This is the German version of my short story „Happily I cried".
Normally I only write a story in one language. I decide before I start writing which language it's going to be: English or German. But it happened a lot during the past time that people wrote me and complained that my English stories aren't perfect in grammar and spelling. Well… I have to tell you that it's not easy to write in a language that's not your own. Maybe you can't understand that, but please, before anyone starts to argue with me again, please, sit down and write 200 pages in a language that's not your own!
I am very sorry if it's hard for some people out there to read my bad English. I try to improve (I'll start to study English in autumn), but you have to be patient with me.
For all those who WANT to read a story that's perfect in grammar und spelling (neue deutsche Rechtschreibung!) and with all those little phrases and words you surely only know when you grew up with that language, feel free to continue to read below. It's written in my native language: German. Be sure, there won't be ANY mistakes once I grew up as a native speaker.
Learn German or be patient with me. These are the only choices I can give you, because I won't give up writing just because some people think they have to correct my writing (and mess up with my feelings and my style) on their won.
Thank you for listening.
April Eagle
Now to the German story:
„Dunkel war der Tunnel, eng, voll blanker Angst.
Die Nerven am Zerfetzen, innerlich verkrampft.
Hoffnung fast verloren und doch blieb stets dieses Licht.
Ganz weit zwar, noch am Ende des Tunnels fest in Sicht.
Nie geahnte, neue Kräfte freigesetzt.
Gespürt, dass nichts, rein gar nichts den Willen Dir ersetzt.
Hart gestrampelt, dem hellen Ende nah.
Plötzlich alles richtig, plötzlich alles klar.
Ich hab geweint vor Glück, geweint vor Glück.
Alle Dämme brachen, trotzdem blieb die Katastrophe aus.
Geweint vor Glück, geweint vor Glück.
Hab mich höchstens meiner Tränen stolz geschämt.
Ich hab geweint vor Glück."
„Geweint vor Glück", PUR
Kurzes Vorwort:
Nun ja, ich weiß, es gibt viele Leute, die diese Musik nicht unbedingt mögen. Es lässt sich gewiss darüber streiten, aber ich mag die Texte. Man kann sich so schön darin „vergraben" und immer wenn ich besonders traurig oder besonders fröhlich bin, hol ich meine PUR CDs raus und hör sie mir stundenlang an.
Und dabei entstehen eben solche Geschichten -.
Die darin vorkommenden Personen gehören nicht mir, sondern Takeuchi Naoko. Ich habe sie mir nur, wie immer, liebevoll ausgeborgt.
Ich mag es nicht, wenn jemand „heulen" schreibt oder wenn jemand als schwach bezeichnet wird, nur weil er weinen muss. Tränen sind immer Ausdruck von Gefühlen. Und seit wann sind bitte schön Gefühle schlecht?
Geweint vor Glück
(April Eagle)
Meine erste Erinnerung...
Ich weiß nicht, wie alt ich damals gewesen war. Vielleicht drei, vielleicht vier Jahre. Als wäre es gestern gewesen, sehe ich meinen Vater auf mich zu hüpfen. Ja, hüpfen, weil ich das mochte. Es sah so lustig aus und brachte mich jedes Mal zum Lachen. Bestimmt habe ich laut und hoch gelacht. Kinder in dem Alter Quietschen mehr vor Freude, als dass sie wirklich lauthals lachen. Mittlerweile kenn ich mich damit aus. Mit kleinen Kindern, mein ich.
Damals hoppelte also mein Papa auf mich zu und nahm mich fest in seine starken Arme. Durch die Luft wirbelte er mich und ich bin mir sicher, dass ich noch lauter quietschte. Im Garten hinter unserem Haus war es gewesen. Hell schien die Sonne und mehrere Vögel sangen ihr fröhliches Lied. Es muss Frühling gewesen sein, denn weiße Kirschblüten schwebten im sanften Nachmittagswind. Meine Mutter saß im grünen Gras und lächelte uns beiden zu. Sanftmut stand in ihren dunkelgrünen Augen. Sanftmut, Güte und unendliche Liebe. Was ich auch immer anstellte, welche Schale ich auch immer zerbrach, wie oft ich auch immer nicht ins Bett wollte und wütend durch mein Zimmer stapfte, sie hatte immer Geduld mit mir gehabt. Meine Mama. Genauso wie mein Papa. Beide hatten mich lieb gehabt. Genauso, wie ich sie über alles liebte. Meine Eltern, meine Welt.
Dies ist also meine erste Erinnerung.
Es gab danach noch viele andere Nachmittage, die ich mit meinen Eltern verbrachte. Im Garten hinterm Haus, auf dem Spielplatz in der Nähe meines Kindergartens, am Strand nicht weit von der Stand entfernt, in der wir lebten. Dennoch blieben mir diese Augenblicke am klarsten im Gedächtnis. Noch heute kann ich den Frühlingswind in meinen Haaren spüren, kann meinen Vater lachen hören und meine Mutter lächeln sehen, wenn ich meine Augen schließe.
Meine erste Erinnerung... und zugleich die wohl schmerzhafteste, wenn ich an meine Kindheit zurück denke. Denn nicht einmal drei Jahre später starben sie. Diesen Tag würde ich am liebsten aus meinem Gedächtnis streichen, aber wie das meist so ist mit den wirklich schlechten Dingen im Leben, man kann sie nicht so leicht vergessen. Immer wieder tauchen sie auf, wie ein böser Alptraum, den man selbst nach einem wunderbaren Tag voller Sonnenschein nicht abzuschütteln vermag. Ein Schatten, ein falsches Wort und er ist wieder da. Genauso wie meine Erinnerungen.
