Ok, wie die meisten von euch schon vermutet haben, macht Justin noch Ärger. Hier also erste Schritt in Richtung Abgrund. (Das jetzt bitte nicht wörtlich nehmen!)
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19.
Justin sah vom Rand des Dorfes aus zu, wie die Drachen davonflogen. Endlich waren sie weg. Vielleicht würde Harry jetzt endlich wieder vernünftig werden und sich diesen Schwachsinn mit Malfoy aus dem Kopf schlagen.
Seid Harry ihn vor fünf Tagen geschlagen hatte, machte Justin einen weiten Bogen um seinen ehemaligen Freund. Um genau zu sein: er macht einen weiten Bogen um alle. Er verließ das Schloss in aller Frühe, stromerte in den Ruinen Hogsmeade's oder am Waldrand herum und bemitleidete sich selbst. Abends schlich er dann zurück, stahl etwas zu essen aus der Küche und verkroch sich in seinem Zimmer. Inzwischen hatte er sich so in sein Selbstmitleid reingesteigert, dass er das Gefühl hatte, niemand würde so sehr leiden, wie er selbst.
Wie konnte Harry ihm das nur antun? Wie konnte er ihre einzigartige Liebe nur verleugnen? Er musste es doch auch gespürt haben. Wie konnte er sich nur wegwerfen, für so einen dahergelaufenen Eidechsenbändiger? Aber zum Glück war das ja jetzt vorbei! Die Drachen waren weg und mit ihnen ihre Reiter. Zugegeben, ihre Hilfe war recht gelegen gekommen, aber es war wirklich an der Zeit gewesen, dass sie wieder verschwanden und die Bewohner Hogwarts in Ruhe ließen. Es war ja auch nett, dass sie Harry damals das Leben gerettet hatte. Das musste man zugeben. Aber deshalb sollten sie nicht zuviel erwarten. Dass Harry ihnen so dankbar war, dass er sogar den Anblick und noch schlimmer die Berührung dieses entstellten Kerls ertrug... Justin unterdrückte ein Schaudern. Furchtbar! Wahrscheinlich hatten sie Harry einer Gehirnwäsche unterzogen. Genau! Das musste es sein! Sie hatte Harry irgendwelche Drogen eingeflößt, die ihn gefügig machten und ihm dann eingeredet, dass sie seine Freunde waren. Aber damit war jetzt Schluss! Sobald Justin zurück im Schloss war, würde er Harry zu Madame Pomfrey bringen, damit sie ihn heilte. Ja, er würde seinen Harry retten!
Justin sprang von dem Stein auf, auf dem er gesessen hatte und lief los.
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Im Nachhinein konnte man ihm weder seine Absichten noch mangelnde Loyalität ankreiden.
Nur seine unglaubliche Dummheit!
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Justin war noch nicht weit gekommen, als eine dunkel gewandete Gestalt aus dem Schatten eines alten Hauses trat.
„Na, na, wohin so eilig? Willst du dich nicht ein bisschen mit uns unterhalten?"
„Wer..."
„Ja, sonst bleibst du doch auch immer bis zum Abend. Du könnest uns ruhig ein bisschen Gesellschaft leisten."
Justin fuhr herum. Auch hinter ihm näherten sich jetzt zwei Personen. Wie der erste trugen sie weite, dunkle Kapuzenumhänge, unter denen nicht viel zu erkennen war.
„Ich muss zurück... Vielleicht ein anderes Mal?" Justins Stimme zitterte und klang einmal mehr wie die einer Maus.
„Oh nein. Wir wollen jetzt mit dir reden. Und vielleicht nachher ein bisschen spielen?" Wieder der erste Sprecher.
Aus dem Schatten traten weitere Gestalten, bis Justin von sieben Todessern umringt war. Denn was sonst sollte diese Männer sein?
„Bringt ihn ins Haus. Er hat uns bestimmt eine Menge interessanter Dinge zu erzählen."
Justin wehrte sich nicht, als seine Arme gepackt, seine Hände auf den Rücken gefesselt wurden und man ihn in ein halbverfallenes Haus zerrte.
Im Inneren herrschte ein vages Dämmerlicht. Mehrere Fackeln qualmten an den Wänden. Der Boden war von Schutt übersät und die zersprungenen Fenster mit Lumpen verhüllt.
Der Anführer der Todesser schob seine Kapuze vom Kopf, ließ sich auf einem umgedrehten Fass nieder, lächelte Justin falsch an und entblößte dabei schiefe, schlecht gepflegte Zähne.
