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Kapitel 3: Der Versuch, ihn nach Hause zu bringen
Piper versuchte ruhig zu bleiben, während sie den Kristall über den Stadtplan von San Francisco kreisen ließ. Es war jetzt schon mehr als eine halbe Stunde vergangen seitdem Chris verschwunden war und sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er ganz allein da draußen war, nachdem was gerade geschehen war. Die Schuld die sie fühlte war riesig und Piper glaubte nicht, dass sie es verkraften konnte, wenn ihrem Sohn etwas zustoßen würde. Als sie wieder auf den kleinen Jungen auf dem Bild sah, das sie zum Pendeln benutzte, konnte sie sich nicht länger zusammenreißen. Sie setzte sich auf den Stuhl der hinter ihr stand und begann wieder zu weinen.
Leo ging schnell zu ihr hinüber und nahm sie in seine Arme. „Mach dir keine Sorgen. Wir werden ihn finden. Und dann werden wir..."
„Wir werden was?", unterbrach ihn Piper. „Ihm sagen wie leid es uns tut? Ihm sagen, dass wir die Dinge, die wir gesagt und getan nicht so gemeint haben? Denkst du wirklich, dass das genügt?"
Leo konnte für einen Moment nicht antworten, da Piper gerade ausgesprochen hatte, was er sich selbst die ganze Zeit fragte. Aber dann, mit einem Blick auf das Bild seiner zukünftigen Familie, sagte er: „Vielleicht nicht, aber es ist ein Anfang. Ich weiß, dass er jedes Recht dazu hat uns für das was wir ihm angetan haben zu hassen, aber du musst einfach daran glauben, dass er in der Lage ist uns zu verzeihen."
„Wieso sollte er?", fragte Piper ihn verzweifelt. Sie konnte den schmerzvollen Blick in Chris' Augen einfach nicht vergessen. Den Schmerz, den sie ihrem eigenen Sohn zugefügt hatte.
„Weil er nur hier ist, um unsere Familie zu retten. Ich glaube nicht, dass er zurückgekommen wäre, wenn er uns nicht lieben würde", antwortete Leo und versuchte sich selbst genauso fest zu überzeugen, wie seine Ex-Frau.
Piper konnte noch immer nicht wirklich in das glauben, was Leo ihr sagte, aber sie konnte nicht einfach hier sitzen, während ihr Sohn irgendwo da draußen war und vielleicht dachte, dass sie wollte, dass er tot wäre. Sie stand auf und nahm den Kristall wieder in die Hand, um weiter nach Chris zu suchen. Aber die Minuten vergingen und nichts geschah. „Wieso kann ich ihn nicht finden?", fragte Piper frustriert.
„Vielleicht weiß er einen Weg, um uns abzublocken. Ich selbst kann ich ihn auch nicht aufspüren", sagte Leo, aber das war eindeutig nicht die Antwort, die Piper hören wollte.
Sie sah ihn wütend an und sagte entschlossen: „Dann müssen wir was anderes versuchen. Beam dich nach oben und sag deinen bescheuerten Freunden, dass sie..."
„Piper ich denke nicht, dass sie in der Lage sind ihn zu finden", unterbrach Leo sie. „Ich bin ja auch ein Ältester."
„Aber wir müssen etwas tun!", rief Piper wutentbrannt. „Unser Sohn ist irgendwo da draußen und denkt vielleicht, dass wir ihn alle hassen! Alles was er gewollt hat war uns zu retten und wir haben ihn wie Dreck behandelt! Ich weiß, dass es dich wahrscheinlich gar nicht kümmert, dass er uns braucht, aber mich kümmert das sehr wohl! Also hör auf mit deinen verdammten Ausreden und hilf mir meinen Sohn zu finden!"
Leo war eindeutig verletzt über das was sie sagte, aber er konnte es ihr nicht übel nehmen. „Piper, natürlich kümmert mich das auch etwas. Er ist auch mein Sohn. Und ich will ihn genauso sehr finden, wie du."
Piper sah und hörte, wie mies sich ihr Ex-Mann fühlte und regte sich schnell etwas ab. „Es tut mir leid, Leo. Ich denke, ich bin einfach nur auf mich selber wütend. Ich hatte nicht das Recht, so etwas zu sagen... aber wir müssen ihn finden!"
