Kapitel 4 – Das Fest, die Wette und der Kuss
Nachdem Eanur auf seinem Zimmer war, überlegte er wie er die Wette gewinnen konnte. Er war sich sicher, dass er am kommenden Morgen sehr müde sein würde und dass der Elb trotz des langen Festes wahrscheinlich ein Frühaufsteher sein wird. Während er so nachdachte, machte er sich frisch und verließ das Zimmer Augenblicke später wieder. Er wollte nicht schon wieder zu spät kommen und seine Eltern entzürnen.
Im Saal standen schon viele Leute zwischen den Tischen. Sie suchten ihre Plätze oder unterhielten sich mit anderen Gästen. Alle trugen elegante Roben und lange, wunderschöne Kleider.
Das Fürstenpaar stand in der Mitte des Saales und beobachtete alles genau. Viele ihrer Gäste kannten sich untereinander sehr gut und schienen sich gut zu amüsieren. Man hatte aber beschlossen, die Ehrengäste der Taufe und dieses Festes in Gruppen einzulassen und ihnen somit den gebürtigen Respekt zu erweisen.
Es waren drei Gruppen und als erstes sollte der König Gondors mit seiner Familie eintreten. Barahir wartete nur noch auf das Signal seines Dieners, das ihm zeigen sollte, dass alle versammelt waren.
Kurz darauf sah er es auch und er ließ die Trompeten erklingen. Als alle verstummten sagte er mit einer klaren Stimme: „Ich danke Euch, dass ihr zur Feier des Tages so zahlreich erschienen seid. Ich hoffe Euch hat die Taufe am Nachmittag gefallen und das sich nun langsam der Hunger bemerkbar macht. Doch bevor wir gemeinsam speisen wollen, möchte ich noch meine Ehrengäste begrüßen."
Inzwischen hatten Diener dafür gesorgt, dass ein Gang von der Tür zum Fürstenpaar führte, so dass jeder die Ehrengäste sehen und empfangen konnte.
„Als erstes heiße ich König Eldarion von Gondor mit seiner wunderbaren Gemahlin Elanor Lalaith herzlich willkommen. Es freut mich sehr, dass auch ihre Kinder heute bei uns sein können. Herzlich willkommen auch Prinz Eanur, Prinzessin Emeldir, Prinzessin Gilraen und Prinz Elatan."
Während er dies sagte, wurden die großen Türen des Saales geöffnet und die Königsfamilie betrat unter donnerndem Applaus den Festsaal.
Sie stellten sich neben das Fürstenpaar und Barahir kündigte das Königspaar von Rohan an. Auch sie beiden betraten den Raum unter lautem Applaus und stellten sich auf die andere Seite des Fürstenpaares, um auch die letzten Ehrengäste zu begrüßen.
Als nun wieder Ruhe unter die Gäste kehrte, verkündete der Fürst die Letzten Ehrengäste: „Ganz besonders freue ich mich über die Anwesenheit meiner letzten Gäste. Sie stammen eigentlich aus einem Wald, der nördlich von Ithilien liegt. Doch seit einiger Zeit kümmern sie sich um die Wälder meines Landes. Darum möchte ich nun den Kronprinzen von Eryn Galen und seiner Schwester begrüßen. Herzlich willkommen Prinz Dior und Prinzessin Dúlindiёll."
Doch dieses Mal blieben die Gäste ruhig und beobachteten die Adligen vorsichtig. Viele von ihnen schienen noch nie zuvor Elben gesehen zu haben oder sie waren ihnen nur selten begegnet. Nur vereinzelt applaudierten ein paar Anwesende, doch der Rest blieb ruhig.
Als Eanur am Festsaal ankam, standen vor den Türen schon seine Eltern. Sie winkten ihn zu sich.
„Wir sollen hier warten, bis wir eingelassen werden. Barahir und Morwen haben beschlossen ihre Ehrengäste vor allen anderen bekannt zu machen", erklärte ihm seine Mutter Lalaith und gemeinsam warteten sie vor den Türen auf ihr Zeichen.
Plötzlich entdeckte Eanur Dior, der im hinteren Teil des Flures vor der Stand. Er unterhielt sich mit einer Frau oder Elbe, was genau konnte Eanur nicht sagen, aber irgendwie kam ihm diese Frau bekannt vor. Doch ehe er sich weitere Gedanken machen konnte, wurden Seine Familie und er aufgefordert, den Saal zu betreten.