„So, dann erzähl uns doch mal, wer du bist."
„Ju...Justin. Finch... Finch-Fletchley…."
"Nie gehört." Er sah seine Kumpane an. Die zuckten mit den Schultern.
Zwei standen an der Tür und schienen Wache zu halten, die anderen hatten sich auf den wenigen provisorischen Möbeln verteilt, die überall herumstanden und musterten feixend den zitternden Hufflepuff in ihrer Mitte.
„Bist du wichtig, Justin Finch-Fletchley? Werden deine Freunde dich suchen kommen?"
„Wart mal, Flint. Finch-Fletchley? Dann kenn ich den wohl. Der war in meinem Jahr. Ein Feigling und Loser. Und ein Schlammblut, wenn ich mich recht erinnere."
„Bist du sicher, Vince?"
„Klar. Hielt sich immer für was besseres. Taugte aber nie besonders viel. Der weiß nichts, da bin ich sicher."
Justin wand den Kopf und versuchte den Sprecher zu erkennen. Er war ziemlich groß und ziemlich dick, hatte kleine Schweinsaugen und kurzrasierte, dunkelblonde Haare.
„Hm. Also werden sie dich nicht suchen kommen. Schade. Dann töten wir ihn halt. Aber vorher können wir ja wenigstens noch ein bisschen Spaß mit dir haben. Was meint ihr, Jungs?"
Zustimmendes Grunzen war die Antwort.
Justin geriet in Panik. Sie würden ihn töten! Und vorher würden sie ihm wehtun! Fieberhaft suchte er nach einer Lösung für sein Dilemma.
„Ich... ich kann euch helfen! Ich weiß... Sachen..."
„Was für Sachen?"
„Ähm, ähm, ich weiß, dass die Drachen weg sind!"
„Das wissen wir auch. Wir sind schon länger hier."
„Und..." Justin quiekte fast vor Angst, „und... ein paar von den Drachenreitern sind tot..."
„Na und? Gut für uns."
„Nein! Ich meine... sie sind nicht tot..."
„Was denn jetzt? Entweder tot oder nicht. So schwer ist das nicht. Aber keine Sorge, du wirst den Unterschied bald kennen lernen."
„Nein! Bitte! Ich meine... ihr denkt, dass sie tot sind, aber sie sind nicht tot!"
„Und warum sollten wir das denken? Von wem redest du?"
„Ähhhh... Charlie Weasley!"
„Was interessiert mich das? Weasleys gibt es wie Sand am Meer."
„Und, und... Angelina Johnson!"
„Sieh an, die süße Angelina. Aber das ist auch nicht wichtig. Das werden wir schon noch ändern. Los, Jungs. Lasst uns anfangen. Der Kerl schwafelt nur."
„Nein! Ich weiß noch jemanden...!"
„Also schön. Jeder sollte drei Versuche haben. Also, wer?"
„Malfoy! Der war doch dein Freund, oder?" Justin sah den dicken Todesser an. Er war sich ziemlich sicher, dass er einer von den beiden Kerlen war, die Malfoy in der Schule nie von der Seite gewichen waren.
„Das reicht jetzt. Deine Lügen helfen dir nicht weiter."
„Aber ich lüge nicht! Das ist die Wahrheit!"
Der Anführer, der von seinen Freunden Flint genannte worden war, trat jetzt ganz dicht an Justin heran und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
„Ich weiß, dass du lügst. Malfoy ist tot! Ich selbst habe geholfen diese kleine Made vom Angesicht der Erde zu tilgen. Wer immer sich da für ihn ausgibt, lügt."
Justin war entsetzt. Dieser Drachenreiter hatte Harry belogen! Er war gar nicht Malfoy! Er war ein Betrüger, der sich in Harrys Vertrauen geschlichen hatte. Er... Harry...
„Ich kann euch Harry Potter bringen!"
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Harry saß in der Halle und unterhielt sich mit Ron und Hermine. Es war seltsam still ohne die Kinder die überall herumwuselten und Unsinn anstellten.
„Wo glaubst du, sind sie jetzt?" Ron stellte diese Frage schon zum x-ten Mal. Er machte keine Hehl daraus, dass er sich um seine Kindern und seine Eltern sorgte.
