Bei den Zentauren

Eine nicht geringe Anzahl von Männern in schwarzen Umhängen stand auf einem freien Feld neben einem dunklen, dichten Wald. Es war noch dunkel, auch wenn man schon sehen konnte, dass der Morgen dämmerte. Sie hatten eine große Herde Zentauren eingekreist und ihre Zauberstäbe auf sie gerichtet. Sie drängten sie alle zusammen. Die Zentauren hatten Pfeile in ihre Bogen eingelegt, doch noch feuerte keiner einen Pfeil ab. Sie schienen abzuwarten.

„Fangt mir ein paar von ihnen, und den Rest tötet!", rief eine hohe und kalte Stimme den Männern zu. Sisilia erkannte sie sofort. Es war die Stimme Voldemorts.

Daraufhin begannen die Todesser, Flüche auf die Zentauren abzuschießen, und diese wiederum beschossen die Todesser mit ihren Pfeilen.

„Neeeeiiiinnn!", hörte Sisilia sich selber rufen und schreckte aus dem Schlaf auf.

Sie atmete heftig, und sie merkte, dass sie schweißgebadet war. Severus, der neben ihr gelegen hatte, schreckte ebenfalls hoch, als sie geschrieen hatte, und sah sie erschrocken an.

„Was ist? Was hast du?", fragte er sie beunruhigt noch im Halbschlaf.

Sisilia versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Was hatte sie da gesehen? War es nur ein Traum oder doch eine Vision? Sie konnte es nicht einordnen, sie war sehr verwirrt. Dann sah sie das besorgte Gesicht von Severus. Sie wollte ihn nicht beunruhigen, solange sie nicht selbst genau wusste, was sie da gesehen hatte und was es bedeuten sollte. Deshalb sagte sie nur:

„Ich hatte nur einen Alptraum. Es ist alles in Ordnung. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe."

Severus winkte ab, zog Sisilia zu sich heran und legte eine Arm um sie. Sisilia legte ihren Kopf auf seine Schulter und dachte darüber nach, was sie gesehen hatte. Immer mehr kam in ihr der Verdacht auf, dass es kein Traum war. Die Todesser sollten die Zentauren töten? Aber wieso? Was hatte Voldemort vor? Als sie sich noch mal die Szene vorstellte, fiel ihr auf, dass die Zentauren nicht mehr im Wald gewesen waren, sondern auf einer Wiese oder einem Feld. Das konnte nur bedeuteten, sie hatten vor, den Verbotenen Wald zu verlassen. Das musste sie verhindern. Sie würden in ihren Tod laufen.

Sisilia wusste von Hagrid, dass die Zentauren mit ihnen nichts mehr zu tun haben wollten und auch keine Menschen in ihrer Nähe duldeten. Sie hatten Hagrid sogar gedroht, ihn zu töten, wenn er ihnen noch einmal zu nahe kommen würde. Trotzdem wollte und musste Sisilia sie warnen. Sie konnte sie nicht in ihr Verderben rennen lassen.

Doch ihr war klar, weder Severus noch ihr Onkel würden sie einfach zu ihnen gehen lassen, deshalb beschloss sie, es ihnen erst gar nicht zu sagen. Sie lauschte eine Weile und hörte ein gleichmäßiges Atmen, das ihr zeigte, dass Severus wieder eingeschlafen war.

Sie überlegte nicht lange und zog vorsichtig seinen Arm von ihrer Schulter und rutschte langsam aus dem Bett. Er hatte nichts bemerkt und schlief weiter.

Sie schlich zu ihrer Kommode, fischte eine Jeans und ein T-Shirt heraus und ging ins Büro hinüber.

Dort zog sie sich flink an, nahm ihren Umhang und überprüfte, ob ihr Zauberstab in der Tasche steckte. Dann schlich sie sich aus dem Büro und stieg die vielen Stufen hoch zum Westturm. Sie trat durch den Durchgang hinaus ins Freie und konnte sehen, dass es noch dunkle Nacht war. Es musste wohl so gegen vier Uhr sein.

Es wehte ein leichter, warmer Wind, der ihr zart über ihr Gesicht strich. Der Himmel war sternenklar und der Mondschein ließ die Wipfel der Bäume silbern glänzen.

