6.Der Auftrag

„Äh...", stammelte Severus, der beim besten Willen nicht in der Lage war, einen vernünftigen Satz zu formulieren. Normalerweise war er nie um eine zynische Bemerkung verlegen, aber die Anwesenheit dieses Mannes (Mann? Er war sich nicht einmal sicher, ob das ein Mensch war...) lähmte seine Zunge und ließ ihn dastehen wie einen geistig minderbemittelten Vollidioten. Ein eisiger Windhauch strich über alten Friedhof und ließ ihn frösteln. Die vermummten Gestalten kicherten spöttisch, offensichtlich hielten sie ihn einfach nur für einen dummen, kleinen Jungen ohne Freunde.

„Du bist also Severus Snape. Der gute, alte Lucius hat mir schon viel von dir erzählt...",

sagte Voldemort leise, mit einem leichten Nicken in Richtung Malfoy.

„Warum bist du hier?",

fragte er den Jungen, der sich unter dem Blick dieser glühenden Augen so unwohl fühlte, dass es schon beinahe an körperlichen Schmerz grenzte.

„Ich... ich will meinen Horizont erweitern, lernen, was sie uns in der Schule verschweigen",

flüsterte er und versuchte, seinem Gegenüber in die Augen zu schauen. Er konnte es nicht.

Der Dunkle Lord, der Snape, obwohl dieser alles andere als klein war, um einen halben Kopf überragte, hob seinen Zauberstab:

„Legilimens!"

Er spürte, wie die Landschaft um ihn herum verschwamm, und stattdessen Erinnerungen in seinem Kopf umherwirbelten:

Sein Vater, der ihm mit einer Reitpeitsche blutende Striemen auf dem Rücken zufügte, während seine Mutter sich mit billigem Sherry betrank, damals war er zwölf, oder als er mit zehn zum erstenmal auf einem Besen saß und prompt gegen eine Mauer gedonnert war, fünfzehn, Potter und Black malträtierten ihn, während die halbe Schule zusah, oder...

Als er glaubte, er könne Voldemorts Suchen und Bohren in seinem Verstand nicht mehr ertragen, als er dachte, die schrecklichen Erinnerungen würden seinen Körper einfach zerreißen, hörte dieser auf. Severus merkte, dass er zusammengekrümmt und zitternd auf dem nasskalten Schnee lag, einen drohend dreinblickenden Voldemort über sich, in einem Kreis aus Todessern, die inzwischen ihre Kapuzen abgestreift hatten und sich halb tot lachten.

„Merke dir das, Junge, denn ich werde es dir nur ein einziges Mal sagen,"

zischte der schlangengesichtige Zauberer.

„Es gibt zwei Sorten von Menschen. Die einen sind stark, die anderen schwach. Muggel sind schwach, weil sie dumm und hilflos sind. Schlammblüter sind schwach, weil sie sich mit den Schwachen, Dummen und Unwürdigen abgeben, sie sogar mögen. Feiglinge, die alles über sich ergehen lassen ohne sich zu wehren, sind schwach. Impulsive Idioten sind schwach, weil sie über keinerlei Selbstbeherrschung verfügen und nicht klar denken.

Wer sich aber mir unterordnet, mir bedingungslos gehorcht, den werde ich mit unvorstellbarer Macht belohnen. Ich, Lord Voldemort, werde die Schwachen ausmerzen und die Starken emporheben. Sag mir, Junge, willst du ewig vor deinen Feinden im Staub kriechen, immer unterlegen sein?"

Das Gesicht Voldemorts zierte ein manisches Grinsen, eine verzerrte Fratze, und dennoch war die Aura der Macht, die ihn umgab deutlich zu spüren.

Severus blickte auf die bedrohliche Gestalt, die sich über ihn beugte, er spürte wie die Angst in seinen Venen pulsierte.

„Ich kann dir helfen, mein Freund," sagte der Dunkle Lord sanft,

„Willst du nicht zu den Starken gehören?"

Er sah die höhnischen Mienen derer, die ihn immer nur verachtet und gedemütigt hatten, genau vor sich, seinen Vater, der ihn für wertlos und überflüssig hielt, Potter, Black, die immer alles bekamen, was er sich so sehr wünschte, die einsamen Nächte im Kerker, das Getuschel hinter seinem Rücken.