„Sie müssen längst über den Meer sein. Sie sind jetzt seit drei Stunden unterwegs. So vor einer Stunde müssten sie die Orkney-Inseln passiert haben. Ich schätze mal, dass sie da kurz Pause gemacht haben und dann weiter geflogen sind. Aber ich bin mir nicht sicher. Ich bin die Strecke auch erst einmal bewusst mitgeflogen."
„Bist du dir sicher, dass den Kindern nichts passieren kann?"
„Ron. Sie sind so sicher wie es nur geht. Es ist im Anfang ein bisschen unheimlich, aber dann wird das Fliegen wirklich schön. Es ist kalt und zugig, aber das ist alles. Ansonsten kann ihnen nichts passieren. Ich bin auch mit Stella geflogen. Sie achtet auf eure beiden Kleinen. Da kannst du sicher sein."
„Naja, ich weiß. Aber ich mach mir halt Sorgen. Ich werde erst wieder ruhig sein, wenn Stella heute Abend wieder da ist und mir sagt, wie es den Kindern geht."
„Ich geb es ja nur ungern zu, aber ich mache mir auch Sorgen. Diese Tiere sind so furchtbar groß. Und es ist einfach unerträglich, dass ich nicht bei ihnen bin. Und wenn du jetzt sagst, dass du es mir ja vorher gesagt hast, Ron, schlag ich dich!"
„Soll ich euch mal von meinem ersten, bewussten Flug erzählen? Draco hat mich von den Burgzinnen geschubst und ist mir dann mit seinem Drachen Amber gefolgt. Ich bin fast gestorben! Anschließend hätte ich ihn erwürgen können. Er fand das Ganze überhaupt nicht schlimm." Harry lachte bei der Erinnerung.
Ron schüttelte den Kopf. „Er ist schon ein bisschen verrückt, oder?"
„Ja. Kann man so sagen. Aber das sind sie alle. Trotzdem hab ich mich noch nie so wohl gefühlt. Es ist einfach eine völlig andere Welt. Wenn das hier alles vorbei ist, dann müsst ihr unbedingt mal mitkommen!"
„Was hast du denn vor? Ich meine, nach dem Krieg. Wenn wir das hier überleben. Wirst du mit Draco gehen?"
Hermine sprach die Frage aus, die Harry sich selbst schon heimlich gestellt hatte.
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich weiß nur, dass ich mit ihm zusammen sein möchte. Egal wo."
„Was sagt er denn dazu?"
„Wir haben noch nicht darüber gesprochen. Es wäre auch sinnlos, ihn jetzt danach zu fragen. Die Drachenreiter haben die Angewohnheit keine Pläne zu schmieden oder sich Gedanken um die weitere Zukunft zu machen."
„Aber das ist doch furchtbar! Wie kann man mit dieser Unsicherheit leben? Immer nur von einem Tag auf den anderen? Man muss sich doch über seine Zukunft im Klaren sein."
„Ja. So hab ich das auch gesehen. Aber sie leben so, als ob jeder Tag ihr letzter wäre. In ihrer Lage können sie niemals sicher sein, dass sie sich nach einer Trennung lebend wiedersehen."
„Aber in der Lage sind wir doch auch. Und trotzdem machen wir Pläne."
„Wir sind in dieser Lage aber erst seid wenigen Jahren. Der Drachenorden existiert und kämpft seit Jahrhunderten. Ihre Mentalität hat sich im Laufe dieser Zeit entwickelt und glaubt mir, sie ist ansteckend. Ich glaube, wenn ich nur wenig länger auf der Insel geblieben wäre, dann wäre ich zu einem von ihnen geworden."
„Das bist du."
„Wie meinst du das, Ron?"
„Naja, bisher war mir das nicht so ganz klar. Ich habe zwar gemerkt, dass du dich verändert hast, aber ich konnte nicht erkläre wie. Doch jetzt, wo ich die Drachenreiter kenne, weiß ich was es ist. Du bist ihnen sehr ähnlich geworden. Es ist, als ob du in einer Art Verwandlung steckst und es fehlt nicht mehr viel, bis sie vollendet ist."
„Ron..." Harry wusste, dass sein Freund die Wahrheit sagte. Plötzlich wurde ihm das klar. Es war ihm doch selbst schon aufgefallen. Die ganze Zeit, seit seiner Rückkehr war er sich wie ein Fremder vorkommen, als wäre er in einem fremden Land gestrandet und wartete nur darauf, dass man ihn nach Hause holte. Seine unbändige Freude, als er die Drachen am Himmel gesehen hatte. Das Gefühl, den Drachenreitern viel verbundener zu sein, als seinen Freunden in Hogwarts. Er fühlte sich als Teil einer Gemeinschaft, der er nur fünf Monate lang angehört hatte. Und er sehnte sich nach der Dracheninsel. Es war fast wie Heimweh. Als heute morgen die Drachenreiter aufgebrochen waren, hatte er tief in seiner Seele den sehnlichen Wunsch verspürt sie zu begleiten. Nach Hause zu begleiten.
