Trigger-Warnung für dieses Kapitel :Krieg!

Zusätzliche Warnings: PTSD, Überlebensschuld, Philosophische Überlegungen über die Natur des Krieges, erhöhte Warnstufe für Homophobie, Internalisierte Homophobie, allgemeinen Minderwertigkeitskomplexe


7. Gwyn / Alun


Dieses Kapitel ist Kevin Conroy gewidmet.


It seemed to roar from thiry years of frustration, confusion, denial, love, yearning. Yearning for what? An anchor, a habor, a sense of saftey, a sense of identity. Yes, I can relate. Yes, this is terrain I know well." – Kevin Conroy, „Finding Batman"


Gwyn Davies


Gwyn war lange nicht bereit gewesen es zuzugeben, doch den Legends zu begegnen hatte ihn auf gewisse Art Hoffnung gegeben. Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Klar nicht alles, was er über die Zukunft erfahren hatte, hatte ihn glücklich gemacht - zu lernen, dass es einen „Zweiten Weltkrieg" geben würde, und das so kurz nach dem Krieg, der alle Kriege hätte beenden sollen, war ein Schock gewesen, und mancher Einblick im kommende Jahrzehnte hatte ihn bekümmert - aber alles in allem hatte er sich erlaubt zu hoffen, weil er zwei Frauen kennengerlernt hatte, die verheiratet waren, Teil einer Gruppe von vollkommen unterschiedlichen Menschen geworden war, die einander trotz allen Unterschieden einfach nur akzeptierten, und weil er erfahren hatte, dass es ihm gelungen war eine Zeitmaschine zu bauen. Das alles hatte ihm Hoffnung für die Welt, aber auch für sich selbst gegeben. Es hatte ihn hoffen lassen, dass er Alun retten könnte.

Doch dann war ihm enthüllt worden, dass die Zukunft vielleicht für alle anderen ein Happy End bereit halten würde, nicht aber für ihn. Der Mann, der mit ihm wiedervereint worden war, war nicht Alun, sondern nur ein Betrüger, und er hatte erfahren, dass Alun niemals gerettet werden konnte, da Aluns Tod der Grund dafür war, warum Gwyn seine Zeitmaschine gebaut hatte, und wenn er diese nicht gebaut hätte, gäbe es keine Zeitreisen, und wenn es die nicht gäbe, dann könnte er Alun nicht retten, insofern … insofern war es ein unlösbares Paradox.

Selbst wenn Alun gerettet werden würde, Gwyn würde weiterhin denken müssen, dass er gestorben war, damit er die Zeitmaschine erfinden würde. Das Happy End, das ihm als er von den Legends rekrutiert worden war, versprochen worden war, würde nie stattfinden.

Diese Erkenntnis zerstörte ihn ein wenig. Zu wissen, dass jeder Mensch auf dieser Welt ein Happy End bekommen konnte, er aber nicht …

Aber letztlich ließen weder er noch die Legends sich davon aufhalten. Dann würde er mit Alun eben erst jetzt wieder vereint werden, aber zumindest würde Alun leben, und er würde ihn wiedersehen - das war gut genug. Es war immer noch das, was er hatte erreichen wollen, nur nicht ganz das, was er sich erträumt hatte.

Er nahm an, dass Alun nie in sein altes Leben zurückkehren könnte, dass sie beide irgendwo irgendwann ganz neu anfangen müssten, wenn das überhaupt möglich wäre, wenn Alun überhaupt bereit dazu wäre. All die süßen Versprechungen hatte ihm letztlich der Roboter gemacht, der genau das gesagt hatte, was Gwyn hatte hören wollen.

Der echte Alun Thomas aber, nun das war ein anderes Thema. Vor allem wenn Alun Thomas klar werden würde, dass er zwar noch am Leben war, aber nie wieder das Leben von Alun Thomas würde führen können. Wer sagte, dass er Gwyn das nicht übel nehmen würde?

