Es geht weiter!
06.
Zwei Stunden später saß Harry noch immer auf der Treppe und starrte vor sich hin. Jetzt wo er sich über seine Gefühle bewusst war, wunderte es ihn, dass er nicht schon früher darauf gekommen war. Und plötzlich machte auch seine Unsicherheit, sein ständiges Erröten und seine beunruhigenden Träume einen Sinn.
Er hatte sich in Draco verliebt.
Draco Malfoy, den er sein halbes Leben lang als einen seiner schlimmsten Feinde angesehen hatte und der sich dann, in einer Zeit größter Not als Freund entpuppt hatte. Aber würde er jemals mehr sein als ein Freund? Harry konnte sich das nicht vorstellen.
„Hey du. Träumst du?"
Harry zuckte zusammen als ihn jemand an der Schulter berührte. Er drehte sich um und sah sich einem Paar silbrig-grauer Augen gegenüber. Sein Magen machte einen komischen kleinen Sprung.
„Hi. Stehst du schon lange da?"
„Geht so. Kommst du mit rein? Hier wird es langsam echt kalt. Ich brauche dringend ein heißes Bad und ich dachte, du magst vielleicht mitkommen."
Harry glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Hatte er irgendetwas verpasst? Fragte Draco ihn gerade tatsächlich, ob sie zusammen baden sollten?
„Warum guckst du mich so entsetzt an? Ich meine nur, ob du mit in die Höhlen kommst. Zu den heißen Quellen? Ich hab dir doch davon erzählt, oder? Harry? Alles in Ordnung?"
Harry atmete langsam aus. Die heißen Quellen. Natürlich. Was auch sonst.
„Sorry, ich bin heute ein bisschen zerstreut. Klar komm ich mit. Ein bisschen Wärme wär jetzt nicht schlecht."
Draco warf ihm noch einen forschenden Blick zu und ging dann in die Festung ohne sich noch einmal nach Harry umzusehen.
„Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern vorher noch nach Ashes sehen. Das war sein erster Flug heute und ich bin mir nicht sicher, wie sein Flügel das verkraftet hat."
„Klar, kein Problem. Macht es denn was, wenn ich da mitgehen? Ich meine, reagieren die Drachen nicht feindselig auf Fremde?"
Draco lachte: „Nein, solange du mir nichts tust, werden sie dich in Ruhe lassen. Solltest du aber irgendwelche Angriffe auf mich planen, solltest du damit bis später warten."
„Na gut. Schlag ich dich eben erst danach k.o."
Lachend setzten sie ihren Weg fort. Harry gab sich Mühe, seine Gefühle für sich zu behalten und schlug deshalb einen betont lockeren, freundschaftlichen Tonfall an. Er konnte Draco unmöglich sagen, was er für ihn empfand. Was, wenn er die Gefühle nicht erwiderte? Es würde ihre Freundschaft zerstören. Eine Freundschaft, die Harry wichtig war. Nein, er würde nichts sagen. Immerhin, er war schon früher verliebt gewesen. Das war doch nur ein dummes Gefühl, dass ein paar Wochen anhielt und sich dann von selbst verflüchtigte. Er würde eben so lange warten. Das war besser als eine Freundschaft aufs Spiel zu setzen, die möglicherweise Jahre dauern würde. Hoffentlich. Und es würde ihn davor bewahren vielleicht wieder einen Menschen zu verlieren, der ihm viel bedeutete. Sein Schweigen würde ihnen beiden eine Menge Schmerz ersparen.
Dracos Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen.
„Da sind wir. Willkommen im Drachenhort. Dem wahren Herzen der Festung."
Harry hob den Kopf und was er dann sah, übertraf seine kühnsten Träume.