Sie zögerte nicht lange und verwandelte sich sogleich, breitete ihre Flügel aus, hob ab und flog direkt auf den Verbotenen Wald zu. Sisilia wusste ungefähr die Stelle, an der sich die Zentauren normalerweise aufhielten. Darauf steuerte sie nun zu. Sie sah die Stelle, an der sich die Baumkronen lichteten. Dies war der Platz, an dem die Zentauren für gewöhnlich den Lauf der Sterne beobachteten. Dorthin wandte sie sich nun. Sie konnte bisher noch nichts entdecken, trotzdem sank sie tiefer in den Wald hinein und landete auf dem freien Platz. Dort verwandelte sie sich zurück.

Sie stand auf einer kleinen Wiese, umgeben von hohen Laubbäumen und sah sich suchend nach allen Seiten um. Ihrem Instinkt folgend wandte sie sich nach rechts in den Wald hinein. Sie musste nun teilweise über umgefallene Bäume und durch dichtes Gestrüpp klettern. Ihr Umhang verfing sich ein paar mal darin, und bei dem Versuch ihn loszubekommen riss er an einigen Stellen ein. Sisilia fluchte leise.

Sie war vielleicht gerade mal fünf Minuten gegangen, als sie plötzlich Hufgetrappel vernahm.

Das mussten die Zentauren sein, welche sie inzwischen gehört haben mussten. Aber sie hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, leise zu gehen.

Sie blieb stehen, und vor ihr aus dem Unterholz sprangen sechs Zentauren, die sich gleich drohend vor ihr aufstellten und sie streng musterten.

Sie sahen böse drein. Doch bewunderte Sisilia diese Geschöpfe, die Kopf, Oberkörper und Arme eines Menschen besaßen, der verbunden war mit dem Körper eines Pferdes.

Der Zentaur, der allen voran ging, hatte einen kastanienbraunen Körper. Sein langes schwarzes Haar umrahmte sein stolzes Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Alle Zentauren waren bewaffnet. Sie hatten alle Langbogen dabei und trugen Köcher auf dem Rücken, die voller Pfeile waren. Der Anführer dieser Gruppe trat nun auf Sisilia zu und sprach sie an.

„Mensch, was suchst du in unserem Wald? Ist es noch nicht bis zu dir vorgedrungen, dass wir geschworen haben, alle zu töten, die es wagen, unseren Wald zu betreten?", fuhr er sie böse an.

„Bitte verzeiht mir.", sagte Sisilia und ging auf die Knie vor ihm. Sie wollte ihm damit zeigen, dass sie in Freundschaft kam.

„Ich muss dringend mit eurem Anführer sprechen, ich muss ihn vor einer Gefahr warnen.", erklärte sie ihm und sah ihn an.

Er verzog verächtlich das Gesicht.

„Ich wüsste nicht, warum wir dich mit unserem Anführer reden lassen sollten. Wir wissen selber, was gut für uns ist. Und Menschen gehören nicht dazu. Wenn uns eine Gefahr drohen würde, hätten wir sie schon selbst erkannt.", erklärte er schroff.

„Du hast unsere Warnung missachtet und bist trotzdem in den Wald gekommen. Deshalb wirst du als Abschreckung für die anderen sterben.", sagte er kühl. Dann gab er den Befehl.

„Tötet sie!", rief er.

Die anderen nahmen ihre Bogen von den Schultern, griffen nach Pfeilen und zielten damit auf Sisilia. Dies alles geschah so schnell, dass sie weder etwas sagen, noch etwas tun konnte.

Doch dann sprang plötzlich einer aus ihren Reihen mit einem Satz zwischen sie und die anderen. Vor Schreck zuckte sie zusammen, wollte ausweichen und kippte nach hinten auf dem Boden.

Ein grauer Zentaur, mit hartem, tief zerfurchtem Gesicht, baute sich nun schützend vor ihr auf.

„Warte, Magorian, hast du vergessen wir töten keine Fohlen?", rief er ihm warnend zu.

„Wieso Fohlen? Sie ist schon lange kein Fohlen mehr! Geh zur Seite, Ortano.", schrie er ihn wütend an.

„Nein, sie ist kein Fohlen mehr, aber sie ist tragend. Wir dürfen sie nicht töten.", erkläre er ihm.

„Sie ist tragend? Bist du dir da sicher?", fragte er noch mal nach, und Ortano nickte.