Nur, dass sie gar nicht erst dazu kamen sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Sie kamen gar nicht erst dazu ein richtiges Gespräch über irgendetwas zu führen. Kaum war Alun gerettet, wurden sie alle verhaftet, und wegen Zeitverbrechen eingesperrt.

Und das war die Stelle, an der sich Gwyn eingestehen musste, dass er immer befürchtet hatte, dass es so kommen würde: Dass ein Teil von ihm immer damit gerechnet hatte, dass er für seine Sünden bestraft werden würde.

In der Zukunft mochten die Dinge anders liegen, aber Gwyn wusste, dass er sein Sünder war, dass seine Gefühle für Alun falsch waren, und egal, was die Legend auch sagten, ihm wurde wieder und wieder bewiesen, dass die Welt ebenfalls dieser Meinung war. Denn warum sonst sollte sie ihm seinen einzigen Wunsch – den Aluns Leben zu retten und ihn wiederzusehen – wieder und wieder verweigern?

Im Grunde hatte es für ihn nie eine Rolle gespielt, ob Alun seine Gefühle erwiderte oder nicht, er hatte einfach nur wieder an seiner Seite sein wollen. Aber nicht einmal das war ihm vergönnt. Gott, das Karma, die Welt, die Zeit … man konnte es nennen wie man wollte, diese Macht wusste von seinen unreinen Gefühlen und seinen unreinen Wesen und verweigerte ihm ein Ausleben seiner Sünden. Und das musste einfach etwas zu bedeuten haben.

Er war also nicht überrascht über die Worte des Kommandanten, der sie verhaftete. Er war nicht überrascht darüber eingesperrt zu werden. Dieses Schicksal hatte ihn für seine Verbrechen gegen die Natur immer erwartet, denn so sahen die Gesetze der Krone nun mal aus. So viele Männer, die wie er waren, waren dafür eingesperrt worden, es war nur folgerichtig, dass ihn das gleiche Schicksal erwartete, selbst wenn er seine Sünde niemals wirklich ausgelebt hatte, selbst wenn er immer nur in Gedanken gesündigt hatte (wenn man von diesen süßen gelogenen Küssen absah, die er mit dem Roboter geteilt hatte).

Die Wahrheit war, dass er sich von den Legends dazu verleiten hatte lassen daran zu glauben, dass die Regeln für ihn nicht galten, dass er besonders war, dass ihm mehr zustand als seinen Kameraden. Doch nun hatte ihn die harte Realität wieder eingeholt, nun war ihm klar gemacht worden, dass ihm nicht mehr zustand als allen anderen, und dass alle Hoffnung, die er sich gemacht hatte, in Wahrheit nichts anderes gewesen war als eine Lüge.

Er wurde also behandelt wie ein Krimineller, musste sich all diesen Befragungen unterziehen, während derer er alles, was er mit den Legends erlebt hatte, haarklein wiedergeben musste. Und bei denen ihm klar und deutlich gesagt wurde, dass es ihm nie bestimmt gewesen war ein anderes Leben als das eines verbitterten Mannes zu führen, der die Liebes seines Lebens niemals hatte retten können. „Manche Dinge sind einfach Bestimmung. Damit hat man sich abzufinden", wurde ihm erklärt, „Gerade ein Wissenschaftler wie Sie einer sind, sollte das eigentlich wissen."

Gewusst hatte er es immer, er hatte es nur nie akzeptieren wollen.

Als Soldat wusste er, dass man dem Feind niemals Informationen liefern sollte. Deswegen verbrachte er den Großteil seiner Befragungen schweigend, während ihm Vorwürfe gemacht wurden; Vorwürfe, die er sogar nachvollziehen konnte. Ihm wurde erklärt wie wichtig es war, dass Aluns Tod ein Fixpunkt blieb, und wie katastrophal sich die Dinge entwickeln hätte können, wenn dieser Fixpunkt durchbrochen worden wäre.

