Auch im Hasse gibt es Eifersucht; wir wollen unseren Feind für uns allein haben."
(Friedrich Nietzsche)

Der Nebel hatte sich in der Stadt ausgebreitet wie eine schwere, feuchte Decke. Unaufhaltsam kroch er vom Fluss durch die Straßen, in die kleinsten Winkel und Fugen, fand jede Ritze und setzte sich darin fest. Doch plötzlich endete sein Vormarsch. Die Sonne blinzelte träge über den Dächern, streckte sich und sah dann auf die Stadt hinunter. In ihrem milden Lächeln wich der Nebel langsam und nur widerwillig zum Fluss zurück. In der nächsten Nacht würde er es wieder versuchen, jetzt überließ er dem Morgen Paris.

Auch Jussac blinzelte und rieb sich den Nacken. In einem Sessel einzuschlafen, und wenn es nur für wenige Stunden war, war nicht gerade die angenehmste Art die Nacht zu verbringen. Verschlafen reckte sich der Leutnant, gähnte herzhaft und fragte sich, warum er in seiner eigenen Wohnung zum Schlafen den Sessel, statt das Bett gewählt hatte. Und dann erinnerte er sich.

Weil das Kanapee recht schmal war und nicht geeignet, einem Verwundeten sicheres Lager zu sein, hatte Jussac eine Entscheidung treffen müssen. Mit den Worten: „Heute muss wirklich Euer Glückstag sein, Monsieur!", - einer Anmerkung, der d'Artagnan sicher widersprochen hätte, wäre er dazu in der Lage gewesen - hatte der Leutnant der Gardisten sein Bett dem Gascogner überlassen. Mit Hilfe von Antoine hatten sie den Musketier herüber getragen und die Hälfte der Nacht hatte Jussac dann damit zugebracht, zu überlegen, ob er es sich nun auf dem Kanapee gemütlich machen sollte und seinem Diener die Wache überlassen. Irgendwann musste er über Für und Wider dieses Gedankens eingeschlafen sein.

Mit noch immer leicht verspannten Nackenmuskeln und knackenden Rückenwirbeln, was ihm ein „hmpf" entlockte, stand Jussac jetzt auf und warf einen Blick aus dem Fenster. Die Sonne war eben erst aufgegangen, es konnte noch nicht viel später als sieben oder halb acht sein. Die Scheibe war noch beschlagen von der kühlen Nachtluft.

Auf dem Bett regte sich noch nichts. Mit einem nur flüchtigen Blick kontrollierte Jussac, dass der Verband noch saß und der Musketier noch atmete, dann verließ er leise das Zimmer. Antoine lag auf dem Kanapee und schnarchte zufrieden. Obwohl er nicht unter seiner Wolldecke lag, die erst gründlich ausgewaschen werden musste, schien der Diener nicht zu frieren, noch sich vom Eintreten seines Herrn weiter stören zu lassen.

„Antoine."

Der Diener murmelte etwas unverständliches und drehte sich auf die andere Seite. Jussac runzelte verärgert die Stirn und wiederholte etwas lauter: „Antoine!"

Jetzt schreckte Antoine hoch und sah sich zunächst verwirrt um, bis er seinen Herrn erkannte. „Monsieur?"

„Geh nach nebenan und pass auf unseren Gast auf."

„Ja, Herr."

Jussac verschwendete keine Zeit damit zu beobachten, wie Antoine schlaftrunken die Beine vom Kanapee schwang und ins Schlafzimmer hinüberwankte. Stattdessen ging er in die Küche, um den Tag mit einem ausgiebigen Frühstück zu beginnen. Zum Abendessen war er gestern ja dank gewisser, lästiger Umstände nicht gekommen.

Auf dem Küchentisch lag der Degen, den Antoine auf der Brücke eingesammelt hatte. Das Blut an der Klingenspitze war mittlerweile trocken und bräunlich verfärbt. Wenn das Eisen nicht rosten und brüchig werden sollte, musste der Degen gesäubert werden. Jussac sah dies allerdings nicht als seine Aufgabe an. Es wäre ohnehin besser, die Waffe verschwinden zu lassen. Aber zunächst wollte der Leutnant noch Klarheit darüber haben, was gestern wirklich vorgefallen war.