Vor ihm erstreckte sich ein gewaltige Höhle, nein mehrere ineinander übergehende Höhlen. Die Wände waren mit verschieden großen Löchern und Vorsprüngen übersät und verloren sich irgendwo in schwindelerregender Höhe; eine Decke war nicht zu erkennen. Hölzerne Gerüste und Leitern verbanden die oberen Ebenen miteinander und mit dem Boden. Drachen hockten in den Felsöffnungen oder lagen zusammengerollt überall auf dem Boden der Kaverne. Auf der linken Seite konnte Harry eine Art Plateau erkennen, das ins Freie ragte. Drachen landeten und starteten dort. Menschen liefen zwischen den riesigen Echsen umher oder kletterten in den Gerüsten herum, arbeiteten an den Geschirren, versorgten Verletzungen, kümmerten sich um die riesigen Eier die in gewaltigen Nestern lagen. Draco durchquerte die Höhle scheinbar völlig unbeeindruckt. Er blieb hin und wieder stehen, unterhielt sich mit Freunden oder schob aufdringliche Jungdrachen zur Seite. Harry folgte ihm mit offenem Mund und versuchte all die Eindrücke auf einmal zu verarbeiten.
„Das ist unglaublich. Und ich habe die ganze Zeit über gedacht, das hier höchstens dreißig Drachen oder so sind. Aber nicht so viele!"
„Das sind bei weitem nicht alle. Einige sind auf Patrouille und werden wohl erst im Frühjahr zurückkommen und viele leben in den Bergen unten auf der Insel oder auf den kleineren Nachbarinseln. Hier sind nur die jungen, die verletzten oder kranken und die brütenden Weibchen. Außerdem die Drachen die sich noch in der Ausbildung befinden."
„Ist Amber auch hier?"
„Nein. Ambers Hort liegt in den Klippen ganz in der Nähe von dem Plateau auf dem wir angefangen haben zu trainieren. Warum fragst du? Möchtest du dich vielleicht doch noch mit ihr anfreunden?"
„Ach, nur so, sie würde immerhin einen vertrauten Anblick bieten. Oh sieh mal, da ist Stella."
Stella Weasley stand zusammen mit einem Mann in einer schweren Lederrüstung neben einem großen goldenen Drachen mit ausgefransten Flügelspitzen. Ihr Sohn Ben turnte zwischen den Klauen des Drachen herum und schien nicht im mindesten von der Größe des Tieres beeindruckt.
„Hey Jungs, na alles klar?"
„Hallo Stella, hey Bob. Und, wie geht es Jinxy?"
„Ganz gut wieder. Ein paar Vitamine, ein bisschen Ruhe und sie ist wieder so gut wie neu. Bob, das ist Harry Potter. Harry, Bob unser bester Drachenheiler."
Der Mann namens Bob schüttelte Harry die Hand mit einer Pranke, auf die jeder Bär stolz gewesen wäre.
„Freut mich dich kennen zu lernen, Harry. Hab schon ne ganze Menge von dir gehört." Auch sein übriges Äußeres erinnerte stark an einen Bären: breite Schultern, gewaltige Muskelberge, eine dichter, schwarzer Bart, der an mehreren Stellen angekokelt war.
„Nun Stella, ich denke du solltest sie aber noch ein bisschen schonen. Jinx ist nicht mehr die Jüngste. Sie sollte bis zum Frühjahr im Hort bleiben."
Er klopfte dem Drachenweibchen auf die Nase, dann wand er sich an Draco:
„Gut dass du hier bist, Dray, ich wollte mir Ashes auch noch mal ansehen, aber ich geh nicht gern zu nah an ihn ran, wenn du nicht dabei bist."
Draco grinste: „Hast Angst um deinen Bart, was?"
„Naja, den Rest würd ich gern behalten, wenn's dir recht ist."
Die beiden gingen zu einer Höhle in der Nähe, vor der ein riesiger grünsilberner Drache lag und sie misstrauisch musterte. Harry blieb zurück um sich noch ein bisschen mit Stella zu unterhalten.
„Sag mal, hast du keine Angst, wenn Ben da rumklettert? Ich meine, dass der Drache ihm was tut?"
