Hier ein Lebenszeichen von Harry! Aber das letzte vorerst. (KEINE PANIK!)
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22.
Als er die Augen öffnete, herrschte vollkommene Dunkelheit. So dunkel, dass er einen Moment lang nicht sicher war, ob seine Augen wirklich offen waren. Sein Kopf schmerzte noch immer von den Schlag, den er auf den Hinterkopf bekommen hatte und unter seinen tastenden Fingern pochte ein dicke Beule. Eine weitere Bestandsaufnahme ergab, dass alle Knochen noch an ihrem Platz zu sein schienen. Die Brille schien ebenfalls unversehrt und saß noch auf seiner Nase. Auch wenn sie ihm im Moment nicht viel nützte.
Harry unterdrückte ein Stöhnen und setzte sich vorsichtig auf. Seine Hände glitten über einen kalten, unebenen Steinboden und stießen gegen eine hölzerne Schale. Kalte Flüssigkeit schwappte über seine Finger. Er nahm die Schale auf und roch vorsichtig daran. Wasser. Brackig und abgestanden zwar, aber nichtsdestotrotz Wasser. Er setzte das Holzgefäß an die Lippen und trank gierig, versuchte den schalen Geschmack zu ignorieren. Der Durst war stärker als der Ekel.
Erst als die Schale bis auf den letzten Tropfen geleert war, stellte er sie wieder ab. Das Pochen in seinem Schädel hatte etwas nachgelassen und es gelang ihm seine Gedanken soweit zu ordnen, dass er über seine Situation nachdenken konnte. Er erinnerte sich an die Todesser in Hogsmeade, an Justin, an einen Schlag auf den Hinterkopf. Dann war alles dunkel. Dunkel wie dieses verdammte Loch in das die Todesser ihn geworfen hatten.
Wo zum Teufel hatten sie ihn nur hingebracht? Und wie lange war er schon hier?
Er überlegte gerade, ob er es riskieren sollte aufzustehen und sich in seinem Gefängnis herumzutasten, um einen ungefähren Eindruck zu bekommen, als er Stiefelschritte hörte, die in seine Richtung kamen. Rasch legte er sich wieder hin und schloss die Augen. Sollten sie ruhig denken, dass er noch bewusstlos war.
Die Schritte kamen immer näher und er konnte jetzt auch raue Stimmen hören und den flackernden Schein einer Fackel durch die geschlossenen Lider wahrnehmen. Schließlich hielten die Schritte an.
„Der pennt ja immer noch! Vielleicht sollten wir ihn wecken."
„Wozu? Wenn er pennt, macht er keinen Ärger."
„Naja, ich dachte, wir könnten vielleicht in bisschen Spaß mit ihm haben."
„Vergiss es! Lord Voldemort will ihn lebend und unversehrt! Wir dürfen ihn nicht anrühren. Aber bald werden wir genug Abschaum zum spielen haben. Es dauert nicht mehr lange. Jetzt wo wir Potter haben, ist der Sieg praktisch unser!"
Beide Stimmen brachen in raues Gelächter aus.
Es kostete Harry große Überwindung still liegen zu bleiben.
„Na jedenfalls atmet er noch. Und gesoffen hat er auch schon. Mehr wollte Lestrange doch nicht wissen. Los, lass uns wieder raufgehen. Ich hab Hunger!"
„Ok. Aber lass die Fackel hier. Soll die kleine Made ruhig sehen, dass er keine Chance zur Flucht hat."
Unter erneutem Gelächter zogen die beiden Todesser wieder ab.
Harry wartete noch einen Augenblick mit angehaltenem Atem, bis die Schritte in der Ferne verklangen, dann öffnete er erneut die Augen und stand vorsichtig auf. Es dauerte einen Moment, bis das Schwindelgefühl nachließ und er sich in seinem Gefängnis umsehen konnte.
Im flackernden Schein der Fackel erkannte er, dass er in einer Art Höhle war. Der Eingang war mit dicken Gitterstäben verschlossen. Ein Gang führte in beide Richtungen und wurde hin und wieder von weiteren vergitterten Höhlen unterbrochen.
Harry rüttelte kurz an den schweren Eisenstäben, auch wenn er sich schon vorher darüber klar war, dass das keinen Sinn machte.