Jussac ließ sich Zeit mit dem Essen. Jede Minute, die er in der Küche zubrachte, hatte er nicht die Verpflichtung beim kleinsten Anzeichen aufzuspringen und zu sehen, ob sich der Gesundheitszustand d'Artagnans besorgniserregend verschlechterte. Allerdings hatte Caillaux nicht gelogen: Was auch immer er dem Gascogner verabreicht hatte, es ließ ihn friedlich, ohne Fieberträume schlafen. Wenn er aufwachte, würde er sicher Durst haben.

Der Leutnant beendete sein Frühstück und füllte eine Karaffe mit Brunnenwasser. Einen Moment zögerte er, dann griff er seufzend nach einem Becher und nahm ihn und das Wasser mit zurück ins Schlafzimmer. Antoine saß im Sessel, wo Jussac selbst die letzten Stunden verbracht hatte und schien, den Kopf auf eine Hand gestützt, schon wieder eingeschlafen zu sein. Anscheinend machte sich der Diener nicht besonders große Sorgen darum, während seiner Wacht könnte irgendetwas geschehen.

„Aufwachen, elender Faulpelz!" rüttelte Jussac seinen Diener an der Schulter, dass der zum zweiten Mal an diesem Morgen aufschreckte und verdutzt zu seinem Herrn aufsah. Der Gardist bedeutete Antoine mit einer knappen Geste, zu verschwinden. Der Diener gehorchte sofort, allerdings schloss er nicht gerade leise die Tür hinter sich und wenn Jussac nicht noch immer die Karaffe und den Becher in der Hand gehabt hätte, hätte Antoine jetzt eine schallende Ohrfeige erwartet. „Himmelherrgottsakranochmal!", musste sich Jussac so allerdings mit einem Fluch begnügen.

Der Leutnant wurde von diesem Gedanken abgelenkt, als er ein leises Stöhnen vom Bett her hörte. Sehr abwechslungsreich waren die Äußerungen des Gascogners in letzter Zeit nun wirklich nicht. Jussac verfluchte stumm seinen reichlich unangemessenen Humor und trat an das Bett heran. Seine Mitbringsel stellte er auf der niedrigen Kommode daneben ab und wartete dann, ob sich d'Artagnan zum Aufwachen entschließen würde. Er tat es.

Sehr langsam, als koste es ihn alle Kraft, schlug der Musketier die Augen auf und schien dennoch nicht viel erkennen zu können. Zumindest kniff er die Lider gleich wieder zusammen und versuchte es dann nach einem Augenblick erneut. Sein Blick fiel nicht sofort auf Jussac, sondern zunächst an die Zimmerdecke, die ihm gänzlich unbekannt sein musste. Offensichtlich verwirrt und noch immer nicht ganz begreifend, wer, wo und warum er hier war, drehte er leicht den Kopf und sah den Leutnant der Gardisten.

„Guten Morgen." Jussac konnte nicht gänzlich den Sarkasmus aus seiner Stimme verbannen, als er seinen Gast begrüßte.

„Wa...", krächzte d'Artagnan und verstummte gleich wieder. Seine Kehle war zum Sprechen wohl zu ausgetrocknet. Was bei dem Blutverlust nicht weiter verwunderlich war.

„Hier, trinkt." Jussac füllte aus der Karaffe den Becher und setzte sich auf die Bettkante. Der Leutnant der Musketiere schien tatsächlich Anstalten machen zu wollen, mit dem gesunden Arm nach dem Trinkgefäß zu greifen, aber Jussac entzog ihm den Becher.

„Dazu werdet Ihr wohl kaum in der Lage sein." schüttelte er den Kopf und half d'Artagnan dann, indem er ihm den Becher an die Lippen setzte und ihm langsam zu trinken gab. Der Musketier schluckte erst vorsichtig, dann in gierigeren Zügen und Jussac musste zweimal nachfüllen. Endlich schien der Durst aber soweit gestillt zu sein und der Leutnant konnte den Becher beiseite stellen.

„Danke." D'Artagnan klang noch immer etwas heiser und schwach, aber immerhin konnte er reden.

„Ihr seid erneut äußerst vorschnell mit Eurem Dank. Wie gestern schon."

„Gestern..."

„Ja, gestern. Falls es Eurer Erinnerung hilft: Ihr seid auf der Brücke zusammengebrochen."

