Teil 3

Es ist noch Angst in mir

Als Idril am nächsten Morgen erwachte, riskierte sie einen Blick zu Legolas, der inzwischen eingeschlafen war. Langsam stützte sie sich auf den Händen ab und schlug die Decke zurück. Vorsichtig verlies sie das Bett und legte die Decke zurück auf ihn, damit er ihr Fehlen nicht bemerkte, was er anscheinend auch nicht tat. Lautlos ging sie zu ihrem Schrank und zog sich an, jedoch nahm sie Waffen und Gürtel nur in die Hand, da es zu laut gewesen wäre, sie im Zimmer anzulegen. Als sie auf die Tür zuging, nahm sie dabei ein Bündel mit Kleidung und anderen wichtigen Dingen von ihrem Tisch, bevor sie jedoch ging, warf sie einen Blick zurück auf den schlafenden Elb und malte sich Szenerien aus, wie er wohl reagieren würde, wenn er bemerkte, dass sie fort war – für immer...

Um sich den Abschied aber nicht unnötig schwer zu machen, verließ sie ihr Zimmer rasch und ging hinab zum Waldboden, wo bereits Calendeloth mit seinem und ihrem Pferd wartete. Doch anstatt sie freudig zu begrüßen, schenkte er ihr einen wütenden Blick.

„Weshalb so leise, wolltest du ihn nicht wecken?", fragte er zornig.

Idril sah ihn nur berechnend an.

„Weshalb beobachtest du uns?", fuhr sie ihn an. Sie war es sehr wohl gewöhnt, dass Calendeloth oft in ihrem Flett auftauchte oder sie nachts beobachtete. Das wurde über lange Zeit ein Brauch von ihm und Idril gewöhnte sich an seine wachsamen Blicke, doch gab es Situationen, in denen sie lieber alleine gewesen wäre.

„Er wird nicht sehr erfreut sein, wenn er aufwacht und du bist weg - vor allem nach der Nacht..."

Idril sah ihren Freund nur wütend an und es zuckte ihr in den Fingern. Am liebsten hätte sie ihn geschlagen, was bei weitem nicht das erste Mal gewesen wäre, aber sie musste sich ruhig verhalten, denn nur einige Meter über ihren Köpfen schlief ein Elb, der durch das geringste Geräusch erwachen könnte.

„Komm.", sagte Idril nur gebieterisch, nahm ihr Pferd bei den Zügeln und ging voraus in Richtung der noch schlafenden Stadt. Es herrschte eine gespannte Stimmung zwischen den beiden. Calendeloth musterte sie den ganzen Weg über nur misstrauisch, während Idril versuchte diese Blicke zu ignorieren, auch wenn sie ihre Defizite am liebsten sofort ausgeglichen hätte – auf ihre Weise. Idril hatte keine Eigenschaften einer typischen Frau, sie vertraute mehr ihrer Kraft und ihren Waffen, als unnötigen Worten. Ein derartiger Trieb führte auch dazu, dass sie die geeignetste Führungsperson ihrer Gruppe war. Selbst Calendeloth stand oft noch unter ihr und er gehorchte auf jedes ihrer Worte. Keiner wollte sich wirklich mit ihr anlegen, denn Idril hatte jahrtausendlange Ausbildungen im Kampf und Kriegswesen hinter sich und hielt Strapazen somit länger aus als manch anderer Soldat.

Ihr Weg führte sie direkt zu dem Mallorn der Herrin Galadriel, in dessen Nähe sich auch die Ställe befanden. Galadriel stand am Fuße der großen Treppe, die hinauf auf diesen gewaltigen Baum führte. Sie trug ein langes weißen Gewand, welches im dämmernden Licht einiger Laternen in einen wunderschönen Schimmer erstrahlte, und lächelte Idril freundlich entgegen. Als Idril vor ihr stand, verneigte sie sich kurz und sah dann auf. Plötzlich näherten sich laute Stimmen und Idril sah sich erfreut um. Sechs Elben kamen vom Stall mit Pferden auf Idril zu und begrüßten sie mit lauten Rufen. Idril ging ihnen entgegen und begrüßte alle ausgiebig. Die Zeit nutzte Galadriel um Calendeloth zu sich zu rufen. Sie gingen einige Schritte von der Gruppe weg und Galadriel begann zu erklären.

