt sagen, ob du dir vorstellen könntest, das auch länger zu machen", fragte Dumbledore sie neugierig.
„Es gefällt mir doch besser, als ich dachte. Die Schüler sind so eifrig dabei, das hätte ich nicht erwartet", antwortete sie.
Es lief wirklich alles fantastisch. Sie selbst hatte sich eigentlich, bevor sie hier her kam,
überlegt, ein Jahr zu unterrichten und in der Zeit ihre Prüfung in Zaubertränke abzulegen und dann, nach diesem Schuljahr, eine Ausbildung als Auror zu machen. Aber sie wusste, Dumbledore wäre es lieber, sie würde in Hogwarts bleiben und weiter unterrichten. Eigentlich fühlte sich ja hier auch zu Hause und im Grunde ihres Herzens wollte sie auch gerne hier bleiben. Nur als Auror konnte sie endlich gegen Voldemort und seine Brut kämpfen. Sie
wollte sich dafür rächen, was er ihren Eltern angetan hatte.
Aber erst musste sie die Prüfung bestehen, und in der Zeit würde sie noch in der Schule
nützlich machen. Am Ende vom Jahr würde sie weitersehen. Wenn sie es nicht zum Auror schaffen würde, wäre es jedenfalls eine gute Möglichkeit, in der Nähe der Front zu bleiben.
„Also ausschließen würde ich es nicht mehr, evtl. doch länger hier zu bleiben, aber das hängt alles ja auch nicht nur von mir ab. Und falls ich nur dieses eine Jahr bleibe und die
Aurorenprüfung machen kann, kann ich auch anderweitig besser helfen."
„Sisilia, du weist, dass du hier auch sehr nützlich bist. Du hilfst den Kindern, zu lernen, sich zu verteidigen. Was willst du denn mehr? Du leistest doch schon großartige Arbeit",
versuchte Dumbledore ihr klarzumachen, dem die Idee mit dem Beruf des Aurors nicht gefiel. Es war doch eine extrem gefährliche Arbeit.
Sisilia seufzte. Sie würde viel lieber an der Front mitmischen und sie wünschte sich, ihr Onkel würde sie mehr mit einbeziehen in den direkten Kampf gegen Voldemort. Wenn sie nur
helfen könnte, ihn zu vernichten. Sie wollte nicht nur im Verborgenen helfen. Gut die Arbeit mit den Kindern machte ihr auch Spaß, doch sie hatte einen Hass auf Voldemort und würde sich gerne persönlich an ihm Rächen.
Voldemort hatte ihre Eltern getötet. Mit 12 wurde sie zur Waise. Wenn der Dunkle Lord
gewusst hätte, dass Cassandra eine Tochter hatte, hätte er sie bestimmt auch gesucht und umgebracht. Doch Cassandra und Bartholomäus, ihr Vater, hatten es bis dahin immer geheim
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gehalten. Als Sisilia dann zur Schule kam, vertrauten sie es nur Dumbledore an und
verlangten von ihm, dass es niemand sonst erfahren dürfe. Warum sie es ihm sagten, war ihm
erst im nachhinein klar geworden. Cassandra hatte wohl ihren Tod vorrausgesehen und wollte ihre Tochter gut aufgehoben wissen.
Da Cassandra eine sehr gute Wahrsagerin war, nahm Voldemort sie gefangen und wollte sie für sich und seine Machenschaften benutzen, aber sie hatte sich geweigert, ihm zu dienen, daraufhin hatte er sie kurzerhand eiskalt getötet. Sisilia schüttelte die trüben Gedanken ab.
„Ja, ich weiß, aber ich würde gerne noch mehr tun. Damit dieses Ungeheuer endlich
vernichtet wird", sagte sie mit einem großen Hass in der Stimme.
„Es wird der Tag kommen, an dem ich dich um deine Hilfe bitten werde, Sisilia, aber bitte tue bis dahin nichts Unüberlegtes. Das würde niemandem etwas nützen. Versprich es mir." Dumbledore sah ihr fest in die Augen. Das ist ja schon mal ein Anfang, dachte sie.
„In Ordnung, ich verspreche es", antwortete sie. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und beendete das Gespräch mit dem Satz.
„Gut mein Kind, ich denke, es wird Zeit, die erste Stunde fängt gleich an."
Sisilia nickte und machte sich auf den Weg zu ihrer Klasse.
Am Nachmittag saßen Sisilia und Dumbledore in Sisilias Büro und tranken Tee. Als es an der Tür klopfte.