Nachdem sie sich neben Barahir und Morwen gestellt hatten, beobachtete der Kronprinz die Tür. Er hatte eine Vermutung wer die schöne Dame auf dem Flur war, doch er war sich nicht sicher. Er bemerkte kaum, dass König Éogard mit seiner Gemahlin den Saal betrat. Doch als sich die Türen das nächste Mal öffneten, fielen ihm fast die Augen aus.
Da kam sie. Sie ging neben Dior, doch wie sie hieß hatte er nicht mitbekommen. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid, das an manchen Stellen sogar schwarz zu sein schien. Ihre langen blonden Haare waren hochgesteckt, nur ein paar Strähnen hingen frei herunter. Sie schwebte regelrecht durch den Saal und hielt ihren Blick auf den Fürsten gerichtet.
Sie schien nervös zu sein, auch wenn man es ihr nicht gleich ansah.
Als sie endlich angekommen war, bat der Fürst seine Gäste Platz zu nehmen. Die Ehrengäste saßen zusammen mit dem Fürstenpaar an einem runden Tisch. Eanur saß zwischen Dior und Gilraen, doch ihn interessierte vielmehr die Person, die neben Dior saß. Er versuchte sie nicht anzustarren, beobachtete sie aber aus dem Augenwinkel. Dior bemerkte dies und musste innerlich schmunzeln.
„Darf ich dir meine Schwester Dúlindiёll vorstellen?" sprach er ihn plötzlich an, „Dúlin, dass ist mein neuer Freund Eanur."
Beide blickten erstaunt auf, denn auch Dúlindiёll hatte sich angestrengt auf ihren Teller gestarrt.
Sie lächelten sich an und Eanur fand als erstes seine Sprache wieder: „Schön, dass wir uns wieder sehen. Bei unserem letzten Treffen hatte ich es leider versäumt, Euch nach Eurem Namen zu fragen." Nun war es Dior, der staunen musste. Doch ehe er fragen konnte stand Barahir auf und der Saal verstummte ein weiteres Mal.
„Nun wollen wir aber zum Festessen kommen", begann er seine Rede. „ Eigentlich ist dies ein Fest zu Ehren meiner Kinder und besonders zu Ehren von Hirgon. Doch meine Kinder liegen bereits in ihren Betten und können an diesem wundervollen Fest nicht teilhaben.
Darum bitte ich alle hier Anwesenden auf das Wohl meiner Kinder anzustoßen, auf das sie es auch in ihren Zimmern hören können."
Damit beendete er seine Rede und alle im Saal hoben ihre Gläser und riefen: „Auf das Fürstenpaar und seine Kinder!" Barahir wünschte seinen Gästen einen Guten Appetit, bevor sich alle an dem Essen bedienten.
Während sie aßen, erklärten Eanur und Dúlindiёll die Geschichte von ihrer Begegnung. Schließlich unterhielten sie sich über Gott und die Welt und der Kronprinz beobachtete die Prinzessin vorsichtig, wie sie sich plötzlich auf elbisch mit ihrem Bruder unterhielt.
Als Dior jedoch seinen Blick bemerkte, entschuldigte er sich schnell bei Eanur.
„Entschuldigung, ich vergesse immer wieder, dass ihr kein elbisch versteht. Es ist unhöflich, in Gesellschaft in einer fremden Sprache zu sprechen."
„Das ist doch nicht schlimm. Ich finde elbisch ist eine wunderbare Sprache. Ich selbst würde sie gerne lernen, wenn ich nur genug Zeit dafür hätte", entgegnete Eanur mit einem Hauch von Wehmut in der Stimme.
Als das Essen vorbei war, begaben sich einige Gäste auf die Terrasse und die Tische wurden aus der Mitte des Saales an den Rand gestellt. So entstand Platz für die Gäste zum Tanzen. Das Fürstenpaar eröffnete den ersten Tanz und nach wenigen Sekunden kamen auch die anderen Königs und Fürstenpaare hinzu.
Eanur stand mit seiner Schwester Gilraen an der Balkontür und unterhielt sich mit ihr.
„Wo ist eigentlich Emeldir hingegangen?" fragte er plötzlich, als ihm auffiel, dass er sie schon länger nicht mehr gesehen hatte.
„Sie hat den Festsaal schon nach dem ersten Tanz verlassen. Sie ist zusammen mit Fürst Malem auf den Balkon gegangen. Er kommt aus dem Ringló-Tal und sie schienen sich gut zu amüsieren", antwortete Gilraen und ein entzücktes Lächeln lag auf ihren Lippen. Sie konnte ihre Zwillingsschwester nur zu gut verstehen, „wie willst du eigentlich die Wette morgen gewinnen?"