„Wenn es so weit ist, Calendeloth, dann übernehme Idrils Ausgabe. Sie wird euch ans Ziel führen, doch lass es sie nicht zu Ende bringen."

Calendeloth sah sie verwirrt an.

„Ich verstehe nicht, Herrin."

„Das wirst du noch früh genug." Dabei deutete sie auf die Gruppe um ihn verständlich zu machen, dass er zurück gehen sollte.

Die Elben gingen noch geschäftig umher und bepackten ihre Pferde mit ausreichend Proviant und anderen Dingen, die sie für eine längere Reise benötigten. Idril stand nur an ihrem Pferd und sah dem Treiben zu. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Calendeloth zu ihr ging. Er stellte sich direkt hinter sie und flüsterte ihr ins Ohr:

„Denk nicht so viel an ihn, wir haben wichtigeres zu tun."

Idril drehte sich nur langsam zu ihm herum.

„Ich denke weniger an ihn als an deine mangelnde Disziplin.". Damit entfernte sie sich von ihm und half den anderen. Galadriel stand währenddessen abseits und beobachtet ihren Schützling nachdenklich.

Einige Zeit später waren alle bereit und setzten sich auf die Rücken ihrer Pferde. Galadriel wollte sich gerade verabschieden, als Idril Hufgeräusche aus der Dunkelheit vernahm, die näher kamen. Sie drehte sich herum und versuchte etwas in den dunklen Wald zu erkennen. Langsam sah man Umrisse eines Reiters auf einem weißen wunderschönen Pferd. Als man den Reiter erkannte, wandte sich Idril mit eine empörten Gesichtsausdruck zu Galadriel.

Es war Legolas, der sich zu den anderen gesellte.

„Meine Herrin, ich denke nicht, dass es angebracht ist, einen Thronfolger mit in unser Unterfangen einzuspannen.", versuchte sie ihre Missfallen zu äußern.

„Legolas wird der Aufgabe nicht im Wege stehen. Er ersuchte mich und bat um Erlaubnis euch begleiten zu dürfen und ich gewährte seine Bitte." Galadriel wusste um Idrils wahre Gründe, ihn nicht mit aufnehmen zu wollen, doch sie erhoffte sich, dass Legolas' Gegenwart Idril gut tun würde, schließlich wusste sie mehr als genug von deren Beziehung.

Idril sah sich zornig nach Legolas um, doch dieser konnte ihren düsteren Blick nur ihr selbst entgegenbringen. Er hatte schon am Vortag gewusst, dass Idril ihn etwas vorspielte, dass sie ihn insgeheim nur loswerden wollte, die letzte Nacht genießen wollte. Er spielte mit. Zum einen für diesen erreichten Überraschungseffekt, der ihm eher bat, Idril auf der Reise zu begleiten, als wenn sie es vorher gewusst hätte. Zum anderen für die gemeinsame Nacht, die sie so, ob gespielt oder echt, gemeinsam verbringen konnten.