„Erwartest du jemanden?"fragte Dumbledore.
„Nein, nicht das ich wüsste"antwortete sie, stand auf und ging zur Tür. Als sie die Tür
öffnete, trat Snape mit einem Wortschwall herein.
„Oh, gut, dass Sie da sind, ich wollte Sie fragen.............."
Er stockte, als er Professor Dumbledore da sitzen sah, und schaute etwas verwirrt.
„Ja, was gibt es denn, Professor Snape?", fragte Sisilia.
„Trinken Sie doch eine Tasse Tee mit uns, Severus", forderte Dumbledore ihn auf.
„Oh nein, danke, ich wollte nur...", er wandte sich an Sisilia.
„Ich wollte Sie nur fragen, am Samstag ist doch das Quidditch-Spiel und da wollte ich fragen, ob Sie sich das Spiel auch ansehen wollen."Er wandte sich gleichzeitig auch an Dumbledore.
„Professor Dumbledore, Sie kommen doch auch, oder?"
Dumbledore schaute seine Nichte an und als sie nickte, antwortete er für sie beide.
„Ja, Severus, wir werden auch kommen. Es wird bestimmt interessant werden. Es spielen Gryffindor gegen Slytherin, nicht wahr?"
„Oh das wird bestimmt gut, ich wollte schon immer sehen, wie sich Harry auf einem Besen macht, er soll ja fantastisch fliegen können", und sie zwinkerte dem Schulleiter zu. Snapes Gesicht wurde länger. Er hatte wohl gehofft, da sie offiziell keinem der Häuser angehörte, könnte er sie für Slytherin gewinnen. Und so war er enttäuscht. Aber er setzte gleich wieder seinen harten undurchschaubaren Gesichtsausdruck auf, den er fast immer hatte.
„In Ordnung. Kommen Sie bitte am Mittwoch nicht zu spät, denn es wird etwas länger
dauern, den Trank zuzubereiten, den ich vorgesehen habe", erklärte er in einem kühlen Ton.
„Professor Dumbledore"verabschiedete er sich. Er verließ den Raum so schnell, dass Sisilia keine Zeit mehr hatte, zu antworten.
„Oh jeh, ich glaube, ich habe ihn verärgert. Das wollte ich nicht. Aber bei Harry Potter schaltet er immer gleich auf stur. Was hat er nur gegen diesen Jungen? Ich finde ihn sehr nett."
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„Ich fürchte, er hat seine Gründe, aber frage ihn lieber nicht danach, es liegt weit zurück in
der Vergangenheit. Er ist eigentlich ein guter Mensch, Sisilia. Man muss ihn nur so
akzeptieren, wie er ist. Reize ihn einfach nicht mehr", sagte er mild und stand auf.
„O.K., werde ich nicht mehr tun"versprach sie.
„So, ich habe noch einiges zu erledigen"sagte er und ging Richtung Türe.
„Für den Phönixorden?", fragte Sisilia direkt.
Dumbledore, der schon die Hand nach dem Türknauf ausgestreckt hatte, drehte sich um, und sah sie an.
„Woher weißt du das?", fragte er sie erstaunt.
„Du hast vergessen, dass ich einiges sehen kann, was manch anderem verborgen bleibt. Und außerdem hat mir mein Großvater davon erzählt. Und ich kann eins und eins
zusammenzählen", entgegnete sie ihm.
Dumbledore seufzte. Sie hatte recht. Obwohl er immer versuchte, es zu ignorieren, aber das konnte er wohl nicht mehr tun.
„Das ist nicht gut, mein Kind, ich wünschte, du wüsstest nicht so viel. Nun gut, ich kann es nicht mehr ändern, aber bitte zu keinem ein Wort davon. Es ist zu wichtig. Wir werden ein andermal reden."
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Sisilia hätte noch so viele Fragen gehabt, doch er blieb unerbittlich.
Scheinbar war Snape immer noch sauer auf sie. Der Unterricht am Mittwoch war sehr trocken und Snape war so kühl wie sein Unterrichtsraum. Es tat Sisilia leid, dass sie ihn so geärgert hatte, aber sie konnte ja nicht wissen, dass sie in eine offene Wunde getroffen hatte.
Entschuldigen konnte sie sich auch nicht, da sie ihrem Onkel versprochen hatte, dieses Thema nicht mehr anzusprechen.
So arbeiteten sie die ganze Zeit stumm nebeneinander her, als plötzlich die Tür aufging und Filch, der Hausmeister herein kam.
„Professor Snape, sie sollen bitte sofort zum Schulleiter kommen, es ist sehr dringend!"
