Kapitel 18

Mürrisch stapfte Iris hinter Baras her. Zweige streiften ihre Beine und hinterließen dort, wo der Stoff ihrer Kleidung Fetzen gewichen waren, blutige Striemen, aber Iris merkte es gar nicht. Sie hatte solchen Hunger, dass alles in ihr nur „Essen, Essen, Hunger, Hunger"zu schreien schien. Was hätte sie jetzt für eine Schüssel von Gandalfs grauer Breipampe gegeben! Doch wo Gandalf im Moment war, konnte sie ebenso wenig sagen, wie wo sie sich gerade befand. Schon seit Stunden, so kam es ihr vor, liefen sie nun schon durch diesen verfluchten Wald und irgendwie wurde Iris das Gefühl nicht los, dass sie im Kreis liefen.

„Wie weit ist es denn noch?"fragte sie zum wiederholten Male und zum wiederholten Mal drehte Baras sich kurz um und antwortete mit diesem schrecklich gütigen Lächeln: „Nicht mehr weit."

Iris hatte die Nase voll. Wütend grummelte sie vor sich hin und sie schaffte es sogar des Grummeln ihres Magens zu übertönen, als sie sich plötzlich mit dem Hosenboden auf dem Erdoden wiederfand.

„He!"Sie war in Baras hineingelaufen, der ganz unerwartet stehen geblieben war. „Was soll denn das?"

Baras zeigte auf ein Gebüsch: „Da! Schau mal!"

„Was soll denn da..."Iris folgte seinem Blick. „Oh."Was zu essen! Runde, glänzende, schöne Beeren! Iris lief das Wasser im Mund zusammen. Bitte, bitte, lass sie essbar sein, flehte sie innerlich.

„Hast du Hunger?"fragte Baras und Iris musste sich beherrschen um nicht laut „Ja, natürlich, du Volltrottel!"zu schreien. Stattdessen nickte sie nur eifrig. „Kann man die essen?"fragte sie.

Baras antwortete nicht, sondern ließ seine Finger über einen der mit Beeren voll behangenen Äste streifen. Als er Iris seine Hand entgegenstreckte, rollten in ihr einige von den kleinen Früchten. „Bitte, bedien dich!" forderte er sie auf und Iris ließ sich das nicht zweimal sagen. Etwas zögerlich steckte sie sich eine von den Beeren in den Mund. Sie schmeckte ein wenig bitter, aber sie beurteilte sie durchaus als genießbar.

„Möchtet Ihr keine?"fragte sie, als sie bemerkte, dass Baras ihr beim Essen nur zuschaute. Baras wirkte ein winzigen Moment wie ertappt, aber dieser Gesichtsausdruck verschwand so schnell wieder, so dass Iris ihn gar nicht bemerkte. Außerdem war sie auch viel zu sehr damit beschäftigt, sich die Beeren in den Mund zu stopfen.

„Doch, natürlich."entgegnete er langsam. Ein, zwei Beeren wanderten in seinen Mund und kauend meinte er: „Was für eine Köstlichkeit."Iris antwortete nichts, sie hatte es gar nicht gehört. Aber sie war auch der Meinung, dass diese Beeren eine unvergleichliche Delikatesse waren. Im Moment hätte ihr aber wahrscheinlich alles geschmeckt. Es dauerte nicht lange und der Strauch war leer und Iris fühlte sich nicht mehr hungrig. Im Gegenteil, irgendwie hatte sie sogar das Gefühl richtig vollgefressen zu sein, was nach einer Obtsmahlzeit eher ungewöhnlich war. Aber egal.

Jetzt, wo sie wieder einigermaßen klar denken konnte, fragte sie sich, ob Baras überhaupt wusste, ob sie den richtigen Weg zum Lager zurückliefen. „Wisst Ihr eigentlich, wohin wir laufen müssen?"fragte sie etwas misstrauisch.

Baras lächelte wieder sein gütiges Lächeln. „Aber ja, natürlich. Dort geht es lang."Iris schaute verwirrt in die Richtung, die Baras meinte. Waren sie da nicht eben hergekommen? Dieser Mann war ihr nicht geheuer. Aber hatte sie ein andere Wahl als ihm zu folgen?