„Jinx? Nein, die würde keiner Fliege was tun. Sie ist der sanfteste und netteste Drache den ich kenne. Sie würde sogar dich auf sich reiten lassen, obwohl sie dich noch nie gesehen hat. Komm mit, ich stell dich ihr vor."
Bevor Harry protestieren konnte, nahm sie ihn an der Hand und zog in näher an den Drachen. Sie war nicht so riesig wie die meisten anderen, aber auch Jinx gehörte keiner Drachenrasse an, die Harry kannte. Ihre goldenen Schuppen waren schon leicht angelaufen und ausgefranst. Unzählige Narben und Furchen durchzogen die ledrigen Flughäute und die leuchtenden honiggoldenen Augen erinnerten an einen großen, sanften Hund. Sie schob ihren Kopf näher an Harry und schnüffelte an ihm, dann stieß sie ihn ganz sanft mit der Nase an und gab ein aufforderndes Gurren von sich. Harry musste trotz seiner vagen Angst vor dem riesigen Reptil lachen, dieser Drache war einfach zu süß! Er hob die Hand und streichelte vorsichtig über die bebenden Nüstern. Erstaunt stellte er fest, dass die Haut nicht rau war, sondern weich und samtig.
„Hallo Harry. Magst du Jinxy? Sie ist meine beste Freundin."
Harry sah nach unten und sah Ben, der zwischen den Vorderpranken der Echse saß und ihn breit angrinste. Bevor er antworten konnte, hörte er ein lautes Kichern, dass ihn ablenkte. Er trat zur Seite um nach dem Ursprung zu suchen und entdeckte Mona und Tash, die auf dem Schwanz des Drachen hockten und vergnügt quietschten, während der Schwanz langsam hin und her schwang. Stella zuckte lachend mit den Schultern.
„Jinxy ist der Liebling aller Kinder. Und sie liebt die Kleinen. Sie ist die perfekte Babysitterin. Sie..."
Bevor sie weitersprechen konnte erschütterte ein ohrenbetäubendes Brüllen die Kaverne. Jinx' Kopf zuckte zurück, sie scheuchte die Kinder zwischen ihre Beine und fletschte dann die Zähne in Richtung des potentiellen Angreifers. Harry und Stella sahen sich nach dem Ursprung für den Lärm um. Der grünsilberne Drache hatte sich erhoben, seine Flügel schlugen wie wild und er fauchte immer wieder in Richtung des Höhleneinganges. Dort hockte ein Hornschwanz, der das Brüllen erwiderte und drohend in Richtung des Grünen schnappte.
„Oh Scheiße! Spike. Ashes hasst Spike! Geh besser in Deckung Harry."
Stella deutete auf Jinx und rannte dann durch die Höhle auf den Hornschwanz zu. Harry duckte sich unter den jetzt aufgeregt flatternden Flügeln der Goldenen durch und sah sich nach Draco um. Er hatte direkt neben dem Grünen gestanden, als dieser losbrüllte. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Dann sah er ihn. Draco stand mit erhobenen Armen vor dem Drache und versuchte ihn zu beruhigen.
„Ruhig Ashes! Ruhig! Bob, halt die Leine fest!"
„Hey Kleiner, was glaubst du, was ich hier gerade versuche?"
Der bärenhafte Heiler hing an der geflochtenen Lederleine, die um den Hals des Drachen gewunden war und zerrte mit aller Macht daran. Draco stemmte sich gegen das andere Ende und brüllte gleichzeitig wütend den Reiter des Hornschwanz an:
"Jason! Schaff dieses verdammte Vieh hier raus!"
Harry sah einen Mann in Drachreiterrüstung, der am Geschirr seines Drachen zog und mit Stellas Hilfe versucht ihn nach draußen zu bugsieren.
„Was glaubst du was ich hier mache, Malfoy? Reg dich ab!"
Schließlich gelang es ihnen den Hornschwanz aus der Höhle zu schieben. Kaum war der Störenfried draußen, warf Draco sein Ende der Leine zu Boden und ging auf Jason los.