Snape stellte seinen Kessel auf die Seite und sagte im Hinausgehen
„Wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück sein sollte, räumen Sie doch bitte die Sachen weg, Sisilia!"
Und weg war er. Sie schaute Filch fragend an, aber der zuckte nur mit den Schultern und ging, gefolgt von seiner Katze Mrs. Norris wieder davon.
Da stand sie nun, mit den zwei angefangen Tränken und hatte eigentlich keine Ahnung, was sie weiter tun sollte.
Da kroch Neugierde in ihr hoch. Sie stellte auch ihren Kessel zur Seite, denn sie wollte
wissen, was los ist und sie beschloss zu versuchen, ob sie nicht etwas herausbekommen konnte.
Sie ging hoch in die Eingangshalle. Es war niemand zu sehen und auch nichts zu hören. Da es schon fast halb Zehn war, waren auch keine Schüler mehr unterwegs.
Dann öffnete sie das schwere Eingangsportal und schlüpfte hinaus in die Nacht. Vor der Türe sah sie sich suchend um. Sie suchte einen Platz, wo sie sich verstecken konnte. Links an der Mauer, etwa 100m vom Eingang, gab es ein großes Gebüsch. Da lief sie hin. Sie sah sich
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beim Laufen noch einmal um und als sie sich sicher war, dass sie von niemandem beobachtet wurde, versteckte sie sich hinter dem hohen Busch. Ein paar Sekunden später stand auf der Stelle, an der Sisilia vorher gestanden hatte, eine wunderschöne rotbraun-weiß gefederte Schleiereule. Sisilia hatte sich verwandelt.
Sie hatte nämlich ein Geheimnis, von dem niemand etwas wusste, nicht einmal Dumbledore. Sie war ein Animagus. Heimlich und ohne Genehmigung des Ministeriums. Sie hatte
eigentlich die Ausbildung dazu ganz legal gemacht an ihrer Schule. Nur als es an der Zeit war, die Prüfung abzulegen, genauer gesagte einen Tag zuvor, verstarb ganz plötzlich ihr Lehrer auf mysteriöse Weise. Er wurde, wie sich damals noch herausstellte von seiner eifersüchtigen Frau vergiftet. Und bei dem ganzen Tumult, den es da gab, hatte man ganz einfach vergessen, einen anderen Prüfer zu bestellen. Und da Sisilia damals die einzige war und sie sich dann nicht mehr um eine Prüfung bemüht hatte, ging das ganze unter.
Aber es machte ihr nichts aus, so hatte sie Freiheiten, die keiner kannte.
Sie breitete ihre Flügel aus und hob vom Boden ab. Sie flog hoch in den Nachthimmel hinaus, drehte sich und flog über das Schloss genau auf Dumbledores Turm zu. Sie umkreiste den Turm und hielt Ausschau nach einem offenen Fenster und sie hatte Glück. Eines der Fenster stand einen kleinen Spalt offen.
Vorsichtig versuchte sie auf der Fensterbank zu landen, ohne viel Geräusche dabei zu
machen.
Sie schaffte es tatsächlich, unbemerkt zu bleiben und ging etwas näher an den offenen Spalt heran, um zu lauschen.
„Mein lieber Severus, ich muss Sie leider bitten, gleich nach London aufzubrechen. Ich weiß, dass ich Ihnen viel zumute, aber wenn es nicht so dringend wäre, würde ich Sie nicht darum bitten."
„Und was ist mit dem Unterricht, Professor Dumbledore?"fragte Snape
„Ich werde den Kindern eine Aufgabe zukommen lassen. Seien Sie beruhigt, Severus. Ich kümmere mich darum."
Sie schaute vorsichtig hinein und konnte Snape sogar sehen, er stand seitlich zu ihr.
Dumbledore stand etwas ungünstiger mit dem Rücken zu ihr, von ihm sah sie nur einen Arm und die Schulter.
Dumbeldore schien sich wirklich Sorgen zu machen. Er seufzte schwer, gab Snape die Hand und wünschte ihm noch viel Glück.
Als Snape das Büro verließ, flog Sisilia wieder davon. Sie hörte noch, wie Fawkes sich regte und einen leisen Schrei ausstieß. Aus den Augenwinkeln sah sie noch, wie das Fenster ganz auf ging und Dumbledore hinausschaute, aber da war sie schon um eine Ecke geflogen und er konnte sie nicht mehr sehen. Selbst wenn er sie noch gesehen hatte, musste er annehmen, dass es nur eine Eule war, auf dem Weg in die Eulerei.