Gut, es ist einfacher geworden. Ich wurde älter und die Zeit heilt alle Wunden. Das sagt zumindest der Volksmund, auch wenn ich diesen Worten in den ersten Wochen und Monaten keinen Glauben schenken mochte.
Wie sollte ich auch? Der Schmerz tief in meinem Herzen war zu groß, ich konnte ihn kaum ertragen. Niemand schien mich zu verstehen. Wie sollten sie denn auch? All die Tanten und Onkel, die plötzlich aus dem Nichts auftauchten und mich so mitleidig anstarrten. Wortlos, gesichtslos, ohne Trost. Wirklichen Trost. Aber, wie hätten sie mich auch trösten sollen? Ein siebenjähriges Kind? Gerade alt genug, um in die Schule zu gehen? In eine Schule, in die ich mehrere Wochen lang nicht gehen wollte. Gesträubt habe ich mich, als mich die Tante, die mich schließlich zu sich nahm, wieder zum Unterricht schicken wollte. Sie meinte es ja nur gut, aber ich brach schon in Panik aus, wenn ich das grau-kalte Gebäude sah. Wenn die Erinnerungen wie ein tosendes Meer über mir zusammen schlugen. Wie unendlich tiefe Wellen, die mich zu ersticken drohten.
Denn vor diesem Gebäude hatte ich stundenlang gewartet. Auf meine Eltern, die mich abholen und zusammen mit mir in den Zoo gehen wollten. Brav hatte ich sein sollen und auf sie warten. Das hatte ich auch getan. Bis die Sonne unter- und der Mond aufging. Bis schließlich ein Streifenwagen vorfuhr und ein netter Polizist ausstieg. Ja, nett hatte er ausgesehen, aber nachdem er mir sagen musste, was passiert war, mochte ich ihn gar nicht mehr. Meine Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, sagte er mir. Einem großen LKW versagten die Bremsen, sie hatten keine Chance. Sie starben noch am Unfallort, während ich vor dieser verdammten Schule stand und hoffnungsvoll auf sie gewartet hatte. Auf meine Eltern, die mich nie mehr würden abholen können.
Nein, meine Tante konnte nichts davon wissen. Ich habe es ihr nie erzählt. Wie ich ihr so viele Dinge nicht erzählte. Am Anfang war es Trotz gewesen, schließlich war sie ja nicht meine Mama! Es gab Tage, da war ich richtig wütend auf sie gewesen, denn ich glaubte, sie wolle mir die letzten Erinnerungen an meine Eltern nehmen, indem sie versuchte, sie zu ersetzen. Wir zogen von der Innenstadt Tokios in eine ruhigere Gegend nahe am Meer. Ich bekam ein wunderschönes Zimmer mit direktem Blick auf die Wellen. Sie schenkte mir ein funkelnagelneues Fahrrad und ließ mir viele Freiheiten. Dennoch habe ich sie in den ersten Monaten gehasst. Die Frau, die die Schwester meiner Mutter war. Ähnlich sah sie meiner Mama, dieselben blonden Haare, dieselben dunkelgrünen Augen. Aber, verdammt! Sie war nicht meine Mutter!
Wenn ich jetzt so zurück blicke, muss ich eingestehen, dass ich es ihr nicht leicht gemacht habe. Sie wollte doch nur das Beste für mich – und ich wollte meine Eltern wieder haben. Ein utopischer Wunsch, den sie natürlich nicht erfüllen konnte. Selbst wenn sie es gern getan hatte, schließlich hatte sie ihre jüngere Schwester ja auch geliebt.
Vielleicht hatte ich Tante Susuka schon eher in meinem Leben gesehen, aber das erste Mal, dass ich sie bewusst wahr nahm, war an dem Tag der Beerdigung gewesen. Die Sonne schien warm von einem azurblauen Himmel und ich verfluchte Gott und die Welt für dieses Wetter. Es war zu wunderschön, zu hell, zu fröhlich für mein Gemüt. Warum konnte es denn nicht regnen? Der Regen hätte wenigstens mein Gesicht benetzt und meine Tränen verborgen, die in jenen Stunden so offen über meine bleichen Wangen liefen.
Es war das letzte Mal gewesen, dass ich jemals weinte. Ein Onkel herrschte mich an, dass ich mich wie ein Mann benehmen sollte und ich musste erkennen, dass keine Tränen der Welt meine Eltern wieder zurück bringen würden.
Plötzlich war Tante Susuka da gewesen. Angeschnauzt hatte sie den Onkel, irgendeinen Schwager meines Vaters, und mich in Schutz genommen.
Nach der Testamentseröffnung, in der Tante Susuka als alleiniger Vormund bestimmt wurde, nahm sie mich mit zu sich nach Hause. Aber es dauerte Jahre, bis ich das fremde Haus als mein Zuhause ansah. Ich glaube, ich war 18, wo ich das erste Mal den Satz „Ich gehe jetzt nach Hause." sagte und damit jenes Haus am Meer meinte.