Ebenso wenig wie die Suche nach seinem Zauberstab. Trotzdem klopfte er vorsichtig und wie erwartet erfolglos die Taschen seiner schmutzigen Kleider ab.
Schließlich setzte er sich wieder auf den Boden, lehnte sich an die Wand und schlang die Arme um die angezogenen Knie.
„Wo hat Justin mich da nur reingebracht?"
Dann wanderten seine Gedanken zu Draco und er merkte, wie sein Herz sich zusammenkrampfte.
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Ron hörte, wie sich die gedämpften Stimmen langsam entfernten. Er hatte jedes Wort der Unterhaltung mit angehört. Mehr als einmal musste er den Impuls unterdrücken aus seinem Versteck zu springen. Aber Draco hatte recht. Es brachte nichts, wenn sie beide gefangen genommen würden.
Als die Stimmen schließlich verklangen und die Flügeltür der Bibliothek mit einem dumpfen Klicken ins Schloss fiel, ließ Ron den angehaltenen Atem entweichen. Er blieb noch eine Weile still stehen und lauschte auf Geräusch von der anderen Seite des Bücherregals. Erst als alles still blieb, lehnte er sich leicht gegen den Rahmen des Regals und stellte erleichtert fest, dass es mühelos und ohne einen Laut aufschwang. Der Gryffindor hatte sich schon Gedanken darüber gemacht, wie er die Geheimtür von innen aufbekommen würde. Zwar hatte Draco gesagt, dass er sich hier als Kind versteckt hatte; und wenn ein kleiner Junge die Tür aufbekam, konnte es nicht so schwer sein. Trotzdem war Ron mehr als erleichtert, als diese Vermutung sich als richtig herausstellte. Immerhin hätte es genauso gut einen verborgenen Mechanismus geben können. Und den zu suchen hätte vielleicht ewig gedauert.
Er wickelte das erbeutete Buch sorgfältig in die Falten seines Umhangs, umfasste seinen Zauberstab fest mit der rechten Hand und schlich dann vorsichtig zur Tür.
Der Rückweg durch das stille Haus verlief zum Glück problemlos. Er begegnete niemanden und hörte auch nichts. Fast schien es, als wäre das alte Gemäuer verlassen. Aber der Eindruck hatte ja schon einmal getäuscht. Erleichtert erreichte Ron schließlich die Küche. Jetzt musste er nur noch über den Hof und zurück ans Seeufer und damit hinter die magischen Barrieren, um apparieren zu können.
Er war erst wenige Schritte aus der Tür, als er Stimmen hörte:
„Eindringling! Schnappt ihn euch!"
Ein kurzer Blick über den Hof zeigte ihm vier Todesser, die aus dem Stall kamen. Dann flog die Küchentür auf und schlug krachend gegen die Wand. Ron machte sich nicht die Mühe über die Schulter zu blicken. Er schätzte kurz die Entfernung der vier sichtbaren Feinde ein, dann rannte er los.
Da er nicht mehr darauf achten mussten in Deckung zu bleiben, rannte er diesmal quer über den Hof.
Am Seeufer blieb er stehen und sah zurück.
Die Todesser waren noch ein ganzes Stück hinter ihm, holten aber auf.
Ron warf noch einen Blick auf das alte Anwesen.
„Ich komm wieder und hol dich da raus, Draco!" murmelte er.
Die Todesser waren jetzt ganz nah. Aber nicht nah genug. Bevor sie ihn erreichen konnten, hatte er den Zauberstab gezogen und war appariert.
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„Mutter..."
Draco sah die abgemagerte Gestalt vor sich entsetzt an.
Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nichts war mehr von ihrer einstigen Schönheit geblieben.
Nichts als die silbrigen Augen, die sie ihrem Sohn vererbt hatte.
Aber es schien ein Schleier über diesen Augen zu liegen.
„Wer bist du? Bist du eine Mensch oder ein Geist? Du armes Kind. Hast du deine Mutter verloren? Sie ist nicht hier. Hier bin nur ich."
Ihre Stimme war leise und verträumt, ihr Blick abwesend. Sie schien ihn nicht wirklich wahrzunehmen.
Er machte vorsichtig einen Schritt auf sie zu.
„Mutter? Erkennst du mich? Ich bin Draco."
„Draco ist tot."
Immer noch dieser geisterhafte Singsang, der ihm kalte Schauer über den Rücken jagte. Sie wirkte wie ein uraltes, trauriges Gespenst, gefangen in der Erinnerung an bessere Tage.