Ohne noch große Worte zu wechseln, ritt Idril voran und ihre Gruppe folgte ihr. Legolas war dabei der Letzte, da er weder die Gruppe kannte, noch gerade ein Wort mit Idril wechseln wollte. Ehe es Mittag an diesem Tage wurde, hatte Idril die Gruppe aus dem Wald herausgeführt und nun befanden sie sich auf einer weiten Grasebene östlich des Anduins. Nur hier und da wuchsen einzelne Baumgruppen, wo sich Idril vor allem aufhielt. Je weiter sie gingen, umso mehr näherten sie sich dem großen Fluss und das würde auch die erster Rast für die Reiter bedeuten, die nun schon seit vielen Stunden ohne Pause ausgekommen waren. Gegen Einbruch der Nacht erspähten sie eine kleine Waldfläche, hinter der sich der Fluss befand. Idril war sich dessen sehr sicher, da sie die Länderein sehr gut kannte. Es dauerte noch eine Stunde bis sie diesen Wald erreichten. Zu Legolas' Verwunderung wollte Idril diesen noch in der gleichen Nacht duchqueren. Zu Anfangs wollte er zwar vorschlagen, doch am Waldrand die Rast zu machen und später weiterzureiten, doch da keiner aus der Gruppe gerade begeistert über seine Gegenwart war, hielt er sich lieber mit seiner Meinungsäußerung zurück. Für die meisten war er sowieso nur der verzogene Königssohn, der in seinen jungen Jahren auf die wahnwitzige Idee gekommen ist, für eine Kriegerin zu schwärmen. Die ganze Zeit über bildete er das Ende des Trupps und hatte keinerlei Kontakt zu den anderen, währenddessen dieser sich gut unterhielt. Als sie den besagten Wald durchquerten, hätte er zeitweise beinahe den Anschluss verpasst, doch irgendwie gelang es ihm immer wieder, die kleine Gruppe noch ausfindig zu machen. Nach relativ kurzer Zeit konnte man das leise Fließen des Fusses vernehmen. Der Wald endete abrupt und eine wenige Meter lange Grasfläche führte hinab zu dem Fluss. Dort hielten die Elben an und stiegen von ihrem Pferden ab. Obwohl diese den ganzen Tag mit Reiten verbracht hatten, war keiner von ihnen ermüdet. Kaum hatten sie die Pferde entpackt, gingen die Elben auch schon in den Wald um Feuerholz zu suchen.

Als Legolas von seinem Pferd abstieg, war schon der Großteil der Elben in dem kleinen Wald verschwunden, nur Calendeloth und Idril waren zurückgeblieben. Diese standen eng beieinander und unterhielten sich. Legolas war sich nicht sicher, ob es klug wäre sich dazuzugesellen, da ihm völlig bewusst war, dass seine Gegenwart äußerst unerwünscht war. Er beschloss zunächst das Gepäck von seinem Pferd zu nehmen und dieses ohne Sattel und Zügel frei laufen zu lassen. Da kamen auch schon wieder die anderen Elben hinzu und sorgten für ein kleines Feuer auf einer freien Fläche. Schnell hatten sich alle darum versammelt und begannen zu essen und angeregte Unteraltungen zu führen. Legolas gesellte sich etwas zurückhaltend dazu und setzte sich an eine freie Stelle, während die anderen ziemlich dicht aneinander saßen.

Als er sich setzte, schenkte Idril ihn einen kurzen Blick, begann dann aber gleich ein Gespräch mit Calendeloth. So verging einige Zeit und Legolas konnte nichts weiter tun, als in das Feuer zu starren und nebenher einige Wortfetzen mit auf zu nehmen. Auch wenn Idril äußerst kühl war, sie konnte das nicht mitansehen. Sie hatte noch viel zu starke Gefühle für diesen Mann, als dass sie ihn in dieser gewissen Hilflosigkeit zurücklassen konnte. Wenn sie ihn nur ansah, wollte sie nicht, dass Legolas unter dieser Reise litt, auch wenn es ihr zu wider war, ihn dabei zu haben. Sie seufzte kurz, worauf die anderen Elben still wurden. Legolas war für kurze Zeit in seiner Gedankenwelt gefangen gewesen, doch als es so still um ihn wurde, sah er auf. Idril sah ihn direkt an.