Nein, einfach habe ich es ihr nicht gemacht. Und noch schlimmer wurde es, als sie sich verliebte. Er war nicht einmal ein schlechter Kerl. Lieb ging er mit meiner Tante um und war auch immer ganz freundlich zu mir. Natürlich kam es, wie es kommen musste. Natürlich verlobten sie sich. Und natürlich heirateten sie nur knapp ein Jahr, nachdem der Mann durch die Tür von Tante Susukas Geschäft und somit in ihr Leben getreten war. Noch ein Jahr später wurde meine Tante schwanger und gebar einen Sohn.
Oh, wie ich die drei gehasst habe!
Vierzehn Jahre war ich damals und hielt immer noch an der fixen Idee fest, dass sie mir meine Eltern wegzunehmen versuchten. Ich konnte und wollte sie einfach nicht akzeptieren. Die ganze Situation eskalierte, als Tante Susukas Mann, Shinji, vorschlug, ich könne ihn ruhig Vati nennen. Sicherlich liebte er mich bereits wie seine Tochter, das glaube ich nun nach all den Jahren, aber ich reagierte wie eine Furie. Angeschrieen habe ich ihn und konnte mich einfach nicht beruhigen. Ich war so aufgebracht gewesen, dass ich nicht einmal den traurigen Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Die tiefe Enttäuschung und den Schmerz.
Eine Woche später stand ich mit gepackten Koffern vor dem Gebäude, das von da an meine neue Heimat verkörpern sollte. Es war ein Internat. Nicht etwa für schwer erziehbare Kinder, sondern ein ganz normales Internat, wo ich zur Schule gehen und eben in so einem Zimmer wohnen würde. Tante Susuka war dagegen gewesen. Genauso wie ihr Mann, der immer wieder davon redete, dass ich gerade in der Pubertät sei und man meine Wutausbrüche nicht so ernst nehmen solle. Aber ich konnte sie davon überzeugen, dass es besser wäre zu gehen. Sie taten es, schweren Herzens, ließen mich ziehen. Damals war ich jung, ungestüm und wollte immer mit dem Kopf durch die Wand. Mein Kopf war voller Hass und mein Herz noch immer voller Trauer. Der Tod meiner Eltern war über sieben Jahr her, aber dennoch schien die Wunde in meiner Seele nicht heilen zu wollen.
Also gaben sie mich schweren Herzens frei. Wann immer sie mich besuchen wollten, verkroch ich mich irgendwo auf dem Internatsgelände und zeigte mich den ganzen Tag nicht. Wann immer sie Briefe an mich schrieben, ich antwortete nicht. Wann immer sie mich nach Hause einluden, sei es nun zu Ostern oder Weihnachten oder über die Sommerferien, ich kam nicht. Stur blieb ich. Stur und unnachgiebig. Und unsagbar dumm.
Sie haben mich geliebt. So offensichtlich geliebt. Ich dagegen hatte nichts besseres zu tun, als sie von mir zur stoßen und zu fliehen, wann immer sie mir näher kommen wollten. Natürlich hatten sie meine Eltern nicht ersetzen wollen. Sie wussten ganz genau, dass das nicht möglich war. Aber ich hätte bei ihnen wieder so etwas wie eine Familie finden können. Geborgenheit. Liebe. Wenn ich nur nicht so verdammt stolz gewesen wäre und all das angenommen hätte.
Aber... nun ja... ich war jung und verletzt gewesen. Verwirrt und in dem Irrglauben, ganz allein auf der Welt zu sein. Dass jeder – auch meine Tante und mein neuer Onkel – gegen mich waren. Genauso wie Hitsuko, ihr Sohn. Mein Cousin oder Halbbruder, oder was auch immer.
Bestimmt weiß er nicht einmal wie ich aussehe. Lange ist es her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Es war ein regnerischer Novembertag gewesen. Anders als bei der Beerdigung meiner Eltern hatte das Wetter damals perfekt zu meiner Gemütslage gepasst.
Tante Susuka und Onkel Shinji wollten ruhig mit mir reden, aber ich habe sie nur angeschrieen. Hochrot im Gesicht fuchtelte ich mit meinen Koffern durch den Korridor und wollte einfach nicht auf ihre beschwichtigenden Worte hören. Der kleine Hitsuko-chan begann, vollkommen verängstigt zu schreien und das gab mir irgendwie den Rest. Wutentbrannt rief ich mir ein Taxi, schnappte mein Hab und Gut und fort war ich. Ich sehe noch heute das traurige Gesicht meiner Tante, wie sie dort am Gartenzaun stand und dem Taxi hinterher sah. Ihr Gesicht war ganz nass gewesen, aber ich ahne, dass es nicht der Regen war, der Schuld daran trug.
Diese Erinnerung, die letzte an meine Tante, ist genauso scharf in mein Gedächtnis gebrannt, wie jene an meine Eltern, wo mich mein Vater umherwirbelte und meine Mutter so liebevoll lächelte. Es ist schon seltsam, welche Eindrücke das Gedächtnis schnell wieder vergisst und welche so tief verwurzelt sind, dass man sie sein Leben lang nicht mehr vergessen wird.