„Ich fürchte, du hast recht. Oh Merlin, ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Es ist, als hätte ich mein ganzes Leben nach einen Zuhause gesucht und es erst jetzt nach fast 24 Jahren gefunden. Es tut mir so leid."
Hermine legte ihm den Arm um die Schultern.
„Hey. Du brauchst dich doch dafür nicht zu entschuldigen. Im Gegenteil. Es ist wundervoll, dass du endlich weißt, wo du hingehörst. Glaubst du denn, dass Ron und ich dir böse sind, nur weil du dieses Zuhause nicht bei uns gefunden hast? Du bist unser bester Freund und wir wollen, dass du glücklich bist."
„Genau. Hermine hat recht. Mach dir bloß keine Gedanken."
„Ihr seid echt klasse."
„Na hör mal, dafür hat man doch Freunde, oder?"
Ron pflichtete seiner Frau bei: „Genau. Aber jetzt mal was anderes: Weißt du, was Dumbledore vorhat? Er hat was von angreifen erzählt. Ich kann mir das gar nicht vorstellen."
Harry schüttelte den Kopf.
„Keine Ahnung. Vielleicht war das nur zur Motivation gedacht. Aber ich hab ja auch an keiner der Besprechungen teilgenommen, darum bin ich genauso schlau wie ihr."
„Hat Draco denn nichts erzählt?"
„Nein. Wenn der was nicht sagen soll, dann kannst du dich auf den Kopf stellen. Keine Chance. Außerdem..." Harry grinste, „wir haben eh nicht viel geredet."
„Na danke! Das wollte ich jetzt nicht wissen."
„Ich weiß Ron, darum erzähl ich es dir ja. Nein, aber mal im Ernst. Er hat mir wirklich nichts erzählt. Aber ich schätze mal, wir werden es erfahren. Dumbledore hat für übermorgen eine Versammlung angesetzt. Dann wird er uns erzählen, wie weit seine Pläne gediehen sind."
„Stört es dich eigentlich nicht mehr, von ihm übergangen zu werden?"
„Von Dumbledore? Nein. Komischerweise nicht. Ich weiß inzwischen, dass seine Entscheidungen ihren Sinn und Zweck haben, und dass er mich schon einweiht, wenn er meint, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Warum? Stört es euch noch?"
„Nein. Aber ich sag ja schon seit Jahren, dass ihr auf Dumbledore hören sollt, und dass ihr euch auf sein Urteil verlassen könnt."
„Ja, du Hermine. Du weißt ja immer, was richtig ist."
„Suchst du Streit, Weasley?"
„Nein, nein, schon gut. Ich weiß ja, dass du die Klügere von uns beiden bist. Und ich würde es nie wagen, das in Frage zu stellen."
„Ja, das will ich dir auch geraten haben."
Harry lachte. „Ihr beide seid echt klasse! Was würdet ihr ohne einander machen?"
„Mein Mann würde eingehen wie eine Primel und ich hätte endlich mal Ruhe zum lesen." Hermine zwinkerte Harry zu und wich Rons gespieltem Schlag aus.
„Ich hätte dich auch mit auf die Insel schicken sollen, Ronnie. Dann hätte ich mal ein bisschen Urlaub gehabt. Die Kinder weg, du weg, meine Güte, wäre das ruhig gewesen."
„Soviel Ruhe hältst du doch gar nicht aus, Süße."
„Nein, vermutlich nicht."
Harry hörte dem Geflachse der beiden zu und zum ersten Mal seit Jahren war er nicht neidisch. Er war jetzt auch Teil eines Paares und er wusste endlich, was es hieß seine zweite Hälfte gefunden zu haben. Mit einem nachdenklichen Lächeln spielte er mit dem Ring, der sich um den vierten Finger seiner linken Hand wand. Nur noch wenige Stunden, dann würden sie wieder zusammen sein.
Harry wusste nicht, wie sehr er sich in diesem Punkt irrte.