„Voldemort hat ihn getötet. Das hat Lucius mir erzählt."
„Wann hat Lucius dir je die Wahrheit gesagt?"
„Er schickt mir manchmal Visionen von Draco, weißt du? Mein kleiner Engel. Er war so ein hübsches Kind."
Dracos Herz zog sich zusammen, als er den sehnsüchtigen, verträumten Blick in ihren Augen sah. Wer weiß wie lange sie schon hier unten war. Und wer weiß, was Lucius ihr inzwischen angetan hatte.
„Ich habe ihm gezeigt wie man Klavier spielt. Er hatte so hübsche Hände. Und blondes Haar, ganz weich und seidig. Ach, mein süßer Schatz..."
Die sanfte Trauer in ihrer Stimme, der abwesende Glanz ihrer Augen schnürten Draco die Kehle zu.
Er trat einen weiteren Schritt auf Narcissa zu und nahm behutsam ihre Hände in seine.
Früher hatte sie die weichen, zarten Hände einer Künstlerin gehabt. Er erinnerte sich daran, wie ihre schlanken Finger über die Tasten ihres Klaviers getanzt waren. Vor ihrer Hochzeit hatte jeder gedacht, dass sie einmal eine große Pianistin werden würde. Danach spielte sie nur noch zu ihrem Vergnügen und für ihren Sohn. Als er vier war, hatte sie ihn zum ersten Mal auf ihren Schoss gehoben und seine kleinen Hände sanft in die richtige Position gebracht. Er hatte das Klavierspielen auf den Knien seiner Mutter gelernt, die geduldiger als jeder Lehrer war, ihn niemals schalt und nur lachte, wenn seine viel zu kleinen Hände die richtigen Tasten nicht fanden.
Jetzt waren ihr Finger knochig und rau. Einzelne Finger waren mit schmutzigen Lumpen umwickelt. Die knotigen Schwellungen an den Knöcheln zeigte, wo die Finger gebrochen worden und nicht richtig zusammengewachsen waren. Die schmalen Silberringe, die sie früher so geliebt hatte, waren verschwunden. Die einstmals gepflegten Fingernägel abgebrochen und gesplittert.
„Was ist nur mit deinen Händen passiert?" flüsterte Draco.
Narcissa hob den Kopf und musterte das Gesicht vor sich.
Die feingeschnittenen Züge, den ihren so ähnlich, hellgraue Augen, die sie besorgt musterten.
Alle hatten immer gesagt, Draco sei das Ebenbild seines Vaters. Dabei stimmte das nicht. Sicher, er hatte Lucius helle Haare und kopierte bei jeder Gelegenheit das arrogante, selbstgefällige Verhalten des älteren Malfoy, aber wenn man genau hinsah, bemerkte man, dass er seiner Mutter sehr viel ähnlicher war. Er hatte ihre Gesichtszüge, ihren feingeschwungenen Mund und selbstverständlich ihre Silberaugen. Lucius Augen hingegen waren hellblau. Aber das fiel den wenigsten auf. Auch sein Wesen entsprach im Grunde mehr dem seiner Mutter.
Die Visionen, die Lucius ihr hin und wieder schickte um sie zu quälen, waren Bilder ihres Sohnes, wie sie ihn gekannt hatte.
Das Baby, dass sie im Arm gehalten hatte, der kleine Junge der durchs Haus getobt war und dem sie ihre Liebe zur Musik weitergegeben hatte. Und schließlich der Teenager, der sich alle Mühe gab den Idealen seines Vaters gerecht zu werden und der am Ende doch auf sein Herz gehört und grausam dafür bezahlt hatte.
Auch diese Visionen hatte er ihr gezeigt.
Ein einziges Mal.
Draco, dessen gefolterter, gequälter Körper leblos in Ketten hing, die bleiche Haut blutüberströmt und zerschunden, das blonde Haar blut- und schmutzverkrustet, die silbernen Augen gebrochen und ohne Leben. Nächtelang hatte diese Vision ihr den Schlaf geraubt, hatte sie bitterste Tränen vergießen lassen. Noch immer hatte sie Lucius' höhnisches Lachen im Ohr. Das Lachen des Mannes, den sie einst geliebt hatte und der ihr auf so grauenvolle Weise das Kostbarste geraubt hatte, das sie besaß.
