Kapitel 1
Das Taxi hielt von einem riesigen Fünf-Sterne-Hotel. Jun blickte fasziniert, aber auch ein wenig eingeschüchtert aus dem Fenster des Wagens. Das war es also, das Hotel, in dem sie die nächsten vier Wochen verbringen würde. Das Hotel, in dem fast alle Tournierteilnehmer wohnen würden.
Jun stieg aus dem Wagen und bewunderte weiter die Fassade und den Vorplatz des Luxushotels. Das Hotel war Eigentum der Mishima Corporation, jener Firma, die das Tournament veranstaltete und außerdem im Verdacht stand, geheime Versuche an illegal importierten Tieren durchzuführen. Und genau aus diesem Grund war Jun jetzt hier, um herauszufinden, ob der Verdacht gerechtfertigt war. Ihre Teilnahme am Tournament war nur ein Vorwand, um verdeckt ermitteln zu können.
Mittlerweile war der Fahrer ausgestiegen und half Jun mit ihren Koffern. Kurz nachdem alle Koffer und Taschen aus dem Kofferraum des Taxis genommen waren, erschien auch schon ein Page des Hotels und übernahm das Gepäck.
Jun ließ ihren Blick noch einmal über den Vorplatz des Hotels gleiten, wobei ihr eine bestimmt 10 Meter lange schwarze Limousine ins Auge fiel. Auf der Seitentür war ein großes verziertes M in lateinischer Schrift und daneben in Kanji der Name Mishima. Jun konnte nur den Kopf schütteln; sie konnte sich nicht vorstellen, wie jemand so ein großes Transportmittel bräuchte. Sie wandte sich zurück zu dem Pagen und folgte ihm zur Rezeption.
"Wie kann ich Ihnen helfen?" fragte eine junge hübsche Japanerin, die Jun dort begrüßte.
"Mein Name ist Kazama Jun. Ich nehme am 'King of Iron Fist' teil", sagte sie.
Die junge Frau tippte schnell auf der Tastatur des Computerterminals, las dann einige Sekunden in Stille und wandte sich dann wieder Jun zu.
"Miss Kazama, wir haben Zimmer 512 für sie reserviert."
Sie überreichte Jun eine Zimmerkarte.
"Nehmen Sie einen der Aufzüge am Ende der Halle. Ihr Zimmer ist auf der fünften Etage, im rechten Flügel. Sie benötigen diese Karte sowohl für Ihr Zimmer, als auch für den Aufzug. Ziehen Sie die Karte einfach durch den Kartenleser im Lift und er fährt automatisch auf die gewünschte Etage. Ihr Gepäck wird auf Ihr Zimmer gebracht. Angenehmen Aufenthalt."
Jun verbeugte sich und machte sich dann auf, in Richtung der Aufzüge. Unterwegs kam sie an einer Gruppe von Leuten, des Aussehens nach ebenfalls Tournament Teilnehmer, vorbei, die sich auf amerikanisch unterhielten. Juns Blick fiel dabei vor allem auf einen großen, blonden Mann in einer roten Lederjacke. Sie fühlte sich plötzlich etwas fehl am Platz. Obwohl sie in Tokyo war, schien es, als würden plötzlich alle eine andere Sprache sprechen. Und obwohl Jun mit ihren 1.70m schon recht groß war, fühlte sie sich plötzlich furchtbar klein.
Sie eilte weiter und zum Aufzug, ohne darauf zu achten, ob vielleicht noch andere Leute dorthin unterwegs waren. Und schon war es passiert. Mit voller Wucht prallte Jun in einen Mann mit langen dunklen Haaren. Dieser hatte zuerst einen sehr ärgerlichen Gesichtsausdruck. Als er allerdings Jun erblickte, hellte sich seine Mine auf und er lächelte.
Jun war erst etwas erschrocken, aber die Tatsache, dass ihr Gegenüber kaum größer war und noch dazu lächelte, beruhigte sie ein wenig. Sie entschuldigte sich rasch.
"Es tut mir wirklich leid. Ich bin heute scheinbar mit dem falschen Fuß aufgestanden."
"Alles halb so wild", entgegnete der Mann. "Aber wo wir uns schon so nahe gekommen sind, sollte ich mich wohl vorstellen. Mein Name ist Lei Wulong."
"Kazama Jun", entgegnete sie. "Sie sind nicht von hier, oder? Oh Verzeihung, das war jetzt unhöflich von mir."
"Nein, nein. Sie haben Recht. Ich bin aus Hong Kong und ich gebe zu, mein Japanisch ist nicht sonderlich gut", sagte er grinsend.
"Sind sie auch wegen des Tournaments hier?" fragte Jun dann.
