Kapitel 3
Ganz plötzlich war es vorbei. Es war dunkel und es dauerte eine Weile bis Iris merkte, dass es daran lag, dass sie ihre Augen noch immer geschlossen hatte.
Als sie sie öffnete war das erste, was sie sah etwas Weißes. Schnee. Schnee im Sommer? Aber Moment mal. Es war auch nicht mehr warm. Nein, sie fror und ihr Atem kondensierte in der Luft. Was war passiert? Wie konnte es auf einmal einen solchen Wetterumschwung gegeben haben? Wieso war jetzt Winter?
Iris bekam keine weiter Zeit zu weiteren Nachdenken, denn das Nächste, was ihr ins Blickfeld sprang, raubte ihr den Atem. Sie hatte noch nie so etwas gesehen und sein Aussehen weckte in ihr den Wunsch, es auch nicht wieder zu tun. Es hatte eine menschenähnliche Gestalt mit zwei Beinen und Armen, aber das war das einzige nicht Furchteinflößende an ihm. Seine schwarze Haut, die Schlitzaugen, die zottigen Haare und vor allem die gelben, spitzen Zähne, von denen der Speichel tropfte, ließen keinen Zweifel daran, dass es wohl das Klügste wäre, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
Und als diese Etwas auch noch in Schwert hob, die Zähne fletschte und Iris seine stinkenden Atem roch, wollte sie genau dies tun, aber sie war vor Angst wie gelähmt, stand einfach nur da und starrte. Der will mich frühstücken. schoss es ihr durch den Kopf und es wäre wohl ihr letzter Gedanke gewesen, wenn nicht ein Pfeil an ihren Kopf vorbei gezischt wäre und sich in den Hals des Untieres gebohrt hätte. Ein Schwall von schwarzen Blut ergoss sich aus der Wunde und aus Mund und Nase des schwarzen Dings, das tödlich getroffen vor ihr zusammensackte.
Jetzt erst bemerkte Iris, dass sie mitten in eine Schlacht hineingeraten war. Überall um sie herum kämpften Menschen zu Pferde und zu Fuß gegen diese Ungeheuer und der Boden war bedeckt von Leichen und Blut, das den Schnee stellenweise in eine rote Matsche verwandelte. Neben ihr lag die Leiche eines Mannes mit weit aufgerissenen Augen, dessen Schädel von einer Axt regelrecht gespalten worden war. Grauen erfasste sie und endlich erwachte sie aus ihrer Erstarrung und lief kopflos davon.
Sie achtete nicht darauf, was um sie herum passierte, schaute nicht auf, sondern lief einfach nur. Nur weg, weg, weg, so schnell wie möglich. Wie lange und wie weit sie rannte bemerkte sie nicht, aber plötzlich wurden die Kampf- und Todesschreie immer leiser und sie bemerkte, dass sie das Schlachtgetümmel hinter sich gelassen hatte.
Sie hielt keuchend an und rang verzweifelt nach Atem. Sie war am Ende, keinen Schritt hätte sie mehr tun können. Obwohl sie das Schlachtfeld verlassen hatte, lagen selbst hier noch Tote, wenn auch nicht so viele wie mitten im Getümmel.
Vor sich erblickte sie einen Gefallenen in prächtiger Rüstung, der mit dem Gesicht im Gras lag. Sein Pferd, das unverletzt zu sein schien, stand noch immer neben ihn, fast so als würde es eine Totenwache halten wollen. Iris sah die Möglichkeit, die sich ihr hier auftat und fasste einen Entschluss. Es widerstrebte ihr eine Leiche zu fleddern, denn das, was sie vorhatte, war im Grunde ja nichts anderes als eine Leiche zu beklauen. Aber es war nun einmal die schnellste Möglichkeit ihren übermächtigen Wunsch von hier zu verschwinden in die Tat umzusetzen.
Sie trat an das Pferd heran, fasste es am Zügel und stieg auf. Das Pferd ließ alles mit sich geschehen und gehorchte auch, als Iris ihm den Befehl zum Angaloppieren gab. Das Tier schoss in einem Wahnsinnstempo davon, wofür Iris ihm äußerst dankbar war. Durch das vertraute wiegende Gefühl des Galopps und die zunehmende Entfernung zu diesem Gemetzel fielen die Furcht und das Grauen Stück für Stück von ihr ab.
Aber gerade als sie glaubte endlich in Sicherheit zu sein, spürte sie einen Luftzug und in derselben Sekunde einen stechenden Schmerz in der Schulter, der sie regelrecht vom Pferd riss. Sie sah den Boden auf sich zukommen und dann versank die Welt in Dunkelheit.
Jemand schüttelte sie und als sie die Augen öffnete sah sie in das Gesicht eines Mannes mit feinen Gesichtszügen und langem, blondem Haar. Er sah erschöpft aus und eine Schnittwunde zog sich über seine linke Wange. Er hatte seltsam spitze Ohren, aber Iris achtete nicht weiter darauf, denn der Mann fing in einer fremden Sprache zu sprechen an. Iris gab sich alle Mühe ihn zu verstehen, aber bei dem vergeblichen Versuch den Sinn der Worte zu erfassen, bekam sie nur bohrende Kopf-schmerzen. Lass mich doch in Ruhe, lasst mich doch einfach alle in Ruhe. dachte sie und ließ sich wieder in die Bewusstlosigkeit zurückfallen.