Leo seufzte und wollte erneut versuchen seinen Sohn aufzuspüren, als ihm ein Gedanke kam. Es war jedoch kein glücklicher Gedanke, da er ihn nicht an etwas erinnerte, auf das er stolz war, seit er wusste, wer Chris in Wirklichkeit war.
RÜCKBLENDELeo beamte sich auf die Golden Gate Bridge, wo er Chris gespürt hatte. Er musste mit ihm darüber reden, was heute geschehen war. Als er vollständig materialisiert war, sah er den jungen Wächter des Lichts, mit seinem Kopf auf den Knien, dasitzen. Er sah niedergeschlagen aus, aber das kümmerte Leo nicht. „Guter Ort zum Nachdenken, nicht?", fragte er, um Chris' Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Chris hielt es nicht für nötig ihn anzusehen. Er wusste bereits, was jetzt geschehen würde. „Was willst du?", fragte er mit ausdrucksloser Stimme.
„Nur reden. Weißt du, Vertrauen ist etwas sehr zerbrechliches. Wenn du es erst mal verlierst, ist es schwer, es wieder zurück zu gewinnen", sagte Leo und spielte damit darauf an, was heute Nachmittag geschehen war. Chris hatte sie alle manipuliert, damit sie Wyatts Kräfte binden würden, und während die Schwestern abgelenkt gewesen waren, hatte der Orden seinen Sohn gekidnappt.
„Hast du das aus einem Glückskeks?", schnaubte Chris verächtlich.
„Deine Sprüche helfen dir jetzt auch nicht mehr", warnte Leo.
Jetzt drehte Chris sich doch zu ihm hinüber. „Mir helfen? Ich hab doch sowieso schon alles vermasselt, denkst du nicht?"
Leo nickte zustimmend. „Ja, das denke ich auch."
„Was zum Teufel willst du dann von mir?", wiederholte Chris mit einer genervten Stimme, aber tief in seinem Inneren begann er zu verzweifeln. Wie konnte alles nur so falsch gelaufen sein? Seine eigene Mutter wollte ihn nie mehr wieder sehen und seine ganze Familie vertraute ihm nicht mehr. Wie sollte er jetzt noch in der Lage sein, seinen Bruder zu retten?
„Ich will, dass du meine Familie in Ruhe lässt", sagte Leo mit Ärger in seiner Stimme.
„Ich bin hier, um deinen Sohn zu retten, also...", versuchte Chris ihn davon zu überzeugen, dass seine Motive gut waren.
Aber Leo ließ ihn nicht ausreden. „Denselben Sohn, den du heute kidnappen hast lassen?", fragte er sarkastisch. „Vergiss es Chris. Dieses Mal glaub ich dir nicht mehr. Ich hab dir vertraut, aber alles was du gewollt hast, war meinem Sohn wehzutun, richtig?"
Chris schüttelte seinen Kopf. „Nein, ich will ihn retten. Du weißt nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Wyatt wird ein tyrannischer Herrscher sein und niemand ist vor ihm sicher. Er hat sogar versucht mich umzubringen."
Leo runzelte verwirrt die Stirn, als er die Betonung hörte, die Chris benutzte, als er mich gesagt hatte. „Und wieso wäre das so schlimm?"
Genau wie in alten Zeiten, dachte Chris, als er Leos Kommentar hörte. „Ich hatte beinahe vergessen, dass das für dich ja ein Grund zum Feiern wäre", sagte er verbittert.
„Na ja, nachdem was heute geschehen ist; ja ich denke das wäre es", erwiderte Leo kalt. Er sah nicht den verletzten Ausdruck der auf Chris' Gesicht erschien, da Chris wieder hinunter auf das Wasser starrte. „Und vergiss nicht, wenn ich dich jemals wieder in Wyatts Nähe sehe, werde ich nachholen, was ich in Valhalla versäumt habe." Dann beamte er sich weg.
ENDE DER RÜCKBLENDE„Piper! Ich denke, ich weiß wo er ist", sagte Leo, während er versuchte nicht daran zu denken, was er zu seinem Sohn gesagt hatte.
Piper sah in mit neuer Hoffnung an. „Beam", sagte sie, doch es war nicht einmal notwendig, da Leo schon ihre Hand genommen hatte, um sie zu ihrem Sohn zu bringen.
