"Mach mal der Zerknirschten!" flüsterte Rosier. Severus brachte einen Gesichtsausdruck von tiefer Reue zustande. Rosier klatschte in die Hände. "Und das Engelchen!" Severus lächelte auf eine Art, die er im Kino dem jungen Lord Fauntleroy abgeguckt hatte. "Grandios, jetzt ich." Rosier, der an sich schon etwas vom jungen Lord an sich hatte, machte ein Gesicht, dass jedes Mutterherz zum Schmelzen bringen konnte.

Die nächsten Wochen vergingen mit Gedächtnisübungen wie im Fluge. Evan erwies sich als fähiger Partner, um die Übungen durchzuführen. Zuletzt waren sie beide so gewitzt, dass sie auch die unmöglichsten Geschichten mit dem entsprechenden Gesichtsausdruck zu Gehör brachten. Es gelang ihnen sogar, das eine odere andere Mal Professor McGonnagal, die ungewöhnlich misstrauisch war, zu täuschen und dadurch die Abgabefrist für Aufsätze zu verlängern.

Schließlich war Severus auch über den kleinen grauen Muggel hinweg gekommen. Er legte sich eine Theorie zurecht, nach der der Muggel den Zorn des dunklen Lord sicherlich verdient haben würde und er selbst nur einen Teil der Gerichtsverhandlung gehört hatte und endlich, wer war er denn, dass er die Unfehlbarkeit des größten lebenden Magiers anzweifeln konnte. Derartig selbstberuhigt, fand er auch wieder Ruhe und brauchte seinen Trank nicht mehr. Das erleichterte seinen Alltag wesentlich, trotzdem wurden seine Sorgen dadurch nur geringfügig weniger.

Die Gryffindor-Gang hatte sich nun endgültig auf ihn eingeschossen, was einerseits auf einige schmerzhafte Punktverluste und andererseits auf seine Bekanntschaft mit Lily zurückzuführen war. Lily war auch ein bevorzugtes Opfer von James Potters dummen Streichen, sie wehrte sich zwar tapfer, hatte aber fast keinen Rückhalt bei ihren Freundinnen, die lieber wegsahen, wenn Potter wieder mal ihre Büchertasche ausschüttete.

Severus traf sie eines Tages wieder in der Bibliothek, wo sie eifrig in einem uralten Folianten blätterte. "Da muss doch.." murmelte sie und hatte knallrote Wangen vor Aufregung. "Kann man helfen?" fragte Severus automatisch. Sie blickte hoch. "Oh, du bist es." grummelte sie. "Ich suche einen echt guten Spruch gegen Blödmänner. Gibt es so was?". Severus zog sich einen Stuhl heran. "Kommt drauf an." sagte er. "An was hättest du denn gedacht?". "Irgendetwas, dass man sich die Finger verbrennt, wenn man meine Büchertasche ausschütten will, zum Beispiel. Dieser Potter macht sich einen Spass daraus, meine Bücher im ganzen Gemeinschaftsraum zu verstreuen, das stinkt mir. Gewaltig!". Severus sah ihr an, dass sie sehr zornig war. "Fingerzwicker." antwortete er deshalb knapp. Sie schaute ihn mit großen Augen an. Dann grinste sie und er sah ihre Zahnspange leuchten. 'Wie ein Vampir' dachte er und beeilte sich, den Hex zu erklären. Sie strahlte. "Wenn es doch einmal schief geht." führte Severus weiter aus. "Dann empfiehlt die kluge Hausfrau den Einsammelspruch. Der geht so; 'diribitio'." Er ließ zur Illustration seine Bücher fallen und sortierte sie mit dem Spruch wieder in seine Tasche.

Lily klatschte in die Hände. "Das ist super!" freute sie sich auf Muggelart. Sie kramte in ihrer Tasche und holte eine Tüte Marshmallows hervor. "Da, Severus, die hast du dir jetzt wirklich verdient." sagte sie und grinste verschwörerisch, "Ich weiß ja, dass du Fruchtgummis selber herstellst."

Er nahm am nächsten Morgen zufrieden zur Kenntnis, dass James Potter ein verdrießliches Gesicht zeigte und drei Finger an der rechten Hand verbunden hatte. Seine Hochstimmung wurde dadurch getrübt, dass er nur noch mit 17 Slytherins am Tisch saß. Masern. Ein Muggelgeborener hatte die Masern eingeschleppt und die Reinblüter verabschiedeten sich einer nach dem anderen in die Krankenstation. Die Muggelkinder hatten die Krankheit alle schon gehabt und machten weiter wie bisher.

Severus fragte sich beklommen, wann wohl der erste den Schluss ziehen würde, dass ein einziger im sogenannten 'reinen' Haus keine Masern hatte und somit...

Darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Leider war er bald dazu gezwungen, als er am Freitag der selben Woche nur noch mit fünf Zweitklässlern und zwei Siebtklässlern am Tisch saß. Eine Lösung musste her, er brauchte die Masern und zwar pronto!

