Kapitel 4
Die meisten Teilnehmer wandten sich nun ihren jeweiligen Tischen zu. Juns Blick verweilte etwas länger noch auf der Frau. Sie trat vom Mikrophon zurück und ging dann auf Kazuya zu, mit welchem sie ein paar Worte wechselte. Dieser ging dann als erster zu seinem Tisch. Natsumi und Chaolan folgten ihm und sofort kümmerte sich einer der Kellner um sie.
An Jun's Tisch begannen die Gespräche. Paul Phoenix machte kein Geheimnis daraus, was er dachte.
"Der Herr ist sich also zu fein Fragen zu beantworten. Er steht für Fragen nicht zur Verfügung. Steht er wenigstens für Schläge zur Verfügung? Oder lässt er das auch seine Sekretärin machen? Arschloch."
"Paul brennt auf ein Rematch", flüsterte Michelle zu Jun.
Lei beugte sich zu den Damen herüber.
"Ich werde dann jetzt zum Buffet gehen. Soll ich etwas mitbringen?"
"Wir kommen mit", meinte Michelle bevor Jun überhaupt reagieren konnte.
Im Grunde war sie schon dankbar darüber, dass sie den Tisch verlassen konnte und nicht weiter Pauls Geschimpfe anhören musste, also erhob sie sich und folgte den anderen beiden.
"Ich hoffe es gibt auch gebratene Nudeln, wenn es was Chinesisches gibt, dann gebratene Nudeln. Ich habe so einen Hunger auf gebratene Nudeln. Sagt mir Bescheid, wenn Ihr welche findet", verkündete Lei. Dann nahm er sich einen Teller. "Ich gehe erstmal nach rechts."
"Ok, dann gehe ich nach links", sagte Jun.
"Kann ich Dich alleine lassen?" fragte Michelle. "Ich habe dort etwas gesehen, was ich möchte."
"Ok, wir sehen uns dann am Tisch."
Jun und Michelle nahmen sich auch einen Teller und verschwanden in entgegengesetzte Richtungen.
Jun ging langsam die Reihe entlang. Vor ihr schlichen weitere Kämpfer am Buffet vorbei und nahmen sich hier und dort etwas, so dass Geduld angesagt war. Jun nahm sich etwas Sushi. Die ganzen internationalen Gerichte sahen zwar sehr verlockend aus, aber sie wollte ihrem Magen nicht zu viel zumuten, vor allem jetzt so kurz vor dem Tournament. Als nächstes kam sie an ein Tablett mit gebratenen Nudeln. Sie musste sofort an Lei denken, der danach gefragt hatte. Schwungvoll drehte sie sich um, um zu sehen, wo Lei war. Sie hatte dabei nicht an ihren Teller gedacht und konnte gerade noch ihr Sushi davon abhalten dem Mann hinter ihr aufs Hemd zu springen. Jun erstarrte, als sie den Mann hinter ihr erkannte. Kazuya Mishima hatte vorne am Pult schon groß gewirkt, aber jetzt, da er genau vor ihr stand, schien er noch größer. Er sah Jun mit durchdringendem Blick an, so dass sie nervös wurde und beschämt zu Boden sah.
"Es tut mir Leid, Mishima-sama", stammelte sie.
"Es ist ja nichts passiert, Miss…"
"Kazama."
"… Miss Kazama."
Seine tiefe Stimme ließ sie erzittern, aber der Ton in dem er sprach war freundlich. Jun wusste nicht, was sie sagen sollte, ob sie überhaupt was sagen sollte, also blieb sie still.
"Sie sind neu dabei", bemerkte er mit Interesse, wodurch er Jun leicht beunruhigte. Ihr war es gar nicht wohl dabei seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, schließlich gab es nur einen wirklichen Grund, warum sie hier war, wegen ihm. Und sie fürchtete, dass das offensichtlich war, wenn man sie mit den anderen Topfightern verglich. Früher oder später würde sie auch noch geschäftlich mit ihm sprechen müssen und spätestens dann würde es ganz klar werden. Aber erst einmal wollte sie etwas unbemerkter bleiben, so tun, als gäbe es andere Gründe für ihre Anwesenheit hier. Geld war immer ein guter Grund, und Geld bot dieses Tournier genug.
Als Antwort auf seine Frage nickte Jun nur freundlich.
"Sie dürfen ruhig sprechen", fuhr er fort. "Ich beiße, entgegen aller Gerüchte, nicht."
Diese Aussage war eindeutig als Scherz gemeint, also grinste Jun. Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war, sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Aber seine Gegenwart verunsicherte sie.
"Es war nett sie kennen zu lernen, Miss Kazama." Damit verabschiedete er sich und ging zurück zu seinem Tisch. Jun sah ihm kurz hinterher und begab sich dann zu ihrem eigenen Tisch zurück.
"Was wollte er von Dir?" frage Michelle, als Jun zu sich hinsetzte. Jun sah zurück zum Buffet und dann hinter Kazuya Mishima hinterher. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie dort so beobachtet werden konnte. Sie wandte sich wieder Michelle zu.
