Wie vorausgesehen sah ich im dichten Schneegewirbel absolut gar nix.
Schnee wehte mir in die Augen, peitschte mir erbarmungslos gegen meine tauben Wangen und der Wind warf mich fast um.
Auf dem grauen Himmel war inzwischen kein einziger Mondstrahl mehr zu sehen, entsprechend düster war es…
Das Brausen des Windes rauschte in meinen Ohren, die drohten vor Kälte abzufallen.
Ich zog den Schal fester um meinen Hals und krallte mich mit meinen klammen Fingern in ihm fest.
Ein wenig weiter entfernt erkannte ich einen kleinen Wald, komplett in eine Schneewolke gehüllt, aber schwache Hoffnungen keimten in mir auf, das dort vielleicht Zutaten für den dummen Zaubertrank wachsen könnten.
Dann der Sturz.
Ist es nicht furchtbar typisch?
Nirgendwo in irgendeiner Weise eine Stolperstelle, nur eine einsame Wurzel ragte aus dem Boden, und natürlich musste ich ausgerechnet dort herlaufen.
Ich spurte einen Ruck durch meinen Körper gehen und dann raste der weiße Boden mir entgegen…
Ich prallte auf dem Schnee auf, mit einer derartigen Wucht, das mein Kopf zurückfederte.
Sofort wurde es schwarz um mich…
Ich erwachte von dem schwachen roten Glimmen, das durch meine Lider schien.
Zaghaft öffnete ich meine Augen und sah ein Lagerfeuer.
Ich lag genau dort wo ich ohnmächtig geworden war, mit dem kleinen Unterschied das irgendjemand mich in eine dicke Wolldecke gehüllt hatte und mir nun wohlig warm war.
„Du bist wach", sagte eine raue Stimme hinter mir.
Ich versuchte mich aufzurichten, aber noch hatte ich nicht genügend Kraft dafür.
Jemand stapfte durch den Schnee an mir vorbei.
Schwere Stiefel mussten es sein…
Die Schritte liefen an mir vorbei und der Jemand ließ sich schwerfällig am Feuer wieder.
Das schien auf den ersten Blick kein Mensch zu sein, sondern ein wandelnder Berg, so gewaltig war seine Statur und so mächtig war sein Pelzmantel, in dem er steckte.
Er kratzte sich am stoppeligen Kinn und wandte mir sein Gesicht zu.
Ich erschauderte.
Ich mein, wenn man mit Moody zu tun hat ist man ja einiges gewöhnt, aber im Schein des Feuers sah die Narbe, die sich quer durch das Gesicht des Mannes am Feuer zog, 10mal schlimmer aus als das, was man von Moody gewöhnt war.
Und diese durchdringenden grauen Augen…
„Trink das", sagte er und reichte mir eine kleine hölzerne Trinkschale.
Zaghaft trank ich den Inhalt restlos leer, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Schlagartig kamen meine Kräfte zurück und ich setzte mich so rasch auf, dass die Trinkschale mir aus den Händen glitt und durch den Schnee rollte, bis zum Saum des Pelzmantels des Mannes.
Er hob die Schale auf und stocherte gelassen mit einem Stock im Lagerfeuer herum.
„Was machst du hier? Es ist gefährlich zu dieser Stunde alleine draußen umherzuirren."
Ich weiß, das ist nicht sonderlich höflich, aber ich ignorierte seine Frage und stattdessen brach ein „Wer sind Sie?" aus mir heraus.
Ein sanftmütiges Lächeln erschien auf seinen Lippen.
Seine Augen schienen im Glanz des Feuers zu glühen.
„Nenne mich den Wanderer. Ich habe keinen Namen."
Man, wie geheimnisvoll (Achtung, Ironie!).
„Sie müssen doch einen Namen haben, jeder hat einen!"
„Ich hatte sicher einen", er fuhr sich über die runzelige Stirn. „Sicher… vor vielen Jahren… Aber ich habe ihn vergessen, eines Tages, so lange her, wie es mir scheint…"
„Vergessen. Türlich. Sie sollten mal mit ihrem Alzheimer…"
„Ich bin seit 30 Jahren in diesem Verschwindekabinett eingesperrt, 30 lange Jahre lang. Kannst du dir das vorstellen? Ich hatte niemanden mit dem ich reden konnte, niemanden, der mich bei meinem Namen rief… Ich habe ihn nicht gebraucht also habe ich ihn vergessen."
Ich schwieg eine Weile nachdenklich. „Seit 30 Jahren?", fragte ich dann heiser. „Wieso…? Heißt das, es gibt keinen… keinen…"
Der Wanderer wandte sein Narbengesicht wieder dem Feuer zu.
„Es gibt einen Ausgang, weit weg von hier. Aber ich kann ihn nicht benutzen, weil ich alleine bin. Dieses Verschwindekabinett kann Fluch wie Glück sein, einerseits schweißt es Leute eng zusammen, die zusammen die Gefahren des Kabinetts überleben, aber es kann einen auch gefangen nehmen, auf Lebzeiten wie ich befürchte. Aber ich habe mich längst damit abgefunden, ich ziehe durch das Kabinett und versuche seine Geheimnisse zu offenbaren… Ein Wanderer eben." Er lachte bitter.