Meine Tante hatte mich nicht gehen lassen. Sie suchte immer wieder meine Nähe und ich entzog mich ihrer. Immer und immer wieder. Regelmäßig schrieb sie Briefe, schickte mir kleine Päckchen mit meiner Lieblingsschokolade oder ihrem frisch gebackenen Kuchen. Nie antwortete ich. Nie reagierte ich. Nie schrieb ich auch nur einen einzigen Brief. Dann an meinem 18ten Geburtstag brach plötzlich jeglicher Kontakt ab. Zuerst war es mir recht gewesen. Ich hatte sehr viel zu tun. Mir wurde bewusst, dass ich ein Sailor Senshi war und nach den Talismanen suchen musste. Diese Aufgabe war sehr hart und gefährlich. Mir blieb kaum Zeit für andere Dinge, geschweige denn, mich um die Menschen zu kümmern, die ich schon seit Jahren vergeblich versuchte, loszuwerden. Dem mühsamen Suchen nach den Talismanen folgte ein erbitterter Kampf mit unserer größten Feindin, Sailor Galaxia, und ich starb beinahe. Dieses Ereignis öffnete mir die Augen. Kaum war ich von meinen Wunden genesen, machte ich mich auf nach Tokio, um meine Tante zu besuchen. Um bei ihr um Vergebung und um Aufnahme zu bitten. Aber als ich schließlich vor dem großen, vertrauten Haus stand, musste ich entsetzt feststellen, dass meine Tante dort nicht mehr wohnte. Sie war weggezogen. Und erst in dem Moment wurde mir bewusst, dass ich den letzten Brief von ihr vor über vier Jahren erhalten hatte.
Das alte Sprichwort stimmt schon. Man bemerkt erst, was man hatte, wenn man es verliert. Und an diesem Tag war mir, als würde ich meine Familie noch einmal verlieren. Erst in jenem Moment begriff ich, wie viel sie mir wirklich bedeutet hatten. Tante Susuka, Onkel Shinji und der kleine Hitsuko.
Aber egal, wie sehr ich auch nach ihnen suchte, ich konnte sie nicht finden. Es war, als seien sie vom Erdboden verschluckt. Ich musste erkennen, dass meine Reue zu spät kam. Ganze zehn Jahre zu spät.
Es ist schon seltsam, welche Erinnerungen einem so durch den Kopf schießen, wenn man genug Zeit hat, sie zu zu lassen. Genauso wie es verdammt traurig ist, dass man zu ihnen nicht zurück kehren kann. Egal, wie sehr man sich auch bemüht. Es sind nur Erinnerungen. Gewiss, niemand kann sie einem nehmen. Genauso wenig, wie mir niemand den bittersüßen Schmerz des Frühlingswindes wird nehmen können. Genauso wenig, wie mir niemand die Reue und die Scham ersparen kann, die ich jedes Mal verspüre, wenn ich an meine Tante denken muss. Und das habe ich in letzter Zeit oft getan. Vielleicht sogar zu häufig.
Es tut mir leid, Tante.
Wie gern hätte ich das jetzt gesagt, es in die Welt hinaus geschrieen. So, wie ich sie damals so hasserfüllt angeschrieen habe. Aber sie ist nicht hier, wird wohl nie wieder zurück kommen. Genauso wie meine Eltern.
Ich bekam eine zweite Chance und habe sie einfach so verspielt.
Heftig balle ich meine Fäuste und starre entschieden auf die Bettdecke, versuche, die dunklen Gedanken aus meinem noch immer von Medikamenten vernebelten Hirn zu verdammen.
Scheiß Erinnerungen!
Aber gleichzeitig weiß ich, dass ich sie niemals loswerden werde, niemals loswerden möchte. Denn sie sind ein Teil von mir.
Mein Papa, meine Mama, sie werden immer ein Teil von mir bleiben, egal, was auch noch geschehen wird in meinem Leben.
Meine Tante, mein Onkel... ich wünschte, dass sie wieder zu einem Teil in meinem Leben werden würden. Aber ich weiß, dass dies nur ein Traum ist. Und Träume sind ja bekanntlich Schäume. Genauso wie solch bittersüße Erinnerungen...
„Ruka?"
Leise wird die Tür zu meinem Zimmer geöffnet. Meine dunklen Gedanken verschwinden, zumindest für die nächste Weile, und ich spüre ein weites Lächeln auf meinem Gesicht, als die junge Frau herein kommt. Ihr Gang ist leicht, graziös. Sonnenlicht, das durch die Fenster fällt, spiegelt sich in ihren seegrünen Locken. Ihre tiefblauen Augen leuchten glücklich. Sie schauen wie das Meer aus, ich könnte in ihnen versinken. Ertrinken. Untergehn. Für immer dort bleiben.
Meine Michi.
Zwei Tage war ich in dem Internat, als ich eine Mitbewohnerin bekam. Eigentlich wollte ich ja ein Einzelzimmer, um meine Ruhe zu haben, aber es kam wohl zu einigen Missverständnissen in der Verwaltung, und ehe ich's mich versah, stand Michiru im Zimmer und fragte mich mit diesen wundervollen, blauen Augen, welches Bett noch frei wäre. Ich weiß bis heute noch nicht, warum ich ihr ohne Kampf das obere Bett überließ und nach unten zog. Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.
Plötzlich war da jemand, der mich verstand. Der mich akzeptierte, so wie ich war, der mich aber auch in die Schranken wies. Mit Michiru konnte ich nicht so umspringen wie mit Tante Susuka. Michiru machte mir auf ihre Art klar, dass sie sehr gerne meine Freundin sein würde, aber nicht mein Sandsack, auf den man einhacken könnte, wenn's einem Mal nicht so gut ging – und das war bei mir bereits chronisch geworden.