„Ich weiß es noch nicht … aber ich muss diese Wette auf jeden Fall gewinnen. Wahrscheinlich wird Dior morgen früh trotzdem früh aufstehen. Hast du eine Idee, wie ich vor ihm wach sein könnte?"
„Nein, leider nicht…", antwortete sie ihm, doch selbst wenn sie eine Idee gehabt hätte, hätte sie sie ihm nicht verraten. Denn insgeheim hoffte sie, dass er die Wette verlieren würde, damit sie den Elbenprinzen küssen durfte.
„Schade. Aber dahinten kommen die Geschwister, über die wir beide gerade nachdenken...". Daher beendeten sie ihre Unterhaltung und warteten, bis ihre Freunde bei ihnen ankamen.
Sie amüsierten sich köstlich miteinander und lachten viel. Man sprach über ihr Leben oder lustige Geschichten, die man irgendwann einmal gehört hatte.
Eanur fiel auf, dass Dior seiner Schwester Gilraen immer wieder interessierte Blicke zu warf, die sie oftmals erwiderte.
„Darf ich dich um einen Tanz bitten?", fragte er plötzlich die Prinzessin von Gondor, die ihn überrascht anblickte. Sie hackte sich jedoch kurz darauf bei dem Elben ein und beiden gingen auf die Tanzfläche.
Zwischen den beiden verbliebenen Königskindern trat eine betretene Stille ein. Eanur überlegte angestrengt, was er zu Dúlindiёll sagen könnte, doch plötzlich kam ihm eine Idee.
„Ich weiß, das klingt jetzt einfallslos, aber möchtest du mit mir tanzen?", fragte er schüchtern.
„Gerne", erwiderte sie und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Er führte sie zur Tanzfläche und ehe er sich versah, stand er Arm in Arm mit ihr auf der Tanzfläche und sie begannen sich langsam zu den Klängen der Musik zu bewegen.
Beide genossen die Stille und Eanur wusste plötzlich, dass er die Wette gewinnen musste.
Der Tanz war schnell vorüber (vielleicht auch etwas zu schnell) und die Paare trafen sich wieder an der Balkontür. Gemeinsam beschlossen sie in den Park zu gehen.
Dior und Eanur spaßten die ganze Zeit über miteinander, während die Damen der Gruppe sich leise unterhielten. Die Prinzen hatten schon ein wenig Wein getrunken und plötzlich meinten sie, die Frauen durch ein Trinkspiel beeindrucken zu müssen.
Es war schon nach Mitternacht, als sie aufgaben. Die beiden Männer waren schon stark angetrunken und Gilraen und Dúlindiёll beschlossen ihre Brüder in ihre Zimmer zu bringen, bevor sie noch unangenehm auffallen würden.
So verließen die vier den Festsaal und kurz darauf trennten sie sich, da die Gemächer der Prinzen in verschiedenen Teilen der Burg lagen.
Gilraen hatte es nicht sonderlich schwer, ihren Bruder zu seinem Gemach zu bringen. Eigenartigerweise schien er doch noch relativ klar im Kopf zu sein. Doch sie konnte sich keinen Reim darauf machen.
Als sie vor seiner Zimmertür ankamen, verabschiedeten sie sich und Eanur betrat allein das Zimmer.
Ihm ging es im Gegensatz zu Dior wahrscheinlich wirklich relativ gut. Sein Plan schien tatsächlich aufzugehen. Er hatte zwar ebensoviel getrunken wie der Elb, aber Eanur hatte im zuvor ein Kraut eingenommen, das den Rausch verhinderte.
Während des Trinkspiels hatte er versucht, Dior herauszufordern, indem er so tat, als wäre er betrunken. Es musste ein herrlicher Anblick gewesen sein...
Zwei Prinzen, die eine Flasche Wein nach der anderen leerten und am Ende dabei lauthals sangen. Zum Glück hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Schwestern eingegriffen und sie zu ihren Zimmern gebracht.
So konnte sich Eanur beruhigt ins Bett legen und von dem Ausgang der Wette träumen.
Eanur wachte an diesem Morgen wieder von einem zarten Klopfen an der Tür auf. Nervös sprang er aus dem Bett und warf sich schnell einen Umhang über, bevor er die Tür öffnete.
Doch die Person vor der Tür war nicht Dior, sondern Laurinya. Er hatte sie am Abend zuvor gebeten, ihn früh zu wecken. So war er sich sicher, dass er an diesem Morgen vor Dior wach sein würde.
„Guten Morgen, Euer Hoheit!"
„Guten Morgen, Laurinya! Vielen, vielen Dank für den Weckdienst. Ich hoffe es machte dir keine Umstände?", begrüßte er sie.