„Was fällt dir eigentlich ein, dieses gestörte Vieh hier reinzubringen, Handerson? Du bist so ein Riesenschwachkopf!"
„Nur weil du deinen Grünen nicht im Griff hast? Ich dachte du bist so toll! Spike hat überhaupt nichts getan. Dein wahnsinniger Drache geht jedes Mal auf ihn los!"Die beide standen sich jetzt dicht gegenüber und funkelten sich zornig an. Jason war größer und bei weitem breiter gebaut als Draco, was diesen nicht im Mindesten kümmerte. „Ich schwör dir, das nächste Mal wenn du diese übergroße Fledermaus in Ashes Nähe lässt, werde ich ihn nicht davon abhalten Sushi aus deinem blöden Vieh zu machen!"
„Was ist hier los???" Charlies Stimme hallte laut durch die Höhle. Er kochte vor Wut und stürmte wie eine Furie auf die Streithähne zu.
„Sein irrer Drache ist wieder auf Spike los!"
„Ich habe ihm schon tausendmal gesagt, dass er seinen dämlichen Hornschwanz nicht in Ashes Nähe bringen soll!"
„Ruhe, verdammt noch mal! Jason! Du weißt verdammt genau, dass Ashes das dominante Männchen in diesem Schwarm ist. Er duldet keine Konkurrenz! Und dein Hornschwanz fordert ihn immer wieder heraus. Haltet die beiden demnächst gefälligst von einander fern! Ich will hier kein Massaker. Klärt das gefälligst friedlich. Verflucht noch mal! Ihr seid erwachsene Männer und keine Kleinkinder! Haltet euch an die Regeln. Oh, und Jason, du kannst dich in einer Stunde zum Strafdienst im Hof melden."
„Aber warum?"
„Ganz einfach. In der schönen Sprache der Drachenarmee, die wir alle so schätzen, heißt dein Vergehen Widerstand und Unverschämtheit einem vorgesetzten Offizier gegenüber. Draco steht rangmäßig weit über dir."
„Aber..."
„Kein aber! Auch wenn wir das hier gern vergessen, weil wir normalerweise wie eine Familie miteinander umgehen, sind wir Krieger. Und gewisse Regeln müssen eingehalten werden. Wenn du im Kampf einen Befehl verweigerst oder erst stundenlang diskutierst, riskierst du nicht nur dein Leben!"
„Ja Sir."Jason senkte den Kopf und verließ dann eilig die Höhle.
Charlie seufzte kurz, dann hob er den Kopf und fixierte Draco:
„Und du! Lern endlich mal dein Temperament zu zügeln. Ausbrüche dieser Art fördern nicht gerade die Disziplin! Stella, kommst du? Benedict! Natasha und Mona-Lee! Das gilt auch für euch!"
Immer noch schäumend rauschte Charlie wieder Richtung Treppe gefolgt von seiner Frau, seinem Sohn und seinen immer noch kichernden Nichten.
„Oha, da hat aber wieder mal jemand einen Autoritätsschub, was?"
Bobs dunkle Stimme klang nicht im Mindesten beeindruckt von Charlies Ausbruch.
Draco zuckte mit den Schultern. „Kennst ihn ja. Flachst ewig rum und dann fällt ihm plötzlich ein, dass er der Boss ist und er hält Vorträge über Disziplin. Erinnerst du dich an den Aufstand den er veranstaltet hat, als Ashes und Flame sich an den Hals gegangen sind?"
„Oh, ja. Erinnere mich nicht daran. Manchmal gelingt es mir tatsächlich ein zwei Stunden lang nicht daran zu denken. So, ich mach mich jetzt wieder an die Arbeit. Bis später ihr zwei."
„Wow, was war das denn?"Harry war immer noch geschockt.
„Ashes hasst diesen Drachen. Er würde ihn am liebsten in Stücke reißen. Und wenn es nach mir ginge, dann könnte er das auch."
