Kapitel 5


Als sie erwachte stellte sie mit Bedauern fest, dass das Ganze kein Alptraum gewesen war. So war sich auch nicht so sicher, ob sie sich freuen sollte, dass sie noch zu leben schien. Sie schaute an eine blendend weiße Decke, woraus sie messerscharf schloss, dass sie lag. Wenigstens ihr Gehirn schien zu funktionieren. Iris war sich nicht sicher, ob man das auch von ihrer Schulter behaupten konnte. Sie brannte wie Feuer und als sie versuchte sich aufzurichten, fühlte es sich an, als ob sie jemand mit tausenden kleinen Nadeln malträtierte.


Doch endlich saß sie und auch der Schmerz hörte sofort auf. Sie schaute sich um: Der Raum, in dem sie sich befand schien eine Art Krankenzimmer zu sein. Um sie herum waren viele Verwundete, die auf Betten lagen, und von leise umherhuschenden Frauen versorgt wurden.


Eine von ihnen bemerkte, dass Iris aufgewacht war und näherte sich ihr. Sie hatte ein rundes, freundliches Gesicht und auch eine warme Stimme, mit der sie auf Iris einredete. Das Problem war nur, dass sie wieder nichts von dem verstand, was die Frau sagte. Sie musste wohl sehr verwirrt geschaut haben, denn plötzlich unterbrach die Frau ihren Redeschwall.


Iris dachte sich, dass es wohl das Beste wäre, wenn sie jetzt einfach mal anfing zu reden: Tut mit leid, ich verstehe, kein Wort von dem, was Sie sagen.


Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Versuch etwas bringen würde, aber die Miene der Frau hellte sich auf und als sie erneut zum Reden ansetzte, stellte Iris erleichtert fest, dass sie die Krankenschwester, oder wie man sie sonst bezeichnen sollte, jetzt leicht verstehen konnte: Geht es dir besser? Du wurdest von einem Pfeil getroffen und wir haben die Wunde versorgt. Es ist nicht schlimm und ein, zwei Tagen wirst du nichts mehr davon merken.


Wie schlimm ihre Verletzung war, war Iris im Moment eigentlich so ziemlich egal. Viel wichtiger war ihr etwas anderes: Wo bin ich hier?

Das weißt du nicht? Du bist im Haus der Heiler.

Aha. Dann ist mir ja alles klar.


Iris ließ sich resigniert wieder in die Kissen zurückfallen. Die Frau tat gerade so, als wären damit alles erklärt, aber diese Antwort brachte Iris auch nicht viel weiter. Dass es sich bei dem Haus der Heiler um eine Krankenhaus oder Lazarett handelte war ja offensichtlich. Aber wenn sie herausfinden wollte, wie sie sich ein dem einem Augenblick noch in einem Wald im Sommer und im nächsten Moment mitten in einer Schlacht, und dann auch noch im Winter wiederfinden konnte, konnte sie wohl keine schnellen Antworten erwarten.


Es sah aber auch nicht so aus, als würde sie diejenige,sein die Fragen stellen würde. Die Frau rückte einen Schemel neben Iriss Bett und setzte sich darauf. Ich bin Heilerin Enna.. Dann sagte sie nichts mehr und eine peinliche Stille entstand bis Iris bemerkte, dass Enna erwartete, dass sie sich ebenfalls vorstellte.


Mein Name ist Iris und bis vor ein paar Stunden, Tagen oder was weiß ich wie lange ich schon hier liege, war ich noch Schülerin und habe in einem hübschen kleinen Dorf gewohnt, da wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, wie man so schön sagt. Und dann bin ich plötzlich mitten in einem Gemetzel, sehe tausende von Leichen, werde im nächsten Augenblick von einem Pfeil angeschossen...


Iris stockte. Es hätte wohl genügt, wenn sie nur ihren Namen gesagt hätte und mit ihrem aggressiven Tonfall nicht noch ihren Wut und ihre Verwirrung darüber, dass sie keine Ahnung hatte, was gier vorging, an Enna ausließe. Sie konnte schließlich nichts dafür und eigentlich sollte sie dankbar sein, dass sie sich um sie gekümmert hatte. Sonst würde sie vielleicht immer noch da draußen zwischen den Einzelteilen von Menschen liegen.


Enna schien ihren Ausbruch aber gar nicht weiter beachten zu wollen, doch einen leichten Ausdruck von Verwirrung konnte sie nicht aus ihrem Gesicht verbannen.

Hm, du heißt also Iris. Ein ungewöhnlicher Name. Ich kenne kein Land, in dem er gebräuchlich ist.


Sie schaute Iris durchdringend an. Irgendwie scheint alles an dir... merkwürdig zu sein.

Iris war ob dieser Bemerkung verwirrt. Sie wusste nicht so recht, was sie von ihr halten sollte. War das als Beleidigung gemeint gewesen oder als wie? Wieso merkwürdig?

Nun ja. Die Heilerin deutete auf Iris' Beine, die noch immer in ihren mittlerweile sehr zerissenen Jeans steckten. Die Hose zum Beispiel. Keine Frau trägt hier Hosen. Diese Aussage erschreckte Iris ein wenig. Die Vorstellung vielleicht irgendwo hin zu geraten zu sein, wo es keine Emanzipation gab oder wo die Frau weniger wert war als der Mann, gefiel ihr gar nicht.


, fuhr Enna fort, sprichst du nur die Gemeinsprache und ist es auch etwas merkwürdig, wenn man auf einem Schlachtfeld ein junges Mädchen findet, das da absolut nichts zu suchen hat und das niemand kennt. Und es wird dann auch immer merkwürdiger, wenn keiner eine Ahnung hat wie es dahin gekommen ist oder wo es herkommt. Ennas Stimme hatte mit den letzten Worten etwas an Schärfe zugenommen und Iris fühlte sich zunehmend unbehaglich. Ihr wurde klar, dass sie hier keine Antworten bekommen würde. Im Gegenteil: Man erwartete welche von ihr.


, begann sie ich.. ich... Warum zum Teufel fühlte sie sich nur wie ein ertapptes Schul-mädchen? Glauben Sie mir: Ich wollte da gar nicht hin und ich würde auch gerne wissen, wie es trotzdem passiert ist. Und um auf die Frage einzugehen, wo ich herkomme; ich glaube, das würden Sie genauso wenig verstehen, wie ich nicht weiß, was zum Beispiel das Haus der Heiler ist.


Enna fing an auf ihrem Stuhl unruhig hin und her zu rutschten. Also langsam wird mir das fast sogar unheimlich. murmelte sie und Iris lachte leise ein kleines, bitteres Lachen, obwohl ihr nun wirklich nicht zum Lachen zumute war. Genau das finde ich auch. Das bringt nämlich genau auf den Punkt, wie ich mich fühle.


Die Heilerin stand plötzlich mit einem Ruck auf. Ich glaube ich sollte jemanden zu dir schicken, der mehr Ahnung von... solchen Dingen hat. Ich tue es jedenfalls nicht. Sie schien es plötzlich sehr eilig zu haben. Schlaf ein wenig. Morgen sehe ich wieder nach dir. Und mit diesen Worten entfernte sie sich hastig und tauchte in der Menge der anderen Heiler unter.


Iris seufzte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Enna ihr Versprechen nicht halten würde und dass das eben ein einmaliges Gespräch gewesen war.