„Bitte nach Euch!"Baras machte eine ausholende Geste und mit einem inneren Seufzen folgte Iris seiner Anweisung. Hoffentlich wären sie bald wieder bei den anderen.

Baras blieb kurz stehen und schaute dem Mädchen nach. Jetzt nahm endlich alles den Lauf, den er sich erhofft hatte. Mit einem verächtlichen Lächeln spuckte er die Beeren wieder aus. Man konnte auch kauen ohne etwas zwischen den Zähnen zu haben.

Iris zweifelte mittlerweile sehr an ihrem Zeitgefühl. Vorher hatte sie die Zeit, die sie durch den Wald irrten, als Stunden empfunden und sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie nochmal so lange laufen mussten um zum Lager zu gelangen, aber schon nach ein paar Minuten, so kam es ihr vor, wurde der Wald lichter und sie erkannte sogar den Weg, auf dem sie vor dem Ork geflüchtet war.

Und noch bevor sie die Lichtung überhaupt erreicht hatten, konnte sie Gandalf hören. Er fluchte und schimpfte. Wieder einmal. „Was soll das heißen... verschwunden? Du bist mir ein schöner Elb! Ich denke ihr seit so tolle Spurenleser?"Etwas leiser konnte man eine andere Stimme hören. Was sie sagte, war nicht zu ermitteln, aber Iris vermutete, dass es Legolas' Stimme war. Gandalf schien ihn aber nicht ausreden lassen zu wollen. „Natürlich weiß ich, dass du kein Waldläufer bist, aber..."Er verstummte, als Baras und Iris auf die Lichtung traten „Oh."machte er nur und wirkte mit einem Mal sehr müde. Er ließ sich auf einen Baumstumpf fallen. „Gott sei dank, dass Ihr sie gefunden habt, Baras. Was ist denn passiert?"Baras begann Gandalf die ganze Geschichte zu erzählen, aber Iris schaute sich suchend um. „Wo ist Tarek?" fragte sie Legolas und sie spürte deutlich, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Wurden ihre schlimmsten Befürchtungen wahr?

Legolas wirkte einen Moment lang verwirrt. „Was. Tarek?"fragte er, aber dann schien er sich zu erinnern wer damit gemeint war. „Ach ja, Tarek. Der ist da hinten am Bach."Legolas musste unwillkürlich grinsen. „Er bewundert sein Beule."Iris hörte da aber schon gar nicht mehr.

Tarek lebte! Jubierte es in ihr, als sie die Senke, die zum Bach führte, hinab hüpfte. Und tatsächlich: Dort an dem Bach saß eine Gestalt und Iris konnte deutlich hören, wie sie fluchte. „So ein Mist! Alles nur wegen einem Mädchen. Die wird man noch tagelang sehen können."

„Hey!"

Tarek machte einen erschrockenen Satz und landete mit einem lauten Platsch im Wasser. Wasser! Nicht schon wieder! „Was zum Teufel..."begann er, aber als er das Wasser aus seinen Augen geblinzelt hatte, erkannte er Iris. Genau so schnell wie er ins Wasser geplumpst war, war er wieder auf den Beinen.

„Iris!"rief er und watete durch das seichte Wasser auf sie zu. Und plötzlich hing er an ihrem Hals.

„Ein Glück, dass du wieder da bist!"Iris stand da und rührte sich nicht. Was hier gerade passierte war einfach zu unwirklich.

„Ähm. Tarek..."Keine Reaktion. „Tarek!"versuchte sie es noch einmal etwas lauter.

„Was?"

„Du kannst mich jetzt wieder loslassen."

„Oh. Ja, natürlich."Er wirkte mit einem Mal etwas peinlich berührt. Beinahe ruckartig trat er von Iris zurück. „Ist.. ist alles in Ordnung mit dir?"

„Bis vorhin war es das. Da hatte ich noch keine blaue Flecke."antwortete Iris, aber sie grinste. „Ich hatte eher gedacht, dass mit dir etwas passiert sein müsste."