Jussac beließ es bei dieser sehr unvollständigen Auskunft und es dauerte einige Momente, bis sich die Verwirrung in der Miene des Musketiers verflüchtigte. Offensichtlich wusste d'Artagnan nun wieder, was vorgefallen war und Jussac fand Beweis genug darin, dass der Gascogner nach dem Verband tastete. Er verzog schmerzhaft das Gesicht, als er die Schulter berührte und unterließ es, sich auf diese Weise noch weiter über seinen Zustand zu versichern.

„Habt Ihr-"

„Nein, Monsieur Caillaux. Er hat Euch versorgt, nachdem ich Euch hergebracht hatte."

„Wo...?"

„In meiner Wohnung."

„Eurer Wohnung?"

„D'Artagnan, an was erinnert Ihr Euch?"

Der Musketier wandte den Blick zur Decke, als stünde dort die Antwort geschrieben. Jussac ließ ihm die Zeit zum Überlegen. Er würde nichts erfahren, wenn er den Gascogner drängte.

„Ich war auf der Brücke", sagte er schließlich gegen die Holzbalken der Zimmerdecke gewandt. „D'Ébilité und seine Freunde kamen in meine Richtung."

D'Ébilité? Meinte d'Artagnan einen der jungen Gardisten? Was für ein äußerst albernes, geistloses Wortspiel! Aber immerhin versicherte es Jussac darüber, dass der Musketier nicht die Namen seiner Angreifer kannte.

„Und weiter?"

„Weiter?" D'Artagnan wandte den Blick wieder dem Leutnant zu und sah ihn an, als würde er ihn erst jetzt erkennen. „Ein Verhör, Monsieur?"

„Ihr habt es erfasst. Ich will genau wissen, was auf dieser Brücke zwischen Euch und... d'Ébilité vorgefallen ist."

„Warum?"

Jussac lachte humorlos auf. „Warum? Das will ich Euch gerne sagen, Herr Musketier: Weil Ihr mir beinahe durch Eure Kopflosigkeit einen sehr großen Stapel von Papieren beschert hättet. Weil Ihr mir sicher noch sehr großen Ärger bescheren werdet und weil Ihr es mir ganz einfach schuldet."

„Verstehe." D'Artagnan schien tatsächlich zu begreifen und zu Jussacs Überraschung fuhr er fort: „Ich würde nicht anders handeln."

„Ja. Es sind meine Gardisten, mit denen Ihr gestern Händel hattet. Ihr wisst, warum ich dazwischen getreten bin."

„Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, Ihr hättet mir um Meinetwillen das Leben gerettet." Auch d'Artagnan kannte sich mit Sarkasmus aus, und dieser hier war besonders bissig vorgetragen. So bissig, dass Jussac noch etwas anderes glaubte, herauszuhören, es aber nicht recht benennen konnte.

„Um Euretwillen wären wohl Eure Freunde zuständig. Aber diese hätten Euch auch davon abgehalten, solch eine Dummheit überhaupt zu begehen. Ihr solltet in Zukunft etwas vorsichtiger sein. Seid Monsieur Athos die Stadt und die Musketiere verlassen hat, hält Euch niemand mehr den Rücken frei – und Ihr habt Euch viele Feinde gemacht, d'Artagnan. Ich glaube nicht, dass Ihr Euch noch Zusätzliche leisten könnt."

„Ihr wolltet wissen, was geschehen ist." Nicht sehr geschickt lenkte der Musketier das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema, was natürlich auch Jussac auffiel. Der Gardist ließ es darum auch dabei bewenden. D'Artagnan wusste anscheinend selbst gut genug, dass er den Dingen jetzt allein gegenüberstand.

„Ich will wissen, wie es zu dem Bild kam, dass ich gestern beobachten konnte. Ihr habt einen Gardisten mit dem Degen bedroht, gleichzeitig lag die Klinge eines anderen Gardisten an Eurem Hals. Beinahe wärt Ihr getötet worden und der Kompanie des Kardinals hätten vier unehrenhafte Entlassungen, wenn nicht schlimmeres vorgestanden. Euch dürfte klar sein, dass es meine Pflicht ist, solche Dinge zu verhindern."

„Wer hätte es erfahren?" Der Musketier sprach noch immer mit kratziger Stimme, aber jetzt mischte sich auch ein anderer, leiser Unterton hinein. „Es gab keine Zeugen, nur Euch. Wer hätte erfahren, dass es die Garde des Kardinals war? Ihr hättet warten können."