„Natürlich nicht, Euer Hoheit. Ich würde es jeden Morgen wieder tun, wenn es Euch eine Freude bereitet", erwiderte das Dienstmädchen schüchtern und hielt ihren Blick gesenkt. Auch wenn er sich einen Umhang übergeworfen hatte, konnte man doch relativ viel Haut des Prinzen erkennen.
„Das braucht ihr nicht. Aber wenn ich dir einen Gefallen tun kann, dann sag es mir bitte, ja? Du hast mir nämlich heute sehr geholfen."
„Ich werde es Euch mitteilen. Aber nun entschuldigt mich ... Ich muss wieder an meine Arbeit in der Küche gehen", damit verabschiedete sie sich und ging den Gang hinunter zur Küche.
Eanur zog sich im innern seines Gemaches schnell etwas Normales an und lief wenig später zu Diors Zimmer. Dieser schien noch seelenruhig zu schlafen, da Eanur keinen Laut aus dessen Zimmer vernehmen konnte. Behutsam klopfte er an die Tür, doch noch immer drang kein Geräusch aus dem Zimmer des Elben. Also drehte Eanur vorsichtig den Knauf der Tür und betrat leise das Zimmer.
Es sah fast genauso aus wie sein eigenes, nur die Farbe der Einrichtungen war grün.
Er trat vorsichtig an das Bett heran, in dem Dior noch friedlich schlief.
Eldarion hatte ihm einst erzählt, dass Elben mit offenen Augen schlafen würden, doch er konnte es sich nicht richtig vorstellen. Jetzt sah er jedoch, dass Dior mit offenen Augen an die Decke starrte. Er schien dabei jedoch nichts zu sehen, da ein abwesender Ausdruck in seinen Augen lag.
Eanur trat ganz nah an den Elben heran und überlegte, wie er ihn am Besten wecken könnte. Er entschloss sich, den Elben nicht zu ärgern, sondern ihn mit einem leichten Rütteln an der Schulter aus seinen Träumen zu holen.
Dior wurde schnell wach und als er in die Augen des Prinzen blickte, sprang er aus dem Bett. Doch genau so schnell wie er aus dem Bett gesprungen war, saß er auch wieder auf ihm und stöhnte auf. Scheinbar hatte er einen ordentlichen Kater vom letzten Abend.
„Guten Morgen, du Langschläfer!", Eanur fand das Bild, dass Dior abgab, nur zu lustig.
„Musst du denn so laut sein!", fuhr Dior ihn jetzt an. Er musste wirklich Kopfschmerzen haben.
‚Wie viel mussten sie dann gestern Abend getrunken haben, wenn es einem Elben am nächsten Morgen so geht?', überlegte Eanur.
„Geht es dir denn etwa gut?", fragte plötzlich sein Gegenüber, dass sich immer noch schmerzvoll den Kopf hielt.
„Ja, mir geht's wirklich gut. Du hast wohl gestern Abend etwas zu tief in s Glas geguckt, oder! Aber ist jetzt ja auch egal ... Ich habe unsere kleine Wette gewonnen."
„Dann muss ich mich wohl geschlagen geben."
„Warte hier. Ich werde dir einen kleinen Tee gegen deine Kopfschmerzen kochen. Dann geht es dir bestimmt auch bald wieder besser. Bis gleich!"
Eanur lief schnell den Gang zum Park hinunter. Dort befand sich ein Kräuterbeet, in dem heilende Kräuter wuchsen. Schnell hatte er die gesuchten Kräuter gefunden und er machte sich auf den Weg in die Küche.
Währenddessen dachte er an die Zeit, in der in Minas Tirith von seinem Vater Unterricht bekam. Er hatte seinem Sohn die Namen und Wirkungen jedes Krautes erklärt und Eanur musste sie alle auswendig lernen. Heute wusste er, dass es wirklich hilfreich war.
Er klopfte wieder an die Küchentür, wie schon vor ein paar Tagen, doch diesmal öffnete ihm die Küchenchefin. Sie verbeugte sich kurz und Eanur trug ihr sein Anliegen vor. Sie ließ ihn ein und sie gingen zu einem Herd mit einem Topf kochendem Wasser. Die Küchenchefin redete nicht viel. Sie füllte ihm etwas kochendes Wasser in eine Kanne und Eanur bereitete den Tee vor.
Wenig später verließ er die Küche wieder mit einem Tablett. Mehrmals hatte ihm die Küchenchefin angeboten, dass eines der Dienstmädchen ihm das Tablett auf sein Zimmer brachte, doch Eanur hatte dankend abgelehnt.