Ja, Michiru war meine Rettung gewesen, mein Engel. Bei ihr fühlte ich zum ersten Mal wieder die Geborgenheit und die Liebe, die ich seit dem Tod meiner Eltern so schmerzlich vermisste. Gefühle, die ich bei meiner Tante und meinem Onkel nie zugelassen hatte. Mit einem Mal war ich nicht mehr allein. Michiru war da für mich.
Das folgende Schuljahr waren wir die besten Freunde. Unzertrennlich. Ich lernte Michirus Eltern kennen, und musste mit meiner eigenen Eifersucht kämpfen, dass Michiru noch so liebe Eltern hatte und ich nicht. Zwar fragte Michiru manchmal nach meiner Tante, aber ich erwiderte nie etwas und so ließ sie es irgendwann auf sich beruhen. Vermutlich erwartete sie, dass ich von allein zu ihr käme und ihr alles erzählte, wenn ich so weit war. Wahrscheinlich wäre dieser Zeitpunkt bald gekommen. Ich vertraute Michiru mit meinem Leben. Sie war meine beste Freundin und der Mensch, der mich am besten verstand und am besten meine Launen zu nehmen wusste, ohne, dass wir stundenlangen Streit hatten. Mitunter genügte ein Wort, um mich von meiner Palme wieder runter zu bringen. Vielleicht wäre ich in jener Zeit zu ihr gegangen und hätte ihr von dem Tod meiner Eltern und meiner Abneigung gegenüber meiner Tante erzählt, aber uns kamen zwei leuchtende Stäbe, duzende von Youmas und eine Suche nach mysteriösen drei Talismanen in den Weg. Auf ein Mal war mein Tag neben dem üblichen Schulalltag gefüllt mit Kämpfen und erfolglosen Suchen. Da blieb kaum noch Zeit, sich um etwas anderes zu kümmern. Wir hatten ja schon genug mit unserem Schicksal als Senshi zu kämpfen, da war nicht mehr genug Platz für persönliche Probleme. Ohne die Youmas und all die Kämpfe hätten Michiru und ich unsere Liebe wohl eher erkannt, aber so brauchten wir fast noch ein ganzes Jahr, in dem wir suchten und kämpften, verletzt und bis ans Ende unserer Kräfte getrieben wurden. In der Marienkathedrale, wo Michiru vor meinen Augen ihren Herzkristall verlor, der sich sogar noch in einen Talisman verwandelte, begriff ich, wie sehr ich dieses Mädchen liebte. Es war ein Wunder, dass wir diesen Kampf überlebten. Ein Wunder, das oft sehr ungeschickt war, häufig weinte und mit zwei wippenden Zöpfen durch die Gegend hüpfte. Dieses Wunder war niemand anderes als Sailor Moon, unsere zukünftige Königin. Sie galt es auch zu beschützen, als Sailor Galaxia im darauffolgenden Jahr die Erde angriff und versuchte, sie zu unterjochen. Erneut kämpften wir um unser Leben, und damals schien es, als würden wir endgültig verlieren.
Eine weitere Erinnerung, die mich wohl noch bis in die tiefsten Alpträume hinein verfolgen wird, war der Augenblick, als wir so auf den Dach lagen. Dem Tode geweiht. Meine geliebte Michiru weinte leise und tastete nach meiner Hand. Sie wollte nicht allein sein. Sie wollte mit mir zusammen sein. Genauso, wie ich mit ihr zusammen sein wollte. In jenem Augenblick. Bis in alle Ewigkeit. Eine Ewigkeit, die damals aus wenigen Sekunden zu bestehen schien. Und während Michiru weinte – um mich, um ihre Familie und um sich selbst – vermisste ich plötzlich meine Tante. Ihre Eltern würden um Michiru trauern, meine Tante hingegen würde nicht einmal erfahren, dass ich gestorben war...
Wieder einmal verdankten wir unser Leben Sailor Moon. Wenn ich bedenke, wie oft uns dieses ungeschickte, oft so verweinte Mädchen gerettet hat, ich werde wohl nie wieder aus ihrer Schuld heraus kommen. Obwohl ich ahne, dass sie nur lachen und mir sagen würde, dass sie das für jeden Freund getan hätte. Freundschaft ist ihr sehr wichtig, unserer zukünftigen Königin. Freundschaft und Familie.
Familie...
Ich schlucke, als ich Michirus warme Hand spüre, die meine plötzlich so kalte zärtlich drückt. Ein Schatten huscht über ihr hübsches Gesicht und sie schaut ein wenig ängstlich auf den Tropf, der neben dem Bett steht. Klare Flüssigkeit tropft durch einen dünnen Schlauch in meinen Arm. Einen ein wenig von all den Nadeln zerstochenen Arm. Aber die kleinen Wunden werden vergehen und selbst wenn Narben zurück bleiben, so weiß ich doch, dass sie das wert sind.
„Alles in Ordnung, Ruka? Hast du Schmerzen?"