Zorn stand in Jussacs Miene geschrieben, als er diese Worte hörte. „Ihr habt eine sehr ungeschickte Art, jemanden zu beleidigen, Monsieur. Ja, ich hätte die Dinge einfach geschehen lassen können und ich sage Euch, so mancher hätte es vielleicht getan. Aber ich entledige mich meiner Widersacher gerne persönlich."

„Ein Glück für mich, Monsieur", zuckte ein Lächeln in d'Artagnans Mundwinkeln. „Ich schulde Euch tatsächlich mein Leben. Es ist nur recht und billig, wenn Ihr alles erfahrt, um Eure Gardisten zu schützen."

„Raufbolde, Monsieur."

„Ja, Raufbolde. Nun, wenn es so ist, dann genügt es zu sagen, dass wir uns nicht darüber einigen konnten, wie viel Platz ein jeder von uns auf der Straße benötigt. Anscheinend nicht genug, dass zwei Kontrahenten Ihr Degen ziehen können, wenn einer am Geländer steht. Aber ein Dolch ist nicht so groß."

„Ihr habt den Degen gehalten."

„Nein, ich hatte den Dolch."

Jussac verfiel in Schweigen und sah gedankenverloren aus dem Fenster, während er sich auszumalen versuchte, was genau geschehen war. Der Schluss, zu dem er kam, gefiel ihm nicht. Die Vorstellung, dass ein junger Gardist sich mit gezogener Waffe auf einen Offizier stürzte und ihm die Schulter durchbohrte, konnte einem Leutnant nicht gefallen.

Schließlich sah Jussac wieder zum Bett und runzelte die Stirn. Der Musketier hatte die Augen wieder geschlossen und die Lippen fest zusammengepresst. Er war noch immer sehr blass. „Wie fühlt Ihr Euch?"

„Als ob mir jemand die Schulter durchbohrt hätte. Wie schlimm ist es?"

Der Gardist zögerte einen Moment. „Caillaux sagte, Ihr werdet es überstehen."

„Alles von mir?" grinste d'Artagnan schwach, aber täuschte damit nur schlecht über seine Unruhe hinweg. Anscheinend wusste nicht nur Jussac, was bei solch einer Verletzung alles geschehen mochte.

„Zeigt Eure Hand her!" Jussac schlug etwas die Decke zurück und besah sich die Finger des verletzten Armes. Hm, sie sahen fast weiß aus, nicht sehr gut durchblutet. Aber noch nicht blau, oder unter den Fingernägeln schon schwarz. „Der Arzt sagte, ein Blutgefäß sei durchtrennt. Vielleicht habt Ihr Glück, und es war nicht die Arterie, sondern etwas anderes."

„Caillaux ist eigentlich immer erschreckend genau mit seiner Diagnose." Der Scherz klang etwas hilflos und Jussac konnte nachempfinden, wie sich der Musketier fühlen musste. Die Aussicht, einen Arm zu verlieren, war nie besonders erfreulich.

„Ruht Euch noch aus. Caillaux sagte ebenfalls, es wird jemand kommen, um Euch abzuholen." deckte der Leutnant d'Artagnan wieder zu und erhob sich von der Bettkante.

„Jussac?"

„Ja?"

„Danke. Ihr werdet hoffentlich noch Gelegenheit erhalten, Euch des Widersachers persönlich zu entledigen."

„Verlasst Euch darauf", nickte Jussac ganz ernsthaft und verließ das Schlafzimmer. Er kehrte noch einmal in die Küche zurück und betrachtete nachdenklich den Degen auf dem Tisch. Luchaire hieß der junge Mann, dem die Waffe gehörte. Er war ein Hitzkopf, aber nicht einer von der Sorte, die dennoch Verstand besaßen. Luchaire war ein Tölpel und der Leutnant hatte von Beginn an gewusst, dass dieser Gardist Scherereien bedeuten würde. Von heute an würde er einen besonders schweren Stand in der Kompanie haben...

Als Antoine einige Minuten später auf ein Klopfen hin die Tür öffnete, stellte Jussac den Degen in den Wandschrank und ging in den Flur. Draußen standen, vor einer Kutsche, Caillaux und der Besitzer eben dieser Kutsche.

„Monsieur le capitaine", verneigte sich Jussac knapp und seufzte innerlich. Der Hauptmann der Musketiere würde eine gute Erklärung verlangen und der Gardist würde ihm die Halbwahrheit geben, auf die er und d'Artagnan sich geeinigt hatten. Tréville würde nicht sehr zufrieden sein. Aber immerhin holte er seinen Leutnant persönlich aus der Höhle des Löwen.


