FINAL FANTASY VIII
DAS GEHEIMNIS DES SHUMISTAMMES
TEIL 4
KAPITEL DREI
Selphie ließ bereits die Maschinen warm laufen, das tat sie bereits, seit sie die Ragnarok erreicht hatten. Dieses Schiff war Selphies ein und alles und sie liebte und schätzte es wie ihre, ihr unbekannten, Eltern. Hyne sei Dank hatte Quistis gestern Abend die Ragnarok wieder koordiniert, was sie an der leeren Kaffeetasse auf dem Kontrollpult erkannte. Irvine stand hinter ihr, eine Hand, Trostspenden, auf ihre Schulter gelegt. Er war einfach toll, tat alles für sie, doch irgendwie empfand Selphie nicht das für ihn, was er für sie empfand. Natürlich hatte sie mitbekommen, dass Irvine total in sie verknallt war, immerhin war sogar Squall das aufgefallen und das sollte schon was heißen.
Aber Selphie war sehr optimistisch. Sie mochte ihn, sogar sehr, doch sollten sie es jemals wagen und etwas ginge schief, dann war für immer alles im Eimer. Sie hörte wie die Aufzugsplattform summend hinabfuhr und blickte kurz über die Schulter, als sie hörte, dass der Aufzug wieder in Richtung Cockpit unterwegs war. Irvine zog sofort seine Hand von ihrer Schulter runter, als er sah wie Quistis in dem Loch, dass der Aufzug immer hinterließ, wenn er hinabfuhr, erschien. „Hi Leute.", meinte die ehemalige Ausbilderin lächelnd. Der Scharfschütze stieß sich von dem Pilotensitz ab und grüßte sie, indem er zwei Finger kurz in Richtung Stirn hob und sie dann in ihre Richtung schwenkte. Mittlerweile hatte er sich ein neues Hemd besorgt, dass, um Beweise zu vernichten, genauso aussah wie sein altes, und trug nun wieder Mantel und Hut. Sein Exetor, die mächtigste aller Schusswaffen dieser Zeit, hatte er an die Sauerstofftanks gelehnt und nun grinste er Quistis aus voller Breite an. Selphie drückte einige Knöpfe auf dem Schaltpult, um das Tor vor ihnen zu öffnen. Bisher ging ihr Plan immer auf, aber sobald die Esthartechniker mit der Kopplungsvorrichtung für den Garden fertig waren, würde die MD-Ebene wieder unter der Erde liegen, dann müssten sie sich was anderes einfallen lassen.
Plötzlich ging das Funkgerät neben dem Steuervorrichtung los und Xells Stimme erwachte knisternd zum Leben: „Hey Seph wir sind drin, kannst los."
„Jaaa!", sie drückte einen Knopf, der die Einstiegsrampe schloss und dann begann sie damit, das Schiff aus dem Garden zu steuern. Die Ragnarok erwachte, nach Aufnahme der neuen Befehle, heulend zum Leben. Die Drachenpranken zogen das Schiff Richtung Ausstieg, dann zündete Selphie die Turbinen und das Schiff schoss blitzschnell los. „Wow, Selphie. Du hast es aber gehörig eilig.", ertönte Xells Stimme aus dem Lautsprecher: „Deinetwegen hat sich unser Pärchen beinah beim Küssen das Genick gebrochen. Ich hab's ihnen ja gesagt, aber sie wo…", einen Moment hörte man rauschen und gedämpftes Gemurmel, dann war Squall am Apparat: „Xell redet mal wieder zu viel. Wir kommen gleich. Hier bitte…"
Erneut Geknister und Gemurmel, dann ein kurzes: „Over!", von Xell und dann war Stille. Irvine prustete los, hörte aber auf, als keiner mit einstimmte: „Was? Nicht lustig!" Dann ging der Aufzug ein zweites Mal hinab und transportierte auf dem Rückweg die letzten drei Krieger ins Cockpit. Währenddessen schoss das Flugschiff über das Land, so dass dieses zu einem einzigen Brei verwischte und keiner von ihnen sagen konnte, wo sie genau jetzt waren. Nur eine kleine Karte, die wie durch Zauberhand, dank eines Hologramms, in der linken Ecke der Frontscheibe schwebte, zeigte ihre Position und sagte ihnen, ob sie nun an ihrem Ziel vorbei geschossen waren. Selphie flog wie eine Irre.
