Teil 1

So hungrig nach dem Glück

Der nächtliche Schatten lag über der Elbenstadt, Caras Galadhon. Ruhe war eingekehrt und nur wenige weiße Laternen erhellten noch die vielen Wege auf dem Waldboden. Hier und da liefen Wachen umher, doch alles war still. Doch am Rande der Stadt war plötzlich Hufgeräusche zu hören. Nur wenige Fletts waren hier. Alles war abgeschieden und verlassen und keiner kümmerte sich um das plötzliche Geräusch. Nur in der Stadt waren die Mellyrn, doch vereinzelt gab es sie auch außerhalb. So wie dieser Baum mit einem der wenigen Fletts in der Nähe. Nur ein schmaler Weg führte zu ihm und alles war dunkel, da kein Licht mehr bis hier hinaus strahlte.

Die Hufgeräusche wurden lauter und man konnte sehen, wie sich ein schneller Reiter näherte. Er war völlig verhüllt in einen langen schwarzen Mantel, doch hielt er sich gebeugt im Sattel wie vor Schmerzen gekrümmt. Direkt vor dem Baum hielt das Pferd ohne einen Befehl seiner Herrin an. Schwer atmend ließ sich Idril von den Rücken des Tieres herabsinken. Sie sah nur kurz unter der Kapuze hervor auf zu den Sternen und wandte sich dann gleich zu dem Weg hinauf zu ihrem Flett. Sie war wieder zu Hause – wieder nach einem langen Auftrag, der mit sehr viel Mühe verbunden war. Doch humpelte sie und ging nur mit Mühe aufrecht. Als sie auf dem Weg nach oben war, hielt sie plötzlich inne und bewegte sich nicht mehr. Kurz lauschte sie in die Ferne, doch schien sie sich geirrt zu haben. Kein Geräusch war zu hören, weshalb sie weiter hinauf ging.

Auf dem Flett angekommen sah sie sich kurz prüfend um, alles war wie immer. Der Mondschein fiel auf die Holzplatten unter ihr und alles schien wie in einem Traum zu sein, so still war es in der Stadt. Idril warf den schweren Mantel ab und er fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. Erst jetzt richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und streckte sich. Doch in der Bewegung hielt sie inne und gab einen aus Schmerzen folgenden zischenden Laut von sich. Sie humpelte weiter bis zum Bad, wo sie die Knöpfe und Schnüre ihres Gewandes öffnete. An ihren Fingern klebte altes schon geronnenes Blut, das sich mit Dreck vermischt hatte. Auch ihr Gesicht war größtenteils von Schmutz bedeckt und eine lange Schnittwunde bereitete ihr oberhalb ihrer Augenbraue Schmerzen. Nachdem sie das lange von Dreck durchzogenen Gewand niedergeworfen hatte, lief sie auf den Spiegel zu und begutachtete ihre Wunde im Gesicht. Ihr gesamter Körper war von Wunden übersät. An ihrem Arm war noch eine relativ frische Wunde, aus der noch immer etwas Blut sickerte, doch auch schon in diese hatte sich der Dreck festgesetzt. An Rücken und Bauch hatte sie wenige kleine Schnittwunden davongetragenen und auch ihr rechtes Bein war nicht unverletzt. Sie humpelte weiter bis hin zu einer Art Dusche. Seufzend stellte sie sich darunter und wusch sich mit dem kalten Wasser, das auf sie herunterbrasste. Es biss in ihren Wunden, wusch sie jedoch rein. Das Blut von ihren Arm lief dabei ihren Körper hinunter und hinterließ noch eine breite Spur bis sie sie wegwischte. Auch die anderen Wunden bluteten noch und so färbte sich am Boden das Wasser rot. Immer wieder kam sie aus Versehen über ihre frischen Wunden, wobei sie nur kurz aufzischte und fortfuhr. Genießerisch schloss sie die Augen und ließ sich vom Wasser auf ihren Gesicht in das Hier und Jetzt versetzen. Das verletzte Bein zog sie etwas nach sich und konnte es noch nicht recht aufstellen, sodass etwas Blut von ihrem Zeh tropfte. Schwer atmend lehnte sie die Hände gegen die Wand vor sich und legte den Kopf nach vorne. Müde schloss sie die Augen, doch plötzlich hörte sie etwas hinter sich.