Danach waren es wieder Erinnerungen gewesen, die er ihr zeigte.
Ihr Kind, unversehrt und lebendig.
Niemals war dieser Traumdraco älter gewesen als 17 Jahre.
Denn immerhin war ihr Sohn nicht älter geworden.
Doch diesmal war es anders. Das Gesicht war dasselbe und dennoch anders. Nicht mehr das spitze Gesicht eines Kindes, sondern die ebenmäßigen Züge eines jungen Erwachsene. Die Haare waren sehr viel länger, die Hände, früher ebenso weich und zart wie ihre eigenen, voller Schwielen und Narben.
Und die Augen. Sie waren dieselben, aber sie hatten zuviel gesehen, waren ernsthafter, wissender und strahlten gleichzeitig eine Wärme aus, die dort früher nie gewesen war.
Langsam klärte sich Narcissas verwirrter Geist.
„Draco..."
Mit einem trockenen Aufschluchzen warf sie sich in seine Arme.
Draco umschlang ihren zitternden Körper und hielt sie fest.
War sie schon immer so klein und zart gewesen?
Er spürte jeden ihrer Knochen durch die viel zu dünnen Lumpen, die sie am Leib trug. Behutsam führte er sie zu der schmalen Pritsche, die mit rostigen Ketten an der hinteren Wand der Zelle befestigt war, brachte sie sanft dazu sich zu setzen und kniete sich dann vor ihr auf den Boden. Er trauten den Ketten nicht zu ihrer beider Gewicht zu tragen, auch wenn Narcissa so gut wie nichts mehr wog.
„Wie lange bist du schon hier?"
„Ich weiß nicht. Lange. Zwei Jahre. Drei."
Während sie sprach berührte sie mit zitternden Fingern immer wieder sein Gesicht, als wolle sie sich vergewissern, dass es diesmal kein boshafter Zauber ihres Mannes war, der ihr die Gegenwart ihres geliebten Sohnes vorgaukelte.
„Ich weiß es wirklich nicht. Wieviel Zeit ist vergangen seit du verschwunden bist?"
„Fast sieben Jahre."
„So lange... Dann bin ich seit vier Jahren hier unten. Eine Weile habe ich noch durchgehalten. Lucius hat mir erzählt, Voldemort hätte dich als Opfer gefordert. Erst Jahre später hat er sich damit gebrüstet, er selbst hätte an deinem Tod Teil gehabt. Danach wollte ich nicht länger hier bleiben. Aber er hat meine Flucht entdeckt, noch bevor ich den Hof verlassen konnte. Seitdem bin ich hier. Dann hat er also all die Jahre gelogen. Aber wo warst du nur?"
„Das ist eine zu lange Geschichte, um sie jetzt zu erzählen. Aber ich bin sicher, das Lucius lange Zeit glaubte, dass ich tot bin. Es lag in seiner Absicht. Als ich mich weigerte das Dunkle Mal zu nehmen, hat er Voldemort praktisch angefleht mich zu töten. Eine Freundin hat mich gerettet und in Sicherheit gebracht. Ich wünschte nur, ich hätte gewusst, was er dir antut. Dann hätte ich dich schon lange hier rausgeholt!"
„Du bist jetzt hier. Das ist mehr, als ich je zu hoffen gewagt habe."
„Ich bring dich hier weg, Mutter. Und dann wird Lucius bezahlen!"
Draco stand auf und trat an die Gitterstäbe. Sie waren schmutzverkrustet und hatten eine dicke Schicht Rost angesetzt. Dennoch waren sie stabil und gaben nicht nach. Aber er hatte auch nicht wirklich damit gerechnet.
Er trat an die Tür und ließ seine schlanken Finger behutsam über das Schloss gleiten. Ein leichtes Prickeln offenbarte die Magie darin.
„Hm, dann wollen wir doch mal sehen, was dein Zauber taugt."
Es war ein einfacher Spruch, der das Schloss schützte und es dauerte nur Sekunden, bis Draco ihn gebrochen hatte.
„Warum nur war mir das klar? Lucius ist noch immer so arrogant zu glauben, dass ein Gefangener ohne Zauberstab wehrlos ist."
„Aber das Schloss ist noch immer nicht auf."
Draco lächelte seiner Mutter sanft zu.