Sein Körper war gespannt wie eine Bogensehne, er sah sich im Kreis der Todesser um, und sagte schließlich mit fester Stimme:

„Ja."

„Ausgezeichnet. Steh auf, damit ich dich bekannt machen kann..."

Severus tat wie geheißen.

„Das sind Avery, Crabbe und Goyle."

Die drei waren in Hogwarts ein paar Jahrgänge über ihm gewesen und er hatte sie noch als Schläger und Raufbolde in Erinnerung. Der schlaue, verschlagene Gesichtsausdruck in Averys knochigem Gesicht hatte sich in den Jahren noch intensiviert, wie Snape feststellte, als dieser ihm grimmig zunickte. Crabbe und Goyle waren so groß und plump wie er sie in Erinnerung hatte.

„Lucius kennst du auch schon... und das sind Rudolphus Lestrange, Hank McNair und Bellatrix Black."

Lestrange war ein großer, muskulöser Mann Ende zwanzig. Seine dunkelbraunes Haar war straff nach hinten gekämmt und sah aus wie eine schimmernde Fläche aus Holz. Er hatte den Arm um die Hüfte einer außergewöhnlich schönen jungen Frau, die keinen Tag älter war als zwanzig, gelegt, deren Haar trotz des trüben Wetters aussah wie ein seidig glänzender, schwarzer Vorhang. Ihre ausdrucksvollen meerblauen Augen musterten ihn mit einer Mischung aus Spott und Neugier.

Snape fiel auf, dass er so ziemlich die jüngste Person in dieser Runde war, was ihn irgendwie störte. Er konnte es gar nicht leiden, wenn man ihm etwas vorschrieb oder ihn gar bemutterte.

„Verhätscheln werde ich dich mit Sicherheit nicht, keine Sorge", meldete sich nun wieder der Anführer dieser merkwürdigen Gruppe.

Es stand außer Zweifel, dass dieser unheimliche Kerl immerzu wusste, was er dachte. Er beschloss, dass er unbedingt etwas dagegen tun musste.

„Natürlich musst du dir mein Vertrauen erst erarbeiten. Ich werde dich erst einige Male auf die Probe stellen, bevor ich dich in meiner Gemeinschaft aufnehme und dich in meine Pläne einweihe. Folgendes soll deine erste Aufgabe sein: Ich möchte, dass du herausfindest, wo sich der Auror Alastor Moody im Moment befindet. Mir ist egal, wie du das anstellst. Zu gegebener Zeit wird Lucius Kontakt mit dir aufnehmen."

Nachdem er ihm seinen Auftrag mitgeteilt hatte, desapparierte er mit einem geräuschvollen Plop, und die anderen taten es ihm nach.

Er war nun wieder allein mit Malfoy.

„Wie soll ich den das herausfinden? Wenn der ein Auror ist, wird seine Tarnung nahezu perfekt sein...",

fragte er Malfoy verwirrt.

„Ich habe dir gesagt, es wird nicht leicht. Nun komm. Ich bringe dich zurück nach Hogsmeade.",

sagte sein Begleiter beinahe freundlich und zog ihm am Ärmel, um ihm die Richtung zu weisen.

Als sie nach mehr als zwei Stunden (ihm waren es wie fünf Minuten vorgekommen), seit er sich auf den Weg ins Dorf gemacht hatte, wieder am Tor standen, verabschiedete sich Malfoy mit den Worten:

„Nimm´s nicht so schwer. Der Dunkle Lord stellt jedem die Aufgabe, die seinen Fähigkeiten und seinem Intellekt angemessen ist. Und offensichtlich hält er von dir ziemlich viel..."

Die Eindrücke dieses Besuchs wirkten noch lange nach. Er hatte beschlossen, wieder direkt zurück ins Schloss zu gehen, und nun saß er in der Bibliothek, und versuchte die zwei Probleme, die sich ihm in den Weg stellten, zu lösen. Erstens musste er lernen, seine Gedanken abzuschirmen, und zweitens musste er diesen Auror finden.

In dieser Nacht fand er jedenfalls keinen Schlaf.

Anm: Mein nächstes Kapitel, ich habs endlich geschafft. Irgendwie wird die ganze Geschichte düsterer, als ich es ursprünglich geplant hatte. Hoffentlich liest es noch irgend jemand...Vergesst den lustigen lila Button unten links nicht ;)