Sorge spiegelt sich in Michirus Augen und lächelnd schüttele ich meinen Kopf. Natürlich, ich fühle mich noch immer sehr erschöpft und der Arzt wird mich wohl umbringen, wenn ich es noch einmal wagen sollte, von allein aufzustehen und auf die Toilette zu gehen, solange er mir nicht grünes Licht gegeben hat, aber ansonsten fühle ich mich phantastisch. So wunderbar leicht und glücklich, wie ich mich schon lange nicht mehr gefühlt habe.
„Wenn du das sagst..." Michiru schaut mich zweifelnd an und mein Lächeln vertieft sich. Natürlich glaubt sie mir nicht. Ich würde mir wohl nach der letzten Nacht auch nicht glauben. Michiru war schließlich dabei und sie hat all das Blut gesehen. Dennoch geht es mir erstaunlich gut. Die Schmerzen sind verschwunden und selbst wenn ich hier und da noch ein Stechen spüre, wenn ich mich unbedacht bewege, so weiß ich doch, dass dies ein guter Schmerz ist. Er ist anders als die Pein, die ich bei der Suche nach dem Talisman verspürte. So ganz anders als der Schmerz, da ich zu Galaxias Füßen mit dem Tode rang.
„Ich fühle mich fabelhaft." Langsam hebe ich meine freie Hand und streiche ein paar Locken aus einem leicht geröteten Gesicht. „Genauso wie die Kleine."
„3.500 Gramm, 51 Zentimeter. Kerngesund." Murmelt Michiru und steht auf. Langsam geht sie um das Bett herum und beugt sich ehrfürchtig über das Kinderbett, das direkt neben meinem Bett steht.
„Hey, unsere Tochter besteht nicht nur aus Zahlen und Fakten." Protestiere ich, muss aber grinsen, als meine Liebste errötet und sanft über ein winziges Köpfchen streichelt.
Sakura.
Unsere gemeinsame Tochter.
Ja, ich wollte immer eine Familie haben. Eine richtige Familie. Zwei Chancen habe ich ja mittlerweile verspielt. Teils, weil das Schicksal so grausam, teils, weil ich so grausam gewesen war.
„Sie ist wunderschön..." wieder murmelt Michiru und Tränen stehen in ihren Augen. Ganz behutsam nimmt sie das Neugeborene in ihre Arme und wiegt es liebevoll. „So wunderschön..."
„Natürlich ist sie schön. Bei den Müttern." Wieder grinse ich breit, spöttele ein bisschen, obwohl mir ein dicker Kloß im Hals steckt.
Sakura.
Unsere Tochter.
Es war schon seit vielen Jahren unser sehnlichster Wunsch gewesen, ein eigenes Kind zu haben. Selbstverständlich gehört Hotaru, unsere adoptierte Tochter, genauso zu uns, aber nachdem Chibiusa, Usagis Tochter, und Leonhard, Setsunas Sohn, geboren wurden, waren wir beide so auf kleine Kinder versessen, dass der Wunsch nach einem eigenen Kind – und einem Geschwisterchen für Hotaru – immer stärker wurde. Wir fragten unsere zukünftige Königin um Hilfe, was erst einmal gründlich in die Hose ging, weil Michiru nicht in der Lage war, Kinder zu bekommen. Als kleines Mädchen war sie einmal sehr krank gewesen und ihre Regel war seitdem sehr schwach – zu schwach. Etwa ein Jahr lang warteten wir vergebens auf ein Wunder, bis ich dann mit Usagi unter vier Augen sprach. Einige Zaubersprüche, einige Schwüre und einige Wochen später und ich war schwanger.
Abgesehen von Michirus verrücktem Verhalten und meinen seltsamen Gelüsten nach Hering, eingelegt in Erdbeermarmelade, war es eine einfache Schwangerschaft. Nur die letzten zwei Monate waren ein wenig nervig. Ich fühlte mich wie ein Wahlross, konnte mich kaum noch bewegen und durfte zudem meinen heißgeliebten Ferrari nicht mehr fahren. Setsunas und Usagis gute Ratschläge trieben mich fast in den Wahnsinn und Hotaru war traurig, dass ihr Papa nicht mehr mit ihr Pferdchen spielen konnte, weil der Bauch des gutmütigen Pferdchens wohl zu sehr auf dem Teppich geschleift hätte. Dafür war sie sofort Feuer und Flamme, als sie begriff, dass sie ein kleines Geschwisterchen bekommen würde.
„Na, mein Kleines?" lächelt Michiru und schon laufen die Tränen über ihr Gesicht. Genauso wie letzte Nacht, als die Kleine endlich auf die Welt kam. Nach neun aufregenden Monaten – und ungefähr sechs Stunden voller Pein, in denen ich Gott und die Welt verfluchte, dass ich eine Frau war. Ich schmiss Usagi und sogar Ami, die ihr Medizinstudium fast beendet hatte, aus dem Kreissaal und ich wette, nur Michirus Neugier, Vorfreude und grenzenlose Liebe ließen sie an meiner Seite ausharren, obwohl ich sie mit mancherlei Schimpfworten versah, die sie nicht verdient hatte. Aber sie vergab mir alles. Sofort. Als sie unsere Tochter das erste Mal in den Armen halten durfte. Ein so kleines Wesen, das doch schon unsere ganze Welt beherrschte, unsere Herzen in so winzigen Händen hielt. In dem Augenblick, wo ich sie auch halten durfte, wusste ich, dass sie jede Anstrengung wert gewesen war.
