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Kapitel 5: Aussprache und Versöhnung

Als Chris bei der Zimmertür seiner Mutter ankam, konnte er sie in den Armen seines Vaters auf dem Bett liegen sehen. Er konnte nicht anders, als in Erwägung zu ziehen, dass vielleicht doch noch Hoffnung für ihn bestand gezeugt zu werden. Er wünschte sich wirklich, dass er seine Eltern nicht hätte trennen müssen, aber es war der einzige Weg gewesen, um ihr Wächter des Lichts zu werden.

Chris wurde klar, dass sie etwas Ruhe brauchten, nachdem was heute alles geschehen war, deshalb drehte er sich um, um den Raum leise wieder zu verlassen. Aber sein Arm schlug dabei gegen einen Bilderrahmen und bevor er etwas dagegen unternehmen konnte, fiel er zu Boden und zersprang mit einem lauten Geräusch. Augenblicklich wachten seine Eltern auf und Piper streckte ihre Arme aus, um den Eindringling zu sprengen. Chris hob schnell verteidigend seine Hände und rief: „Bitte lass mich nicht wieder explodieren."

„Chris!", keuchte Piper überrascht auf. Sie konnte nicht fassen, dass er wirklich hier war. Sie wollte zu ihm hinüber gehen und ihn umarmen, aber sie hatte zu viel Angst, dass er dann vielleicht wieder verschwinden würde. Leo wusste auch nicht wie er reagieren sollte. Nachdem Piper und er sich etwas beruhigt hatten, hatte er sie zurück ins Haus gebeamt und keiner von den beiden hatte ein weiteres Wort gesagt. Die Erkenntnis darüber, was sie ihrem Sohn angetan hatten, war zu schrecklich, um darüber reden zu können und die Angst, dass sie ihn vielleicht nie wieder sehen würden, zu groß.

Aber nun da sie alle in einem Raum waren, waren Piper und Leo nicht die Einzigen, die nicht wussten, was sie tun sollten. Aber als Chris das verweinte Gesicht seiner Mutter sah, fühlte er sich schuldig. „Es-", begann er, musste jedoch kurz innehalten, um seine Stimme etwas ruhiger klingen zu lassen. „Es tut mir alles so leid. Ich wollte euch niemals wehtun."

Als Piper sah, dass ihr Sohn traurig und schuldbewusst den Kopf senkte, stand sie vom Bett auf und machte einen Schritt in seine Richtung. Sie wusste nicht, ob sie es riskieren konnte näher an ihn heranzugehen, auch wenn es nicht so aussah, als wollte Chris dieses Mal wieder verschwinden. Trotzdem zögerte sie damit ihn zu umarmen, obwohl sie noch nie in ihrem Leben etwas so sehr gewollt hatte.

Was sie nicht wusste war, dass Chris sich gerade genauso fühlte wie sie. Er musste einfach wissen, ob sie ihm verzeihen konnten. Aber vielleicht war es schon zu spät dafür. Er konnte sehen wie Piper sich von ihm fernhielt und es ließ ihn beinahe auf der Stelle verschwinden. Aber dann erinnerte er sich an die Worte seiner Tante. Er musste ihnen eine Chance geben. Schließlich sah er seine Mutter an und fragte: „Werdet ihr jemals in der Lage sein mir zu verzeihen?" Er schaffte es nicht die Angst davor zurückgewiesen zu werden aus seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck herauszuhalten.

Piper bemerkte es, aber sie war sich trotzdem noch immer nicht sicher, ob sie versuchen sollte ihn zu umarmen. Die Sekunden verstrichen, ohne dass jemand von ihnen etwas tat und Chris senkte wieder den Kopf, während er versuchte die Tränen zurückzuhalten. Es war zu spät. Auch wenn sie ihn heute Nachmittag nicht wirklich gehasst hatten, jetzt schienen sie es zu tun. Wieso zum Teufel war er so bescheuert gewesen und hatte diese Sachen auf der Brücke gesagt?

Piper sah, dass sich erneut Tränen in den Augen ihres Sohnes formten und ging endlich auf ihn zu. Als sie nur noch ein paar Zentimeter von ihm entfernt war und er sich noch immer nicht weggebeamt hatte, nahm sie all ihren Mut zusammen und zog ihn in ihre Arme. Zuerst war er eindeutig angespannt, aber dann ließ er sich gehen und legte seine Arme um sie, so wie er es hatte tun wollen, seitdem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, nachdem er aus der Zukunft hier angekommen war.

