Kapitel 12
Der nächste Morgen präsentierte sich so mit strahlendem Sonnenschein und ausgelassenen Vogelgezwitscher, dass nichts erahnen ließ, dass ein weiterer, noch schrecklicherer Krieg schon wie eine drohenden Gewitterwolke über dem Land hing. Das pure Leben hing fast greifbar in der Luft, was unmißverständlich zeigte, dass der Frühling nun unaufhaltbar in Weran Einzug hielt.
Im Hof des Palastes herrschte hektisches Treiben: Stallknechte, Mägde und anderer Bedienstete wuselten umher, brachten Proviant und Gepäck, das sie dann auf vier nervös umher tänzelnde Pferde verfrachteten, während Legolas alle samt am Zügel hielt und sie zu beruhigen versuchte. Gandalf war damit beschäftigt die Pferde wieder zu entladen, den Mägden und Stallburschen immer und immer wieder Wir brauchen nichts mehr. Nur leichtes Gepäck! hinter her zu schreien, was aber zu nichts führte.
Es war ein absolutes Chaos und Gandalf schon lange nicht mehr Herr der Lage, was aber angesichts der Tatsache, dass Tarek noch nicht aufgetaucht und auch Baras verschwunden, oder besser gesagt wieder verschwunden war, nicht weiter verwunderte. Tareks Onkel hatte sich nur kurz einmal blicken lassen, war dann aber, als sich dieses Chaos schon langsam abzeichnete, irgend etwas von muss noch etwas wichtiges erledigen murmelnd wieder geflüchtet.
Iris ließ sich von dieser Hektik und Planlosigkeit nicht weiter anstecken. Nach dem vergeblichen Versuch zu helfen, hatte sie das Ganze noch eine Weile teils belustigt, teils besorgt beobachtet, Legolas dann von einem fünften Pferd, nämlich ihrem, befreit und sich auf ein paar Stufen, die zu einem Turm führten, nieder gelassen.
Jetzt saß sie dort mit dem Rücken an die Steinwand gelehnt und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen. Die Augen hatte sie geschlossen, aber sie konnte förmlich spüren wie der Schnee unter ihren Füßen langsam aber sicher dahin schmolz. Ihr Pferd, das sie neben sich am Zügel hielt, schien sich darüber sehr zu freuen, denn es machte sich begeistert und mit großem Appetit über die frei werdenden Grasflächen her.
Iris fühlt sich glücklich, was sie selbst ein wenig verwunderte. Aber der wunderschöne Tag und ihr gestriges Überleben gaben ihr ein Gefühl von einer Lebendigkeit, das sie vorher noch nie gefühlt hatte. Ihr war klar geworden, dass sie doch ganz gewaltig an ihrem Leben hing und jeden einzelnen Tag genießen sollte. Hier, in dieser verrückten Welt, konnte jeder der letzte sein. Sie war erst so kurze Zeit hier und schon zweimal war sie knapp mit dem Leben davon gekommen. Und sie befürchtet, dass das nicht die letzten beiden Male gewesen waren.
Trotzdem verspürte sie angesichts der bevorstehenden, bestimmt nicht ungefährlichen, Reise kaum Furcht, sondern ein regelrechtes Hochgefühl, was aber vielleicht auch ganz schlicht an der Aussicht wieder eine längere Zeit auf dem Pferderücken zu verbringen lag. Ihr Pferd hatte sie sich auch sehr sorgfältig ausgesucht. Eine zierliche Fuchsstute mit Blesse und wachen, freundlichen Augen, die auf den Namen Iena hörte.
Das plötzliches Poltern einer im Turm aufgerissenen und wieder zuknallenden Tür störte Iris in ihrem augenblicklichen Zustand von inneren Gleichgewicht und Glückseligkeit. Sie hörte wie jemand die Treppe herunter raste, aus dem Rhythmus kam, stolperte, einen lauten Knall, der von einem sehr unsanftem Sturz zeugte und anschließend lautes Gefluche.
Iris grinste kopfschüttelnd. Sie konnte sich nur einen vorstellen, der sich bei so etwas simplen wie die Treppe herunter gehen so trottelig anstellen konnte. Und sie hatte recht. Im nächsten Moment schoss Tarek wie aus einer Kanonenkugel neben ihr aus dem Turmeingang.
Na, hat der Herr König schön ausgeschlafen? fragte sie ohne die Augen zu öffnen und sie konnte vor ihrem inneren Auge sehr bildhaft sehen wie Tarek sich abrupt ihr zuwandte und versuchte sie mit seinen Blicken aufzuspießen. Das konnte er zwar besonders gut (und ihrer Meinung nach war es auch das einzige, was er konnte), aber um sie umzubringen brauchte es mittlerweile etwas mehr. Im Überleben hatte sie allmählich Übung.