„Ja, aber der Zauber ist aufgehoben und der Rest ist eine Kleinigkeit."
Er zog den Dolch aus dem Stiefel und schob die schmale Spitze der Klinge in das alte Schloss. Eine Weile war es still. Nur das metallische Schaben war zu hören. Dann gab das altersschwache Schloss mit einem Klicken nach.
„An mir ist ein Einbrecher verlorenen gegangen."
Draco öffnete kurz die Tür, zog sie dann aber wieder zu. Durch das zerbrochene Schloss ließ sie sich jederzeit aufstoßen erweckte aber den Eindruck unversehrt zu sein.
„Warum schließt du die Tür wieder?"
„Wir müssen warten. Aber hab keine Angst. Deine Zeit in dieser Zelle ist bald zuende. Hab nur noch ein wenig Geduld."
Draco setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Fußboden und lehnte sich an den Rand der Pritsche. Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich.
Es dauerte nicht lange, bis seine Seele fand was sie suchte. Ein anderes, gewaltiges, uraltes Selbst schloss sich um seinen tastenden Geist, umfing ihn und nahm die Botschaft auf, die Draco aussandte. Dann zog sich die andere Seele zurück und der Drachenreiter schlug die Augen auf.
Er rechnete in Gedanken kurz die Strecke nach die es zu überwinden galt.
„In spätestens zwei Stunden wird ein Freund von mir hier sein und uns holen kommen."
Narcissas verwirrte Miene beantwortete er mit einem sanften Lächeln.
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Ron landete etwas unsanft auf dem Rasen vor dem Schloss, fing nur mühsam einen Sturz ab und rannte dann die letzten Meter zur Brücke. Jetzt kam es auf jede Minute an. Während er über die Brücke lief betete er stumm, dass es für Draco noch nicht zu spät war. Ron machte sich bittere Vorwürfe, weil er den Drachenreiter im Stich gelassen hatte, aber was hätte er sonst tun sollen? Und es war Dracos eigene Entscheidung gewesen.
Ron stürmte an Seamus, der in der Eingangshalle Wache hielt vorbei und rannte weiter in Richtung Bibliothek.
„Hey! Langsam! RON? Was ist denn passiert?" rief der Ire ihm nach.
„Später..."
Der jüngste Weasley setzte seinen Weg fort und kam schließlich vollkommen außer Atem in der Bibliothek an.
Hermine, Madame Pince, Kingsley Shacklebolt, Remus, Professor Dumbledore und Professor McGonagall hoben gleichzeitig den Kopf.
„Ron! Oh Merlin sei Dank! Du bist wieder da!" Hermine sprang auf und fiel ihrem Mann um den Hals.
„Habt ihr das Buch? Wo ist Draco? Ist was passiert?"
Ron winkte ab und ließ sich auf einen freien Stuhl fallen. Einige Augenblicke vergingen während denen er hingebungsvoll keuchte und die anderen ihn aufmerksam und besorgt musterten.
Schließlich hatte er sich soweit wieder erholt, dass er sprechen konnte.
„Das Buch haben wir gefunden." Er zog den schweren Band aus seiner Robe und warf ihn auf den Tisch.
„Leider wurden wir erwischt. Lucius hat Draco!"
Die Anwesenden wurden blass und schnappten kollektiv nach Luft.
„Aber... das ist furchtbar!"
„Ja. Und wenn Draco mich nicht praktisch gezwungen hätte ihn zurück zu lassen, dann wäre ich jetzt auch nicht hier."
Ron stand auf.
„Darum werde ich jetzt auf der Stelle ein paar Leute zusammentrommeln und nochmal dorthin gehen!"
„Ron! Das ist viel zu gefährlich! Die Todesser sind jetzt gewarnt. Meinst du, dass du ein zweites Mal so ohne weiteres ins Haus kommen wirst?"
„Kingsley! Ich werde Draco nicht auch noch im Stich lassen! Es reicht, dass ich Harry nicht helfen konnte. Lucius wird Draco töten."
„Und woher willst du wissen, dass er das nicht längst getan hat? Warum sollte Lucius sich mit einem Gefangenen belasten? Er hat schon vor Jahren versucht Draco zu töten. Was hält ihn davon ab zu vollenden, was er damals angefangen hat? Du änderst nichts daran, wenn du dich selbst in Gefahr bringst!"