Leo seufzte erleichtert, als er sah, dass Chris endlich zu verstehen schien, dass es ihnen wirklich leid tat was sie getan hatten. Er hoffte nur, dass sie nun in der Lage sein würden über alles zu reden und sich gegenseitig zu verzeihen. Es war schwer für ihn an den Schmerz zu denken, den er seinem eigenen Sohn zugefügt hatte. Aber es schien als hätte er ihm nicht nur in dieser Zeit wehgetan, sondern auch in der Zukunft. Er erinnerte sich daran, dass Chris gesagt hatte, dass er ihn nie gewollt hat. Aber wieso glaubte Chris das? Er würde niemals zu seinem Sohn so etwas sagen. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er seinen Sohn schluchzen hörte.

„Es tut mir so leid", wiederholte Chris, während seine Tränen auf die Schulter seiner Mutter fielen. Jetzt da er endlich wieder in ihren Armen war, konnte er es einfach nicht mehr zurückhalten. Es war beinahe so wie früher als er noch ein kleines Kind gewesen war und sich vor ein paar Dämonen gefürchtet hatte. Seine Mutter hatte ihn immer in ihren Armen gehalten und ihn nicht losgelassen, bis er sich beruhigt hatte. Aber jetzt war es etwas anders. Die Angst das sie loslassen würde war unerträglich und Chris wusste nicht was er tun sollte, wenn sie ihm die Dinge die er getan hatte nicht verzeihen konnte.

Aber seine Angst wurde schnell kleiner, als Piper ihm durch die Haare strich und beruhigend flüsterte: „Sssch... es ist okay Baby, es ist okay. Es gibt nichts was dir leid tun muss. Und nichts was ich dir verzeihen muss. Ich bin diejenige, die Vergebung braucht."

Chris schüttelte leicht den Kopf. „Nein, es ist verständlich was ihr..."

Plötzlich wich Piper von ihm zurück und Chris sah sie ängstlich an, während er hoffte, dass er nichts gesagt hatte, was seine Mutter wieder wütend auf ihn gemacht hatte. Aber er beruhigte sich schnell wieder, als Piper seine Hände drückte und sagte: „Es ist nicht verständlich was wir getan haben, Chris. Und es tut mir so Leid für alles, das du wegen uns durchgemacht hast. Ich kann es verstehen, wenn du uns hasst..."

„Ich könnte dich niemals hassen", unterbrach Chris sie schnell.

Piper lächelte erleichtert. Sie wusste, dass es noch eine Menge Dinge gab, die sie bei ihrem Sohn wieder gutmachen musste, aber es machte sie unbeschreiblich glücklich, dass er sie nicht hasste. „Wirst du uns jemals vergeben?" fragte sie dann auf der Suche nach der Hoffnung, dass alles gut werden würde.

„Das hab ich bereits", antwortete er ohne zu zögern. Es war wahr was er seiner Tante gesagt hatte. Er war nie auf sie wütend gewesen. Na ja, vielleicht etwas auf seinen Vater, aber nie auf seine Mutter. Als sie ihn nun wieder umarmte, fühlte er sich zum ersten Mal seit acht Jahren wirklich glücklich. „Ich hab dich so lieb, Mom", sagte er bevor er sich stoppen konnte. Aber dann fügte er schnell hinzu: „Ich meinte – Piper."

„Chris, ich hab dich auch sehr lieb", erwiderte Piper. „Und du kannst mich ruhig Mom nennen wenn du willst."

„Na ja, du bist nicht wirklich meine Mutter – zumindest noch nicht", sagte Chris und blickte kurz zu seinem Vater hinüber, der noch immer auf dem Bett saß. „Und vielleicht wirst du es auch nie werden."

Piper wusste für einen Augenblick nicht was sie darauf sagen sollte, aber dann sah sie selbst nach hinten zu ihrem Ex-Mann und die Liebe die sie in seinen Augen sah, erinnerte sie daran, wie sehr sie ihn selbst eigentlich noch liebte. Sie drehte sich wieder um zu ihrem Sohn und sagte: „Ich bin deine Mutter, Chris. Und nichts kann jemals etwas daran ändern."

