7. Ein Sommernachts(alb)traum
Das winzige Fleckchen Carvers Meadows war auf kaum einer Landkarte Englands verzeichnet. Drei Häuser und vier Spitzbuben – so hätte ihre verstorbene Großmutter den Ort wohl charakterisiert. Sarah war es eigentlich herzlich egal, wie viele Einwohner es hier gab, sie interessierte sich nur für einen einzigen davon; nämlich den Inhaber der örtlichen Tankstelle, an deren Tür ein großes Schild mit der Aufschrift ‚Closed' prangte.
Ihre Glückssträhne riss offenbar überhaupt nicht mehr ab.
Sie wagte es nicht, ohne nachzutanken weiterzufahren. Ihre Tankanzeige blinkte schon so lange, dass sie in der letzen halben Stunde vermutlich nur noch mit warmer Luft gefahren war, um es überhaupt bis hierher zu schaffen. Vermutlich würde ihr Mini ohne neuen Sprit nicht einmal mehr anspringen.
Leise vor sich hinschimpfend kontrollierte sie ihre Armbanduhr. Was hatte sie bloß geritten, als sie beschloss, nachts zu fahren? Jetzt war es vier Uhr dreiunddreißig morgens. Noch fast dreieinhalb Stunden, bis die Tankstelle wieder öffnete. Und sie befand sich hier natürlich in einem Nest, wo Fuchs und Hase einander gute Nacht sagten. Um diese Zeit irgendwo ein Zimmer zu bekommen, besonders wenn man mit einem zottigen Hund von der Größe eines Ponys unterwegs war, wäre ganz sicher ein Ding der Unmöglichkeit.
Andererseits – wozu sollte ein Hotelzimmer schon gut sein? An Schlaf wollte sie nicht einmal denken. Die ständig wiederkehrenden Träume von Blut und Tod und Zerstörung und diesem rotäugigen Finsterling Voldemort würde sie jetzt nicht auch noch ertragen können.
„Was hältst du von einem ausgedehnten Mondscheinspaziergang, Black? Wir müssen ein paar Stunden totschlagen, bis diese Klitsche hier wieder öffnet."
Der Hund stieg sofort von der Rücksitzbank und streckte sich genüsslich. Stundenlang auf dem Rücksitz eines so kleinen Autos eingesperrt zu sein, war für ein Tier seiner Größe nicht gerade ein Zuckerschlecken. Aus dunklen, wachsamen Augen beobachtete er, wie Sarah ihre Handtasche vom Beifahrersitz nahm und den Wagen abschloss.
Ein grauenhaftes Heulen ließ sie in der Bewegung innehalten und erschrocken zum Wald herumfahren, von wo das unheimliche Geräusch herüber schallte.
Padfood stellten sich die Nackenhaare auf.
Ein Schuss knallte, und man hörte eine aufgeregte Männerstimme schreien. „Hier herüber! Er ist hier langgelaufen!"
Wieder erklang das entsetzliche Heulen, lauter diesmal und viel, viel näher.
Sarah erstarrte und griff instinktiv links neben sich, wo der Hund eben noch gestanden hatte. Sie griff ins Leere. Er war nicht mehr da.
Unfähig sich zu rühren, starrte sie angestrengt zum Waldrand hinüber. Und traute ihren Augen nicht.
Ein großes Tier, eines, das sie noch nie gesehen hatte, brach aus dem Gebüsch am Waldrand hervor und rannte über die mondbeschienene Wiese, die zwischen der Tankstelle und dem Ort lag. Und zwar auf den Hinterbeinen, genau wie ein Mensch. Ein weiterer Schuss peitschte auf; das Tier zuckte zusammen, strauchelte kurz, richtete sich dann aber zu voller Größe auf und heulte wieder langgezogen, ein wütender, schmerzerfüllter Laut, der Sarah das Blut in den Adern gefrieren ließ, – es war verletzt, seine Flucht war beendet. Es würde sich seinen Gegnern stellen.
Und da kamen sie auch schon; zwei Männer mit Gewehren, einer hatte seine Waffe im Anschlag, während der andere gerade beim Nachladen war. Vermutlich würde das zwar nicht erforderlich sein, denn auf diese Distanz konnte sein Partner das Tier kaum verfehlen...
...Sarah öffnete den Mund, um einen entsetzten Schrei auszustoßen – warum, wusste sie nicht, aber irgendwie war ihr klar, dass sie den Schuss um jeden Preis verhindern musste...
...Der Mann krümmte den Finger um den Abzug, gleich würde das Tier tot sein...
...Wenn er denn zum Schuss gekommen wäre. Aber noch bevor er den Abzug durchziehen konnte, krachte der große, schwarze Hund wie ein D-Zug in ihn hinein. Der Mann schrie in Panik auf. Das Gewehr flog über die Wiese und landete irgendwo im Unterholz.
Der zweite Mann gab den Versuch auf, seine Waffe nachzuladen, er ergriff sie am Lauf und schwang sie in hohem Bogen gegen den Hund, der bereits von seinem ersten Opfer abgelassen hatte und nun mit hochgezogenen Lefzen und drohendem Knurren auf ihn zusprang.
Sarah hörte den Schlag. Der Hund jaulte laut auf und wurde beiseite geschleudert.
„Black!", schrie sie und rannte los.
Das riesige, braunschwarze Tier war jedoch schneller als sie. Es warf sich mit einem lautem Knurren auf den Mann mit dem Gewehr und stieß ihn zu Boden. Sarah sah im Mondlicht scharfe Zähne aufblitzen und hielt unwillkürlich den Atem an. Wenn diese Bestie zubiss, würde von dem Mann nicht viel übrig bleiben!
Inzwischen war Black jedoch wieder auf den Plan getreten. Knurrend und beißend trieb er das vor Wut und Schmerz rasende Tier von dem panisch schreienden Menschen weg, bis sie beide zwischen den Bäumen verschwunden waren.
Bleich, zitternd und mit weit aufgerissenen Augen stand Sarah auf der Wiese und starrte hinüber zum Waldrand.
Was um Himmels Willen war hier gerade geschehen?
„Okay, junge Frau, Ihr verdammter Köter hat diesem Werwolf heute Nacht noch einmal das Fell gerettet", fauchte einer der Männer sie wütend an. Er hielt jetzt wieder seine Waffe im Arm und schien nicht übel Lust zu haben, sie gegen sie einzusetzen. „Aber Sie können Ihrem verdammten halbmenschlichen Freund ausrichten, dass wir solche wie ihn hier bei uns nicht haben wollen! Wenn er nicht bis heute Abend aus unserem Dorf verschwunden ist, werde ich ihn höchstpersönlich und auf endgültige Weise hier entfernen. Und mir ist scheißegal, ob er zu diesem Zeitpunkt zufällig gerade ein Mensch ist, haben Sie mich verstanden?"
Der andere war mittlerweile auch wieder auf den Füßen. „Und wenn Sie wissen, was gut für Sie ist, verschwinden Sie gleich mit ihm", riet er ihr drohend und starrte sie verächtlich an. „Solches Pack hat in Carvers Meadows nichts zu suchen!"
Die beiden stampften über die Wiese in Richtung Dorf davon.
Sarah stand noch immer zitternd am gleichen Platz und starrte ihnen fassungslos nach?
Halbmensch? Werwolf? Wo zum Henker war sie hier hereingeraten?
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