Der Neujahrstag versprach eine echte Abwechslung. Schon frühmorgens begann es zu schneien und der See war mit einer glitzernden Eisschicht bedeckt. Severus hatte für diesen Tag seine Studien aufgegeben und machte einen Morgenspaziergang. Um diese Uhrzeit war es ganz still draußen und er konnte ohne große Vorsichtsmaßnahmen herumlaufen.

"Das Eis ist genauso dünn, wie der Boden, auf dem ich mich bewege. Vermutlich wird schon heute abend bei Lord Malfoy alles herauskommen. Sicher hat der dunkle Lord längst erzählt, wo er mich herhat." dachte er betrübt. Dabei war bis jetzt alles so gut gelaufen! Etliche Mitschüler machten tatsächlich einen großen Bogen um ihn, weil sie von der Sache mit Frank gehört hatten. Andererseits wurde er auch oft deswegen angegriffen. Aber seine Bekanntschaft mit Lucius bildete eine gewissse Hemmschwelle für diese Anfeindungen.

Was jedoch werden sollte, wenn Lucius Ende des Schuljahres Hogwarts verließ, das stand in den Sternen. Er setzte sich seufzend ein weiteres Ziel; zu einer Gruppe von Gleichaltrigen gehören. Das hatte ihm noch nie gelegen. Schon zu Hause war er lieber für sich geblieben. Die Gang um Samuel Lawrence war ihm zu laut und zu brutal, die anderen waren fußballverrückt und rannten ständig schlammbespritzt einem Ball hinterher. Und dann gab's noch die Loser. Henry Sanderson, mit der Zahnspange, Cecil Witherspoon mit dem Holzbein und schließlich Carl Brown, der immer alles kaputtkriegte, ohne die Dinge überhaupt anzufassen. Und schließlich noch Steve Snape...

'Halt! Steve Snape ist neulich gestorben. Ich wiederhole: g e s t o r b e n. War auf seiner Beerdigung. Es war echt traurig. Seine ganzen Muggelsachen wurden ihm in sein Grab gelegt. Das Poster vom FC Liverpool, drei Faserschreiber und ein Kaleidoskop. Nur Floppy der Strickhase hatte das Massaker überlebt. Traurig, nicht wahr?'

Snape musste wider Willen grinsen. Er hatte seine letzten Muggelsachen, die er vor ein paar Monaten noch für unabdingbar hielt, in der Nähe vom verbotenen Forst vergraben. Er würde ein Zauberer sein, komme was wolle.

Er würde es schaffen, mit oder ohne den dunklen Lord. 'Und wenn's nicht stimmt, soll mir das Feuer aus der Nase fahren!'

Mit deutlich besserer Laune ging er in seinen Schlafsaal und zog sich für das große Ereignis um. Slytherin-Paradeuniform und auf Hochglanz gewienerte Schuhe. Während er sich vor dem Spiegel kämmte, brummte er vor sich hin: "Heute geht es um alles oder nichts." Der Spiegel schwieg dazu. Mit einem kurzen kontrollierenden Blick schnappte er sich die Gastgeschenke, ein paar hochwirksame Zaubertränke für die optimale Pflege von Rosen für Madame Malfoy, eine Flasche Malvenlikör für Lord Malfoy (alles Tipps von Lucius) und schließlich ein neu erschienenes Heft von Lucius' Lieblingscomic. Zusammen mit einer Kollektion seiner selbsentworfenen Fruchtgummis für den Direktor machte er sich auf in dessen Büro, von wo er mit Flohpulver zu Malfoys reisen sollte.

Allerdings hatte er keinen Schimmer, wie Reisen mit Flohpulver gehen sollte. Die Bibliothek hatte in der Beziehung nichts hergegeben. Er verließ sich wieder einmal auf sein Glück und hoffte, dass noch andere Studenten heute verreisen würden.

Der Direktor residierte in einem prunkvollen Büro, das von zwei steinernen Wasserspeiern bewacht wurde. Severus war selbst noch nie dort gewesen, kannte aber die Lokalität aus der Erzählung anderer.

"Lokalität - Räumlichkeit oder Zimmer, ein Ort" murmelte er nervös vor sich hin. Noch nie hatte er den Direktor allein getroffen, geschweige denn gesprochen.

Er stand vor den Wasserspeiern und versuchte sich an das Passierwort zu erinnern. 'Irgendeine Süßigkeit'. "Zuckerstangen!" rief er erleichtert, als es ihm einfiel. Die Wasserspeier gingen zur Seite und gaben eine Wendeltreppe frei, die sich selbständig nach oben bewegte. Severus trat darauf, er hatte sowas schon mal in einem Kaufhaus gesehen.

Der Direktor saß an seinem Tisch und schien Briefe zu schreiben. Severus hustete leise, um sich bemerkbar zu machen. Professor Dumbledore sah auf und lächelte. "Ah, mein junger Gast, der von hier aus in die weite Welt möchte!" sagte er fröhlich und rieb seine Hände aneinander.

"Guten Tag, Herr Direktor." sagte Severus höflich und übergab seine Fruchtgummis. "Oh, ein Geschenk, wie aufmerksam, Mr. - Snape?" Severus nickte. 'Oh gottogott, jetzt fragt er gleich -' Doch Albus Dumbledore inspizierte sein Geschenk mit kindlicher Freude. "Fruchtgummis. Fast wie bei Muggeln!" rief er aus. "Gibt's die jetzt bei Honeydukes?". Severus lächelte beinahe mitleidig. "Nein, Sir, die mache ich selber. Von Zeit zu Zeit." erwiderte er gespielt gleichgültig. "Oh, dann bist du ja ein echter Künstler. Ja, Ja, ich glaube Horace hat so etwas erwähnt. Sag, mein Lieber, ist Antigonus Snape wohl dein Vater oder Onkel? Er war ein großartiger Zauberer, ich kannte ihn sehr gut."

Da war sie wieder einmal, die Frage aller Fragen. Gut zu wissen, dass es auch Zauberer gibt, die Snape heißen. "Wir sind weitläufig verwandt." antwortete Snape ohne rot zu werden, "Mein Vater jedoch ist als Hexenmeister lange im Ausland gewesen und geht da wohl auch wieder hin."

"Ah ja." antwortete Dumbledore und lächelte wissend, "Viel zu tun, ich verstehe. Dann wollen wir die Gastgeber nicht länger warten lassen. Nimm einfach eine Handvoll Pulver, wirf es in die Flammen und steig hinterher. Vergiß nicht, laut und deutlich Malfoy Manor zu rufen, damit du auch richtig ankommst. Und richte Lord und Lady Malfoy mein Grüße aus."

Severus tat, wie ihm geheißen. Er war froh, das er der Befragung endlich entrinnen konnte. Irgend etwas an dem alten Zauberer machte ihn unsäglich nervös. Irgendwie hatte er das Gefühl, das der Zauberer Antigonus Snape auch nur eine Erfindung war.