Einige Monate später hatte d'Artagnan gerade seinen Dienst beendet und es sich zu Hause, in der Rue des Fossoyeurs, in einem Sessel bequem gemacht. Beinahe drei Wochen lang hatte er kaum das Bett verlassen können und wenn nicht Gaston, Trévilles eigener Diener, den der Hauptmann großzügig, vielleicht auch ein wenig besorgt, an seinen Leutnant verliehen hatte, dem Gascogner den zweiten Arm ersetzt hätte, wäre vielleicht noch viel länger Bettruhe von Nöten gewesen.

Caillaux besuchte alle zwei Tage seinen Patienten, wechselte den Verband, brummte mit finsterer Miene irgendwelche lateinischen Wörter – und auch das wahrscheinlich nur, um den Leutnant zu ärgern – und meinte alles in allem, die Schulter würde gut verheilen. Vom Arm sprach er nicht.

Manchmal kribbelte es d'Artagnan unangenehm in den Fingern, ohne, dass es eine nachvollziehbare Ursache dafür gegeben hätte. Der Wundarzt beschrieb das als völlig normal. „Phantomschmerzen", erklärte er dem Gascogner. „Wenn ein Nerv getroffen wurde, werdet Ihr das immer wieder spüren, den Rest Eures Lebens. Könnt Ihr die Schulter heben?"

D'Artagnan versuchte es und war sehr erleichtert, als es ihm gelang. Caillaux nickte zufrieden. „Ihr seid auf dem Wege der Besserung. Einige Monate noch werden die Muskeln steif sein, bis alles verheilt ist. Aber dann werdet Ihr keinen Unterschied zu vorher mehr spüren."

„Beinahe keinen", grinste der Leutnant etwas schief und knöpfte mit der Rechten den Uniformüberwurf zu.

Nach einem Monat nahm er den regelmäßigen Dienst wieder auf, zunächst nicht für ganze Tage. Doch nach und nach traute ihm der Hauptmann wieder längere Zeiten zu und schließlich ging der Leutnant seinen Pflichten wieder so nach, wie vor der Auseinandersetzung auf der Brücke. Weder Tréville, noch irgendein anderer Musketier glaubte die Geschichte mit dem nächtlichen Überfall durch betrunkene Raufbolde. Aber man ließ die Gardisten des Kardinals in Ruhe und sprach auch d'Artagnan nicht darauf an.

Jetzt also streifte der Leutnant gerade die Stiefel ab und freute sich auf ein Glas Wein, als ihn ein Geräusch an der Tür den Kopf wenden ließ. Auf dem Boden lag ein zusammengefalteter Zettel und d'Artagnan ahnte mit einem unguten Gefühl, um was für eine Nachricht es sich handeln mochte.

Seufzend stand er auf und hob das Papier auf, ohne die Tür zu öffnen und nachzuschauen, wer ihn gebracht haben mochte. Als er den Zettel auffaltete und las, bestätigte sich sein Verdacht. Ruhig trat der Leutnant zum Kamin und warf das Papier hinein. Es kribbelte in seinen Fingern und gerne hätte d'Artagnan die Hand zur Faust geballt.


Am nächsten Abend saß der Leutnant der Musketiere auf einer Treppe hinterm Luxembourg und erwartete seinen Gegner. Schlag sechs erschien d'Ébilité, indem er mit dem letzten Sonnenlicht auf den verlassenen Hof trat. Er hatte seine Freunde mitgebracht, die nicht sehr glücklich aussahen, hier zu sein.

„Monsieur, keine Sekundanten? Ihr enttäuscht mich, ein wahrer Edelmann sollte Freunde haben, die sich für ihn schlagen."

„Nur, wenn er sich nicht selbst schlagen kann", erhob sich d'Artagnan und streifte dabei seinen Mantel ab. „Wollt Ihr beginnen, oder wollt Ihr Reden halten?"

„So eilig, zu sterben?"

„Ihr habt den Zeitpunkt bestimmt. Wohlwissend, dass Ihr mir gegenüber jetzt im Vorteil seid. Ihr habt also leichtes Spiel. Bringt es hinter Euch."

„Wie Ihr wollt!" Der junge Gardist gab seinen Freunden mit einem Wink zu verstehen, zurückzutreten und zog dann seinen Degen. „Ich habe mir eine neue Klinge gekauft, wie Ihr seht."