„Ich bin so stolz auf dich, Ruka." Schluchzt Michiru leise und wiegt das Bündel sanft in ihren Armen. Das kleine Mädchen schläft tief und fest, verzieht nur ein wenig gestört sein Gesicht, als Michiru ihm einen zärtlichen Kuss auf die runzelige Stirn gibt.
Sakura.
Kirschblüte.
Unsere Tochter.
„Sag das erst, wenn wir das erste Jahr überlebt haben."
Michiru strahlt mich mit einem umwerfenden Lächeln an und nickt glücklich.
„Auf dieses Jahr freu ich mich schon riesig. Und auf alle, die folgen werden." Sie lehnt sich vor und gibt mir einen liebevollen Kuss, den ich sehnsuchtsvoll erwidere. In dem Moment klopft es und ein wenig unwillig trennen wir uns von einander.
„Das werden bestimmt Usagi und die anderen sein. Ich bin froh, dass Rei letzte Nacht so lieb war und auf Himme-chan aufgepasst hat. Das wäre doch alles zu viel für sie gewesen."
Ich nicke und richte mich erwartungsvoll in meinem Bett auf. Erwartungsvoll und ein wenig nervös. Schließlich würde ich nun meinen besten Freunden, die meine Familie geworden waren, meine neugeborenen Tochter präsentieren.
Und ich würde meiner Sakura-chan sechs phantastische, aber manchmal total durchgeknallte Tanten präsentieren.
Vorsichtig wird die Tür geöffnet. Ich runzele verwirrt meine Stirn, denn so wie ich Usagi – und vor allen Dingen Rei – kenne, wären sie schon längst in das Zimmer geplatzt und über das kleine Mädchen hergefallen. Während Setsuna Teddybären und ähnliches Spielzeug angeschleppt und Makoto den Speiseplan skeptisch begutachtet hätte. Gerade überlege ich, ob ich Minako wohl rauswerfen solle, wenn sie hier eine Liveshow abziehen und Sakura mit ihrem Singen wecken würde, als ein Junge im Türrahmen erscheint. Unsicher sieht er sich um und nestelt mit seinen Händen an den Taschen seiner Jeanshosen. Er mag vierzehn Jahre alt sein, vielleicht auch ein wenig älter. Ich war noch nie gut darin, das Alter fremder Menschen zu schätzen. Aber irgendetwas kommt mir an ihm bekannt vor. Seine blonden Haare sind kurz geschnitten, aber die Ponyfransen hängen ihm trotzdem ins Gesicht. Als er seinen Kopf hebt und mich direkt ansieht, kann ich in seine dunkelgrünen Augen blicken. Sie erinnern mich sehr an jemanden. Einige Momente starre ich ihn schweigend an, bis ich begreife, dass es meine Augen sind. Es ist, als würde ich in einen Spiegel schauen, nur ist die Person mir gegenüber zehn Jahre jünger und männlich.
Nani?
„Tenô?" fragt der Junge nun schüchtern und tritt ein wenig näher an mein Bett heran. „Tenô Haruka?"
„Hai?"
„Bist du Tenô Haruka?"
„Also vor fünf Minuten war ich's noch." Erwidere ich ein wenig spöttisch und wundere mich, wer Junge sein mag. Er kann schlecht von der Presse sein. Diese Fuzzies halten sich seit meiner Einlieferung gestern Abend vor der Klinik auf. Um ein Bild von der Tochter der berühmten Rennfahrerin zu erhaschen. Aber er kann auch kein Sohn von irgendeinem aus dem Rennteam sein, oder? Ich dachte eigentlich, dass ich dort jeden persönlich kennen würde.
Nun lächelt der Junge und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
„Hitsuko-chan?" flüstere ich ungläubig. Er aber antwortet nicht, sondern dreht sich um und ruft so laut über den Gang, dass er bestimmt jeden Patienten, der im Krankenhaus ein wenig schlief, geweckt hat.
„Mom! Dad! Ich hab sie gefunden! Sie ist hier!"
Nani?
Bevor ich irgendwie reagieren kann, wird die Tür weiter aufgerissen und mit einem Mal steht sie im Zimmer: Yomoko Susuka, meine Tante. Hinter ihr stehen ihr Mann und ihr Sohn. Alle sind älter geworden, haben sich verändert. Nicht jedoch die gütigen Blicke, die sie mir zu werfen. Blicke, die ich vor zehn Jahren so erbarmungslos ignoriert habe.
Nani?
Ich bin unfähig, mich zu bewegen. Unfähig, etwas zu sagen. Sprachlos starre ich die drei an, als wären sie eine Fatahmorgana. Die letzten Jahre hatte ich so verzweifelt nach ihnen gesucht und nun, da ich die Suche aufgab, stehen sie plötzlich in diesem Krankenzimmer und lächeln mir zu, als sei nichts geschehen.
„Wer sind Sie?" fragt Michiru höflich und erhebt sich. Noch immer Sakura sanft in ihren Armen haltend. Noch schläft das Baby, aber es ist bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis sie erwachen und hungrig schreien wird.
„Wir sind Harus Tante, Onkel und Cousin." Grinst der Junge und kommt nun wesentlich selbstsicherer zu Michiru herüber. „Wir sind ihre Familie und wollen doch mal den Nachwuchs begutachten."