"Ja, aber wieso auch? Sagen Sie nicht, dass solch ein zartes Geschöpf, wie sie…"
"Ich mag vielleicht nicht besonders kräftig aussehen…" begann Jun verärgert.
"Verzeihen Sie mir, das klang wohl nicht so, wie es gemeint war."
"Und wenn ich mir die Frechheit im Gegenzug erlauben darf, scheinen Sie auf den ersten Blick auch nicht hier hinein zu passen."
"Das gehört alles zu meiner Tarnung", erwiderte er grinsend.
"Ich werde es niemandem erzählen, wenn sie niemandem verraten, dass ich mich auch nur tarne."
"Das verspreche ich. Aber jetzt lasse ich Sie erstmal auf Ihr Zimmer, Misses Kazama."
"Miss Kazama", korrigierte sie ihn, bevor sie bemerkte, was er eigentlich bezwecken wollte.
"Wir sehen uns dann spätestens auf der Eröffnungsparty heute Abend."
Jun verabschiedete sich von Lei und begab sich in den Lift. Sie zog ihre Zimmerkarte durch den Schlitz und wie versprochen leuchtete die Nummer ihrer Etage auf. Jun holte einmal tief Luft. Jetzt würde sie sich erstmal eine Stunde hinlegen und dann entscheiden, was sie heute Abend anziehen würde. Sie war schon sehr gespannt auf den heutigen Abend. Sie würde die anderen Tournament Teilnehmer kennen lernen und sie würde endlich den Mann sehen, den alle als so skrupellos und hinterhältig bezeichneten, den Chef der Mishima Corporation, Kazuya Mishima. Sie hatte ihn bisher noch nicht zu Gesicht bekommen, nicht einmal auf Bildern. Sie kannte lediglich seinen Vater Heihachi und fragte sich, ob die beiden wohl Ähnlichkeiten hatten. Das Bild, das sie sich von Heihachi gemacht hatte, nachdem Sie sein Foto gesehen und einiges über ihn in Erfahrung gebracht hatte, war nicht besonders gut, und es hieß, dass Kazuya seinen Vater an Grausamkeit noch überträfe.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sich die Lifttür öffnete. Sie hatte den fünften Stock erreicht. Langsam trat Jun auf den Gang hinaus und sah sich um. Sie konnte Zimmer 525 erspähen. Jun zog ihre Zimmerkarte aus der Tasche und sah sie sich an - Nummer 512. Dann erinnerte sie sich, was die Dame an der Rezeption gesagt hatte - rechter Flügel. Also machte sie sich auf den Weg.
Gerade als Jun ihr Zimmer gefunden hatte, kam eine junge Amerikanerin, fröhlich pfeifend, den Gang herunter auf sie zu. Die junge Frau schien indianischer Abstammung zu sein. Sie trug ein Badetuch unter dem Arm und hatte feuchte Haare.
Sie grüßte Jun freundlich. Dann schwieg sie kurz, scheinbar auf der Suche nach den richtigen japanischen Worten und fragte dann ob Jun auch am Tournament teilnehmen würde. Diese nickte.
"Mein Name ist Kazama Jun", stellte sie sich vor.
"Michelle Chang", antwortete die andere Frau.
"Chang?" fragte Jun verdutzt.
"Mein Vater war asiatischer Abstammung." Michelles Mine verdunkelte sich sichtlich. "Wegen ihm bin ich auch hier. Die Mishima Corporation hat ihn auf dem Gewissen. Es ist mir relativ egal, ob Heihachi oder dieser Bastard Kazuya dafür verantwortlich ist, einer wird dafür bezahlen. "
Jun nickte nur. Der Gedanke an blinde Rache gefiel Ihr zwar gar nicht, aber sie verstand den Ärger der jungen Amerikanerin. Was musste geschehen sein, um eine so nette junge Frau, so zu verärgern. Michelles Ärger verflog langsam.
"Und was bringt Dich hier her?" frage sie Jun dann.
Diese hatte die Frage fast befürchtet. Sie konnte nichts sagen, damit ihre Deckung nicht aufflog.
"Ähnliche, persönliche Gründe", antwortete sie einfach.
"Okay, ich verstehe. Und ich frage auch nicht nach, wenn es etwas ist, über das Du nicht reden möchtest."
Jun nickte dankend.
"So, jetzt werde ich mir erstmal die Haare fönen. Und Du willst sicher endlich auf Dein Zimmer. Bekomm keinen Schock, die Zimmer sind riesig. Okay, wenn Du reden oder etwas unternehmen möchtest, dann klopf einfach", sagte Michelle und öffnete die Tür zu Zimmer 511, direkt gegenüber von Juns Zimmer.