Bei seiner Erzählung durchfuhr es mich eisig: Voldemort! Schwer verletzt und halb tot in der Höhle!
Ich sprang auf.
Der Wanderer sah milde verdutzt zu mir auf. „Was ist?"
„Ich bin losgezogen, um", es fiel mir sehr schwer „Freund" zu sagen, „um jemandem zu helfen, er blutet sehr stark und hat Fieber, wenn ich mich nicht beeile ist es vielleicht zu spät!"
Er hielt kurz inne, dann langte er in seinen Pelzmantel und zog einen Lederbeutel hervor.
Er wühlte kurz in ihm herum, dann zog er einen zweiten Beutel hervor, steckte ein paar Kräuter, eine Blechschüssel und Proviant herein (Anm.: prompt knurrte mein Magen geräuschvoll auf), verschnürte ihn sorgfältig und reichte ihn mir.
„Nimm das und mach aus den Kräutern in der Schüssel einen Trank. Ich habe dir auch etwas zu Essen mitgegeben, keine Sorge, ich habe noch genug. Außerdem", er langte nach einer großen Tasche, die mir erst gar nicht aufgefallen war, „hab ich hier noch zwei Wolldecken, ich bin mir sicher, ihr braucht sie dringender als ich."
Sprachlos vor Glück nahm ich die Dinge entgegen.
Seine grauen Augen erstrahlten im Feuerschein, als er mich mit einer Handbewegung antrieb mich zu beeilen.
Ich brachte in stockendes „Danke" hervor und rannte dann so schnell mich meine Beine trugen durch den Schnee zurück zur Höhle, in einen der Decken des Wanderers eingehüllt und von seinem Gebräu aus der Trinkschale beflügelt. Aber auch durch die Angst um Voldemorts Verfassung.
Ich warf einen letzten Blick über die Schulter und sah gerade noch, wie der Wanderer samt seinem Lagerfeuer spurlos verschwand und nur Schnee zurückließ.
Und eine kleine graue Feder.
Mein Hals brannte wie verrückt, als endlich durch das Schneegetöse in der Ferne die Umrisse der Höhle erschienen. Immerhin stand sie noch da wo sie hingehörte.
Ich presste schwer atmend die Wolldecken an mich und kämpfte mich die letzten Meter vorwärts…
Völlig fertig stolperte ich durch den Höhleneingang und legte mich fast ab, so viel Schwung hatte ich.
Ich atmete einmal tief durch und drehte mich zu Voldemort um, der absolut still und bewegungslos in der Höhlenecke rumlag.
Ich warf die Wolldecken und den Beutel zu Boden und ging zu ihm.
Wie lange war ich ohnmächtig gewesen?
Er war total blass, fast schneeweiß…
War ich zu spät gekommen?
Ich ließ mich neben ihm auf die Knie fallen und griff zögernd nach seiner Hand, um den Puls zu fühlen.
Ich spürte nichts!
Lag es an meinen noch steifgefrorenen Fingern, oder hatte er keinen Puls mehr? War er…
Ein Griff an seine Halsschlagader brachte dasselbe Ergebnis.
Nichts, gar nichts.
Ich betrachtete, inzwischen am ganzen Leib zitternd, argwöhnisch den Umhang, den ich als Verband um seinen Bauch geschlungen hatte.
War mehr Blut durchgesickert?
Es war zu dunkel, um es erkennen zu können.
Tränen stiegen in meine Augen.
Nein. Es konnte doch jetzt nicht alles umsonst gewesen sein! Ich konnte doch nicht umsonst losgezogen sein, umsonst gerettet worden sein…
Das war nicht fair!
Innerlich schrie mein Geist auf, ein langer Schrei der Verzweiflung.
Ich wandte meinen tränenverschwommenen Blick von Voldemort und stockte, als er auf den Lederbeutel fiel.
Dieser Trank, den mir der Wanderer gegeben hatte, er hatte mir neue Energie gegeben… was, wenn er stark genug war, Voldemort… nun… wieder zu beleben?
Es war albern zu hoffen dass der Trank Tote wieder zu erwecken vermochte, aber ich gab die Hoffnung nicht auf, dass irgendwie noch Leben in ihm steckte…
Ich zog aus dem Lederbeutel die Blechschüssel hervor, ging kurz vor den Höhleneingang um Schnee in die Schüssel zu werfen (irgendwoher brauchte ich schließlich Wasser), machte mich daran das Lagerfeuer wieder in Gang zu kriegen und schmiss ein paar der Kräuter in die Schüssel.
Dann hielt ich sie übers Feuer (blöd nur, das die dumme Schüssel aus Blech war und deswegen meine Hand schon nach kurzer Zeit schmerzte…).
Mit einem kleinen Stöckchen (Vorher abgeputzt! Ehrlich!) rührte ich das Gebräu so gut wie möglich um und ließ es kurz abkühlen.
Dann setzte ich mich wieder neben Voldemort, hob seinen Kopf an und flößte ihm mit bebenden Händen das Zeugs ein.
Und dann wartete ich.