„Ich kann einfach nicht glauben, dass du so redest! Ich weiß, dass die Chancen schlecht stehen, aber wir müssen trotzdem versuchen ihn zu retten!"
„Nein! Du wirst dich nicht unnötig in Gefahr bringen. Wir brauchen jeden Mann. Draco kannte die Gefahren vorher!"
„Ach, es ist also seine eigene Schuld?"
„Das habe ich nicht gesagt, aber..."
Der ältere Auror wurde unterbrochen, weil die Flügeltür zur Bibliothek ein zweites Mal aufflog. Simon kam herein und sah Ron scharf an.
„Ich hab dich apparieren sehen, Ron. Was ist passiert? Warum bist du allein?"
„Draco wurde gefangen genommen."
Simon wurde noch blasser als die anderen. Als einziger der Anwesenden wusste er, was Draco vor sieben Jahren in der Hand der Todesser erlebt hatte und was eine erneute Gefangenschaft für ihn bedeuten würde. Aber Simon hatte auch seine Befehle.
„Was ist genau passiert!"
„Wir waren in einem geheimen Teil der Bibliothek auf Malfoy Manor, als Lucius hereinkam. Draco hat mir gesagt, ich solle mich versteckt halten und versuchen mit dem Buch zu fliehen. Dann ist er seinem Vater gegenübergetreten. Sie haben eine Weile geredet, dann hat Lucius ihn weggebracht. Wohin weiß ich nicht. Ich hab noch eine Weile gewartet und bin dann abgehauen."
„Hat Dray etwas zu dir gesagt?"
„Nur, dass ich verschwinden soll, und dass er allein zurechtkommt."
Simon nickte. Das klang nicht so, als sei Draco in Panik gewesen. Vielleicht hatte er einen Plan.
Ron deutete dieses Nicken falsch.
„Wann brechen wir auf?"
„Wohin?"
„Na, Draco retten!"
„Gar nicht! Du hast doch gehört, was er gesagt hat. Er kommt allein zurecht. Ich werde jetzt wieder auf meinen Posten gehen."
„Bist du wahnsinnig? Ich dachte Draco wäre dein Freund! Du kannst ihn doch nicht einfach so im Stich lassen!"
„Das tue ich auch nicht. Aber Draco hat mir einen Befehl erteilt, bevor er ging und den werde ich ausführen. Hör zu, Ron. Ich kenne Dray besser als du. Er hätte dich nicht fortgeschickt, wenn er nicht sicher gewesen wäre, dass er es allein schafft. Er hat eine Menge mehr drauf als du weißt. Wenn wir jetzt eine Rettungsaktion starten, dann durchkreuzen wir damit vielleicht seine Pläne und bringen ihn in noch größere Gefahr."
„Sag mal, spinnst du?"
„Ron. Ich weiß, was ich tue. Ich mach das hier schon ne Weile länger als du. Ich..." Eine sanfte Berührung in seinem Geist lenkte ihn ab. Simon spürte Freckles Seele, die behutsam in sein Selbst eindrang und ihn so auf etwas aufmerksam machte. Er ließ Ron stehen und trat ans Fenster.
Unten breitete sich der Verbotene Wald aus.
Simon lächelte. „Ashes. Natürlich. Flieg mein Freund. Bring Draco heim."
Ron war neben den Drachenreiter getreten und sah mit offenem Mund zu, wie ein langer, grünsilberner Leib sich zwischen den hohen Bäumen hindurch ins Freie schlängelte. Scheinbar zarte Flughäute spannten sich, als gewaltig Schwingen geöffnet wurden, ein paar Mal sanft auf und ab fächelten und dann den riesigen Drachenkörper in die Luft hoben. Innerhalb weniger Augenblicke schraubte sich der Drache hoch in den Himmel und verschwand zwischen den Wolken.
„Siehst du. Draco hat einen Plan. Und Ashes ist besser als jede Rettungstruppe, die du zusammenstellen könntest."
„Aber woher weiß der Drache...?"
„Er weiß es. Draco hat ihn gerufen und Ashes wird nicht eher Ruhe geben, bis er seinen Herrn gefunden hat. Warte nur ab. Es wird nicht lange dauern. Hoffen wir nur, dass Ashes nicht zu spät kommt."
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„Wie oft kommt Lucius hierher?"