Sofort drehte sie sich herum und sah sich mit weit geöffneten Augen um, auch wenn ihr dabei das Wasser in die Augen lief. Dort war nichts. Sie stellte sofort das Wasser ab und hörte noch einmal in die Stille. Nichts. Kein Geräusch war zu hören. Hatte sie sich etwa geirrt? Schon zum zweiten Mal? Es war ein langer und harter Tag für sie. Wahrscheinlich schon, doch so einfach würde sie es sich nicht machen. Sie rang ihre langen Haare schnell aus und ging dann langsam voran. Sie nahm ein weißes Handtuch von der Wand und wickelte es um sich, wobei sie es sofort mit Blut verunreinigte. Als sie durch die Tür in den anderen Raum treten wollte, nahm sie von einer Kommode ein langes Messer an sich und hielt es krampfhaft umfasst. Vorsichtig sah sie sich um und drehte sich dabei langsam in eine andere Richtung. Nichts. Doch plötzlich spürte sie einen kalten Atem im Genick. Auf ihrer Haut breitete sich Gänsehaut aus und für den Bruchteil einer Sekunde zuckte sie zusammen. Sie handelte aber schnell und griff hinter sich ohne sich dabei umzudrehen. Durch einen geschickten Handgriff brachte sie die große Person hinter sich zu Fall, die nun unter ihr lag. Sie stemmte ihr schmerzendes Knie auf die Brust des Gefangenen und hielt ihm die Klinge an die Kehle. Noch immer umhielt sie das Messer so krampfhaft, dass ihr das Blut noch von Arm lief hinab zur Klinge, über diese zum Hals des Mannes unter ihr. Es war dunkel und sie strengte ihre Augen an um zu erkennen, wer der Eindringling war. Plötzlich zog sie die Klinge zurück und schaute leicht geschockt. Sofort stand sie auf und ging einige Schritte zurück, wobei sie das Messer hinter ihrem Rücken versteckte und den Kopf senkte.

„Verzeiht, mein Herr!"

Irritiert stand Legolas wieder auf und sah hinüber zu Idril, die vom Mondlicht erhellt so weiß schien. Hier war sie, sie lebte. Jetzt durfte er sie nach so langer Zeit endlich wieder sehen. Sofort wollte er auf sie zugehen und sie in den Arm nehmen, doch er war verwirrt. Sie verbeugte sich leicht vor ihm und betitelte ihn. Was hatte das zu bedeuten! Sofort durchdrangen ihn tausende Gedanken wie viele kleine Nadelstiche und jeder hinterließ eine kleine Spur wie die Spitze auf reiner weißer Haut. Und obwohl es nur einfache Fragen waren, verletzten sie ihn tief, dieser Anblick verwundete ihn. Sie stand hier, vor ihm, lebend und doch so fern, als würde sie ihn nicht kennen, nicht kennen wollen, als leugnete sie die Zeit, die sie miteinander verbrachten. Hatte sie ihn vergessen? Etwa alles? Sogar die Tatsache, dass sie ihr Kind verloren hatte – sein Kind? Das konnte unmöglich sein, nicht sie, die schon so viel durchmachen musste, sich an alles erinnerte, und die jeder einzelne Gedanke langsam zerfraß und ihr die Kraft stahl.

Warum benahm sie sich so? Legolas wollte sie einfach nur in die Arme nehmen, sie fest an sich drücken und all die Jahre voller Qualen und Schmerzen vergessen, in denen er ohne sie leben musste, endlich wieder glücklich mit ihr sein, doch alles war anders. Er war auch anders, aber ihr Verhalten war wohl das wenigste, womit er gerechnet hätte. Er sah glückliche und zufriedene Bilder, in denen er sie in seine Arme schloss und wie sie endlich glücklich und in Frieden leben konnten, doch dieses Bild zersprang sofort in viele kleine Scherben, die sich in seine Haut bohrten.