"Kazuya Mishima? Nichts. Ich hätte ihm nur fast meinen Tellerinhalt über das Hemd gekippt. Das war vielleicht peinlich."
Sie bemerkte Michelles misstrauischen Blick
"Ich habe nur mit ihm gesprochen. Irgendwann muss ich ihn ja kennen lernen… Ich habe übrigens gebratene Nudel gefunden."
"Und? Was hat er gesagt?" fuhr Michelle unermüdlich fort.
"Nicht viel."
Lei Wulong kehrte zum Tisch zurück. Er stellte seinen Teller ab und Jun erkannte, dass er die gebratenen Nudeln schon selber gefunden hatte.
"Über wen wird denn hier gerade gelästert?"
"Über niemanden…" sagte Jun im selben Moment wie Michelle antwortete.
"Kazuya Mishima."
Jun fühlte sich plötzlich reichlich dumm. Warum hatte sie 'niemand' gesagt? Das musste ja einen komischen Eindruck machen. Was sollte Lei wohl denken, wenn sie mit Michelle über einen anderen Mann sprach und dann so tät, als wäre dem nicht so? Hätte sie doch bloß auch offen die Wahrheit gesagt. Es wäre nichts daran verdächtig gewesen, bis sie so reagiert hatte. Schließlich frage sich Jun, warum sie sich überhaupt diese Gedanken machte. Sie war scheinbar auch die einzige, die sich solche Gedanken machte, wie man an den Gesichtern von Michelle und Lei erkennen konnte. Die beiden fanden es wohl eher erheiternd, dass Jun Kazuya als 'niemanden' bezeichnet hatte, wo es ihm ja angeblich so wichtig war 'jemand' zu sein.
Jun ließ ihren Blick zu dem Haupttisch hinüber wandern. Dort schien man sich köstlich über ein paar Stories zu amüsieren, die Lee Chaolan zum Besten gab. Es saß zwischen Natsumi und der irischen Blondine namens Nina. Kazuya Mishima saß auf der anderen Seite seiner Sekretärin und neben ihm die rothaarige Anna. Er schien als nächstes etwas zu sagen und die beiden Damen neben ihm sahen ihn mit etwas das für Jun wie Bewunderung aussah an. Bei Natsumi war zwar eine gewisse professionelle Distanz zu erkennen, aber die Bewunderung war eindeutig da. Kazuya machte den Eindruck eines Rockstars, umgeben von Groupies und Leuten, die ihn anhimmelten. Und am erschreckensten für Jun war, dass sie es nachvollziehen konnte. Sie ließ den Gedanken aber sofort fallen, sie hatte das Gefühl, dass das nicht ihre Welt war.
Jun wandte sich zurück zu Lei und Michelle, die beide mit ihrem Essen beschäftigt waren.
"Naja, man kann nicht klagen. Das Essen ist hervorragend, die Unterkunft ist nobel, nur das Tournament könnte noch hässlich werden…" gab Lei von sich.
"Das war beim ersten Mal schon so", antwortete Michelle. "Da war es aber kein Hotel, sondern Heihachi hatte uns privat bei sich untergebracht. Es war etwas kleiner und 'familiärer'. Schlecht behandelt wird man hier eigentlich nur beim Kampf selber, und die medizinische Versorgung im Falle einer Verletzung ist erstklassig."
"Warum wohnen wohl jetzt alle im Hotel?" fragte Lei.
"Vielleicht hätten sie so viele Leute nicht unterbringen können", warf Jun ein.
Michelle schüttelte den Kopf. "Das glaube ich eigentlich nicht. Nach allem was ich beim ersten Tournier gesehen habe, wäre das auch dieses Mal locker möglich gewesen."
"Kazuya hat etwas zu verbergen", bemerkte Lei.
"Das mag sein, aber hatte das Heihachi nicht auch schon?"
"Kazuya legt mehr wert auf seine Privatsphäre. Und er hat ganz sicher etwas zu verbergen. Man kann ihm nur absolut nichts nachweisen. Sämtliche Mishima Zaibatsu Geschäftsräume, die Forschungseinrichtungen, sogar seine Villa sind schon durchsucht worden. Alles was uns das gebracht hat ist eine heftige Klage."
Jun war überrascht, wie offen Michelle und Lei über all dies sprachen, wo überall Kazuyas Spione lauern konnten. Und Lei erzählte immer weiter.
"Nach außen hin hat er eine weiße Weste, intern ist die wohl so rot, wie die Haare seiner weiblichen Begleitung."
Die zwei Frauen blickten sofort zu dem anderen Tisch herüber und zu Anna Williams. Neugierig sahen sie dann wieder zu Lei.
"Anna Williams, Auftragskillerin, genau wie ihre Schwester Nina, die Blondine." Diesmal sah nur Jun zum Tisch. Michelle kannte Nina schon sehr gut vom ersten Tournier.