Chris musste lächeln, als er Pipers Worte hörte. Er wollte sie wieder umarmen, zögerte jedoch. Er fühlte sich noch immer nicht sehr wohl dabei, seiner Mutter nahe zu kommen. Was wenn sie obwohl er Wyatt rettete trotzdem an seinem vierzehnten Geburtstag sterben wird? Dann wäre er dazu gezwungen noch einmal mit dem Schmerz sie zu verlieren klar zu kommen und er wusste einfach nicht, ob er das ertragen konnte.

„Chris?", fragte Piper unsicher, als sie sah, dass die Angst in die Augen ihres Sohnes zurückgekehrt war. „Was ist los?"

„Nichts", antwortete er schnell. Er wollte wirklich nicht, dass sie davon wusste. „Es geht mir gut."

„Wie kommt es, dass ich dir nicht glaube?", fragte Piper, während Leo zu ihnen hinüber ging.

„Komm schon Chris", sagte er und legte zögernd eine Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Du kannst es uns sagen."

Für einen kurzen Moment zog Chris es wirklich in Erwähnung es ihnen zu sagen, aber als er seine Mutter ansah, konnte er nicht. Sie musste es nicht wissen. Hoffentlich war er in der Lage ihr Schicksal zu ändern. „Ich hab nur gerade an Wyatt gedacht", sagte er stattdessen, verfluchte sich allerdings im nächsten Augenblick dafür, als er die niedergeschlagenen und besorgten Blicke seiner Eltern sah.

Aber Leo begriff schnell, dass Chris derjenige war, der jetzt Trost brauchte, also änderte er seinen besorgten Gesichtsausdruck in einen voller Entschlossenheit. „Mach dir keine Sorgen, Chris. Wir werden ihn retten – zusammen. Du musst diese Bürde nicht länger allein tragen."

Chris war total überrascht, als er Leos Worte hörte. In der Zukunft hatte er nie etwas Aufmunterndes zu ihm gesagt. Alles was Leo jemals getan hatte war ihn dazu zu bringen sich so zu fühlen, als wäre er nicht gut genug – nicht gut genug, um sein Sohn zu sein. Vielleicht wird dieses Mal wirklich alles anders sein, dachte Chris, während eine neue Hoffnung in ihm aufflammte.

„Was ist dein Lieblingsessen?", fragte Piper plötzlich.

„Was?", fragte Chris verwirrt zurück.

„Dein Lieblingsessen", wiederholte Piper. „Ich hatte heute noch kein Abendessen und ich bin am verhungern. Und du bist viel zu dünn. Also sag mir was du willst und ich geh hinunter und mach es."

„Ähm... wie wär's mit Pfannkuchen?", antwortete Chris schließlich.

Piper warf ihm einen komischen Blick zu, bevor sie in spielerischem Unglauben den Kopf schüttelte. „Das sollte mich dazu bringen meine zukünftigen Qualitäten als Köchin in Frage zu stellen. Ich war einmal Chefköchin und das Lieblingsessen meines Sohnes sind Pfannkuchen."

Chris grinste. „Ja, aber deine Pfannkuchen sind die besten in der Welt, also musst du dein Qualitäten als Köchin wirklich nicht in Frage stellen."

Piper lächelte glücklich. Es war so ein gutes Gefühl ihn wieder bei sich zu haben und in der Lage zu sein wie eine Mutter für ihn da zu sein. Sie nahm ihn wieder in ihre Arme und dieses Mal umarmte Chris sie sofort. „Willkommen zu Hause Schätzchen", sagte sie, bevor sie ihn wieder losließ, um nach unten zu gehen und ein paar Pfannkuchen zu machen.

Chris sah ihr hinterher und konnte noch immer nicht richtig begreifen was in den letzten vierundzwanzig Stunden alles geschehen war. Pipers letzte Worte hallten in seinem Kopf wieder. Willkommen zu Hause. Zu Hause. Er hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, dass er seit seinem vierzehnten Geburtstag kein zu Hause mehr gehabt hatte. Nachdem Wyatt begonnen hatte die Welt zu beherrschen hatte er aus dem alten viktorianischen Haus ein Museum gemacht und Chris hatte niemals wieder etwas sein zu Hause nennen können.

„Chris?", fragte Leo unsicher. Piper hatte schon eine Menge Dinge mit ihrem Sohn geklärt, aber Leo wusste nicht, ob es für ihn auch so leicht sein würde.

Chris drehte sich zu seinem Vater um und wusste augenblicklich was ihn beschäftigte. „Leo, es tut mir wirklich Leid..."