Den ersten wirklich klaren Gedanken, den er wieder fassen konnte, war eine Abart von Hass auf sie, ihre Art, ihr selbstgefälliges Getue, womit sie alles nur noch mehr zerstörte. Nie wollte sie sich etwas eingestehen, nahm somit in Kauf, andere zu verletzen, ihre Herzen zu brechen wie das seine. Wie konnte sie ihn das antun, ohne dabei mit der Wimper zu zucken? Wie konnte sie zulassen, ihn so leiden zu lassen? Wollte sie sich etwa wieder etwas beweisen? Ihre Stärke. Immer wieder wollte sie zeigen, dass sie unabhängig von allem war, über anderen stand, zeigte es sogar dadurch sich verletzen zu lassen. Und schon wieder stand sie mit unzähligen Wunden vor ihm, bewies ohne Mühe, dass sie keine Schmerzen hatte. Sicherlich hatte sie diese, aber niemals würde sie es sich eingestehen. Legolas fluchte, er verfluchte ihre sture Art, die ihm langsam zum Zweifel brachte, die ihn darüber nachdenken ließ, warum er noch hier war, doch er wusste es. Er liebte sie auch mit dieser Eigenart, auch wenn er sie erneut so brechen müsste, dass sie sich wieder ihre Gefühle für ihn eingestand.

Legolas ging einen Schritt auf die stolze Frau vor sich zu und sie zeigte dabei keine Rührung, sie tat und sagte nichts, blieb nur stehen wie eine Fremde, die sich dem zukünftigen König der Elben unterwarf. Doch war sie mehr, sie hätte die Frau an seiner Seite werden können, doch so sah sie nicht aus, nicht in diesem Moment. Mit jedem Zentimeter, den er sich näherte, drangen die Glassplitter tiefer in seine Haut und zerrissen ihn von innen, denn noch immer zeigte sie keine Regung und sie schien es auch nicht mehr zu beabsichtigen. Jahrzehnte musste er ohne sie leben, in einer unaussprechlichen Qual, die ihn so sehr einnahm, dass er Fehler begann, die er niemals begehen wollte und niemals rückgängig machen konnte, doch nun konnte alles besser werden. Doch diese Hoffnung wurde getrübt - von ihrem kalten Verhalten ihm gegenüber.

Doch je näher er ihr kam, umso mehr verlor er auch die Beherrschung. Früher schon nahm sie ihm jegliche Kontrolle über sich selbst, wenn er sie sah, konnte er einfach keinen klaren Gedanken mehr fassen, nur noch sie zählte und auch jetzt war ihr Feuer nicht erloschen. Es schien vielmehr, als wäre es durch die lange Trennung neu entfacht worden. Mehr als je zuvor zog sie ihn an und er folgte der Wärme und den Temperament der heißen Glut.

Er stand nun direkt vor ihr und senkte seinen Kopf etwas um ihr in die Augen zu schauen und sein Blick strahlte Verlangen und Vergebung aus. In den traurigen Ausdruck verbarg sich so viel mehr, als man sofort erraten konnte und seine Beherrschung musste nun unter den härtesten Beweis gestellt werden, doch Idril blieb noch immer starr.

Wachsam und besonnen, als würde er nach einem scheuen Reh greifen, ließ er seine Hand an Idrils Hals nach oben gleiten und hielt dann zaghaft ihr Kinn fest in Angst und Sorge, sie könne ihn jedem Moment zurückweisen, doch sie tat nichts. Langsam hob er ihr Kinn an und sah ihr tief in die Augen, als wolle er ihr begreiflich machen, wie sie sich in seiner Gegenwart wirklich zu verhalten hat und erst jetzt sah sie auf, entgegnete seinen durchdringenden Blicken, als müsse sie befürchten von dem Anblick zu erblinden. Legolas erhoffte sich endlich die Chance, auf die er so lange warten musste, sie war gekommen. Er näherte sich ihrem schmalen wunderschönen Gesicht und sie schloss zaghaft die Augen. Es endlich wagend näherte er sich ihrem Mund, der sich langsam öffnete und schon bestand wieder diese eine Hoffnung, sie würde ihn wieder so lieben wie damals. Sie würde sich ihn hingeben, sich nicht verstecken, es zulassen.