„Wenn Ihr damit umgehen könntet, würdet Ihr aufhören ein Gespräch führen zu wollen", begab sich d'Artagnan ebenfalls in Ausgangsstellung. Die Klingen berührten sich sacht gekreuzt und jeder der Kontrahenten wartete darauf, dass der Gegner den ersten Schlag führen würde.

„Stört es die Herren, wenn ich mich hinzugeselle?"

Überrascht traten der Musketier und d'Ébilité zurück, als eine weitere Person den Platz betrat. Jussac erweckte den Anschein völliger Gelassenheit und lehnte sich bequem gegen eine Mauer. Die Freunde des jungen Gardisten starrten ihren Leutnant völlig entgeistert an, hin und her gerissen zwischen dem vernünftigen Instinkt, sofort den Ort des Geschehens zu verlassen und der Loyalität d'Ébilité gegenüber. Schließlich jedoch hielt einer von ihnen die Spannung nicht mehr aus, wandte sich um und hastete davon. Die anderen Beiden folgten ihm auf dem Fuße.

Jussac sah ihnen kopfschüttelnd nach. „Das habe ich ihnen nicht beigebracht."

„Sie sind nur klug genug, das Richtige zu tun. Wahrscheinlich habt Ihr sie das gelehrt."

„Ah, Monsieur d'Artagnan. Wenn Ihr das sagt, wird es wohl stimmen. Nun, Monsieur Luchaire. Wollt Ihr Euren Freunden nicht folgen?"

„Luchaire? Sehr erfreut, Monsieur." verneigte sich d'Artagnan spöttisch. Der junge Mann schien nicht recht zu wissen, was er von alldem jetzt halten sollte. Einerseits hatte er zu diesem Duell geladen und war mit einer Überzahl gekommen. Andererseits stand er seinem Gegner nun allein gegenüber und sah sich unter Beobachtung seines Leutnants. Er konnte nicht zurück. Wie schon damals auf der Brücke, griff er auch jetzt ohne Vorwarnung mit einem Schrei an.

Dieses Mal jedoch war d'Artagnan vorbereitet und parierte den Hieb gekonnt. Er war eindeutig der bessere Fechter – aber er war nicht in bester Verfassung und so ließen seine Kräfte schnell nach. Jussac lehnte noch immer an der Mauer und machte keinerlei Anstalten, einzugreifen.

Luchaire griff wie rasend an und nur diesem Umstand und der Tatsache, dass d'Artagnan noch nicht völlig von der Schulterwunde erholt war, verhinderten, dass der Gardist schon nach wenigen Augenblicken am Boden lag. Und dann gelang es ihm, den Musketier ins Stolpern zu bringen und seinen Degen beiseite zu drängen, sodass er freien Weg für einen Stich in die Brust hatte. Aber er nutzte die Gelegenheit nicht sofort, sondern lachte höhnisch auf, während er mit seiner Klinge d'Artagnan nur bedrohte. „Das ist also der starke Arm, die Fechtkunst der Musketiere? Erbärmlich!"

Luchaire holte aus, um den letzten Stoß zu führen. Sein Angriff traf nie. Maßlose Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er seine Klinge fallen ließ. Ein Dolch steckte in seinem Bauch und d'Artagnan raunte ihm zu: „Ich habe noch einen zweiten Arm."

Der Musketier stieß seinen Gegner von sich, der wie ein schlaffer Sack zu Boden fiel und sich nicht mehr rührte. Atemlos stand d'Artagnan vor ihm und betrachtete ihn weder mit Zorn, noch mit Erleichterung. Eigentlich fühlte er nichts, während Luchaire nun seinen letzten Atemzug tat. Nur ein Kribbeln in den Fingerspitzen seiner linken Hand. Die Faust um den Dolch zu ballen war ihm schwer gefallen, die Muskeln ließen sich noch nicht so gut bewegen. Er sah erst auf, als Jussac stumm neben ihn trat. „Wollt Ihr mich nun verhaften, Monsieur le lieutenant?"

„Deshalb bin ich nicht hier."

„Ich dachte, Ihr seht nicht zu, sondern entledigt Euch Eurer Widersacher lieber persönlich."

„Das ist auch weiterhin wahr. Ich bin hier, um sicher zu gehen, dass ich auch in Zukunft noch einen Widersacher habe, dessen ich mich entledigen kann", grinste Jussac und nahm dem Musketier behutsam den Dolch aus den verkrampften Fingern.

Ende