Narcissa hob den Kopf und sah Draco in die Augen. Sie konnte noch immer nicht recht glauben, dass ihr Sohn wirklich noch am Leben war, und dass er jetzt bei ihr war und sie von hier fortbringen wollte.
Jahrelang hatte sie in dieser Zelle gesessen, ohne jedes Gefühl für Zeit, nur gelegentlich von ihrem Mann besucht, der sie mit Hohn und Spott bedachte und mit Visionen ihres geliebten Kindes quälte.
Dieses Kind war inzwischen zu einem jungen Mann geworden. Es fiel ihr schwer den Blick von ihm abzuwenden und immer wieder musste sie die Hand ausstrecken und ihn sanft berühren, um sich seiner Gegenwart zu versichern.
„Nicht regelmäßig. Alle paar Tage. Das Essen bringt immer jemand anderes. Meistens der junge Flint."
Draco lächelte grimmig.
„Der wird nicht mehr herkommen."
Er lehnte den Kopf leicht gegen die Wand und schloss die Augen.
Narcissa beobachtete jede seiner Bewegungen.
Er sah so vertraut und gleichzeitig so fremd aus. Die dunkle, fremdartige Kleidung, der dicke, geflochtene Zopf, der über seine Schulter hing, seine Gestik und die weichen, geschmeidigen Bewegungen. Während er auf dem Boden saß und seinen Gedanken nachhing spielten seine langen, schlanken Finger mit einem schweren Silberring an seinem linke Ringfinger.
„Du bist verheiratet?"
Draco schlug die Augen auf. „Was?"
Einen Moment lang wusste er nicht, wovon seine Mutter sprach.
Sie deutete auf seine Hände. Er folgte ihrem Blick und lächelte wehmütig.
„Oh. Ja, sowas in der Art."
„Ist sie nett?"
„Es ist keine Frau."
Narcissa war einen Moment lang sprachlos. Dann fing sie sich wieder. Was spielte das schon für eine Rolle?
„Er ist der Grund warum ich hier bin. Voldemort hat ihn und wir haben nach Hinweisen gesucht."
Der Gedanke an Harry schmerzte. ‚Bitte sei noch am Leben.' flehte er stumm.
„Wir?" fragte Narcissa erstaunt.
„Ja. Ich war nicht allein. Aber der Freund, der mich begleitet hat konnte fliehen. Zumindest hoffe ich das."
„Ein Freund von dir? Jemand, den ich kenne?"
„Nein. Ich glaube nicht. Wir sind noch nicht sehr lange befreundet. Vielleicht hast du mich früher über ihn spotten gehört. Ron Weasley."
„Ron..."
Die Stimme war rau und brüchig und ließ Draco fast aus der Haut fahren.
Mit einer einzigen, fließenden Bewegung sprang er auf, zog den Dolch und wirbelte herum.
„Wer ist das?"
Narcissa blieb gelassen auf der Pritsche sitzen. Die Stimme schien sie nicht weiter zu wundern.
„Das ist nur der Junge in der Nachbarzelle."
Draco spähte in die Dunkelheit der zweiten Zelle, die durch dicke rostige Gitterstäbe von der ihren abgetrennt war, konnte aber nur Schatten erkennen.
„Es ist noch jemand hier?"
„Ja. Erst waren sie zu zweit, aber seit einiger Zeit ist nur noch einer da. Ich dachte nicht, dass er noch am Leben ist. Der andere ist schon lange tot. Ich habe ihn lange nicht gehört. Sonst hat er immer gesprochen. Aber in den letzten Tagen war es still."
Draco trat näher an die Gitterstäbe und versuchte trotz der schwachen Beleuchtung etwas zu erkennen.
Dann hörte er ein schlurfendes Geräusch und eine schemenhafte Gestalt löste sich aus den Schatten und trat ins Licht der qualmenden Fackel.
Draco zuckte unwillkürlich zusammen.
Wer immer das war, man hatte ihm übel mitgespielt.
Der Fremde war bis auf das Skelett abgemagert, die Kleider starrten vor Schmutz und waren völlig zerfetzt, entblößten geschwollene Gelenke und Spuren von Folter. Lange verfilzte Haare von unbestimmbarer Farbe hingen in ein ausgemergeltes, hohlwangiges Gesicht, das von einem ebenso schmutzstarrenden, mottenzerfressenen Bart bedeckt war. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, von Schatten umrandete, der fiebrige Blick huschte unstet hin und her. Er humpelte noch einen Schritt näher und umfasste das Gitter mit zitternden, geschwollenen Fingern.