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„Hey Harry. Hier ist ein Brief für dich." Seamus kam in die Halle geschlendert, warf eine schmale Pergamentrolle auf den Tisch und ließ sich dann neben Ron auf die Bank fallen.
„Wann ist der angekommen?"
„Gerade eben. Die Eule kannte ich nicht, aber der Brief scheint in Ordnung zu sein. Kingsley hat ihn untersucht und sagt, dass kein Fluch dranhängt."
„Vielleicht ein Portschlüssel?"
„Nein, die funktionieren innerhalb des Schlosses nicht. Sag mal Ron, hörst du eigentlich nie zu?"
„Hat Kingsley den Brief auch gelesen?"
„Nein. Ist ja privat, oder?"
„Hm. Mal sehen..." Harry zog das schmale, schwarze Band ab, das die Rolle zusammenhielt und begann zu lesen:
Harry,
bitte komm um halb sechs nach Hogsmeade, zur Ruine des Honigtopfs.
Du weißt schon, die Stelle wo wir uns zum ersten Mal geküsst haben.
Wir müssen reden und das will ich nicht im Schloss tun, wo jeder zuhört.
Bitte, es ist wichtig.
Es tut mir leid, dass ich so anstrengend war in letzter Zeit.
Ich warte auf dich,
Justin
„Und, von wem ist er?"
„Justin. Er will sich mit mir in Hogsmeade treffen um zu reden. Warum muss der Kerl immer so melodramatisch sein?"
„Warum in Hogsmeade?"
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich will er einen neuen Versuch starten, mich zurück zu gewinnen."
„Geh nicht hin."
„Das kann ich nicht machen, Seam. Justin ist so eine Drama Queen, der bleibt solange im Dorf, bis ich komme und wenn er die nächsten zwei Wochen warten muss. Je länger ich ihn warten lasse, desto mehr wird er im Selbstmitleid zerfließen."
„Aber es ist gefährlich. Du weißt nicht, wer oder was sich noch alles zwischen den Ruinen versteckt."
„Eben. Justin ist eine elende Nervensäge, aber ich kann ihn nicht die ganze Nacht da draußen lassen. Ich hab ihn mal gern gehabt und nur weil er mich jetzt nur noch nervt... Ich werd hingehen und sehen was er will."
„Dann geh wenigstens nicht alleine!" Hermines Stimme klang besorgt.
„Es wird mir schon nichts passieren, Herm. Ich meine, es ist nur Justin, oder?"
„Schon, aber wie gesagt, wir wissen nicht, was sich da sonst noch rumtreibt. Außerdem hab ich ein komisches Gefühl bei der Sache. Mir wäre wohler, wenn du nicht allein gehst."
„Sie hat recht, Sportsfreund. Was hältst du davon, wenn Ronnie und ich mitgehen?"
„Ich weiß nicht. Justin will mit mir allein reden. Wenn ihr mitkommt wird er nur noch beleidigter sein."
„Wir müssen ja nicht den ganzen Weg mitkommen. Wir bleiben in der Nähe und halten uns bedeckt, aber wenn was ist, rufst du einfach und wir sind im Null Komma Nichts da."
„Na gut, ihr habt mich überzeugt. Dann lasst uns am besten gleiche gehen."
„Passt auf euch auf, Jungs."
„Machen wir. Mann, Justin kann was erleben. Uns hier durch die Gegend zu scheuchen..."
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„Ok. Wir warten dann hier auf dich. Denk dran, wenn dir irgendwas komisch vorkommt, schrei."
„Mach ich. Es wird nicht lange dauern."
Harry warf Ron und Seamus noch einen resignierten Blick zu, dann bog er in die schmale Seitengasse, die zum Honigtopf führte.
Justin war schon von weitem zu sehen. Er hockte auf dem halbverfallenen Fenstersims und starrte vor sich hin. Als er Harry entdeckte, sprang er auf.
„Harry! Da bist du ja. Danke, dass du gekommen bist."
„Justin! Was soll dieser Blödsinn? Warum muss ich hier rauskommen? Können wir uns nicht im Schloss unterhalten?"
„Nein. Da sind zu viele Leute. Harry, es tut mir wirklich, wirklich leid."
„Ja, das hast du ja schon gesagt. Hör mal, Justin. Können wir die Sachen nicht einfach vergessen? Wir haben beide überreagiert. Machen wir einfach einen Strich unter unsere Beziehung und bleiben Freunde."
„Oh, ich wollte nicht... können wir nicht reingehen? Hier draußen fühle ich mich so beobachtet."