Sie flog noch eine Runde. Von oben sah sie, wie Snape das Schloss eilenden Schrittes verließ.
Sie schaute ihm noch ein wenig nach und überlegte, ob sie ihm folgen sollte, hielt es aber dann doch nicht für klug. Sie kreiste noch mal ein paar Runden und als sie sicher war, dass keiner in der Nähe war, landete sie wieder sicher neben dem Busch, hüpfte dahinter und
verwandelte sich wieder zurück. Sie zupfte noch ihre Kleider zurecht und machte sich auf den Weg zurück in den Kerker.
Sie verstand gar nichts mehr. Was sollte er in London und warum sollte er dahin gehen? Oh, wenn sie doch nur mehr wüsste.
Nachdem sie den Unterrichtsraum aufgeräumt hatte, ging sie ohne Umwege zurück in ihr
Büro.
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Sisilia setzte sich auf ihr Sofa, zündete die Kerze an, die auf dem Tisch stand, und begann zu überlegen. Wohin hatte Dumbledore Snape geschickt? Was sollte er denn so dringendes
erledigen, das keinen Aufschub hatte? Wohin verschwindet er dauernd? Sisilia sinnierte noch eine ganze Weile vor sich hin, ohne aber wirklich eine Antwort auf ihre Fragen zu finden. Sie zog ihr Amulett, das sie unter ihrem Kleid um den Hals trug, hervor und betrachtete es. Es war ein rundes silbernes Schmuckstück, in das sechs blaue Steine eingearbeitet waren. In der Mitte hatte es ein Loch, in das drei verschlungene Ringe eingearbeitet waren. Sie hatte dieses Amulett von ihrer Mutter bekommen, kurz bevor diese von Voldemort verschleppt und
getötet wurde. Sie betrachtete es noch eine Weile im Schein der Kerze. Nach einer Weile musste sie dann eingeschlafen sein.
Sie träumte. Zuerst sah sie einen Nebel, ein undurchsichtiger Schleier, der sich langsam hob.
Dann konnte sie eine Strasse erkennen, es regnete und war schon dunkel. Eine Gestalt, mit dem Rücken zu ihr, erschien und ging über die Straße auf ein Haus zu. Er schaute sich vorsichtig um. Sie erkannte ihn nicht, sie sah nur, dass es ein Mann war.
Er stieg die Stufen hinauf und klopfte an die Türe. Sie sah eine Zahl über der Tür. Es war die 12. Dann wurde die Türe von innen geöffnet und der Mann verschwand in dem Haus.
Dann kam wieder Nebel auf und die Szene verschwand. Sie sah nur noch Fetzen. Immer
wieder ein paar Gesichter. Harry Potters Gesicht, dann ein Gesicht von einem Mann mit dunklen langen Haaren, den sie nicht kannte, der Mann machte eine entsetzte Grimasse. Er schien nach hinten zu kippen. Dann war er weg. Wieder Nebel.
Dann sah sie sich selbst. Sie stand in einer dunklen engen Straße und jemand hielt sie von hinten fest, denjenigen konnte sie aber nicht sehen, es war zu dunkel. Dann wieder Nebel und dann wieder ein Gesicht. Sie erkannte ihn sofort. Es war Snape. Er stand vor ihr und hatte den Zauberstab auf sie gerichtet, so als bedrohe er sie. Er sagte etwas, was sie nicht verstand, aber es schoss ein roter Blitz aus dem Zauberstab auf sie zu. Was geschah da? Was hatte er vor? Aber in dem Augenblick verschwand das Bild wieder und es gab wiederum Nebel.
Sisilia wachte auf, geweckt durch einen Schrei, der aus ihrem Mund kam. Sie sprang schwer atmend vom Sofa auf, ihre Hände zitterten. Was hatte das zu bedeuten? Wollte Snape sie
umbringen? Nein, das konnte nicht sein. Oder doch? Sie war sehr verwirrt. War das real oder spielten ihr ihre Sinne einen Streich? War es nur ein Alptraum? Oder doch eine Vision?
Die Szene ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Sollte sie ihrem Onkel davon erzählen? Oder würde er sie nur auslachen. Sie beschloss
vorerst noch nichts zu sagen. Sie wollte erst mehr herausbekommen.
Snape fehlte die nächsten zwei Tage. Seit Mittwoch hatte sie nichts mehr von ihm gehört und wenn sie Dumbledore fragte, sagte dieser nur was von dringenden Erledigungen.
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