Als sie auf der Brücke erschienen, konnte sie sofort Chris erblicken, der mit einem zitternden Körper dasaß. Für einen kurzen Moment fragte sich Piper was mit ihm los war, doch dann hörte sie sein Schluchzen und ihr Herz schien in tausend Stücke zu zerspringen. Sie wollte zu ihm gehen, ihn in die Arme nehmen und ihm sagen, wie leid ihr alles tat und dass sie ihn liebte, aber dann hörte sie ihn plötzlich sagen: „Mom... es tut mir so leid."
Es brach Leo und Piper das Herz ihren Sohn so zu sehen. Sie hatten immer geglaubt, dass nichts in der Welt Chris dazu bringen könnte zusammenzubrechen, aber jetzt wurde ihnen klar, dass er seine Gefühle wohl immer nur unterdrückt hatte. Es musste schrecklich für ihn gewesen sein mit allem allein klar kommen zu müssen, und sie hatten es ihm nicht gerade einfacher gemacht. „Chris", sagte Piper nun sanft und berührte die Schulter ihres Sohnes.
Chris drehte sich um, überrascht dass sie ihn gefunden hatten. Er hatte jeden magischen Weg geblockt, mit dem sie in der Lage gewesen wären, ihn zu finden. Das war etwas was er gelernt hatte, in einer Welt, in der er sich vor seinem eigenen Bruder verstecken musste, weil dieser ihn umbringen wollte. Also wie hatten sie ihn gefunden?
Piper kniete sich nun neben ihn und wollte ihn umarmen, aber er stand schnell auf und versuchte die Tränen von seinem Gesicht wegzuwischen. Er wollte nicht, dass sie wussten wie er sich fühlte, denn er wusste, dass sie sich dann schuldig und vielleicht sogar verletzt fühlen würden. Aber er hatte ihnen niemals wehtun wollen – vor allem seiner Mutter nicht. „Wie habt ihr mich gefunden?", fragte er, während er versuchte, seine Stimme wieder so emotionslos wie immer klingen zu lassen.
„Ich dachte mir, dass du vielleicht hier sein würdest", erklärte Leo. „Du scheinst diesen Ort zu mögen."
„Bitte komm mit uns nach Hause Chris", bat Piper und machte einen Schritt in die Richtung ihres Sohnes, doch er wich vor ihr zurück.
„Nach Hause?", fragte er kalt. „Wo soll das für mich sein?"
Piper musste all ihre Selbstbeherrschung zusammennehmen, um nicht wieder anzufangen zu weinen, als sie hörte was Chris sagte. Was zur Hölle hatte sie getan, fragte sie sich zum hundertsten Mal. „Bei deiner Familie", antwortete sie. „Bei uns."
Chris schüttelte leicht den Kopf. „Nein", sagte er so leise, dass seine Eltern ihn kaum verstehen konnten.
„Chris, bitte hör auf so zu tun, als würde es dir nichts ausmachen was wir getan haben", sagte Leo nun. „Ich weiß, dass wir eine Menge schrecklicher Fehler gemacht haben, aber wir hätten diese Dinge nie getan, wenn wir gewusst hätten, wer du bist."
Als Chris nicht antwortete, versuchte Piper erneut die Hände ihres Sohnes zu nehmen, aber er zuckte wieder zurück. Sie seufzte traurig, war aber noch lange nicht dazu bereit aufzugeben. „Es tut mir so Leid was wir dir angetan haben. Ich – ich weiß, dass du keinen Grund hast uns zu verzeihen, aber ich liebe dich so sehr und..."
„Nein, das tust du nicht", sagte Chris endlich. Seine Stimme war nicht länger kalt, sondern voller Schmerz. Das waren genau dieselben Worte, die seine Mutter zu ihm gesagt hatte, bevor sie gestorben war und damals hatte er ihr geglaubt. Aber nach allem was in den letzten paar Monaten geschehen war, war er sich nicht mehr sicher, ob es wirklich noch stimmte. Er fragte sich, ob seine Mutter, wenn sie in seiner Zeit noch am Leben gewesen wäre, auch angefangen hätte, ihn zu hassen. „Ihr hasst mich", stellte er klar und brachte damit seine Eltern dazu, ihn mit großem Kummer anzusehen.
„Nein", flüsterte Piper. „Nein, Chris. Glaub das ja nicht."
„Wieso nicht? Es ist die Wahrheit, oder nicht?", fragte Chris, während die Tränen in seine Augen zurückkehrten.
„Nein, das ist nicht die Wahrheit", antwortete Leo.