Doch noch ehe er ihre Lippen berührte, durchzog sie ein Schauer, eine Angst oder ein Zeichen, dass sie im Begriff war etwas Falsches zu tun. Obwohl er sie noch festhielt, zuckte sie zurück und sah ihn aus erschrockenen Augen an. Erschrocken und empört über sich selbst. Was tat sie gerade? Ein heißkalter Schauer erfasste Legolas und er sah ihr hinterher wie im Delirium, als könne er nicht fassen, dass sie zurückgewichen ist. Ein schneller Luftstoß drang durch seine Kehle und formte sich zu ihrem Namen. Er war so atemlos, nicht fassend, dass sie ihn hat stehen lassen, dass sie ihm nicht gewähren ließ und ihn so alleine zurückließ. Legolas schüttelte fassungslos den Kopf und sah dabei hinab zu den Boden, doch Idril rührte sich nicht, starrte ihn nur an, als erwarte sie einen Befehl. Noch immer trug sie nur diesen blütenweiße Handtuch und ihre nassen Haare tropften auf den Holzboden unter ihr, der knackende Geräusche von sich gab, wenn sie ihr Gewicht verlagerte. Die unzähligen Wunden hatten sich noch nicht geschlossen und das Blut suchte sich in lang gezogenen Streifen den Weg nach unten, hinterließen kontrastreiche Muster auf ihre elfenbeinfarbenen Haut.

Legolas musste schwer schlucken, sodass man das Geräusch deutlich hören konnte. Blitzschnell sah er wieder auf und kam dichter an Idril heran. „Komm, wir müssen deine Wunden versorgen.", brachte er gequält hervor und seine Trauer war deutlichst in seiner Stimme zu hören. Dieses Gefühl legte sich über seine Handlungen wie eine graue Nebelschwade an einem kühlen Frühlingsmorgen über ein kleines verschlafenes Tal. Nur strahlte dies Frieden aus, Legolas war ganz anders zu Mute. Idril nickte ihn nur zustimmend zu und folgte ihm, denn er hatte sie sanft am Arm gepackt und führte sie in Richtung ihres Tisches, vor dem Legolas stehen blieb. Idril ging derweil zu ihrem Kleiderschrank, den sie weit öffnete. Dann löste sie ihr Handtuch und warf es beiseite. Es war ihr völlig gleich, ob Legolas sie nackt sah oder nicht. Sie fühlte sich nicht einmal so beobachtet, denn sie hatte noch nie Probleme sich freizügig zu zeigen. Hier ging es auch bloß um ihre Verwundungen, aber selten hatte sie noch Probleme sich auf irgendeine Art zu entblößen, wenn ein ihr höher gestellter Mann anwesend war. Flink hatte sie ihre Unterwäsche aus dem Schrank geholt und zog sie sich über. Als sie zu Legolas zurückging, trug sie eine kleine Tasche in der rechten Hand und breitete den Inhalt auf den Tisch aus. Sich der Stille des Raumes anpassend betrachtete er, was Idril mitgebracht hatte. Langsam nahm er Nadel und Faden heraus, versuchte nicht auf ihre eleganten Bewegungen einzugehen. Mit allem, was er tat, versuchte er zu überdecken, was er wirklich in diesem Moment fühlte, was er begehrte. Fast schon unangenehm war es ihm, dass er sie berühren wollte, sie zurückwollte und endlich glücklich mit ihr werden wollte. Aber es war eigentlich nicht das, sondern dass er sich Idril offenbart hatte und sie kühl geblieben war. Er war nicht nur enttäuscht und betrübt über ihr Handeln, sondern auch gekränkt – zu tiefst in seiner männlichen Dominanz gekränkt und verletzt. Dafür gab es nur eines – sich seine Überhabenheit zurückzuholen.

Idril setzte sich derweilen auf dem Tisch, hinter dem sich ein Fester befand, von dem aus man nur die zahlreichen Blätter dieser majestätischen Bäume erblicken konnte. Dahinter befand sich die schwarze Dunkelheit des äußeren Waldes, denn hier befanden sie sich am Rand der Stadt und selten sah man hier andere Elben, da alles, was sich jenseits der gut bewachten Grenzen befand, von Bösem und Unheil heimgesucht wurde.

Ein Bein ließ sie kraftlos am Tischbein hinabsinken, das andere stellte sie angewinkelt neben sich und band sich dabei ihre langen Haare nach hinten.