„Ich spüre es genau.... Sie hat diese gewisse Aura."

„Nun gut, dann werden wir dein Leben verschonen. Aber gehe sofort und verlasse den Wald!", forderte er sie auf und wandte sich schon zu gehen. Doch so leicht wollte Sisilia nicht aufgeben und sie versuchte es erneut.

„Bitte, Magorian, führe mich zu deinem Anführer, ihr habt doch nichts zu verlieren.", flehte sie ihn an.

„Und ich bin sicher, Bane wird dir dankbar dafür sein, dass du mich nicht weggeschickt hast.", versuchte sie ihn zu locken und rappelte sich auf die Beine. Er zögerte und nickte seinen Freunden zu. Sie steckten kurz die Köpfe zusammen und schienen sich zu beraten. Sisilia stand ganz ruhig da und beobachtete sie, als sich Magorian wieder zu ihr wandte und zu ihr sprach.

„Nun gut, Mensch. Dir scheint es ja wirklich wichtig zu sein, wenn du dein Leben und das deines Fohlens aufs Spiel setzt. Wir führen dich zu ihm. Aber tu nichts unüberlegtes, sonst werden wir dich doch noch töten.", sagte er, und die Zentauren schlossen sie in ihre Mitte. Sisilia ging mit ihnen mit, weiter und tiefer in den Wald hinein, als sie jemals zuvor drin war. Sie musste sich sehr anstrengen, um mit ihnen mithalten zu können. Die Zentauren sprangen leichfüßig über Hindernisse hinweg. Doch für sie war es nicht so einfach und einige Male, stolperte sie sogar. Aber sie hatte Glück dabei, sie hatte sich nichts getan.

Sie waren fast schon eine halbe Stunde gegangen, als sie endlich eine Talsenke erreichten, in der dich die restlichen Zentauren versammelt hatten. Sisilia hatte das Gefühl, als würde hier eine Aufbruchstimmung herrschen. Was ihr sagte, dass sie wohl recht mit ihrer Vermutung hatte, dass sie Zentauren vorhatten, den Wald zu verlassen. Magorian ging voraus zu der Gruppe der Zentauren, die unten standen. Sisilia wurde angehalten, hier oben stehen zu bleiben und zu warten, umringt von ihrer Eskorte. Es dauerte nicht lange. Vier weitere Zentauren lösten sich aus der Gruppe und trabten auf sie zu.

Voran an der Spitze war Bane.

Sisilia kannte ihn noch von früher, als sie mit Hagrid vor vielen Jahren im verbotenen Wald gewesen war und sie getroffen hatte. Das war schon lange her, doch Bane hatte sich kein bisschen verändert. Er hatte immer noch tiefschwarzes Haar und einen kräftigen Bart. Sein ganz schwarzer Körper stach unter den anderen Zentauren hervor. Seine wildes Aussehen ließ ihn sehr gefährlich erscheinen.

„Man hat mir berichtet, du hättest mir etwas wichtiges zu sagen? Ich finde es sehr mutig von dir, ganz alleine hierher zu kommen. Oder hat dich jemand geschickt? Hagrid vielleicht oder gar Professor Dumbledore?", fragte er misstrauisch.

„Nein, niemand weiß, dass ich hier bin.", erklärte sie ehrlich.

Bane musterte sie einen Augenblick unentschlossen.

„Ich will dir glauben. Nun gut, ich erlaube dir, das vorzutragen, was du zu sagen hast."Er machte eine auffordernde Handbewegung.

„Ich danke dir, Bane.", sagte sie und deutete ein Verneigung an.

„Du kennst meinen Namen?", fragte Bane nun überrascht und sah die anderen Zentauren an, doch diese schüttelten den Kopf, da sie ihr seinen Namen nicht genannt hatten.

Dann ging er zu ihr vor, schritt einmal um sie herum und betrachtete sie genauer.

„Ja Bane, aber es ist schon viele Jahre her, als ich das letzte mal hier im Wald war.", antwortete sie.

Jetzt trat Ortano etwas nach vorne und begann zu sprechen.

„Ich kann mich an sie erinnern, Bane. Sie war noch ein junges Fohlen, damals vor vielen Jahren. Sie hat mir geholfen, als ich schwer verletzt war, erinnerst du dich noch?", fragte er den Anführer, in dessen Augen es nun aufblitzte.