„Ja, aber warum? Ich meine, die Drachen scheinen sich doch sonst alle zu verstehen."
„Schon, weil sie normalerweise ihre Revierkämpfe austragen können. Die gewöhnlichen Drachen, also Hornschwänze, Stachelbuckel und so, du weißt schon, die Rassen, die wir in der Schule durchgenommen haben und die Hochdrachen, also solche wie Amber, Jinx oder Ashes, gehen sich normalerweise aus dem Weg und beachten sich gar nicht. Und wenn sie aus welchen Gründen auch immer im selben Schwarm sind, dann ordnen sich die Kleinen automatisch den Großen unter. Bisher gab es da auch keine größeren Probleme. Ashes ist noch relativ jung. Vor etwa drei Jahren hat er den Hauptschwarm übernommen. Er hat gegen alle männlichen Drachen der Gruppe gekämpft und schließlich alle besiegt. Auch Flame, der bis dahin das dominante Männchen war. Tja, und dann wurde er von Spike herausgefordert. Und seitdem versuchen wir die beiden voneinander fern zu halten, denn Ashes würde Spike töten. Was mir ziemlich egal wäre, wenn die Gefahr, dass er Ashes dabei schwer verletzen könnte nicht so groß wäre."
„Klingt ja echt übel. Und wie oft passiert so was, wie das hier?"
„Zum Glück nicht sehr oft."
Draco grinste schief und rieb sich die Schulter.
„Dieses dumme Tier hat mir fast den Arm ausgekugelt."
„Oh, heißt das, das unser Training morgen früh ausfällt?"
„Mach dir nur keine falschen Hoffnungen, Potter. So schnell kommst du mir nicht davon."
„Ich fürchte auch. Wann krieg ich denn jetzt mein versprochenes Bad?"
Sie gingen lachen und stichelnd nebeneinander her und Harry fühlte wie eine plötzliche tiefe Zufriedenheit in ihm hochstieg. War es das? Das was Hermine und Ron hatte? Fühlte es sich so an mit dem Menschen den man liebte zusammen zu sein, zu lachen und über Belanglosigkeiten zu reden? Er sah Draco von der Seite an und fragte sich plötzlich was er wohl in diesem Moment dachte. Sein Herz fing wieder an schneller zu schlagen.
„Vielleicht sollte ich es ihm doch sagen? Nein! Nein, Harry, das kannst du nicht tun."
Er tat das einzige was ihm einfiel und flüchtete sich in Witze:
„Hey sag mal, wie weit ist es noch? Ist diese heiße Quelle noch auf diesem Kontinent? In dieser Zeitzone? In dieser Dimension?"
„Wenn du nicht brav bist, dann darfst du gleich wieder umkehren und ins Badehaus gehen. Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf."
„Oh ja, vorgesetzter Offizier. Hab ich vergessen. Was meinte Charlie damit?"
„Ach nichts weiter."
„Los, raus mit der Sprache!"
„Nichts Aufregendes. Nur das natürlichste von der Welt. Der coolste Drache hat auch den coolsten Reiter!"
„Alter Angeber!"
„Hey, du hast gefragt. Kann ich doch nichts für. Übrigens, wir sind da."
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Die Höhle die sich vor ihnen erstreckte war wesentlich kleiner als die Drachenhöhle, aber trotzdem war sie auf ihre Art noch beeindruckender. Die Wände waren mit Kristallen durchsetzt und funkelten im Schein mehreren Fackeln, die in schmiedeeisernen Halterungen an den Wänden hingen. Der hinter Teil der Kaverne wurde von einem riesigen Wasserbecken eingenommen über dem ein feiner Nebel hing. Das Becken wurde von einem Wasserfall gespeist, der über die Rückwand der Höhle in die Tiefe stürzte. Ein schmaler Wasserlauf führte vom See fort und verschwand in einem Spalt in der Höhlenwand. Neben dem Becken waren einige Bänke in die Kristallwand geschlagen auf denen dicke, flauschige Handtücher lagen.