Michiru dreht sich nicht zu mir um, aber ich kann ihre Verwirrung deutlich spüren. Natürlich ist sie verwirrt. Ich hatte ihr ja nie von meiner Familie mütterlicherseits erzählt. Erst war keine Zeit dafür gewesen und dann... dann hatte ich geglaubt, dass es zu spät sei. Warum meiner Liebsten von einer Familie erzählen, die ich durch meine eigene Dummheit längst verloren hatte?
Nun aber stehen genau diese Personen, die ich so oft angeschrieen, die ich so offen gehasst, die ich so oft verletzt habe, hier vor meinem Bett und beäugen neugierig meine neugeborgene Tochter. Hitsuko ist sofort Feuer und Flamme und hätte Sakura wohl am liebsten sofort an sich genommen und herum getragen, wenn nicht Michiru und seine Mutter ihn davon abgehalten hätten.
„Sie ist wunderschön, Haru-chan."
Haru-chan.
Das ist der Spitzname, mit dem meine Tante mich immer gerufen hatte. Selbst, wenn sie wütend oder enttäuscht gewesen war – wegen meinem verdammten Sturrkopf.
„Herzlichen Glückwunsch." Meint nun auch Shinji und der Knoten verdichtet sich in meinem Hals.
„Wie...?" ist alles, was ich herauskrächzen kann.
„Wir sind aufmerksame Bildzeitungsleser." Lacht Hitsuko und entfaltet ein großes Boulevardblatt.
„Na super!" stöhnt Michiru auf, die solche Billigblätter hasst. Ich aber bin plötzlich unsagbar dankbar, denn dieser große, nicht zu übersehende Artikel über den großen Rennfahrer, der nun Mama geworden war, hat die drei wohl geradewegs zu mir geführt.
„Warum..." Irgendwie bekomme ich nicht mehr als nur ein Wort heraus. Es klingt unglaublich heiser.
„Na, weil ich meiner Lieblingsnichte zu einer so bildhübschen Tochter gratulieren und ihr alles Glück der Welt wünschen möchte." Tante Susuka sieht hinüber zu Michiru, die Sakura zärtlich im Arm wiegt und lächelt wissend. „Ihr müsst unglaublich stolze Eltern sein."
Ich nicke und schlucke hart.
Im nächsten Moment spüre ich sanfte Arme, die mich liebevoll umarmen. So wie früher, kurz nachdem meine Eltern gestorben waren. Wieder fühle ich die Geborgenheit, das Verständnis und die bedingungslose Liebe, die mir schon damals entgegengebracht wurden. Die ich damals jedoch blind von mir stieß.
So viel ist passiert und trotzdem scheint mich meine Tante noch immer zu lieben. Vermutlich hatte sie mich genauso gesucht wie ich sie und konnte mich erst durch diesen Zeitungsartikel ausfindig machen. Vielleicht hatte sie sich aber auch nicht eher zu mir getraut, weil ich ihr ja vier lange Jahre auf keinen einzigen Brief geantwortet, kein einziges Telefonat angenommen hatte. Und trotzdem ist sie jetzt da. Ganz einfach so... und bietet mir all ihre Liebe und ihre Vergebung an.
Der Knoten löst sich in meinem Hals und das erste Mal seit der Beerdigung meiner Eltern laufen Tränen über mein Gesicht. Ich hatte seit den grausamen Worten des gefühllosen Onkels nicht mehr geweint. Weder in der Marienkathedrale, noch vor Galaxias Füßen. Nicht einmal letzte Nacht, als Sakura geboren wurde. Nun, anstelle zu weinen, hatte ich ja auch genügend geschimpft und um mich getreten.
Nun aber laufen die Tränen ungehindert über mein Gesicht, während ich meine Tante ebenfalls umarme und mich gerade zu an sie klammere. In der plötzlichen Angst, dass sie wieder verschwinden und mich allein lassen könnte. Damals vor zehn Jahren, da hatte ich allein sein wollen. Aber jetzt musste ich erkennen, wir töricht ich gewesen war. Nein, jetzt will ich nicht mehr allein sein. Ich will, dass meine Tochter, dass meine beiden Töchter, nicht nur Michirus Familie kennen lernen. Ich will so sehr, dass Hotaru und Sakura auch diesen Zweig der Familie kennen und lieben. So wie ich sie liebe...
„Verzeih mir, Tante Susuka. Bitte, verzeih mir."
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so sehr gefleht habe, aber Susukas liebevolles Drücken zeigt mir, dass sie mich verstanden – und mir verziehen hat.
„Wir haben alle unsere Fehler gemacht, Haru-chan. Lass uns einfach noch einmal von vorne beginnen, okay?"
„Okay..." schluchze ich und noch mehr Tränen laufen über meine Wangen. Aber anders als die Tränen, die ich bei der Beerdigung meiner Eltern vergossen habe, rinnen diese Tränen über ein lächelndes Gesicht.
Zum ersten Mal in meinem Leben weine ich vor Glück. Wie ein Schlosshund weine ich und schäme mich nicht einmal. Hier ist meine Tante, meine Familie – neben Michiru und den Kindern – und sie hat mir vergeben.
In dem Moment weiß ich, dass dies auch einer der Momente sein würde, der ewig klar in meinen Erinnerungen leben würde. Egal, was das Leben noch für uns alle bereit hielt.
Es ist die schönste Erinnerung von allen.
finis
Thank you for reading.
And maybe for understanding.
April Eagle
7th August 2002