Irvine schwor sich, dass es die Forschungsinsel gewesen war, die gerade an ihnen vorbeigezogen war, doch so genau konnte man es nicht sagen, könnte auch der Galbadia Garden gewesen sein. Obwohl er gehört hatte, dass sie, während der Zeitkomprimierung, im Meer von Esthar gewesen war und wahrscheinlich, sollten sie die Daten nicht wieder koordiniert haben, immer noch da rumtrieb. Erst im nach hinein verstand Irvine die genaue Gefahr der Komprimierung. Die vielen Zeitsphären hatten den Datenstrom sofort durcheinander gebracht und auch Menschen mit Herzschrittmachern, oder anderen künstlichen Hilfsmitteln hatten nicht überstanden. Doch das größte Problem war nicht die fehlende Mobilität, oder der Tot einiger Todgeweihter, sondern das, was nach dieser Phase gekommen wäre. Die Überschneidung der einzelnen Zeiten. Von der Entstehung der Welt, bis hin zum heute. Von Hyne, dem Vater aller Hexen und Menschen, bis hin zu Adells Schreckensherrschaft. All diese Zeiten wären aufeinander geprallt und hätten sich gegenseitig ausgelöscht. Es konnte eben immer nur eine Zeitebene auf einmal existieren. Doch was Irvine nicht verstand war, was sich Artemisia dadurch erhofft hatte? Was war ihr Ziel gewesen?
Durch das stupide Starren auf die verschwommene Außenwelt, wurde Irvine leicht schwindelig und er schüttelte den Kopf, um von seinen Gedanken wegzukommen. Selphie hatte es verdammt noch mal eilig, um nach Trabia zu kommen. „Hey Leute. Was ich mich schon immer gefragt habe ist, was Artemisia eigentlich mit der Komprimierung bewirken wollte?", wand Irvine, scheinbar ohne Zusammenhang, ein. Alle, bis auf Selphie, blickten ihn kurz an, dann begann Quistis zu sprechen: „Ich hab nicht die leiseste Ahnung." „Ist doch völlig klar.", Xells Augen leuchteten Euphorisch und er war bereit wieder sein scheinbares Wissen zu verbreiten: „Sie wollte die Menschheit auslöschen. So ist das!" „Wo wäre da der Sinn? Wenn es niemanden mehr gibt, den es zu piesacken gilt, macht es doch keinen Spaß mehr den bösen Buben zu spielen.", entgegnete Rinoa auf seine Theorie. Und Squall musste ihr Recht geben und außerdem sollte das jemand Cifer ins Hirn eintrichtern. „Ist das nicht eigentlich Scheißegal?", gesellte sich Squall nun zu dem lustigen Diskussionskreis: „Artemisia ist Tot. Alles zu Ende."
„A…", bevor Xell noch was sagen konnte, würgte Squall ihn mit einer Handbewegung ab: „Ich weiß, dass sich alles wieder wiederholen wird, wenn Artemisia in der Zukunft geboren wird. Aber das ist nicht unser Problem, jedenfalls nicht direkt. Und ihr seht das dieser Teufelskreis nun mal gut ausgegangen ist." Quistis nickte zustimmend und Rinoa wirkte einwenig nachdenklich. Oder war sie einwenig beleidigt, dass er Xell einfach so abgewürgt hatte? Bei Frauen wusste man nie so genau. Sie waren wie das Wetter. Man konnte vorhersagen, doch ob es auch wirklich eintraf, dass war Sache des Zeitpunktes und der Taktik. Dann wanden sich alle ihren Aufgaben zu. Irvine stellte sich wieder hinter Selphie auf, um sie vor Gefahren zu warnen, sollte sie welche übersehen.
Xell nahm ausnahmsweise auf dem Co-Piloten Sitz platz und würde im Notfall, sollte Selphie bei dieser Geschwindigkeit die Kontrolle verlieren, einspringen. Quistis stand links von Squall und blickte einwenig betrübt aus der Seitenscheibe. Wahrscheinlich wurmte sie das Thema, dass Irvine angesprochen hatte, mehr als sie zugab. Vielleicht vermutete sie mehr dahinter. So wie Direktor Cid hinter der Mordsache. Tote Schüler waren in solchen Zeiten nichts Neues. Es herrschte immer wieder Krieg. Wahrscheinlich war er zwischen die Fronten zweier Banden geraten, oder ein Gouge Seal hatte ihn erwischt. Doch um das genau sagen zu können, mussten sie sich noch einiges ansehen. Wo sie auch schon bei der Aufgabenverteilung waren.