„Gut, keiner da. Ich hab gehofft, dass sonst keiner hier ist. Los, nicht so schüchtern."
Draco entledigte sich seiner Kleider und sprang ins Wasser bevor Harry dazu kam zu protestieren. Einen Augenblick lang druckste der Gryffindor noch rum, dann zog er sich schnell aus und ließ sich langsam in das Becken gleiten, das weit tiefer war, als es von außen den Anschein hatte. Das Wasser war angenehm warm und roch leicht nach Salz und nassem Kalk.
Er sah sich nach Draco um, aber durch den Nebel der über dem Becken hing und ohne Brille konnte er kaum etwas erkennen und das Rauschen der Kaskade schluckte jedes andere Geräusch.
„Draco?"Keine Antwort.
"Hey, wo bist du? Das ist nicht lustig!"
Etwas streifte seinen Fuß und Harry zuckte erschrocken zusammen.
„Draco? Komm schon, wo steckst du? Gibt es hier irgendwelche Drachen oder andere Viecher in dem Wasser? Das ist echt nicht witzig. Wo...."
Etwas packte seine Fußgelenke und zog ihn unter Wasser. Harry kämpfte gegen den Sog an und schlug wild um sich um wieder an die Oberfläche zu kommen. Panik stieg in ihm auf. Dann war er plötzlich frei. Hustend und spuckend tauchte er auf und war schon bereit zur Flucht, als er Dracos Gelächter hörte.
„Oh, du Mistkerl! Du warst das! Spinnst du? Du hast mich fast zu Tode erschreckt!"
Jetzt sah er Draco auch. Der Slytherin schwamm keinen Meter von ihm entfernt und sah so hinreißend aus, dass Harry seine Wut im Hals stecken blieb. Die blonden Haare hatten sich aus dem Zopf gelöst und trieben wie schmale, silberne Schlangen auf dem Wasser, der warme Dampf hatte eine zarte Röte auf die sonst so blassen Wangen gezaubert, die silbernen Augen glühten noch immer vor Lachen. In diesem Moment wünschte Harry sich nichts mehr, als ihn in den Arm zu nehmen und zu küssen.
„Du bist wunderschön."Seine Stimme klang rau in seinen eigenen Ohren.
Draco lächelte noch immer sanft.
„Hey, das ist mein Text. Ich bin der der unsinnige Komplimente macht, schon vergessen?"
„Das war kein Kompliment, das war eine Feststellung."
Sie sahen sich tief in die Augen. Einen Moment lang schien es, als würde die Zeit still stehen. Die Spannung in der Luft war fast greifbar. Dann ließ Draco sich plötzlich unter Wasser gleiten und tauchte erst am Rand des Beckens wieder auf. Harry schloss für einen Moment die Augen und kämpfte gegen eine Welle der Enttäuschung. Dann rief er sich selbst zur Ordnung. Es war besser so. Langsam schwamm er zurück.
Draco kniete im seichten Wasser und war damit beschäftigt seine Haare zu entwirren. Als er die langen Strähnen zusammenfasste und über die Schulter zog, sah Harry auf seinem Rücken einen großen, schwarzen Fleck. Gab es hier etwa doch Tiere im Wasser?
„Hey, du hast da was auf dem Rücken. Warte, ich mach es weg, ich muss nur erst meine Brille finden."
„Nein, ist schon gut, das ist nur..."
Im selben Augenblick hatte Harry seine Brille gefunden und aufgesetzt. Die verschwommene Linien klärten sich.
„Oh großer Merlin!"