Wenn du es genau wissen willst; nein, der Herr König hat nicht gut geschlafen. hörte sie Tarek etwas schleppend sagen, was sie veranlasste ihre Augen zu öffnen um sich an Tareks wahrscheinlich sehr verpennten Erscheinung zu weiden. Es gab doch so ein wunderbares Gefühl, wenn es jemanden, den man nicht leiden konnte, schlecht ging und einem selber gut. Wie nannte man es noch gleich? Schadenfreude, jaaa.
Was sich dann aber ihr in den hellen Sonne zeigte, ließ bei ihr nicht einmal eine Ahnung von Schadenfreude aufkommen. Sie konnte gerade noch einen Entsetzensschrei unterdrücken, indem sie sich eine Hand auf den Mund presste. Dunkle Augenringe, ein Gesicht, dass in einer Nacht um Jahre gealtert zu sein schien und Haare, die buchstäblich in alle Richtungen zeigten machten deutlich, dass Tarek nicht nur schlecht, sondern miserabel geschlafen hatte. Iris rieb sich ungläubig die Augen. Konnte so etwas von nur einer schlechten Nacht kommen?
Sie bekam solches Mitleid, dass sie kurz davor war alles, was sie bis jetzt zu ihm gesagt hatte zurück zu nehmen. In den nächsten Sekunde vergass sie diesen Gedanken aber schon wieder. Tareks arrogantes Gehabe schien nicht gelitten zu haben.
Weißt du eigentlich, dass niemand es wagen würde einfach sitzen zu bleiben, wenn der König vor ihn tritt? fragte er, die Hände in die Hüften gestützt und die unter ihm sitzende Iris von oben herab abschätzig mustertend.
Diese stöhnte (schön laut, damit er es auch hörte) und verdrehte die Augen. Jetzt ging das schon wieder los.
Ja, ja, ich weiß, alle fallen auf die Knie, wenn du in Erscheinung trittst und wenn du niest, springen gleich zwanzig Mann um dir ein Taschentuch zu besorgen. sagte sie betont gelangweilt und betrachtete fasziniert ihre Fingernägel um zu zeigen, wie sehr sie dieses Thema interessierte.
Nun ja ganz so ist es nicht.
Iris schaute überrascht auf. Ach, nicht? Waren es etwa fünfzig?
Das ist ja wohl etwas übertrieben. Tarek schien merkwürdigerweise doch peinlich berührt zu sein.
Aber Respekt hat schon jeder vor mir. setzte er hastig hinzu, als er merkte, was er da gerade gesagt hatte. Den er natürlich auch zeigen muss. Ich bin ja schließlich auch der König. Sein Blick sagte ganz deutlich 'solltest du auch' .
Iris beschloss es mal mit etwas Freundlichkeit zu versuchen und darauf einzugehen.
Und was verstehst du unter 'Respekt zeigen'?
Du könntest zu Beispiel aufstehen und dich vor mir verbeugen. , ereiferte sich Tarek , Oder besser noch einen kleinen Kniefall machen. Er schien diese Vorstellung gerade zu genießen.
Iris weniger. Bei dir piept's ja wohl! Ich verbeuge mich doch nicht vor dir! schrie sie empört und sprang auf.
Tareks von dem Gedanken an eine sich vor ihm auf die Knie fallende Iris erhellte Miene wurde mit einem Schlag wieder finster und versteinerte sich. Er bemühte sich um Beherrschung, die vielen Gedanken an Blut und diverse Mordarten beiseite schiebend.
Niemand würde es auch wagen, so mit mir zu reden! presste er mühsam hervor und war stolz, dass er eine so schöne und hintergründige Antwort fertig brachte. Der Gedanke Iris eigenhändig zu erwürgen tanzte aber trotzdem wieder ins Zentrum seines Denkens.
Iris war weniger beherrscht. Sie versuchte es nicht einmal. schnaubte sie und funkelte ihn wütend an, Ich glaube, es wird Zeit, dass jemand mal damit anfängt. Damit stiefelte an ihm vorbei, ihr Pferd hinter sich herziehend, wobei dieses Tarek im Vorbeigehen prompt auch noch auf den Fuss stand. Er biss sich auf die Lippe um einen Schmerzensschrei zu unterdrücken und humpelte dann leise fluchend hinter her.