„Justin, es ist kein Mensch hier! Versuch doch mal etwas weniger dramatisch zu sein."
„Harry, bitte. Ich mag nicht hier draußen stehen."
Harry seufzte. „Also schön. Aber nur zehn Minuten. Ich will zurück ins Schloss."
„Ja, bestimmt. Wenn du mir nur zuhörst. Dann gehe ich auch mit zurück."
Harry folgte Justin in das halbverfallene Haus. Es war traurig, was aus Hogsmeade's beliebtestem Geschäft geworden war. Die deckenhohen Regale, der gläserne Tresen, alles war zerbrochen. Scherben und alte Bonbons, die noch nicht von den Ratten gefressen worden waren knirschten unter ihren Schuhen. Spinnweben überzogen die Wände und die Falltür in den Lagerraum war vollkommen mit Schutt bedeckt. Harry schauderte. Einmal mehr wurde ihm bewusst, dass Hogsmeade eine tote Stadt war. Ob sie jemals wieder zum Leben erwachen würde?
„Harry, es tut mir leid. Ich wollte das nicht tun, aber du hast mir keine Wahl gelassen."
„Justin, wovon zum Henker redest du?"
„Von deinen Henkern, Potter."
Beim Klang der spöttischen Stimme fuhr Harry herum. In der Tür stand jemand in dunklem Umhang und versperrte ihm den Weg nach draußen. Durch die zersprungenen Scheiben konnte Harry noch drei weitere Gestalten sehen. Ein Knirschen zu seiner Linken verriet ihm, dass auch der Laden nicht leer war. Er wand sich Justin zu.
„Warum hast du das gemacht?"
„Ich wollte das nicht. Bitte verzeih mir, Harry!"
„Verschwinde, du Ratte. Wir brauchen dich nicht mehr. Wir haben, was wir wollten. Unser Lord wird sehr erfreut sein."
Justin huschte an dem Todesser vorbei zur Tür und rannte, als sei der Teufel hinter ihm her.
Harry schloss kurz die Augen. Eine Falle. Und er war bereitwillig hineingetappt.
Dann sah er sich um und verschaffte sich so einen Überblick über seine Lage. Sie waren zu siebt. Er hatte keine Chance. Aber er würde sich nicht so ohne weiteres geschlagen geben.
„Also schön. Ihr wollt mich? Dann seht zu, wie ihr mich bekommt!"
Er sprang und warf sich dem Anführer der Todesser entgegen. Dieser hatte nicht mit Gegenwehr gerechnet und stolperte rückwärts aus der Tür. Harry setzte über ihn hinweg und fing an zu rennen. Sofort hörte er wie die Todesser die Verfolgung aufnahmen.
Er holte tief Luft und schrie so laut er konnte:
„RON! SEAM! SOFORT!"
Im Laufen zog er den Zauberstab aus der Tasche. Dann blieb er stehen, drehte sich um und schrie den ersten Fluch, der ihm einfiel:
„PETRIFICUS TOTALUS!"
Ein heller Lichtblitz schoss aus der Spitze des Stabes und traf die Brust des Anführers, der sich von Harrys Sprung schneller erholt hatte, als erwartet. Jetzt stürzte er zu Boden, unfähig sich zu bewegen. Seine Stimme war umso lauter:
„Schnappt ihn euch! Der Lord braucht ihn!"
Seine Kumpane wichen dem reglosen Körper aus, der noch immer Verwünschungen schrie und setzten die Jagd fort.
Harry lief weiter, sprang über Steine und Trümmerteile, schlug Haken und versuchte den Abstand zwischen sich und den Todessern zu vergrößern.
Er hatte den Dorfrand fast erreicht, als er mit dem Fuß in einem halbvergrabenen Fassreifen hängen blieb. Im letzten Moment schaffte er es, seinen Fall abzufangen und den Fuß zu befreien. Doch als er weiterlaufen wollte, knickte der Knöchel unter ihm weg. Ein paar Schritte humpelte er noch, dann wurde ihm klar, dass er keine Chance mehr hatte. Mit hoch erhobenem Zauberstab drehte er sich um und stellte sich seinen Jägern.
Die Todesser waren langsamer geworden und fächerten jetzt aus, um ihn einzukreisen. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ihn entwaffnet und überwältigt. Er spürte einen harten Schlag gegen den Hinterkopf, dann wurde alles schwarz. Das letzte was er hörte war Rons Stimme:
„HARRY! NEIN!"