Als er wieder in Dior Zimmer trat, war dieser schon angezogen und in einem der Sessel. Eanur reichte ihm eine Tasse des Tees und setzte sich dem Elben gegenüber.
„Danke. Ich weiß gar nicht wann es mir das letzte Mal so schlecht ging", sprach Dior zwischen zwei Schlücken aus seiner Tasse.
„Das macht doch nichts. Wir sind doch Freunde und Freunde helfen sich gegenseitig. Ich werde dich aber trotzdem jetzt alleine lassen. Wir sehen uns nachher beim Frühstück."
„Bis nachher."
Eanur ging nicht zurück in sein Zimmer, sondern machte sich auf den Weg zu den Stallungen. Er wollte seinen Hengst mal wieder richtig verwöhnen und ihn ausgiebig putzen.
Pünktlich zum Frühstück betrat Eanur den Speisesaal. Es waren noch nicht viele Gäste, denn das Fest ging bis in die frühen Morgenstunden und viele schliefen noch.
Doch Dior saß bereits an dem Tisch neben seiner Schwester Gilraen. Sie unterhielten sich angeregt und dem Elbenprinzen schien es tatsächlich wieder besser zu gehen.
Eanur setzte sich ihnen gegenüber. Neben ihm saß nur noch seine zweite Schwester Emeldir, die noch ziemlich verschlafen auf ihren Teller blickte. Außer ihnen vier, war der Raum leer.
Eanur unterhielt sich kurz mit Emeldir und begann mit dem Frühstück. Doch plötzlich schaute ihn Gilraen direkt an. Er konnte ihren Blick nicht deuten, der immer wieder zwischen ihm und Dior hin und her huschte.
„Jetzt sagt schon, wer war heute Morgen als erster wach!", brach dann endlich aus ihr heraus und auch Dior schien erleichtert zu sein.
„Tja, leider ich, liebe Schwester", antwortete Eanur und konnte einen leichten Blick der Enttäuschung nicht gänzlich verbergen. Innerlich hatte sie gehofft, dem Elben einen Kuss geben zu können.
Doch ehe sie sich weiter unterhalten konnten, ging die Tür ein weiteres Mal auf und statt der Dienstmädchen, die bisher immer ein und ausgegangen waren, trat Dúlindiёll in den Saal. Sie setzte sich neben ihren Bruder und begrüßte alle mit einem fröhlichen „Guten Morgen!".
„Guten Morgen, Schwesterchen!", antwortete ihr Dior und grinste sie an.
„Dir scheint es ja richtig gut zu gehen, trotz des gestrigen Abends..."
„Ja, aber dafür ist eher mein kräuterkundiger Freund verantwortlich. Er hat mit heute morgen einen Tee gebraut und der hat Wunder gewirkt."
„Das heißt dann wohl, dass du die Wette gewonnen hast?", Dúlindiёll sprach Eanur nun direkt an.
„Ja", mehr bracht Eanur in diesem Augenblick nicht heraus, da er sah wie sich die Prinzessin erhob uns um den Tisch herum auf ihn zutrat.
Auch er stand auf, bedacht darauf, nicht zu hektisch zu sein. Sein Herzschlag hatte sich bestimmt schon verdoppelt, als sie schließlich vor ihm stand.
„Dann will ich die Wette mal einlösen", hauchte sie Eanur zu, kurz bevor sich ihre Lippen berührten. Es war nur ein leichter Kuss, doch bei Eanur reichte er aus, um sein Blut noch mehr in Wallungen zu bringen.
Nachdem sie sich wieder getrennt hatten, setzte sich Eanur auf seinen Platz zurück und Dúlindiёll ging um den Tisch zurück zu ihrem Stuhl. Nur ein aufmerksamer Beobachter konnte die leicht geröteten Wangen der beiden Königskinder erkennen.
Während der Saal sich weiter füllte und sich alle angeregt unterhielten, aßen Eanur und Dúlindiёll schweigend ihre Mahlzeit. Zwischendurch warfen sie sich immer wieder kurze Blicke zu und lächelten sich vorsichtig zu.
Als sie Das Frühstück beendet hatten, beschlossen die Prinzen erneut zusammen auszureiten, während ihre Schwestern sich zusammen in den Burggarten setzen wollten.
Eanur musste noch immer an den Kuss denken, als er auf sein Zimmer ging, um sich Reitsachen anzuziehen. Außerdem spürte er ein leichtes Kribbeln im Magen, dass er noch nicht so recht einordnen konnte.
Doch schließlich raffte er sich auf, lief hinunter zum Stall und verdrängte die Gedanken an den Morgen, der nicht hätte besser sein können.