„Ja, du hast Recht, damals war sie noch klein. Sie kam mit Hagrid in den Wald. Lisa? Nicht war, dein Name ist Lisa?", fragte er sie nun ziemlich sicher.

„Du hast ein bemerkenswertes Gedächtnis, Bane. Das ist richtig. Lisa war der Name, den ich früher getragen habe. Aber mein richtiger Name, unter dem ich inzwischen wieder lebe, ist Sisilia. Lisa war nur mein Spitzname, während meiner Schulzeit.", erklärte sie ihm, da sie nicht näher darauf eingehen wollte. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass er es ohne weiteres verstehen würde.

„Nun gut, Lisa, die sich jetzt Sisilia nennt, berichte, was du uns zu sagen hast."Bane klang inzwischen etwas ungeduldig.

„Ja, also, ich hatte heute nacht eine Vision."

„Was soll das? Willst du etwa behaupten, du bist eine von diesen Seherinnen? Die ihre Geschichten unter das Volk bringen?", schrie Bane sie nun zornig an. Sisilia wusste, dass Zentauren von Sehern nichts hielten und ihre Arbeit als Scharlatanerie abtaten. Sie versuchte ruhig weiter zu sprechen.

„Ich bezeichne mich selber nicht so. Ich kann auch nicht auf Befehl jemandem die Zukunft voraussagen, das ist nicht mein Ding. Doch, Bane, bitte glaube mir. Manchmal sehe ich Dinge, die geschehen oder geschehen werden, ob ich will oder nicht. Ich bin nicht erfreut über diese „Gabe", glaube mir, aber ich habe sie nun mal, und ich hab heute Nacht etwas gesehen, was euch betrifft. Ich weiß, dass ihr vorhabt, den Wald zu verlassen."Sie sagte dies sehr rasch, da sie Angst hatte, er würde sie unterbrechen und nicht zu Ende reden lassen.

„Woher weißt du dass?", fuhr er sie an.

„Ich habe es dir doch gesagt, ich hatte eine Vision. Da habe ich gesehen, wie ihr alle den Wald verlassen habt. Aber auf dem Feld einige Meilen von hier, haben die Anhänger Voldemorts...."

„Sag seinen Namen nicht in unserem Wald.", fuhr er sie nun an. Sisilia erschrak und machte einen Schritt rückwärts.

„Es tut mir leid.", entschuldigte sie sich stotternd.

„Er, dessen Namen nicht genannt werden darf, und viele seine Anhänger wollen euch überfallen. Sie haben vor, einige von euch einzufangen und den Rest zu töten!"

Sie sah nun von einem zum andern. Keiner sprach ein Wort. Sisilia sah bei einigen von ihnen Furcht, bei anderen aber Ungläubigkeit.

„Bitte glaubt mir, wenn ihr den Schutz des Waldes verlasst, dann wird er viele von euch töten. Ich lüge nicht. Ich wünschte, ich würde mich irren, aber ich bin mir sicher, dass es so kommen wird, wenn ihr gehen werdet.", sagte sie eindringlich zu ihnen.

Ornato trat vor Bane.

„Ich glaube ihr. Sie hat ihr Leben und das ihres noch ungeborenen Fohlens aufs Spiel gesetzt, um uns zu warnen. Und außerdem weiß niemand etwas davon, dass wir woanders hin ziehen und den Verbotenen Wald verlassen wollen.", brachte er hervor.

„Aber woher sollte „Er"dann wissen, dass wir gehen wollen?", fragte Bane skeptisch und sah Sisilia fragend an.

„So, wie ich es gesehen habe, war es Zufall. Ihr seid mitten in ein Treffen der Todesser geraten. Ich bitte euch, überlegt es euch, geht nicht!"

Bane sah sie an und nickte dann unmerklich.

„Nun gut. Du hast gesagt, was du zu sagen hattest. Wir werden darüber beraten, was wir tun werden. Ich danke dir für deine Warnung. Wir werden dich am Leben lassen. Du darfst nun gehen. Lebe wohl.", sagte Bane und wandte sich zum gehen.

Ortano hielt ihn noch kurz auf und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Bane nickte und ging mit den anderen Zentauren in die Talsenke hinunter, wo sie schon neugierig erwartet wurden. Nur Ortano blieb bei Sisilia stehen.