Legolas stellte sich direkt vor sie und betrachtete die offene Wunde an ihrem Bein näher. Es war ihm sofort klar, dass er die Wunde nähen musste, denn der Riss, der sich durch ihr Fleisch gezogen hatte, klaffte auf beiden Seiten auseinander und immer wieder sickerte Blut hervor und lief ihr über die weiße Haut. Kurz sah er hinauf, da es ihm unmöglich war, die Wunde zu nähen, wenn Idril das Bein so angewinkelt hielt. Sie jedoch beachtete ihn gar nicht, ließ ihn einfach tun, was er wollte. Es war ihr völlig gleich, ob er das für sie tat oder sie am Ende selbst. Er war noch zu gekränkt, zu überwältigt von so vielen Gefühlen, die er noch gar nicht verarbeiten konnte, dass er dem ersten freien Lauf ließ – Wut. Er packte ihr Bein oberhalb des Knies und drückte es flach auf dem Tisch, sodass er die Wunde besser im Auge hatte. Idril war so überrascht und erschrocken über seine abrupte und raue Handlung, dass sie ihn empört ansah, er sie jedoch ignorierte. Durch den ruckartigen Druck, den er auf ihr Bein ausübte, wurde ihr schmaler Körper etwas nach vorne gezogen, ohne dass sie sich hätte wehren können. Noch immer hatte sie ihren Mund etwas geöffnet, denn als er das tat war sie im Begriff ihn anzuschreien, tat es dennoch nicht. Abschätzend sah sie an, wie er die Nadel zur Hand nahm und schon setzte er zum ersten Stich an. Noch bevor er diesen durch ihre zarte Haut zog, hätte sie denken können, er würde ganz sanft zu ihr sein, ihr nicht weh tun wollen, was er selbst nicht wollte. Doch nachdem er den erste Stich gesetzt hatte, war alles anders. Mit einem unglaublichen Ruck durchzog er ihre Haut. Es waren keine Schmerzen, nicht für Idril, denn sie war ungeheuerliches gewohnt, dennoch zu stark für ein einfaches Nähen. Nachdem er den zweiten Stich noch unsanfter setzte, wollte sie sich schon empören, doch irgendetwas hielt sie zurück. Sie durfte sich schließlich gegen niemanden auflehnen, der rechtlich über ihr stand, zumindest war dies ihre Meinung dazu. Doch nach dem nächsten Stich war es ihr zu viel, es schien, als wolle er sie provozieren, sie immer mehr dazu drängen etwas zu sagen. „Mein Herr.", schrie sie ihm empört entgegen und er sah erschrocken auf sie herab. „Wir sind gleich fertig.", sagte er nur knapp und widmete sich wieder ihre Wunde, doch nun war er so zärtlich dieser Wunde gegenüber, wie sie es zuvor auch erwartet hatte. Hatte er etwa eingesehen, dass er falsch reagiert hatte? Das war wohl die einzig normale Erklärung darauf.

Als er mit der Naht fertig war, verband er diese Wunde und noch weitere, die eine schnelle Heilung nötig hatten. Legolas trat einen Schritt zurück und sah sie auffordernd an. Was er von ihr wollte, wusste er selbst nicht. Es lag einfach an der Tatsache, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Diese Situation war wohl das einzige, womit er nicht gerechnet hatte, doch es war geschehen. Er musste sich irgendwie schnell daran gewöhnen, hatte aber noch keine Lösung für diese aussichtslose Situation und diese unerträgliche Spannung zwischen beiden, die einfach nicht enden wollte.

„Warum seid Ihr hier?", fragte Idril, als sie sich anmutig vom Tisch herabschwang und vor ihm stehen blieb.

„Was denkst du?", entgegnete Legolas ihr abwertend. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie das fragen konnte. Es war so offensichtlich, weshalb er den weiten Weg vom Düsterwald nach Lorien auf sich genommen hatte. Spottete sie über ihn? Er fühlte sich, als wolle sie bewusst sein Herz aufreißen und ihm zeigen, wie dumm er doch war, hierher zu kommen, sich überhaupt Hoffnungen zu machen.