Squall räusperte sich, um so die Aufmerksamkeit seines Teams zu haben: „Also, hört mir bitte zu. Ich würde jetzt gern die Gruppe einteilen.", er spürte wie sich Rinoa an seinen Arm klammerte, in der Hoffnung, zu seinem Team zu gehören: „Ausnahmsweise bilden wir drei Teams. Da es drei Aufgabenbereiche gibt. Befragen, Untersuchen und Spurensicherung, richtig?", er wand sich mehr oder weniger unauffällig an Quistis, die seine bisherigen Ausführungen mit einem Nicken bejahte. Dann fuhr er fort: „Aufgabenbereich A, die Befragung, übernehmen: Selphie und Rinoa.", er spürte amüsiert wie das Gewicht enttäuscht zusammensackte: „Aufgabe B, die Untersuchung des Leichnams, nehmen sich Quistis und Xell vor. Und die Spurensicherung machen Irvine und ich, als Bereich C! Kapiert!" Alle nickten und auch Rinoa schien nicht unbedingt äußerst enttäuscht zu sein, dass sie nicht bei Squall sein konnte.
„Cheeef. Wir sind da!", rief Selphie plötzlich aus. Der Truppenführer blickte das Mädchen einwenig erstaunt an. Tatsächlich schwebte die Ragnarok über den demolierten Überresten des Trabia Garden. Zwar waren die Techniker von Esthar bereits mit der Reparatur beauftragt worden, doch da sie sich dummerweise sehr vielen Staaten versprochen hatten, gingen die Arbeiten nicht ganz so schnell voran wie erwünscht.
Der Präsident war echt ein verplanter Kerl. Erst handeln dann denken, dass hatte er schon immer getan. Und doch ging bisher immer alles gut, so dass Squall schon so was wie Sympathie für den Chaoten von Mann empfand. Das erste Mal hatte er Laguna Loire bei seinem Ausflug in die Vergangenheit gesehen. Danach waren sie sich mehrmals auf diese Weise begegnet.
„Selphie. Lande da vorne.", er deutete neben den, von einer Bergkette umringten, Garden: „Sobald Irvine und ich uns den Tatort angesehen haben, kommen wir und holen euch ab." Nachdem das Mädchen gelandet war, stiegen die vier Krieger aus und Squall blickte ihnen hinterher, bis der Aufzug verschwunden war. Rinoa warf ihm eine Kusshand zu und er spürte, wie er leicht rot anlief. Als sich die Luke wieder geschlossen hatte, wand sich Squall ans Schaltpult, wobei sein Blick auf Irvine Kinneas stieß, der ihn hinterhältig angrinste: „Duuu…", er boxte ihn freundschaftlich auf die Schulter: „…Casanova du." Der junge SEED nahm den Schlag hin und ließ sich auf dem Co-Piloten Platz nieder: „Los Irvine Kinneas. Wir haben einen Auftrag zu erfüllen.".
Der Cowboy lüftete seinen Hut und setzte sich auf seinen Platz: „Na gut." Er wirkte einwenig enttäuscht und Squall musste darüber hinaus innerlich schmunzeln. Er würde Irvine ja ab und zu gern einwenig was erzählen, eben ein einfaches Männergespräch führen, doch seine Position als Anführer lehrte ihn einwenig auf Abstand zu gehen. Oh Mann, welch Blödsinn, nur weil er der Truppenführer und Schülersprecher war, hieß es noch lange nicht, das er sich seinen Freunden nicht anvertrauen konnte: „Willst du es hören?", fragte er Irvine, der die Maschinen wieder anließ. Der Scharfschütze sah ihn aus leuchtenden Augen an und nickte. „Na gut dann pass auf. Ich mache es ein mal und nie wieder. Und außerdem werde ich dich köpfen müssen, wenn du was weitererzählst, egal wie unwichtig das erscheinen mag. Das Gespräch ist geheim."