Eine Hexe, ja sie musste eine Hexe sein. Zwar eine gut aussehende Hexe, das musste er zugeben, aber eine Hexe. Nicht nur Gandalf und Legolas, sogar das Pferd hatte sie verhext. Er schob seinen Fuss in den Steigbügel und zuckte zusammen. Autsch, das tat vielleicht weh! Bestimmt war der Fuss gebrochen. Vielen Dank, Iris. Aber ihn würde sie nicht verhexen! Oh, nein. Er hatte sie durchschaut.
Führt Tarek der Große jetzt auch schon Selbstgespräche? Iris trippelte auf ihrem Pferd neben seinem Rappen. Da er einige Zentimeter über ihr saß, musste sie zu ihm aufblicken.
Ist das Pferd nicht eine kleines bißchen zu groß für dich? fragte sie, den Riesen von einem Pferd über ihr mit skeptisch hochgezogenen Brauen betrachtend.
Ich finde, es ist mir angemessen. erwiderte Tarek hochnäsig und Iris prustete laut los.
Oh ja, das finde ich auch. ,lachte sie, Ein großes, klobiges Schlachtroß für einen großen, trotteligen Schwachkopf.
Tarek war beleidigt. Besser als auf einem solchen Winzling zu sitzen. meinte er und richtete sich in seinem Sattel zu voller Größe auf um deutlich zu machen, was er meinte. Das schien aber nicht sehr großen Eindruck zu machen.
Ich wette, du bist da schon hundertmal herunter gefallen. behauptetet Iris.
Tarek schnaubte. Ich bin noch nie herunter gefallen. Das war zwar gelogen, aber hundert mal waren es sicherlich nicht gewesen. Höchstens zehn.
Dann wirst du heute herunterfallen. Das ist ein Versprechen. Iris grinste und etwas an diesem Grinsen behagte Tarek gar nicht. Versuchte sie ihn gerade zu verhexen? War das eben ein Fluch gewesen?
Ich werde nicht herunterfallen. Ganz sicher nicht. sagte er, aber seinem Tonfall konnte er selber nicht glauben. Es klang eher so, als versuche er sich das einzureden, obwohl das Gegenteil schon vorbestimmt war.
Iris entging das nicht. Sie hätte nicht gedacht, dass das so einfach wäre. Oh, doch. Du wirst.
Sie ließ ihn stehen und trabte zu den anderen. Das Grinsen in ihrem Gesicht war noch breiter geworden. Das würde ein herrlicher Tag werden. Wie sie es geschafft hatte Tarek von seinem heutigen Sturz zu überzeugen, wusste sie zwar nicht, aber jetzt wo er selbst daran glaubte, bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, das er den Tag tatsächlich nicht ohne einige blaue Flecke überstehen würde. Die Macht des Glaubens. So ein Idiot.
Gandalf hatte es mittlerweile geschafft die ganze Dienerschaft zu verscheuchen und auch Baras war eingetroffen. Die ganze kleine Gruppe saß nun auf ihren Pferden und war zum Aufbruch bereit. Endlich.
Gandalf hatte mit Legolas zusammen einen Platz an der Vorhut eingenommen. Wenn man bei einer so kleinen Gruppe überhaupt von einer Vorhut sprechen konnte. Er drehte sich zu dem Rest um und schüttelte ungläubig den Kopf. Es war ihm unbegreiflich, dass es so lange gedauert hatte bis gerade mal fünf Mann fertig gewesen waren. Er hoffte nur, dass es nicht in derselben Art und Weise weitergehen würde.
Obwohl, wenn er seine Truppe so betrachtete, er bezweifelte, dass von nun an einfacher werden würde. Da waren ein Mädchen aus einer anderen Welt, ein König, der in den meisten Ländern noch nicht einmal als jährig galt, der Onkel des Königs, der es genau genommen nicht einmal war und von dem er nicht so ganz wusste, was er von ihm halten sollte. Und dann noch er und Legolas, die versuchen mussten diese alle zusammenzuhalten. Keine leichte Aufgabe, wenn man zum Beispiel bedachte, dass Tarek und Iris jeden Moment wieder aufeinander losgehen könnten um sich gegenseitig zu zerfleischen.
Und sie sollten jetzt also alle los reiten um gleich zwei Welten zu retten. Von ihnen fünf hing das jetzt alles ab. Gandalf seufzte und versuchte das Ganze positiv zu sehen. Wenigstens würde es bestimmt keine langweilige Mission werden.
Wir reiten los! rief er und alle fünf setzten sich in Bewegung. Die Suche begann.