"Angeblich beschützt Anna ihn vor ihrer Schwester. Als ob er das nötig hätte. Ihn Wahrheit erfüllt Anna wohl einen ganz anderen Zweck."
Jun wusste nicht, ob er damit auf sexuelle Dinge anspielte, aber Michelles Reaktion bestätigte diese Vermutung.
"Wahrscheinlich. Er hält nicht viel von der japanischen Zurückhaltung was diese Dinge angeht."
"Woher weißt Du das denn?" fragte Lei entsetzt.
"So meinte ich das jetzt nicht. Ich meinte nur… man hört ja so Dinge. Er macht da kein Geheimnis draus. Vergiss nicht, ich habe schon beim ersten Tournament ein paar Dinge mitbekommen."
In der Gesprächspause, die entstand, stand Paul Phoenix auf und verkündete lautstark, dass er nun gehen würde. Marshall Law folge ihm und die beiden verschwanden in der Menge. Lei sah ihnen nach. Die drei waren nun alleine an ihrem Tisch. Baek sah seine Chance gekommen und wechselte seinen Tisch, um neben Michelle sitzen zu können. Lei hatte dies noch nicht bemerkt, als er seine Frage startete.
"Was hat es jetzt eigentlich mit diesem Paul auf sich?"
Michelle wusste nicht, ob sie darauf antworten sollte, mit Baek in der Nähe, aber scheinbar wusste dieser selber Bescheid und er hatte nichts gegen ein paar Gespräche über die Mitstreiter einzuwenden. Er übernahm sofort das Wort.
"Paul Phoenix hatte im ersten Tournier einen Kampf gegen Mr. Mishima. Sie haben bestimmt an die zwei Stunden gekämpft."
Er sah zu Michelle und diese nickte bestätigend.
"Beide waren schon sehr erschöpft, aber niemand wollte aufgeben. Egal mit was der eine den anderen nieder steckte, er stand wieder auf. Ein Unentschieden gibt es hier aber nicht, also musste jemand gewinnen. Kazuya wurde nach Punkten zum Sieger erklärt."
"Und das hat Paul natürlich nicht gefallen. Er hat sich betrogen gefühlt", fügte Michelle hinzu. "Er meinte, dass Kazuya nur weiter gekommen wäre, weil er Heihachi's Sohn wäre."
"Das ist lächerlich, die zwei konnten sich nicht leiden", warf Baek ein.
"Ich weiß das. Kazuya hat eindeutig den besseren Kampf geführt, aber wie macht man das dem Verlierer klar? Jedenfalls hält Paul sich für den wahren King of Iron Fist."
"Dann haben sie ja jetzt die Chance das auszugleichen", bemerkte Jun.
"Na hoffentlich, dann hört das endlich auf. Es ist erst der erste Abend, aber noch ein paar Mal die Klagen von Paul und ich bin bereit zu morden."
"Na, das will ich überhört haben", meinte Lei.
Baek grinste. "Ich verstehe aber, was sie meint."
Die vier wurden unterbrochen, als der Sumoringer Ganryu sich, zu Michelles Entsetzen, dazu gestellte. Sie fühlte sich plötzlich sichtlich unwohl, da er die ganze Zeit zu ihr starrte. Baek schien das nicht weiter zu stören.
Michelle beugte sich flüsternd zu Jun.
"Kann ich Dich mal für einen Moment alleine lassen? Den ertrage ich nicht ohne einen guten Drink."
Jun nickte. Daraufhin entschuldigte Michelle sich und verließ den Tisch. Die drei Männer waren währenddessen zum Thema zurückgekehrt und unterhielten sich nun über Fähigkeiten der anderen Kämpfer. Jun tat so, als hörte sie interessiert zu, ihr Blick folgte aber Michelle zur Cocktail Bar. Sie sah, wie die junge Amerikanerin dort auf Lee Chaolan traf, und sich mit diesem unterhielt. Jun fiel auf, dass die beiden ein wenig flirteten. Sie fragte sich, was wohl mit Baek wäre, ob er plötzlich uninteressant war. Ihr Blick wandte sich den Männern zu, die immer noch angeregt diskutierten und nichts von den Geschehnissen an der Bar mitbekamen. Als Jun sich zurück wandte, verabschiedete Lee sich gerade und Michelle drehte sich dem Barkeeper zu. Jun sah Lee hinterher, als er zu seinem Tisch zurückkehrte. Dabei traf ihr Blick den von Kazuya Mishima und sofort sah die woanders hin. Sie wandte sich zurück zu ihrem Tisch und Michelle war inzwischen ebenfalls zurück.
Michelle hatte scheinbar bemerkt, dass Jun Lee hinterher gesehen hatte.
"Er sieht nicht nur gut aus, er ist auch charmant", schwärmte sie. Sie sah Juns leicht entsetzten Blick und fuhr fort. "Etwas flirten kann nicht schaden, vielleicht finde ich so auch noch schneller heraus, was mit meiner Mutter passiert ist."