„Ja, ja…nun leg schon los.", irgendwas sagte Squall, das er damit einen Fehler begann, aber irgendwie war ihm das egal. „Na gut. Hör zu…", dann begann er zu erzählen.
Quistis schauderte, als sie den Zaun des Trabia Gardens erklommen hatten und nun vor den Ruinen der Kampfschule standen. Zwar waren sie schon früher hier gewesen, doch das änderte nichts an der Situation. Der Garden lag da wie ein gestrandeter Wal und er sah aus, als würde er leiden. Und wenn man in die einst glücklichen Gesichter der jungen Schüler und SEED-Anwärter sah, dann bekam man eben Gänsehaut. Doch Quistis fürchtete sie nicht, nein, sie empfand einfach nur Mitleid. Aber sie tat es im Stillen, denn hier wollte wahrscheinlich niemand Mitleid.
Die Jungen und Mädchen dieser Schule waren allesamt Kämpfer. Das und noch einiges anderes, dachte sich Quistis während die SEEDs über den aufgerissenen Asphalt an das Hauptgebäude herantraten. Mit jedem Meter den sie gingen, kamen sie dem Gebäude immer näher und mit jedem Meter, den sie gingen vermieste sich Selphies Laune sichtlich. So down wie jetzt hatte sie das Mädchen noch nie gesehen. Sie ging ein wenig links von Quistis und beinah direkt hinter Rinoa. Die sich mit Xell über den Wiederaufbau dieses Gardens unterhielten und das Xell gerne helfen würde. Die Schüler, die sonst immer hier ihre Patrollie schoben und vor Optimismus nur so sprühten, blickten die vier Neuankömmlinge finster an. Natürlich hatten sie das Flugschiff gesehen und natürlich wussten alle, dass dieses Flugschiff eine ehemalige Schülerin dieser Schule flog. Doch dieses Mal wirkte keiner glücklich die Eindringlinge zu sehen.
Und die Situation verdüsterte sich nur noch mehr, als plötzlich Mina, Selphies Freundin, sich aus der Menge der Schüler löste und weinend auf sie zurannte. Selphie fing sie auf halben Weg ab und umarmte sie. Zuerst dachte sie, sie würde vor Freude weinen, doch dann begann sie zu reden: „Scraf, er ist Tot!" „Was!", Selphie Stimme überschlug sich. Scraf war Minas fester Freund gewesen, seit Selphie die beiden zusammengebracht hatte. So viel Quistis wusste, war Scraf ein Reporter für die Schülerzeitung gewesen und sehr neugierig. Vielleicht hing ja doch mehr mit dem Tot von Scraf zusammen, als sie alle vermutet hatten. Selphies Augen wurden feucht, während sie ihre Freundin zu dem Brunnen führte und sich dort mit ihr nieder ließ. Rinoa trat neben die beiden und machte Quistis und Xell klar, dass das wohl die beste Chance war sich den Leichnam anzusehen, bevor Selphie auf irgendwelche Ideen kommen könnte. Quistis nickte und schritt weiter, nicht ohne Selphie mit der Hand übern Kopf zu fahren und sie anzulächeln. Diese brachte ebenfalls ein Lächeln auf und wand sich dann wieder an ihre weinende Freundin.
„Hey, Mina. Bitte hör auf zu weinen.", sobald Selphie ernst wurde, verschwand auch automatisch ihr Sprachfehler. Dann wanden sich Quistis und Xell nach links und die drei jungen Menschen verschwanden aus ihrem Blickfeld. Sie kamen an eine T-Kreuzung und sie bogen nach rechts, zu dem zerstörten Klassenraum. Wenn sich jemand fand, den man wegen ihrer Aufgabe ansprechen konnte, dann hier. Und sie fanden tatsächlich jemanden. Eine Lehrerin stand neben einem noch intakten Rechner, den die beiden Techniker endlich repariert hatten, und tippte einige Daten ein. Ihr Haar war braun mit Tausenden dünnen blonden Strähnchen. Von goldblond bis hin zu dunkelblond war alles vertreten. Doch Quistis hielt sich nicht mit Äußerlichkeiten auf, sondern tippte ihr auf die Schulter: „Entschuldigung." Die Frau drehte sich um und Quistis blickte in die wohl interessantesten Augen, die sie je gesehen hatte. Eins war von einem solchen Intensiven Grün, dass man meinte, man würde direkt in einen Saphir schauen. Und das andere war von einem klaren Indigoblau, wie die Augen von Squall. „Ja bitte.", entgegnete die Ausbilderin. „Mein Name ist Quistis Trepe und das ist mein Partner Xell Dincht.", die Frau lächelte sanft und Quistis schwor sich, dass sie hören konnte wie Xell sich zusammenreißen musste, um nicht loszusabbern. „Ich weiß wer sie sind. Sie sind bei uns Legenden. Die Bezwinger der großen Artemisia.", die Frau lachte leise: „Oh ja, ich kenne sie nur zu gut."