„Ich werde dich wieder bis zur Lichtung begleiten.", erklärte er ihr und ging voran. Sie liefen auf dem gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren. Ortano ging langsamer, wofür ihm Sisilia dankbar war.

Inzwischen begann es zu dämmern. Auch wenn nicht sehr viel Licht durch das dichte Blätterdach fiel, konnte sie nun leichter den Weg erkennen und stolperte diesmal auch nicht.

„Ortano", sagte Sisilia, nachdem sie schon ein Stück gegangen waren. Er blieb stehen und sah sie mit seinen großen Augen fragend an.

„Ich wollte mich bei dir bedanken. Du hast mir vorhin das Leben gerettet.", sagte sie.

„Das war ich dir schuldig. Ich wäre damals vor Jahren gestorben, wenn du und Hagrid mir nicht geholfen hättet. Ich hatte dich gleich wiedererkannt, als ich dich gesehen habe. Du bist ein guter Mensch. Ich bin auch der Meinung, dass Bane sich irrt, wenn er glaubt, alle Menschen seien böse. Ich hoffe, er glaubt dir und trifft eine weise Entscheidung heute nacht.", sagte er besorgt.

„Das hoffe ich auch, es wäre schrecklich wenn....", sie konnte den Satz nicht zu Ende führen und ihr wurde schlecht bei dem Gedanken, dass ihre Vision wahr werden könnte.

„Denke nicht soviel darüber nach. Du hast getan, was du konntest, der Rest liegt nicht mehr in deinen Händen. Bane ist ein ziemlich strenger Zentaur, aber auch sehr klug. Ich denke, er wird die richtige Entscheidung treffen.", beruhigte er sie, dann gingen sie stumm, jeder seinen Gedanken nachhängend, weiter. Sisilia hoffte, dass sie ihn überzeugen hatte können. Auch wenn sie es nie zugeben würde, das, was sie getan hatte, war nicht ganz uneigennützig gewesen, denn sie wusste, dass sie irgendwann noch die Hilfe der Zentauren brauchen könnte. Und sie hoffte, damit ihr Vertrauen gewonnen zu haben, wenigstens etwas.

Als sie die Lichtung erreicht hatten, blieb Ortano stehen.

„Ich habe hier noch etwas für dich.", sagte er, griff in seinen Brustbeutel und zog eine Miniatur Armbrust heraus, die gerade mal so groß war, dass sie auf eine Hand passte, und reichte sie Sisilia.

„Dies hier ist etwas, das wir unseren Fohlen geben. Sie tragen es immer bei sich, für den Fall, dass sie einmal von der Herde getrennt werden sollten, oder in Gefahr geraten."Er griff nochmals in seinen Beutel und zog einen kleinen zur Armbrust gehörenden Pfeil heraus. Er hatte eine weiße leuchtende Feder an seinem Ende.

„Als Dank für deine Warnung gebe ich dir diesen Pfeil. Solltest du oder die deinen einmal in Gefahr geraten, dann schieße ihn ab. Er wird einen Ton erzeugen, den nur die Zentauren hören können. Wir werden dir dann zu Hilfe eilen.", erklärte er ihr und reichte ihr den Pfeil.

„Vielen Dank, Ortano, für alles. Ich hoffe und wünsche, dass die Zentauren und die Zauberer doch eines Tages wieder in Freundschaft zusammen leben können. Ich wünsche euch alles Gute.", sagte sie und steckte die Armbrust und den Pfeil in ihren Umhang.

Ortano nickte ihr zu und wendete sich um.

„Lebewohl.", rief er ihr noch zu und galoppierte zurück in den dunklen Wald hinein.

„Auf Wiedersehen.", rief sie ihm hinterher. „Hoffentlich.", sagte sie zu sich selber und sah ihm noch hinterher, bis er verschwunden war. Dann verwandelte sie sich wieder und flog hoch in den immer heller werdenden Himmel und machte sich zurück auf den Weg in das Schloss.
Hinter dem Schloss waren schon die ersten Sonnenstrahlen zu sehen. Sie hoffte, dass die Zentauren ihr glauben und im Wald bleiben würden.