„Hör auf das zu sagen", unterbrach ihn Leo. Er war etwas verletzt, dass Chris ihn noch immer bei seinem Vornamen ansprach, aber er wusste, dass er es wahrscheinlich verdiente.

„Aber ich muss dir das erklären", erwiderte Chris und setzte sich auf das Bett seiner Mutter. Er zögerte einen Moment, bevor er sagte: „Ich war derjenige, der dich nach Valhalla verbannt hat. Du hattest die ganze Zeit über Recht. Ich wollte nie, dass du und Mom euch trennt, aber ich musste dich zum Ältesten machen, damit ich ihr Wächter des Lichts werden konnte. Ich weiß, dass es nicht nötig war die Walküren dazu anzustiften dich als Gefangenen zu halten, aber... ich war wütend auf dich und – kannst du mir verzeihen?"

Leo setzte sich neben seinen Sohn und sprach die Frage aus, von der er die Antwort mehr als alles andere fürchtete. „Wieso warst du so wütend auf mich?"

Chris seufzte schwer. Er wollte nicht darüber reden, aber ihm wurde klar, dass wenn er wollte, dass sich das auch änderte, dann musste er seinem Vater davon erzählen. „Weil du nie für mich da warst", antwortete er schließlich. „Du hattest immer Zeit für Wyatt, aber nie für mich. Du hast ihn immer mehr beachtet als mich und manchmal hast du dich sogar so benommen, als würde ich nicht existieren. Ich weiß nicht wieso du das gemacht hast – aber ich will nicht, dass es wieder so ist sollte ich in die Zukunft zurückkehren können. Ich wollte immer nur, dass du stolz auf mich bist."

Es war hart für Leo sich anzuhören was sein Sohn ihm da erzählte, aber er war entschlossen das alles zu ändern und Chris den Schmerz zu ersparen, den er ihm in der Zukunft zugefügt hatte. „Ich werde nicht noch einmal dieselben Fehler machen, Chris. Das verspreche ich dir", sagte er und sah seinem Sohn in die Augen bevor er hinzufügte: „Und ich bin stolz auf dich."

„Chris! Leo!", rief Piper plötzlich von unten. „Die Pfannkuchen sind fertig!"

„Wir sollten besser nach unten gehen", sagte Chris und stand vom Bett auf.

„Chris", rief Leo ihm hinterher, bevor er den Raum verlassen konnte.

Chris drehte sich erneut zu seinem Vater um. „Was ist?", fragte er.

„Ich hab dich lieb", sagte Leo.

Chris schluckte und versuchte etwas zu finden, dass er seinem Vater antworten könnte. Er hatte noch nie diese Worte von Leo gehört, aber er konnte nicht leugnen, dass er sich immer gewünscht hatte, dass er sie irgendwann zu hören bekommen würde.

„Du musst jetzt nichts sagen", fügte Leo hinzu, als er sah wie sein Sohn nach Worten suchte. „Ich weiß, dass ich es nicht verdiene, dass du mich auch liebst."

„Na ja, ich kenn dich ja eigentlich kaum. Aber du kannst das alles noch ändern. Es liegt jetzt an dir... Dad", erinnerte Chris ihn.

Leo nickte. „Ich weiß. Und ich werde es ändern."

„Chris! Leo!" kam Pipers Stimme wieder von unten.

Leo stand nun auch auf und ging hinüber zur Tür. „Kommst du?", fragte er Chris, als er bemerkte, dass dieser ihm nicht folgte.

„Ja, gib mir nur ne Sekunde", antwortete Chris. Leo nickte wieder, bevor er nach unten ging, um seiner Ex-Frau in der Küche Gesellschaft zu leisten.

Als Leo weg war, sah Chris sich in dem Zimmer seiner Mutter um und lächelte glücklich. Er hatte sich seit Jahren nicht mehr so gut gefühlt. Endlich konnte er es glauben, dass Piper ihn wirklich liebte und vielleicht sogar Leo. Nur die Zukunft würde zeigen, wie die Dinge von nun an zwischen ihnen sein würden. Eine Zukunft, von der Chris zum ersten Mal überzeugt war, dass er sie zum Besseren wenden konnte. Nach einem letzten Blick auf das Foto, das er aus der Zukunft mitgenommen hatte und das jetzt auf dem Nachttisch seiner Mutter lag, verließ er den Raum, um zu seiner Familie zu gehen.

ENDE

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