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Ron und Seamus hatten auf einem Gartenzaun gesessen und sich leise über die Ereignisse der letzten Tage unterhalten, als Justin an ihnen vorbeikam. Er schien die beiden gar nicht zu bemerken, sondern rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn in Richtung Hogwarts davon.
„Was ist denn in den gefahren? Hat Harry ihm wieder eine gescheuert?"
Sie sprangen vom Zaun und sahen die Straße hinunter in der Erwartung, dass ihr Freund jeden Moment um die Ecke kommen müsste. Doch nichts geschah.
Sie sahen sich an.
„Los, lass uns nachsehen. Da stimmt doch was nicht."
In diesem Moment hörten sie Harrys Schrei.
Ohne noch eine Sekunde zu zögern rannten die beiden Gryffindors los. Als sie um die Ecke bogen, sahen sie Harry, der hakenschlagend wie ein Hase durch die Straßen floh, dicht gefolgt von einer Gruppe schwarzgekleideter Gestalten.
„Todesser! Verdammt!"
Sie zogen ihre Zauberstäbe und nahmen die Verfolgung auf.
Harry blieb kurz stehen, rief einen Fluch und einer der Todesser stürzte und blieb reglos liegen. Die anderen folgten weiter ihrem Opfer.
„Kümmere dich um den! Ich helfe Harry!"
Seamus nickte und blieb stehen, während Ron weiterrannte.
„Na sieh mal einer an. Eine Ratte in ner Ganzkörperklammer. Heute muss Weihnachten sein."
Es dauerte nur wenige Minuten, magische Seile zu schaffen und den Gefangenen damit zu fesseln. Dann lief Seamus wieder los.
--
Ron rannte wie von Furien gehetzt hinter den Todessern her. Sie hatten einen ziemlichen Vorsprung, aber langsam holte er auf. In diesem Moment bemerkte er, dass sie langsamer wurden und ausschwärmte. Sein Herz setzte kurz aus.
Dann sah er Harry. Er war stehengeblieben und hatte sich seinen Verfolgern entgegengestellt.
„Verdammt, lauf weiter, Harry." murmelte Ron und versuchte den Abstand weiter zu verringern.
Doch insgeheim wusste er, dass es zu spät war.
Die Todesser hatten Harry jetzt umringt. Ron sah, wie einer von ihnen einen Knüppel aufhob und ihr Opfer damit niederschlug.
Er schrie: „HARRY! NEIN!"
Einer der Todesser drehte sich um und winkte ihm grinsend zu. Dann zog er etwas glänzendes aus der Tasche. Ein Portschlüssel. Die sechs vermummten Gestalten fassten sich an den Händen, packten ihre Beute und verschwanden.
Ron sackte auf die Knie und schluchzte trocken auf.
Sie hatten Harry vor seiner Nase entführt.
Schon wieder.
Und er hatte ihm wieder nicht helfen könne. Doch diesmal würde es keinen unverhofften Urlaub für Harry bedeuten. Diesmal hatten ihn die Todesser. Und sie würden ihn zu Voldemort bringen.
Als Seamus bei ihm ankam, saß Ron noch immer auf dem Boden und starrte auf die Stelle, wo noch vor wenigen Augenblicken sein bester Freund gestanden hatte.
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„Ron, es ist nicht deine Schuld."
„Doch, ich hätte schneller laufen können."
„Noch schneller? Du wärest niemals rechtzeitig gekommen."
„Wir hätten ihn nicht alleine gehen lassen dürfen."
„Er wollte es so. Los komm, lass uns zurück zum Schloss gehen. Hier können wir ohnehin nichts mehr tun. Mal sehen, was unser Gefangener zu sagen hat."
Ron stand langsam auf. Er wusste, dass Seamus recht hatte, aber das änderte nichts an seinen Schuldgefühlen.
„Jetzt wissen wir wenigstens, warum Justin weggerannt ist."
„Diese feige, kleine Ratte! Und er behauptet, dass er Harry liebt." Ron schnaubte wütend. „Der kann was erleben, wenn ich ihn in die Finger kriege!"
Der Todesser lag verschnürt wie ein Weihnachtspaket und entsprechend wütend noch immer dort, wo Seamus ihn zurückgelassen hatte.
„So mein Freund, dann wollen wir dich mal mitnehmen und uns ein bisschen mit dir unterhalten." Seamus löste die Fesseln an den Füßen des Gefangenen, zog ihn hoch und schlang sich dann das Ende des Seils um den Bauch.