„Okay. Wir sind vom Balamb Garden hierher gesandt worden, um uns mit dem Toten Schüler zu befassen. Und Xell und ich würden uns gerne den Leichnam ansehen, wenn wir dürfen.", meinte Quistis höfflich. „Natürlich dürfen sie.", meinte die Frau mit heller Stimme: „Aber sie werden nicht mehr finden, als die Leute aus Esthar."
„Esthar war hier?", wollte Xell nun wissen. „Ja, gestern Abend noch. Professor Odyne hat sich den Leichnam angesehen und gemeint, dass der Junge von einer wilden Bestie angefallen worden war.", erklärte die Ausbilderin breitwillig, zu breitwillig für Quistis Geschmack. So wie sie rüberkam, hätte sie der perfekte Bösewicht sein können, für ein Computerspiel. Nur, dass das hier kein Computerspiel war, sondern die harte Realität. Ab und zu wurden nun mal Menschen, die unvorsichtig waren, von Monstern gerissen. „Führen sie uns bitte zu ihm.", sagte Quistis sachlich und folgte der Frau aus den Überresten des Klassenraumes hinaus. Die Frau blickte ein, vielleicht zwei Mal über ihre Schultern, während sie die zwei Krieger zwischen den Trümmern zum Hauptgebäude manövrierte. Bei ihrem letzten Besuch drohte in diesem Gebäude die Einsturzgefahr, weswegen der Zutritt verboten worden war. Doch jetzt stützten Holzbalken das Deckengebilde und sogar das obere Stockwerk schien wieder weitgehend Intakt zu sein. Alles ging Berg auf und nur Scrafs Tot warf seine Schatten wieder auf diese Schule. Warum geschah nur immer so was? Warum konnten Menschen nicht einfach in Frieden leben?
Eine von vielen Fragen, die Quistis zu beantworten nicht in der Lage war. Aber sie würde es gern. Sie hätte gerne eine Antwort auf all die Grausamkeit die in der Welt passierte. Klar, Quistis war nicht selten selbst dran schuld, dass Gewalt entstand, denn immerhin war sie eine Söldnerin. Es war ihr Aufgabe jedem zu gehorchen, der ihr Geld bot. Einwenig wie bei einer Prostituierten fand die ehemalige Ausbilderin und musste bei dem Gedanken schmunzeln. Tatsächlich führte sie die seltsame Frau die Stufen hinauf und wies ihnen, als sie oben waren, die hinterste Tür: „Dahinten ist es."
„Ach, sie kommen nicht mit?", wunderte sich Xell. „Natürlich nicht.", entgegnete die Frau darauf und lächelte wieder verführerisch: „Hier oben ist es noch nicht sicher.", meinte sie mit ironischem Unterton. Quistis warf ihr ein Lächeln zu und schritt dann los. Tatsächlich knarrte der Holzboden unter ihren Füßen einwenig. Doch sie schritt einfach mutig weiter. Sie wollte doch vor dieser doofen Ziege nicht ihr Gesicht verlieren. Auch Xell ging langsam los und erreichte Quistis, die nun etwas zögerlich ging. Nachdem die junge Frau, wie Quistis anhand eines Blickes über die Schulter sehen konnte, verschwunden war, klammerte sie sich an Xells starker Schulter und wimmerte: „Lass mich nicht fallen."