Die kühle Morgenluft trieb Sisilia die restliche Müdigkeit aus den Gliedern. Doch wollte sie so schnell wie möglich wieder zurückkehren ins Schloss. Sie hoffte, dass ihr Ausflug unbemerkt geblieben war, dann würde sie sich sämtliche Erklärungen sparen. Doch schon als die auf den Turm zusteuerte, sah sie, dass ihre Hoffnung wie eine Seifenblase zerplatzen würde. Sie bemerkte eine Person, die oben auf dem Turm stand und den Himmel absuchte. Sie erkannte ihn sofort. Es war Severus, der wohl inzwischen bemerkt hatte, dass sie weg war.

In dem Moment sah er in ihre Richtung und erkannte sie. Sisilia wusste, dass es das vernünftigste war, die Sache gleich zu regeln und ihm die Wahrheit zu erzählen. Sie flog direkt auf ihn zu und landete vor seinen Füßen, wo sie sich sogleich wieder verwandelte. Seine Augen betrachteten sie von oben bis unten.

„Guten Morgen, was machst du denn schon so früh wach?", fragte sie ihn und versuchte so unbedarft wie nur möglich zu klingen. Sie lächelte ihn an und wollte ihm einen Kuss geben, doch er packte sie an den Schulten und sah sie zornig an.

„Erzähl mir nicht, dass du nur ein wenig fliegen wolltest. Du siehst nicht aus, als ob du nur ein wenig spazieren warst.", warf er ihr sichtlich gereizt vor und deutete auf ihren an mehreren Stellen zerrissenen Umhang .

Sisilia wich seinem Blick nicht aus, obwohl sie ein kleines bisschen ein schlechtes Gewissen hatte.

„Ich hatte nicht vor, so etwas zu behaupten.", begann sie und erzählte ihm von ihrer Vision in der letzten Nacht. Und davon, dass sie die Zentauren warnen musste. Auch wenn sie ein paar Dinge für sich behielt, vor allem die, dass sie nur knapp mit dem Leben davongekommen war. Sie zeigte ihm auch die kleine Armbrust und erzählte, was es damit auf sich hatte, doch er achtete kaum darauf. Er war immer noch wütend auf sie.

„Warum hast du es mir nicht erzählt? Du weißt doch, dass es gefährlich war, zu den Zentauren zu gehen. Sie haben Hagrid geschworen, alle zu töten, die zu ihnen in den Wald kommen. Ich bin mir sicher, er hat es dir erzählt. Warum bist du wieder auf eigene Faust losgezogen?", fragte er wütend und besorgt zur gleichen Zeit.

„Weil ich wusste, dass du so reagieren würdest. Du hättest mich nicht gehen lassen. Aber ich musste sie schnellstens warnen. Ich durfte keine Zeit verlieren mit Diskussionen, ob ich nun gehen soll oder nicht. Dann wäre es vielleicht zu spät gewesen. Außerdem wusste ich, dass sie mir nichts tun würden.", log sie nun. Nun ja, es war nur eine kleine Notlüge, fand sie, um ihn nicht noch mehr zu beunruhigen, denn ganz ehrlich gesagt, hatte sie es vorher nicht gewusst.

„Ich weiß, dass sie Kindern nie Schaden zufügen würden, und da ich ein Kind erwarte, drohte mir keine Gefahr. Sie hätten mir nichts getan.", erklärte sie ihm.

Severus sah sie skeptisch an, sie wusste nicht, ob er ihr glaubte oder nicht. Er sah immer noch wütend aus.

„Bist du dir da so sicher? Ich dachte, du wärst vernünftiger geworden. Du hast jetzt die Verantwortung für ein Kind. Du hast euer beider Leben aufs Spiel gesetzt, für ein paar wilde Tiere.", fauchte er sie an.

„Das ist nicht wahr. Die Zentauren sind keine wilden Tiere. Sie haben mehr Verstand als mancher Zauberer.", funkelte sie ihn nun zornig an.

„Ja, ich fürchte, zumindest mehr als du, wenn du so mir nichts, dir nichts, zu ihnen in den Wald rennst.", schrie er wutentbrannt.

Sisilia kochte nun vor Wut. Sie wusste nicht, wohin mit ihren Händen und war stinksauer über seine Worte. Sie musste sich gewaltig zurückhalten, um nicht zurückzuschreien. Sie drehte sich um, trat zur Turmmauer und sah in die Ferne. Sie fand, dass er zu weit gegangen war, auch wenn er vielleicht ein kleines bisschen recht hatte. Doch sie war in diesem Moment zu stolz, es zuzugeben.