„Ich denke, dass Ihr hier nichts verloren habt." Und damit ging Idril an Legolas vorbei, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie ging direkt in ihr Bad und stellte sich vor dem Spiegel, worin sie Legolas' Werk betrachtete. Sie nahm sich einen feuchten Lappen und wusch jede Spur ihres kostbaren Blutes weg und die Schüssel Wasser neben ihr färbte sich zunehmends rot. Legolas war ihr sofort gefolgt, wollte, dass sie das zu Ende sprach, was sie begonnen hatte. Als er direkt hinter ihr stand und sie aus dem Spiegel heraus anstarrte, fügte sie hinzu: „Geht in Eure Heimat, sucht Euch eine Frau und werdet König!" In seinem Augen blitze Zorn auf, den er schon einmal heute auf sie hatte, den er schon einmal verstecken konnte, übertönen ließ von seinem Verlangen zu dieser Frau. Er näherte sich von hinten ihrem Ohr und hauchte hinein: „Ich habe sie schon gefunden...", wobei er vorsichtig, dennoch fordernd seine Hand auf ihre Hüfte legte. „Dann macht sie glücklich...", erwiderte sie nur abweisend und löste sich von seinem Griff. Mit diesem Worten verließ sie ihn erneut und ging zurück in das Zimmer, in dem sie sich Kleidung aus ihrem Schrank suchte, doch wieder folgte Legolas ihr. Es war ein hin und her. Legolas wusste gar nicht, was er ihr darauf sagen sollte. Sie war die Frau, die er damit meinte, sie war die Frau, mit der er leben wollte und er wusste, dass sie das auch verstand. Was sollte er auch sagen, wenn sie so stur war, wenn sie es nicht einsehen wollte? Hatte es überhaupt einen Zweck ihr zu sagen, dass er damit sie meinte? Sicherlich nicht, denn das wusste sie schon längst.

„Kannst du es bitte unterlassen mich ständig zu betiteln?" Langsam drehte sich Idril zu ihn um, sah ihn prüfend an, antwortete ihn dann aber mit einem überlegenen Lächeln:

„Mein Herr, Ihr seid mein Vorgesetzter, den ich mich zu beugen habe. Entsprechend verhalte ich mich Eurer Majestät auch." Immer mehr Zorn breitete sich in Legolas aus, doch zu Idrils Verwunderung wurde er plötzlich wieder ganz ruhig. Ihm kam alles so absurd vor. Er stand der Frau gegenüber, die er über alles liebte, doch jetzt schon überkam ihn nur noch Wut – wegen ihr? Das konnte unmöglich sein. Ewigkeiten hatte er auf diesen Tag gewartete und nun kam alles anders als er dachte, doch das würde er niemals zulassen.

„Dann befehle ich dir frei zu sprechen." Stille kehrte ein, eine lange unangenehme Pause, in der man nicht einmal die Atemgeräusche hören konnte. Es schien, als suche sie nach einer passenden Antwort, aber sie fand keine. Alles erschien falsch in diesem Moment und sie konnte einfach nicht mehr diese Art durchhalten, weshalb sie den Befehl befolgte. Als ob es ihr auf dem Herzen gelegen hätte, schrie sie ihn an: „Was tust du hier?" Endlich bestand Hoffnung, dass jeder das sagen konnte, was er auch wollte. Es schien, als ob man nun die Aufmerksamkeit erhielt, die man für ein Gespräch, für dieses Gespräch, benötigte, weshalb sich Legolas auch endlich auf diese Frage einließ.

„Ich habe dich gesucht, Idril. Ich dachte, du wärest tot, doch du lebst. Du bist einfach verschwunden, hast dich weder verabschiedet noch ein Zeichen gegeben, dass es dir gut geht. Wir alle haben uns Sorgen um dich gemacht!"

„Was denkst du, wie ich mich hier fühlen soll? Ich komme gerade von einem anstrengenden Auftrag zurück. Schau mich an und du verstehst, warum. Ich habe den nächsten schon vor mir, Galadriel wird ihn mir morgen mitteilen und dann geht alles noch einmal von vorne los. Ich will mich nur auskurieren und ausruhen, doch dann brichst du in mein Haus ein!"

„Du kannst nicht leugnen, was zwischen uns war!"

Idril schüttelte zaghaft den Kopf, sah Legolas aber nicht an. Sie erkannte, dass es ihm ernst war, dass sie ihn verletzt hatte. Vorsichtig kam sie ihm einen Schritt näher. „Legolas, es war ein Auftrag und er ist beendet genauso auch alles zwischen uns."