Chris konnte das nicht mehr länger ertragen. Da standen sie und wollten ihn davon überzeugen, dass sie sich um ihn sorgten, nach allem was sie in den letzten Monaten zu ihm gesagt und getan hatten. Wie sollte er in der Lage sein, ihnen zu glauben? „Natürlich ist es das!", rief er plötzlich. „Ihr denkt vielleicht, dass ihr mich jetzt lieben müsst, wo ihr wisst, dass ich euer Sohn bin. Aber wir wissen alle, dass ihr mich hasst für was ich bin – für was ich getan habe."
Piper und Leo sahen ihn in Schock an, als ihnen klar wurde, dass Chris wirklich zu glauben schien, was er sagte. „Chris, ich weiß, dass du verletzt bist", sagte Piper, nahe daran wieder zusammenzubrechen. „Aber du musst uns glauben. Ich könnte dich niemals hassen. Ich li-"
„Wieso sollten wir uns selbst belügen?", unterbrach sie Chris. Seine Stimme war nicht länger voller Schmerz, sondern einfach nur leer. „Ihr habt beide ziemlich klar gemacht, was ihr für mich empfindet und ich kann euch nicht dafür verurteilen. Ich weiß, dass ich nicht jemand bin mit dem ihr verwandt sein wollt, oder gar als euren Sohn haben wollt. Ich verstehe das – wirklich."
Zu diesem Zeitpunkt rannen Piper wieder Tränen über die Wangen und auch Leos Augen wurden feucht. Sie konnten es einfach nicht fassen, was sie von ihrem Sohn hörten. Was er zu glauben schien. „Chris nein...", versuchte es Piper wieder, aber Chris unterbrach sie erneut.
„Ihr müsst euch nicht schuldig fühlen", sagte er. „Ich bin zurückgekommen, um Wyatt zu retten und nachdem ich das erledigt habe, dann... na ja, bin nicht einmal sicher, ob es ein dann geben wird. Immerhin hab ich sogar meine eigene Existenz verhindert. Vielleicht wird dein Wunsch nun endlich in Erfüllung gehen Leo und du wirst dich dieses Mal nicht mit mir herumschlagen müssen."
Leos Herz hörte beinahe auf zu schlagen, als er versuchte die Bedeutung von Chris' Worten zu verstehen. „Was meinst du damit?", fragte er, obwohl er sich nicht sicher war, ob er die Antwort überhaupt hören wollte.
„Na ja, es ist nicht gerade so, als hättest du mich je gewollt", antwortete Chris, jetzt wieder mit ein wenig Schmerz in seiner Stimme, über das was sein Vater getan – oder eher nicht getan – hatte. „Aber ich verstehe das", wiederholte er. „Es spielt auch keine Rolle mehr."
„Natürlich tut es das", widersprach Piper schnell. „Chris, du bist unser Sohn. Und natürlich wollen wir dich in unserem Leben haben. Es tut mir so leid, wenn du etwas anderes denkst, aber bitte gib uns eine zweite Chance. Ich will dich kennen lernen – richtig kennen lernen und nicht nur diese emotionslose Maske, die du trägst seit du hier bist. Bitte, ich liebe dich so sehr Schätzchen. Bitte komm mit uns nach Hause", bat sie ihn wieder und streckte ihre Hand aus, damit ihr Sohn sie nehmen konnte.
Chris sah sie an und für einen kurzen Moment wollte er wirklich glauben, was seine Mutter ihm erzählte und ihre Hand nehmen, aber er konnte die Blicke voller Hass nicht vergessen, die sie ihm in den letzten zwei Tagen zugeworfen hatte. Er konnte nicht vergessen, dass sie ihn alle hassten. Er schluckte heftig, bevor er einen Schritt von seinen Eltern weg machte. „Ich habe hier kein zu Hause. Ich hatte keins, seit ich vierzehn war und ich hab mich daran gewöhnt. Also hört auf euch so zu fühlen, als wäret ihr mir etwas schuldig, denn ich brauche euch nicht mehr." Er wusste, dass das was er sagte sie verletzten könnte, wenn sie sich nur ein bisschen um ihn sorgten, aber er wollte nicht, dass sie wussten, wie er sich wirklich fühlte. Bevor sie etwas sagen konnten, beamte er sich weg von der Brücke und ließ seine Eltern zurück, die in die Schulter des jeweils anderen weinten.
Fortsetzung folgt…