Er war wieder einmal allein im Schlafsaal. Avery war vor zwei Tagen mit roten Punkten und Fieber als vorerst letzter seiner Klasse eingeliefert worden. Er dachte zunächst über Zaubertränke nach, aber er wollte nicht gleich als Lügner von Madame Pomfrey entlarvt werden. Einen Zaubertrank würde der Diagnosehex sofort anzeigen. Oh nein! Er würde einen Muggeltrick brauchen, um hier als Kranker durchzukommen. Zahnpasta! Angeblich kriegt man kurz Fieber, wenn man einen Löffel voll verschluckt. Brr! Er würgte und schüttelte sich, aber er schaffte es. Nun zu den roten Punkten.

Er schlich sich aus dem Haus, in das Gewächshaus Nummer 4, wo Professor Sprout die Heilkräuter wachsen ließ, die nicht so viele Pflege brauchten. Er holte sein Taschenmesser und schnitt einen großen Strauß Brennesseln ab.

Er schlich sich in hinter einen dichten Busch und zog sich bis auf die Unterhose aus, nicht ohne vorher misstrauisch in alle Ecken geschaut zu haben. Dann holte er tief Luft und peitschte sich mit den Nesseln über den Oberkörper, Beine, Arme und über das Gesicht. Es brannte wie die Hölle, aber als er sich im Glasfenster spiegelte, war er mit seiner Erscheinung sehr zufrieden. Schnell zog er sich wieder an und eilte ins Schloss.

Er klopfte an der Krankenstation und als Madame Pomfrey öffnete, sagte er nur: "Ich habe die Muggelkrankheit." Die Schulschwester stöhnte und winkte ihn herein. Sie verzichtete auf Grund seiner vielen roten Punkte auf eine Eingangsuntersuchung und gab ihm Bett 54 am Fenster. Severus zog den Pyjama an, seufzte zufrieden und schlüpfte unter die Decke. "Schickes Muster." grunzte Lucius aus dem Nebenbett. "Ja, nicht wahr?" gab er schnippisch zurück. Jetzt hatte er endlich mal Zeit seinen 'Graf von Monte Christo' zu Ende zu lesen.

Weiterhin war seine vornehmste Aufgabe, Lucius Zaubersprüche abzufragen, die dieser für seinen UTZ brauchte. Das war ihm jedoch ganz recht, er lernte sie dabei nämlich selber. Wenn Lucius nebenan schnarchte, schaute Severus aus dem Fenster. 'Eigentlich gar nicht schlecht, so eine Auszeit.' sinnierte er dabei. Er beobachtete die kleine peitschende Weide, die sich mit ihren kleinen Ästen gegen aufdringliche Krähen zur Wehr setzte. Die berühmten Rutengänger ließen ihre Wünschelruten aus peitschender Weide machen, wusste Severus von seinem Großvater. Ganz ausgefuchste haben allerdings noch einen zahmen Niffler im Hosenbein, hatte er augenzwinkernd hinzugefügt.

Das hielt Severus von einer Karriere als Wünschelrutengänger ab. Ein für allemal, Sicherheitszauberer vielleicht für die Gringotts-Bank, das wäre was. Oder eben Zaubertrankmeister, wenn es ihm gelänge, die vierzig Millionen Zutaten im Kopf zu behalten. Er schaute noch mal aus dem Fenster, Hagrid und sein Hund waren draußen. Der Halbriese sammelte irgendwelche Blätter oder Pilze. Er würde ihn bei Gelegenheit mal über die Flora um Hogwarts ausfragen. Könnte ja nicht schaden.

"Weiß Narcissa, dass du schnarchst wie ein rumänischer Tanzbär?" fragte Snape, dem es langsam langweilig wurde am zweiten Tag der Quarantäne. Lucius knurrte unter seiner Bettdecke etwas Unverständliches. "Könnte mir vorstellen, dass sie die Verlobung dann nochmal überdenkt, wenn sie es erfährt." bohrte Snape unermüdlich weiter. Lucius' Kopf schnappte hoch. "Halt die Klappe, Snape." fauchte er und ließ sich wieder fallen. "Hm." Snape öffnete sein einziges Buch und begann, die schönsten Stellen noch mal zu lesen. Nach ein paar Minuten klappte er es seufzend wieder zu, der Vollmond beleuchtete sein Bett, so dass er sich die Decke über den Kopf ziehen musste. Es war schon kurz vor Mitternacht, als er endlich einschlief, nur um ein paar Stunden später von leisen Geräuschen geweckt zu werden. Es dämmerte gerade.

"Sh!" hörte er Madame Pomfrey sagen. "Mach vorsichtig und leg dich hin. Du bist ja wieder total erschöpft. Ich bring dir noch einen Tee, willst du auch was zu essen?". Er lauschte angestrengt. "Nein danke, ich kriege jetzt nichts runter." hörte er eine Jungenstimme sagen. Severus richtete sich ein wenig auf, um zu sehen, wer da so spät noch gebracht wurde. Im schwachen Licht erkannte er Remus Lupin, den schwächlichen Blassen aus der Gryffindor-Gang. Der schien keine Masern zu haben, sondern irgendwas Kraftraubendes. Er bewegte sich, als wäre er die ganze Nacht gerannt. Irgendwie völlig erschöpft und sein rechter Arm war zerkratzt und blutig, als habe er mit einem Riesenigel gerungen. Er hatte keine Schuhe an. 'Komisch' dachte Severus, 'ohne Schuhe bei der Kälte.' Dann fielen ihm die Augen wieder zu.