„Ich habe euch alle noch gar nicht vorgestellt." Sie sah sich kurz im kleinen Kreis um und begann dann: „Calendeloth kennst du ja noch. Das ist Meldir.", sagte sie, während sie auf einen dunkelhaarigen Elben neben sich hinwies. Dieser hatte den Tag über sehr viel mit ihr geredet und Legolas war er noch am sympathischten von allen. Dann fuhr sie fort, während sie auf zwei dunkelhaarige Elben hinwies, die sich sehr ähnlich sahen: „Das sind Gelirion und Telion." Auch an diese konnte sich Legolas erinnern. Sie hatten viel miteinander zu tun und schienen die meisten Unterhaltungen in der Gruppe anzuregen. Danach deutete sie auf einen schwarzhaarigen böse dreinschauenden Mann neben Calendeloth: „Belegon". Zu diesem sagte sie weiter nichts und schien auch nicht sehr angetan. Legolas hatte diesen Elb auch nur eher still und zurückhaltend erlebt, er schien wohl über sehr vieles nachzudenken und seine Blicke verrieten auch nicht immer Gutes. „Daneben sitzt Dinendal, unser Jüngster und neben ihm Dimacil", ergänzte sie dann.

„Mich nennst du wieder zumSchluss?", sagte Dimacil gespielt empört und schenkte ihr dabei ein gefährliches Grinsen."

„Du hast es dir rätlich verdient.", entgegnete Idril diesem nur, worauf er antworete:

„Das klären wir heute Nacht,wenn die anderen schlafen..."

Legolas musste sich sehr überwinden, Dimacil darauf nicht mit einem tödlichen Blick zu strafen. Ihm war völlig klar, welche Rolle er in der Gruppe spielte und Idrils Blicke, wenn sie ihn sah, gefielen ihn ganz und gar nicht. Aber was sollte er tun? Er hatte wohl keine Chance mehr bei dieser Frau.

„Und das ist Legolas", sagte sie zu den anderen. Als diese sie darauf fragend anschauten, fügte sie hinzu: „Prinz und Thronfolger des Düsterwaldes."

„Wie kommen wir zu der Ehre?",fragte Gelirion Legolas, worauf er einen Bissen von seinem Lembas nahm. Legolas wollte antworten, doch Dimacil kam ihm zuvor:
"Er will mir wohl meinen Platz streitig machen.", worauf er Idril prüfend ansah. Idril jedoch sah zwischen Legolas, Calendeloth und Dimacil hin und her und grinste darauf.

„Ich lege mich schlafen!", sagte sie dann und erhob sich.

„Ich komme gleich nach.", sagte Dimacil, während er sein Lembas wegpackte, doch darauf drehte sich Idril herum und sah ihn gebieterisch an.

„Alleine." Und damit ging sie zu ihrem Schlafplatz, der außerhalb der der anderen lag. Nur Calendeloth durfte in ihrer Nähe bleiben.

Auch die anderen gingen allmählich und niemand hielt es für nötig Wache zu halten. Legolas blieb dennoch zurück und sah in die schwächer werdende Flamme. Ab und zu sah er hinüber zu dem Platz, wo Idril schlief. Wie gerne wäre er zu ihr gegangen und hätte sich zu ihr gelegt – so wie früher, als sie bei ihm gewohnt hatte. Doch die Zeiten waren vorbei, als lägen hunderte von Jahren dazwischen, doch Fakt war, das es lediglich ein paar Wochen waren. Langsam bezweifelte er, überhaupt etwas auf dieser Reise zu erreichen, außer gegen Idrils kalte Fassade zu stoßen. Er kannte sie nicht, nicht so wie all die anderen. Er konnte lediglich kurz ihre liebevolle Seite kennen lernen, doch was wusste er von ihrer Vergangenheit? Wer waren ihre Eltern oder wie alt war sie überhaupt? Er wusste nicht ein mal, was es mit Calendeloth auf sich hatte, obwohl er diesen fast so lange wie Idril selbst kannte. Es schien so idiotisch von ihm, sich zu verlieben oder zu denken, er sei in eine Frau verliebt, die er eigentlich nicht kannte. Er versuchte den Gedanken, er empfinde nichts für sie, außer eventuelle erotische Anziehungen, freundlicher aussehen zu lassen, was aber noch nicht gelingen konnte. Eigentlich wollte er es auch nicht, denn er fühlte sich wohl – wohl, wenn er bei ihr war und ihe Nähe spüren konnte. Es war viel klüger so lange zu kämpfen, bis wirklich jede Hoffnung fehlschlagen würde.