Der schwarze Fleck entpuppte sich als Drache, der in die weiße Haut tätowiert war. In kunstvoll verschlungenen Linien und verschiedenen grauen und schwarzen Schattierungen schlängelte sich das Bild des Reptils über den unteren Teil von Dracos Wirbelsäule. Nur ein Teil war zu sehen, der Rest verschwand unter Wasser. Aber das war es nicht, was Harry entsetzt die Augen aufreißen ließ. Es war das dichte Netz von Narben, das Dracos Rücken und die Schultern bedeckte. Die Narben waren unterschiedlich dick und lang, zeugten von Messern, Brandeisen und schlimmeren Dingen, welche die einst makellose Haut zerstört und diese Spuren hinterlassen hatten. Draco drehte sich langsam um und Harry sah, dass die Narben sich auf Brust und Bauch fortsetzten. Er hatte ein Bein angewinkelt, so dass es halb aus dem Wasser ragte und auch der Oberschenkel war von weißen Linien überzogen.
Harry hob den Kopf und sah Draco an. Das Lächeln war aus den grauen Augen verschwunden. Jetzt lag dort eine Mischung aus Bedauern, leiser Trauer und Schmerz. Aber es war ein alter Schmerz, ein Schmerz, mit dem er längst abgeschlossen hatte.
„Es tut mir leid, Harry. Ich hätte dich warnen sollen. Aber die Menschen hier sind an diesen Anblick gewöhnt und ich selbst habe mich längst damit abgefunden."
„Dann stimmt es also wirklich. Ich... ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich meine, ich sehe diese Narben und ich versuche mir vorzustellen, welche unglaublichen Schmerzen du hast erdulden müssen und..."
„Harry nicht. Nicht. Es ist.... es ist vorbei. Ich habe damit abgeschlossen, schon vor langer Zeit. Ich möchte nicht, dass du dich meinetwegen sorgst. Es geht mir gut. Du hast recht. Damals ging es mir sehr schlecht, aber das ist vorbei. Heute geht es mir gut."
Harry schüttelte leicht den Kopf. „Diese Mistkerle. Ich habe bisher immer geglaubt, dass Severus übertrieben hat, damals, als er Dumbledore erzählte was mit dir passiert ist. Du weißt schon, um seine Schuld runterzuspielen. Gott, ich war damals so dumm."
„Mach dir keine Vorwürfe."
„Warum hast du die Narben nicht entfernen lassen? Ich meine, es gibt ne Menge Zauber dafür, oder?"
„Du musst mich für wahnsinnig eitel halten!"
„Nein! Nein, so mein ich das nicht. Obwohl.... Nein. Aber wäre es nicht einfacher zu vergessen, wenn du nicht jedes Mal beim Blick in den Spiegel daran erinnert wirst."
„Um ehrlich zu sein, ich hab ein paar entfernen lassen. An den Armen, am Hals und.... und im Gesicht, aber es tut höllisch weh und ich habe für mein Leben genug Schmerz ertragen müssen. So ist es in Ordnung. Am Anfang wollte ich mich umbringen. Ich habe gedacht niemals mit der Erinnerung leben zu können, aber ich habe mich geirrt. Die Dracheninsel hat ihre eigene Magie und sie hilft einem zu vergessen. Wie gesagt, inzwischen ist die Erinnerung nur noch ein Schatten. Also mach dir keine Gedanken."
Draco lächelte wehmütig, dann ließ er sich zurück ins Wasser gleiten und legte den Kopf auf den Rand des Beckens.
Harry streckte sich neben ihm aus und eine Weile trieben sie schweigend im warmen Wasser und genossen das Gefühl, als ihre Muskeln sich langsam entspannten.
Als sie später aus dem Wasser stiegen und sich abtrockneten, warf Harry ab und zu verstohlen Blicke auf Dracos schmalen Rücken. Die Tätowierung folgte dem Verlauf der Wirbelsäule und endete knapp über...
Harry wand rasch den Blick ab. Hoffentlich hatte Draco sein Starren nicht bemerkt!
„Das Tatoo gefällt mir. Wer hat das gemacht?"
„Ob du's glaubst oder nicht, das ist von Paul. Er ist ziemlich gut darin. Wenn du Interesse hast, kann ich Paul ja mal fragen."
„Oh nein, ich glaub dafür bin ich zu feige!"