Dieser sah sie verdutzt an: „Hast du Angst?" „Tierisch.", gestand Quistis und machte noch einen Schritt vorwärts. Der Trabia Garden war der schönste und antikste der drei Garden. Er wirkte immer einwenig düster, durch seine dunkle Holzverkleidung. Und auch die Kronleuchter waren aus antikem Glas und Kristall gemacht worden. Alles in allem der perfekte Ort für Quistis oder einen Mordfall. Es war wie in den Büchern, die Quistis für gewöhnlich las. Das hieß, wenn sie mal Zeit fand, denn ihr Terminplan war eh immer von oben bis unten durchstrukturiert und das einzige was sie als Freizeit ansah war…das hier. Als Bezwinger Artemisias hatte man eben sehr viele Ehrungen und Feiern vor sich und außerdem waren da noch ihre Pflichten im Garden und ihre Freunde. Sie war schwer beschäftigt, aber sie genoss es. Und sie genoss das hier. Mit Xell in diesem Flur zu stehen und einfach mal sie selbst zu sein, nicht die Quistis die alle erwarteten, die sie für alle sein wollte. So reif war sie nun wirklich nicht.
Xell lachte sie aus, also warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu, raffte ihren Rock symbolisch und stolzierte los, kam mit trippelnden Schritten aber wieder zurück, als der Boden bedrohlich knarrte. Xell lachte daraufhin nur noch lauter und stolzierte dann voran, um ihr zu zeigen, wie gut er das konnte. „Wenn du das schaffst, schaff ich das schon lange.", meinte Quistis und ging los. Dieses Mal wich sie nicht zurück, denn sie hatte ihren Stolz: „Immerhin bin ich nicht diejenige, die Hot Dogs am Fließband frisst." Jetzt funkelte Xell sie böse an und streckte ihr die Zunge raus, dann öffnete er die Tür zum Kühlraum und machte eine einladende Geste: „Hinein, hinein meine Damen und Herren. In unser Winterwunderland. Die heutige Attraktion: Eine echte Leiche."
Quistis warf ihm ein Lächeln zu und musste zugeben, dass sie diese Zeit, trotz der Umstände, genoss. Und irgendwie war da was zwischen Xell und ihr…ach Quatsch. Sie schlug sich leicht auf den Kopf, woraufhin Xell ihr einen fragenden Blick zuwarf. Doch er fragte nicht, also sagte sie nichts.
Sie entwickelte doch nicht etwa Gefühle für Xell. Das war Quatsch, Schwachsinn, Unmöglich. Na gut, nicht unmöglich, aber unüblich. Quistis Trepe verliebte sich nicht, außer vielleicht in Squall. Aber das war was anderes gewesen, damals hatte sie nichts von ihrer gemeinsamen Vergangenheit gewusst. Irgendwie widerstrebte es ihr mit einem aus dem Waisenhaus zusammen zu sein. Vor allem mit Leuten die sie mochte und schätzte. Und übrig aus dem Haus blieb dann nur Cifer, der aus diesem Rahmen mehr als einmal hinausfiel. Aber Cifer und sie, dass war unmöglich. „Okay, wo haben wir denn unseren kühlen Freund?", wollte Xell wissen und rieb sich die Hände, sowohl vor Kälte als auch aus Tatendrang. „Xell! Lass das.", brachte sie ihn zur Räson, bevor er noch makaber wurde. „Was? Das machen die in den Krimiserien auch immer so.", wehrte sich Xell. „Ja, aber wir sind keine Krimiserie.", erwiderte Quistis. „Aber stell dir das mal vor? Wäre doch cool? Dann gäbe es Serien mit dem Titel Dincht und Partner, Der Bulle von Balamb, Akte Dincht…"
„Und wenn Dincht und sein Partner.", sie schielte kurz einwenig tiefer als nötig, um ihm zu verdeutlichen, wer gemeint war: „Nicht bald die Klappe halten. Dann wird deren Akte frühzeitig geschlossen.", entgegnete Quistis todernst, meinte es aber nur halb so ernst. Xell grinste sie an und ging schließlich auf den verdeckten Tisch zu und riss das blaue Tuch hinab. Der Anblick der sich beiden nun bot, war nicht unbedingt schlimm, aber so seltsam. Es war nicht der erste Tote, den beide sahen, aber irgendwie wirkte dieser noch surrealer als die anderen. Seine Haut blauangelaufen, die Augen geschlossen. Wäre er nicht eindeutig Tot, könnte man auch meinen er würde schlafen. Doch das seltsamste kam noch. Quistis griff in ihre Tasche, die sie schon die ganze Zeit mit sich rumschleppte und zog Taschenlampe und Handschuhe hinaus. Dann zog sie ihre eigentlichen aus und steckte ihre Hände in die Einwegteile: „Sehen wir uns den Bauch der Bestie mal an." „Sicher das er nen offenen Bauch hat?", Xell zog die Nase kraus. „Das ist ein Sprichwort.", erwiderte Quistis und lächelte ihn an.
