Kapitel 5: Der Krieger ohne Gesicht

Ohrenzerfetzende Schreie ertönten in der nächtlichen Stille. Elanor fuhr erschrocken aus ihrem ruhelosen Schlaf und wurde gleich an der Hand gepackt und in ein Gebüsch gezogen. Dort lagen bereits Sam, Merry und Pippin.
"Wo sind Tinwen und Elkano?", fragte Elanor mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen, als sie bemerkte, dass die beiden fehlten.
"Keiner weiß es", flüsterte Pippin. "Aber sei jetzt still... Sie kommen..."
Über ihr Lager ergoss sich eine Schar Orks. Elanor hielt die Luft an. Ihr Herz schlug so laut, dass sie fürchtete, die Orks würden es hören. Diese hässlichen Ungeheuer durchwühlten das ganze Lager und schnüffelten überall in der Gegend herum. Einer von ihnen kam ihrem Versteck langsam näher. Er hatte sie gewittert... Er rannte auf sie zu... Elanor schloss die Augen. Ein letzter Atemzug...
Weißes Licht blendete die Bösewichte und aus dem Norden hörten die Hobbits Hufgetrappel. Elanor wagte es, den Kopf etwas zu heben und sah da, wo das Feuer gewesen war, eine helle Figur, von der das Licht ausging. Sie Orks standen wie gelähmt da. War es eine Elbin? Die Pferde kamen näher... Bald konnte Elanor eine Gruppe von Reitern erkennen. Zwei ritten vorne, der Rest hinter ihnen. Der eine der beiden Anführer war deutlich größer als die anderen.
Die Orks wurden buchstäblich niedergetrampelt. Als alle tot waren, war alles mit ihrem schwarzen Blut bespritzt. Leichtfüßig kam die leuchtende Figur zu ihrem Versteck und sagte: "Die Luft ist rein. Ihr könnt herauskommen."
Erstaunt blickten die vier Hobbits auf und erkannten Tinwen in einem strahlend weißen Gewand. Sie standen auf und sahen, dass die Reiter noch immer auf ihren Pferden saßen. Sie trugen reich verzierte Rüstungen, die im Mondlicht silbern schimmerten. Auf dem Helm des größten war eine Art Krone befestigt mit sternförmigen Zacken. Der Helm des anderen Anführers war gleichzeitig auch eine Maske, denn er sah wie der Kopf eines Wolfes aus.
Die beiden nahmen ihre Helme ab und die vier Hobbits erkannten Elkano und einen Unbekannten. Sofort wurde ihnen klar, wieso dieser mit seinem Wolfskopf-Helm sein Gesicht verbarg: Er hatte keins. Es sah aus wie ein übel zugerichteter Fleischklumpen mit zwei Vertiefungen als Augen und einem Riss als Mund. Das Ganze wurde von einer gelblichen Kruste überzogen.
Angewidert und zugleich erschlocken starrte Elanor dieses Gesicht an. Der Reiter erwiderte ihren Blick und sie erkannte seine Augen. Zwei zauberhaft schimmernte Augen. In ihnen erkannte sie ein weiches Herz und eine ruhige Seele.
Elkano pfiff und die vier Ponys der Auenländer kamen herbeigaloppiert.
"Beeilt euch", mahnte er. "Bald sind noch mehr von ihnen da."

Endlich hatten Sam, Merry, Pippin und Elanor sie Aglar Periain gesehen. Die Reiter waren nur Soldaten und der Gesichtslose ihr Offizier. Er war auch noch ein Kriegsheld aus dem Dritten Zeitalter, wie ihnen Elkano und Tinwen erzählten. Er war ein guter Freund des Vaters der beiden gewesen und ist mit der Zeit zum Heerführer geworden. Und seit Elkano die Krone abgelegt hatte, regierte er auf den Wunsch des Königs das Volk der Kriegerhobbits. Sein Name war Dagorheru.
Elanor fiel auf, dass Tinwen mit ihm oft Blicke tauschte und sie unterhielten sich manchmal leise in einer fremden Sprache. Was war zwischen den beiden? Nein, sie konnten nicht in einander verliebt sein... Tinwen war so schön und Dagorheru so abschreckend...
Sams Tochter fiel ebenfalls auf, dass Elkano sich von ihr distanzierte und versuchte, nicht in ihre Richtung zu blicken. Sie begann, ihn auf ihrem Pony zu verfolgen und schließlich gab er nach.
"Was ist denn?", fragte sie besorgt.
"Das sagte ich dir heute Nacht schon", antwortete er heiser.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
"Mir ist es egal", sagte sie leise. "Selbst wenn du der schlimmste Verbrecher dieser Welt wärest."
"Elanor...", flüsterte er mit einem freundlosen Lächeln. "Gerade das bin ich doch."