Sie zogen sich an und schlenderten dann langsam zurück zur Drachenhöhle. Harry streckte sich. „Ich glaub, wenn ich mich noch mehr entspannt, dann fall ich auseinander."
„Das wäre nicht so gut. Ich hab keinen Korb dabei um die Teile einzusammeln und ich kann auch nicht besonders gut nähen. Mal einen Knopf wieder annähen gut, aber einen Helden und großen Schwertkämpfer..."
„Blöder Kerl!"
Lachend lief Harry hinter Draco her. Sie schubsten sich gegenseitig um jeder zuerst durch den schmalen Tunneleingang zu gehen und lachten dabei die ganze Zeit.
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In der großen Höhle war gerade eine Gruppe Drachenreiter angekommen. Einer der dunkel gekleideten Gestalten löste sich aus der Menge und kam rasch auf sie zu. Im Laufen schob er sich die Kapuze vom Kopf. Kurze dunkelblonde Locken, hellblaue Augen und sonnengebräunte Haut.
„Dray? Hey, ich bin wieder da!"
Draco ließ Harrys Arm los und wand sich dem Neuankömmling zu.
„Simon? Was machst du denn schon hier, ich dachte, du kommst erst im März."Ohne weiter auf Harry zu achten lief er Simon entgegen und ließ sich von ihm umarmen. Sie hielten sich einen Augenblick engumschlungen, dann löste Simon sich leicht aus der Umarmung und sah Draco tief in die Augen.
„Du hast mir gefehlt, Süßer."Seine Stimme war dunkel und rau. Dann beugte er sich vor und küsste Draco. Es war kein brüderlicher Kuss, sondern einer voller Leidenschaft, der von Draco erwidert wurde. Es war der Kuss zweier Liebender, die sich lange Zeit nicht gesehen hatte und nun froh waren wieder vereint zu sein.
Harry merkte, wie kalte Eifersucht sein Herz zusammenkrampfte.
Draco hatte einen Freund!
Zum Glück hatte Harry ihn nicht geküsst. Der Gedanke an die Demütigung die das nach sich gezogen hätte, war kaum zu ertragen.
Er wollte sich gerade leise davonmachen, als Draco sich aus der Umarmung befreite und sich zu Harry umdrehte. Seine Wangen waren gerötet, in seinen Augen lag ein seltsames Funkeln.
„Simon, ich möchte dir jemanden vorstellen. Das ist Harry Potter. Harry, das ist mein Freund Simon. Ich hatte eigentlich nicht gedacht, dass ihr euch noch treffen würdet."
Simon streckte seine Hand aus und lächelte Harry offen an.
„Hi, Harry. Hab natürlich schon viel von dir gehört. Immerhin bist du ja der berühmteste von uns allen. Freut mich dich endlich mal kennen zu lernen."
Harry nahm die dargebotenen Hand und zwang sich zu einem Lächeln.
„Hallo. Ich muss sagen, ich hab von dir noch nichts gehört, aber das können wir ja nachholen, oder?"
„Na klar, gerne. Hattet ihr zwei noch was vor oder kommt ihr mit in den Speisesaal? Ich hab so einen Hunger ich könnte nen Hornschwanz samt Reiter verspeisen!"
„Dann tu uns allen einen Gefallen und nimm Jason!"
„Jason? Hat er wieder Ärger gemacht. Kannst du mir das vielleicht auf dem Weg zum Essen erzählen?"
Harry folgte den beiden langsam in die Halle und hörte zu wie Draco von seinem Zusammenstoß mit Jason und Spike erzählte. Nach außen lachte er und wirkte genauso fröhlich wie noch vor zehn Minuten, aber in seinem Inneren tobte ein Sturm aus Enttäuschung und Eifersucht.
A/N: Hasst ihr mich jetzt? -Klimpert mit den Wimpern-
Wartet's ab und seht euch noch mal genau das Pairing in der Summary an! ;o)
Bis zum nächsten Mal!
Eure Yulah