Rinoa fühlte sich hingegen ganz und gar nicht wohl in ihrer Haut. Selphie und Mina saßen noch immer, sich gegenseitig, tröstend auf dem Brunnen und alles was Rinoa einfiel war, auf und ab zu rennen und an ihren Nägeln zu nuckeln. Sie hatte schon als Kind nicht daran rumgekaut, sondern hatte immer nur dran genuckelt, wenn sie nervös war. Und das war sie im höchsten Masse. Seit Quistis und Xell verschwunden waren, waren nicht mal drei Minuten vergangen und schon wünschte sie sich, sie wäre wo anders. Sie mochte Selphie und sie mochte Mina, das glaubte sie jedenfalls, aber sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte. Dann kam ihr endlich eine Idee, nachdem sie das Öl, was sie auf den Nägeln gehabt hatte, bereits vollständig abgenuckelt hatte. Wenigstens hatte sie heute Morgen das richtige Öl genommen, so dass sie jetzt den wohligen Geschmack von Zimt und Safran im Mund hatte und nicht den Bitteren Geschmack von Ahorn oder Birke. Sie war zwar kein Zimt Fan, aber besser als Birke nuckeln war das alle mal.
„Selphie.", sie wartete bis die Angesprochene reagierte: „Ich geh schon mal vor und befrage die Schüler auf dem Hof. Du kannst hier sitzen bleiben und…du weißt schon." „Nein.", Selphie zwang sich zu einem Lächeln: „Ich komme mit dir. Immerhin ist das doch unser Job. Also warum fangen wiiir nicht hier an!" Rinoa blickte sie erstaunt an. Hatte sie gerade Vokale gezogen? Es schien fast so. Dann nickte die junge Frau als Bestätigung und ging vor Mina in die Hocke, um ihr in die Augen sehen zu können. Es war nicht unbedingt ein schöner Anblick, wenn eine gebrochene Frau vor einem saß: „Es tut mir Leid, aber wir müssen dir jetzt einige Fragen stellen.", begann sie. Mina nickte und wischte sich die Tränen ab: „Ich weiß. Es ist okay. Fangt an."
„Gut. Zuerst würde ich ja fragen, wie du zu d…", sie verstummte: „Lassen wir das und machen weiter: Kannst du uns irgendwas sagen, was uns irgendwie helfen könnte? Was hat dein Freund die letzten Wochen gemacht? Ich frag das jetzt, weil ich nicht daran glaube, was die anderen denken.", erzählte Rinoa mit sanfter und beruhigender Stimme. Sie wusste, wie man mit Menschen redet. „Scraf war die letzten Wochen total komisch. Immer, wenn wi…r zusammen waren, da…", sie musste immer wieder mit den Tränen kämpfen, armes Mädchen: „Wirkte er irgen…dwie abwesend und…jedenfalls hab ich ihn mal drauf angesprochen und ihn gefragt, ob er was Besseres vorhätte. Und e…er sagte Ja. Aber er würde mich trotzdem lieben…und deshalb dürfte er es mir nicht sagen, denn sonst wäre ich ebenfalls in Gefahr.", sie fing wieder an zu weinen.
Also hatte Rinoas Sinn sie doch nicht getäuscht. Irgendwas war vorgefallen, nur was…das war die Frage. Aber sie wagte es nicht, diese zu stellen. Mina hatte schon genug gesagt. Und wahrscheinlich würde es keinen Sinn haben, wenn sie die anderen Schüler auch noch befragten, denn wenn sogar seine Freundin nichts Näheres wusste, dann bestimmt auch niemand sonst.
Rinoa erhob sich: „Vielen Dank. Du hast uns sehr geholfen." Dann wand sie sich ab und ihr Blick streifte den Himmel, sehnsüchtig auf der Suche nach dem Roten Flugschiff. Wann würde endlich Squall kommen und sie abholen?
Ende des dritten Kapitels…
Kapitel 4 in Bearbeitung