Beide standen eine Weile da und keiner sprach ein Wort. Doch dann ging Severus zu Sisilia und stellte sich hinter sie.

„Es tut mir leid, ich wollte dich nicht anschreien. Ich hatte nur solche Angst um dich.", sagte er dann und legte seine Arme auf um Schultern. Sie ließ es zu und lehnte sich an ihn.

„Nein, es tut mir leid. Ich hätte mit dir reden sollten, ich fürchtete nur, du würdest mich nicht gehen lassen."

„Du glaubst wirklich, ich könnte dich aufhalten, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast?", fragte er sie amüsiert.

Sie konnte sich ein Lächeln nicht mehr verkneifen, und sie drehte den Kopf um ihn anzusehen.

„Wohl kaum.", konterte sie und beide mussten nun lachen.

„Bist du noch böse?", fragte sie nun vorsichtig.

„Nicht wirklich. Ich kann dir nicht lange böse sein, das weißt du doch.", antwortete er ihr und schob eine Haarsträne, die ihr ins Gesicht hing, hinter ihr Ohr, dann beugte er seinen Kopf nach vorne und küsste sanft ihren Nacken. Sisilia genoss seine Berührung und schloss für einen Moment ihre Augen. Sie war sehr froh, dass er nicht mehr böse auf sie war. Seine Hände strichen nun zart über ihren Bauch, während sie ihre Augen für eine Minute schloss. Dann legte sie ihre Hände auf die seinen. Sie fühlte sich glücklich und geborgen in diesem Moment. Eine wunderbare Wärme schien von seinen Händen auszugehen. und sie hatte beinahe das Gefühl, diese Wärme würde sich ausbreiten. Es war fast so wie...... ja. wie gestern bei dem Angriff von Malfoy. Was hatte das zu bedeuten? Sie fühlte wieder dieses angenehme Prickeln, das nach allen Richtungen ausströmte. Doch diesmal hatte sie das unweigerliche Gefühl, es würde auch auf Severus übergreifen.

„Was beim Merlin ist das?", fragte er noch, doch Sisilia war nicht mehr fähig zu antworten oder sich zu bewegen. Sie standen nur einfach da, fühlten dieses Kribbeln und diese angenehme starke Wärme, die in ihr ein starkes Gefühl der Verbundenheit mit Severus auslöste.

Plötzlich hörten sie ein Geräusch von drinnen. Jemand schien die Treppe hoch auf den Turm zu kommen. Sisilia wunderte sich, wer das um die Zeit sein konnte. Sie versuchte, sich zu bewegen, den Kopf zu wenden, aber es ging nicht, sie war wie gefangen in einer dicken zähflüssigen unsichtbaren Masse. Sie konnten beide nur dastehen und zusehen, was nun geschah.

Ein Mann trat durch die Öffnung, auf den Turm hinaus. Es war Philipp Pince, der Neffe von Madam Pince, der in den Ferien für seine Tante in der Bibliothek nach dem rechten sehen wollte. Er trug eine Eule auf seinem Arm. Als er herauskam, hatte Sisilia das Gefühl, er würde sie beide einen Moment lang ansehen, doch dann ging er weiter, an ihnen vorbei, trat an die Brüstung, band der Eule einen Brief an ihren Fuß und ließ sie fliegen. Nachdem er ihr noch kurz hinterhergesehen hatte, machte er sich, ohne auf die beiden zu achten, wieder auf nach unten. Als seine Schritte verhallt waren, ließ dieses angenehme, warme, prickelnde Gefühl langsam nach, und sie beide konnten sich wieder bewegen. Sie sahen sich erstaunt an.

„Was ist denn gerade passiert? Dieser Pince scheint uns gar nicht gesehen zu haben?" Severus sah Sisilia verdutzt an. Sie hatte auch keine wirkliche Erklärung und zuckte mit den Schultern.

„Es war irgendwie genauso wie gestern, als Malfoy mich töten wollte. Da hatte ich das gleiche gefühlt.", erklärte sie ihm.

„Ein Kribbeln auf der Haut und ein starkes Wärmegefühl?", fragte er sie.