„Was? Ach wegen dem Ork."Tarek winkte großspurig ab. „ Den habe ich doch mit links fertig gemacht!"

„Ach, deshalb ist er so schnell hinter mir her gewesen."Sie tippte kurz auf Tareks Beule, so dass dieser schmerzerfüllt das Gesicht verzog. „Und deshalb hast du wohl das da."

„He, lass das! Das ist meine."

„Du kannst sie behalten Auf so was stehe ich nicht."

Tarek wirkte beleidigt. „Solltest du aber. Schließlich bist du schuld daran."

„Oh, armes Königlein." säuselte Iris, aber Tarek unterbrach ihre gespielte Mitleidstirade.

„Wenn du es nicht ernst meinst, dann lass es lieber gleich bleiben. Ein Danke hätte mir auch schon genügt."

Iris wurde von einem Moment auf den anderen ernst. „Danke."sagte sie nur.

Tarek lächelte. „Ich danke dir auch."

„Wofür?"

„Nur so."

Sie schwiegen beide einen Augenblick.

„Erzählst du mir, was passiert ist?"fragte Tarek schließlich.

Iris griff nach ein paar Kieselsteinen und umschloss sie fest mit ihrer Faust bis sie jeden einzelnen Stein gegen ihre Haut spüren konnte. „Na ja, ich bin diesen Ork eben irgendwie losgeworden und dann hat Baras mich gefunden und..."

„Baras hat dich gefunden?"Tarek wirkte plötzlich beunruhigt, was Iris nicht entging.

„Du magst ihn nicht."stellte sie fest.

„Nein."gab Tarek zögerlich zu und er strich sich die noch nassen Haare aus dem Gesicht. Seine Augen funkelten.

„Und warum nicht? Er ist doch dein Onkel!"

Tarek presste die Lippen zusammen. „Um genau zu sein, ist er das nicht."

Iris blinzelte verwirrt.

„Er was der Stiefbruder von meinem Vater."erklärte Tarek. „Meine Großeltern konnten lange Zeit keine Kinder bekommen und deshalb haben sie ein fremdes als ihr Kind aufgenommen."

Iris verstand. „Baras."

„Ja. Aber dann haben sie doch noch zwei Söhne bekommen. Zuerst meinen Vater und dann Herim. Und Baras war nicht mehr Thronfolger."

„Warum nicht?"

Tarek zuckte mit den Schultern. „Kinder mit dem Blut des Königs haben Vorrang. Baras war ja nur der angenommene Sohn."

„Das ist nicht wirklich fair."fand Iris.

„Ja, aber so will es das Gesetz. Außerdem, ich glaube nicht, dass Baras einen guten König abgegeben hätte."

„Keinen so guten wie du meinst du." meinte Iris sarkastisch, aber Tarek ging gar nicht auf ihren Tonfall ein.

„Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass mein Vater ein besserer war als er gewesen wäre. Ihm ist das Volk egal. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit allem, was glänzt. Und er ist..."

„..,falsch."ergänzte Iris. Tarek nickte überrascht. „Ja, er tut immer so freundlich, aber irgendwie nehme ich ihm das nicht ab."Er wirkte erleichtert, dass Iris genau so empfand.

„Es ist diese Lächeln, nicht wahr?"Sie schnitt eine Grimasse, indem sie versuchte Baras' so schrecklich gütige Lächeln nachzuahmen. „Sooo."

Tarek kugelte sich vor Lachen. „Nein, warte mal."Er konzentrierte sich kurz. „So geht das."

Seine Grimasse sah nicht viel besser aus als Iris'. Aber es reichte, dass Iris vor Lachen die Tränen in die Augen stiegen. „Hör auf!"prustete sie, doch Tarek konnte nicht. Weil Iris lachte, musst er lachen und weil Tarek lachte, musste Iris lachen. Keiner von beiden konnte mehr an sich halten.

Legolas hörte den Lachanfall der beiden. „Muss eine hysterische Überreaktion sein."dachte er kopfschüttelnd.