„Keine Mätzchen, Kumpel. Ich bin direkt hinter dir und ich habe keine Skrupel, meinen Zauberstab einzusetzen. Also bleib besser brav."
„Pah! Was versprecht ihr euch davon? Ich werde euch nichts erzählen! Es wird euch nicht das Geringste bringen, wenn ihr mich mitnehmt. Ihr könnt mich genauso gut gleich hier lassen. Eurem Freund Potter helft ihr damit eh nicht!"
Ron fuhr herum und funkelte den Todesser an.
„Hör zu, du Abschaum! Halt besser dein Maul. Ich hatte einen verdammt miesen Tag heute und ich hätte große Lust das an dir auszulassen!"
„Oh, ich zittere vor Angst! Ich wurde von einem Weasley bedroht. Ist kein schönes Gefühl, den besten Freund im Stich zu lassen, was Loser?"
Ron antwortete nicht. Stattdessen holt er aus und verpasste dem Spötter einen Faustschlag mitten ins Gesicht. Dann ging er in die Hocke, riss einen breiten Streifen Stoff vom Umhang des Todessers ab und knebelte ihn damit.
„Du redest zuviel, Abschaum."
Seamus pfiff anerkennend durch die Zähne.
„Sauberer rechter Haken, Ron. Ich bin beeindruckt."
„Los, lass uns die Ratte ins Schloss bringen. Wir werden ihn schon zum Reden bringen."
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„Merlin sei Dank! Da seid ihr ja endlich. Justin ist schon vor einer halben Stunde zurückgekommen. Was ist passiert? Wo ist Harry?"
Hermine blieb wie angewurzelt stehen, als sie Ron, Seamus und die gefesselte Gestalt in ihrer Mitte sah.
„Es war eine Falle. Die Todesser haben Harry."
Hermine schlug die Hände vor den Mund.
„Nein!" hauchte sie. „Sag bitte, dass das nicht wahr ist."
Ron schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid, Schatz."
„Ich bring den hier runter, Ron. Sagst du Kingsley Bescheid?"
Seamus packte den Todesser am Arm und schob ihn unsanft auf die Treppe zum Kerker zu.
Ron nickte ihm zum dann wand er sich wieder an seine Frau: „Wo ist Finch-Fletchley?"
„In seinem Zimmer. Oh liebe Güte, jetzt weiß ich auch, warum er so aufgelöst war. Der Ärmste hat mit ansehen müssen, wie Harry entführt wurde."
„Der Ärmste? Wenn dieser Feigling nicht abgehauen wäre, dann hätten wir Harry vielleicht noch retten können!"
„Aber... er ist weggelaufen? Das kann ich mir kaum vorstellen. Er behauptet doch immer, dass er Harry liebt."
„Hah! Leeres Geschwätz!"
„Ron, was machen wir denn jetzt?"
Hermine merkte, wie ihr gegen ihren Willen Tränen in die Augen stiegen. Ron nahm sie in den Arm und drückte sie an sich.
„Ich weiß es nicht, Baby, ich weiß es nicht."
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A/N:
Hey phönixfeder: Nein, nicht alle Drachenreiter haben eine Drachenseele. Die mit einer Drachenseele haben nur eine engere Verbindung zu ihren Drachen. Ginny hat keine Drachenseele. Sonst wäre sie ja von ihrem Drachen gerettet worden und nicht von Charlie. Blade hätte ja ihre Angst gefühlt.
Was ich noch zu den Ringen sagen wollte: Noch haben Harry und Draco keine Seelenverbindung! Charlie hat lediglich gesagt, dass es irgendwann dazu kommen kann, wenn zwei Menschen die Seelenringe austauschen. Was unsere beiden Süßen angeht, wartet einfach ab. Zumindest ist das mit der Seelenverbindung auch bei den Drachenreitern sehr selten. Es ist etwas, was alle Paare anstreben, aber nur die wenigsten zu Lebzeiten erreichen.
Kira? Keine Angst, eine Wiederholung von Chapter 11 wird es nicht geben. Ich bin deiner Meinung, dass Draco genug gelitten hat.
Und ödarius? Ich bin keinesfalls schon fertig und stell bloß noch die Chaps on. Sonst wüsste ich doch, wie viele es noch werden, oder? Schreib übrigens immer noch an Chap. 21. Ist ein bisschen störrisch.
So, das war's erst mal wieder von mir.
Bis bald
Küsschen
Eure Yulah