„Hast du es auch gefühlt?", wollte sie erstaunt wissen und er nickte.

„Es war seltsam und irgendwie.....Ich habe so etwas noch nie empfunden. Es begann in meinen Händen und hat sich dann auf den ganzen Körper ausgebreitet. Ich hatte das Gefühl, es würde uns beide komplett einschließen."

Sisilia hatte es genauso empfunden.

„Nur warum hat uns Pince nicht gesehen?", fragte sie noch einmal verständnislos.

„Mir fällt da gerade etwas ein. Gestern, kurz bevor Malfoys Fluch von dir zurückgeschleudert wurde, hatte ich das Gefühl, du wärst für ein paar Sekunden verschwunden, oder unsichtbar gewesen.", fiel ihm wieder ein.

„Du meinst, so etwas ähnliches könnte hier gerade auch geschehen sein, nur dass wir länger nicht zu sehen waren?", fragte Sisilia verwundert.

„Das würde zumindest erklären, warum er uns nicht gesehen hat.", folgerte Severus.

„Aber wie und warum? Gestern war ich in Gefahr, aber ich bezweifle, dass dieser Philipp

gefährlich ist. Oder vielleicht doch?", überlegte sie laut.

„Da haben wir jetzt schon zwei Fragen, die wir klären sollten. Erstens, was das gerade war oder durch was es ausgelöst wurde. Und zweitens, wie vertrauenswürdig ist dieser Neffe von Madam Pince?", zählte Sisilia auf.

„Das werden wir hier oben wohl nicht lösen können. Las uns nach unten gehen.", forderte Severus sie nun auf.

„Gute Idee, mit leerem Magen kann ich sowieso nicht denken.", sagte Sisilia und stieg voran die Wendeltreppe nach unten.

Nachdem sie Sisilias Büro betreten hatten, sprach Sisilia einen weiteren Gedanken aus, der ihr durch den Kopf ging.

„Was ich mich aber die ganze Zeit frage, ist, warum hat der die Eule nicht in der Eulerei losfliegen lassen, das wäre für ihn doch der kürzere Weg gewesen?"

„Das ist allerdings seltsam, aber vielleicht gibt es dafür auch eine einfache Erklärung. Vielleicht muss ich ihn einmal auf den Zahn fühlen.", sagte Severus.

„Gut, aber erst nach dem Essen. Ich werde mich kurz umziehen.", sagte Sisilia und deutete auf ihren zerrissenen Umhang und ihre dreckige Hose. Sie ging ins Schlafzimmer und zog sich um. Sie machte sich ihre Gedanken. Sie hatte wohl eine Vermutung, es hatte etwas damit zu tun, was Minerva zu ihr gesagt hatte, aber sie war sich noch nicht hundertprozentig sicher. Sie wollte versuchen, etwas genaueres darüber zu erfahren. Sie wusste nur, dass es mit ihrem Kind, welches sie erwartete, zu tun hatte. Nur, dass es so starke Auswirkungen haben sollte, damit hätte sie nie und nimmer gerechnet.

Sie zog sich eines ihrer Kleider über, bürstete sich noch kurz ihre langen Haare, warf sich einen neuen Umhang um und ging dann zu Severus, der schon auf sie wartete.

„Wir können, ich bin soweit.", sagte sie zu ihm. Er saß im Sessel und betrachtete sie, als sie eintrat. Sisilia bemerkte plötzlich seinen lüsternen Blick und machte schnell einen Schritt rückwärts, als er aufstand und auf sie zuging. Sie hob abwehrend ihre Hände und protestierte.

„Oh nein, nichts da. Ich habe Hunger, wie ein Wolf. Ich muss unbedingt was essen, oder willst du, dass ich vor Hunger umfalle?"

Sie wischte seitlich an ihm vorbei zur Bürotür, noch bevor er etwas tun oder sagen konnte. Sie trat in den Flur hinaus und er folgte ihr sichtlich amüsiert.

„Habe ich etwas gesagt?", fragte er und sah sie enttäuscht an.

„Das brauchst du nicht, diesen Blick kenne ich inzwischen.", konterte sie.

„Schade.", antwortete er und tat so, als ob er beleidigt wäre. Sisilia schüttelte belustigt den Kopf.

„Du bekommst wohl nie genug?", wollte sie wissen, doch als Antwort grinste er nur.