Er regte sich nicht.
Ich strich sanft über seine Wange.
Immer noch eiskalt.
Es musste zu spät gewesen sein.
Das war die Strafe für meine Tollpatschigkeit, irgendwann musste so was ja mal passieren.
Mit einem Mal fühlte ich mich schrecklich einsam.
So schrecklich, das in meiner Brust ein schmerzhaftes Ziehen auftrat.
Ich war ganz alleine.
Und wenn ich den Wanderer richtig verstanden hatte, kam ich jetzt niemals mehr aus dem Verschwindekabinett raus.
Ganz alleine.
Und ich war Schuld an seinem Tod.
Ich sah aus dem Höhleneingang hinaus in die stürmische Schneenacht.
War es nicht besser, dass er nun tot ist?
Er ist wegen dir gestorben.
ER war ein Mörder gewesen, hatte tausende von Familien zerschlagen, hat so viele in Angst und Schrecken versetzt…
Was aber nichts an der Tatsache ändert, das er dich gerettet hat.
Der Orden des Phönix wollte ihn immer töten, hatte es nie geschafft…
Aber ich fühlte mich nicht gut bei diesem Gedanken.
Immer diese verdammten Gewissenskonflikte.
Dann war ich wieder am heulen, mein Kopf sank auf Voldemorts Brust und ich weinte mich in den Schlaf.
Als ich aufwachte, lag ich auf dem Boden, mit einer der Wolldecken zugedeckt.
Erschrocken fuhr ich hoch und stieß mir fast den Kopf an der Decke.
Ein Zittern durchfuhr meinen Körper und Gefühle der Erleichterung durchströmten meinen Körper, das ich Mühe hatte nicht laut loszujubeln.
Voldemort lebte! Er lebte wirklich! (Anm. des Autors: „Jaaaaaaaaa er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch…)
Er saß nicht weit weg von mir an der Höhlenwand, hatte sich gegen sie gelehnt und blickte gedankenverloren nach draußen, wo immer noch Schnee lag, aber der Schneesturm hatte sich beruhigt.
„Voldemort?", sagte ich stockend.
Er wandte sich zu mir um und einen Moment lang vergaß ich alles um mich herum.
Er hatte sich ja immer weiter zu seinem alten Ich zurückverwandelt und nun also auch seine Augen…
Es war, als schien in ihnen die Sonne, die jetzt am Himmel nicht zu sehen war, dunkelbraun und so tief wie ein Meer.
Mit seinen schwarzen seidigen Haaren und der leicht bräunlichen (wenn auch momentan ziemlich blassen) Haut hatte er sogar etwas exotisches an sich – mit anderen Worten – er sah unglaublich gut aus.
Wer hätte das gedacht? Das so was wie Schönheit in Voldemort steckte?
„Du… lebst!", sagte ich ungläubig.
Er lächelte schwach. „Wieso sollte ich nicht?"
„Du… du warst tot!"
Er verzog die Mundwinkel zu einem leichten Grinsen. „Scheinbar nicht."
„Aber du hattest keinen Puls mehr!"
Mit einem Mal sah er sehr traurig aus. „Hast du geweint?"
Ich errötete. „Wieso fragst du?"
„Es sah so aus als ich heute Morgen aufgewacht bin."
Ich schluckte. „Quatsch, ich doch nicht."
Neuerdings konnte man in seinen Augen lesen und die verrieten mir, dass er mir nicht glaubte. „Was ist passiert?", fragte er leise.
Ich begann ihm stockend von seiner schweren Verletzung, seinen Fieberkrämpfen und meiner heldenhaften Rettungsmission zu berichten (wobei ich mir den Sturz über die Wurzel schenkte) und meiner Angst, dass er tot sein könnte.
Er hörte mir nachdenklich zu und unterbrach mich nicht. Vielleicht fehlte ihm auch die Kraft dazu, er wirkte total müde und ausgelaugt und es erschien mir fast wie ein Wunder, das er aufrecht sitzen konnte.
„Warum hast du das getan?"
Er sah überrascht auf. „Was?"
„Du hast mich gerettet."
Schweigen.
„Du hättest dabei sterben können!", setzte ich hinzu.
Er antwortete mir nicht, sondern zwirbelte tief in Gedanken versunken an einer Haarsträhne herum.
So kannte ich ihn ja gar nicht. „Gibt's darauf jetzt keine freche Antwort?"
Er sah mich jetzt an, einfach nur an, mit seinen tiefen, traurigen, dunkelbraunen Augen. „Ich bin sehr müde, Tonks", sagte er.
„Was…?"
„Ich glaube, ich werde gleich wieder ohnmächtig", sagte er erstaunlich sachlich, einfach wie ne Feststellung.
Ich sprang auf und war gerade rechzeitig bei ihm, um ihn aufzufangen, als er kraftlos umkippte.
Jetzt lag er in meinen Armen wie ein kleines harmloses Kind, das eigentlich der mächtigste schwarze Zauberer unserer Zeit ist.
Und ich kämpfte gegen ein seltsames Gefühl an, das plötzlich in mir aufkam und das ich zuvor noch nie in diesem Maße gespürt hatte.