„Bitte... Wo ist Ron?... Du hast gesagt..."
Draco zuckte bei dem sehnsüchtigen, flehenden Klang der Stimme erneut zusammen. Wie lange war dieser Mann schon hier? Er sah weit schlimmer aus, als Narcissa, die seit vier Jahren hier gefangen gehalten wurde. Und während sie es irgendwie geschafft hatte ihren Verstand beisammen zu halten, war er kaum mehr als lebendes Wesen zu bezeichnen.
Draco spürte eine neue Welle der Wut gegen seinen Vater in seinem Inneren brodeln.
„Ron ist nicht hier. Er ist in Hogwarts. Woher kennst du ihn? Wer bist du?"
„Ich... ich bin George... Weasley..."
Dann drehte er sich zum hinteren Bereich der Zelle um.
Ein halb wahnsinniges Lächeln lag auf seinem Gesicht.
„Hast du gehört, Fred? Ron geht es gut."
Draco merkte wie alle Farbe aus seinem Gesicht wich.
Er hatte die Weasley-Zwillinge gefunden.
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A/N: Und schon wieder ein Cliff. Gewöhnt euch besser dran, das könnte in der nächsten Zeit noch öfter passieren. ;oD
So, jetzt noch ein paar Kommis zu euren Reviews:
Sorry für die vielen Tippfehler im letzten Chap. (Danke für den Hinweis Thiuri) Hab irgendwie vergessen nochmal drüberzulesen. Kommt nicht wieder vor. Ich tipp manchmal ein bisserle zu schnell.
An alle Lateinlexika da draußen: Ich war aber ziemlich nah dran, oder? ;o) Danke für den Hinweis. Werd's in Zukunft richtig schreiben.
Liebstes Kiralein? Erinnerst du dich nicht mehr daran, in Chap 4 wird Harry darüber aufgeklärt, dass die meisten Drachenreiter keinen Zauberstab mehr besitzen und daher in stabloser Magie trainiert sind. Draco ist sogar ziemlich mächtig, auch wenn das bisher noch nicht richtig rausgekommen ist. ;o)
Angie? Sorry, aber Harry wird nicht gefoltert werden. Die Szene mit Draco in Chap 11 wird sich nicht wiederholen. Aber das nächste Chap wird dir trotzdem gefallen, das verspreche ich dir. Und was die angebliche Naivität angeht: Sie wussten sehr wohl, dass sie sich in großer Gefahr begeben; Draco war sogar ziemlich sicher, dass sie erwischt werden, auch wenn er das nicht gesagt hat, aber es war beiden zu dem Zeitpunkt egal. Sie sind verzweifelt und wollen unter allen Umständen jedem Hinweis nachgehen, der zu Harrys Rettung beiträgt. Und, wenn du dir das Chap mal ansiehst, ist es doch auch gut, dass Draco gefangen genommen wurde, oder? Wenn du das nächste Chap gelesen hast, wirst du mir recht geben. ;o)
Liebe Silverdragon, ich heiß auch eigentlich Nadine und nicht Nicole, von daher sind wir quitt, oder?
Deedochan? Das IST es ja gerade. Lucius wollte in die Bibliothek und etwas aus seiner Geheimkammer holen (nicht das Buch). Wenn er nicht der Katze auf den Schwanz gelatscht wäre, hätten die beiden ihn nicht bemerkt und er hätte sie beide erwischt!
Hey Lili. Schön, dass es dir gefällt. Die Inspiration kommt außer von Harry Potter von der Drachenlanze. Es gibt zwar auch ein Buch „Die Drachenreiter" (von Hohlbein, glaub ich) aber das hab ich nach zwei Seiten in die Ecke geworfen. Ich mag Hohlbein nicht. Sorry, falls ich jetzt Fans beleidige. Die Drachenfestung und alles andere, was nicht von J.K. Rowling ist, ist allein von mir, obwohl ich Einflüsse verschiedenster Fantasybücher nicht abstreiten will. Dafür lese ich einfach zu viel. ;o)
So, das war's erst mal von mir.
Bis
zum nächsten Chap.
Küsschen
Eure Yulah