All das war ihm nicht neu, und er machte sich auch keine Vorwürfe. Alun zu retten war von Anfang an seine Mission gewesen, er bereute nicht sie durchgezogen zu haben, was er bereute war, dass er Alun nur gerettet hatte um ihn in diese Lage hier zu bringen.

Der angebliche Rotblatt-Tee ekelte ihn an. Diese Leute hier hatten offenbar keine Ahnung davon wie man Tee machte. Und es ging ihm langsam aber sicher auf die Nerven, dass sie sich nicht damit abfinden wollten, dass er ihnen jede Art von Antwort verweigerte.

„Dr. Davies, es bringt Ihnen nichts immer nur Ihren Namen und Ihre Nummer zu nennen. Wir wissen doch sowieso schon alles über Sie", erklärte ihm der junge Mann, der ihn heute befragte. Er besaß vage Ähnlichkeit mit Alun, wirkte aber jünger, so als wäre er noch keine 18 Jahre alt. Sollte Gwyn sich beleidigt fühlen, weil man ihm ein Kind geschickt hatte um ihn zu befragen?

„Wenn das so ist, warum stellen Sie mir dann immer noch Fragen?", gab Gwyn zurück.

Anstelle einer Antwort erhielt er nur ein mildes Lächeln. „Vielleicht weil wir gerne ein tatsächliches Gespräch mit Ihnen anstoßen würden?", schlug sein Gegenüber vor, „Sie dazu bringen wollen uns zuzuhören? Immerhin sind Sie der Erfinder des Zeitreisens. Sie sind sozusagen der Grund dafür, dass wir alle hier sind."

„Also handelt es sich in Wahrheit um einen Fall von Heldenverehrung?", spottete Gwyn, „Ich denke nicht."

Der Junge schüttelte nur den Kopf. „Vermutlich deswegen, weil das nicht das ist, was ich gemeint habe", meinte er dann, „Ich meinte vielmehr, dass alle Zeitverbrechen der Legends nur möglich waren, weil Sie eine Zeitmaschine erfunden haben, und damit den Grundstein für das Zeitbüro und später auch die Time Masters gelegt haben. Ohne Sie gäbe es keine Waverider. Und keine Legends of Tomorrow."

Mit dieser Antwort hatte Gwyn nun wirklich nicht gerechnet. Einen Moment lang war er sprachlos.

„Was denken Sie denn, warum Eddison Sie davor gewarnt hat eine Zeitmaschine zu bauen?", wollte der Junge von ihm wissen, „Genau aus diesem Grund! Weil jemand Ihre Erfindung missbrauchen könnte! Wie es die Legends getan haben. Und, lassen Sie uns ehrlich sein, wie Sie es ebenfalls getan haben. Im Grunde ist es nicht überraschend, immerhin haben Sie Ihre Zeitmaschine von Anfang an mit dem ausgemachten Ziel Sie zu missbrauchen erfunden."

Gwyn starrte den Jungen verärgert an. „Ein Leben zu retten ist also Missbrauch von Zeitreise-Technologie?", hakte er nach, „Oder geht es nur darum welches Leben gerettet wurde?"

Der Junge seufzte tief. „Die Zeitlinie zu verändern, egal auf welche Weise, ist ein Missbrauch von Zeitreise-Technologie", korrigierte er Gwyn, „Und das wissen Sie auch. Das haben Sie von Anfang an gewusst. Alun Thomas war immer dazu bestimmt an diesem Tag in dieser Schlacht zu sterben - das war sein Schicksal. Was denken Sie, warum es Ihnen nie gelungen ist ihn zu retten und glücklich mit ihm zu werden? Sie haben immer gewusst, dass es falsch ist ihn zu retten. Aber Sie wollten sich einfach nicht damit abfinden. Sie haben Ihre Zeitmaschine nur zu dem Zweck erfunden um ein Zeitverbrechen zu begehen. Und Ihre neuen Freunde, die Legends? Die wurden ebenfalls nur gegründet um ein Zeitverbrechen zu begehen."

Gwyns runzelte die Stirn, als er diese Behauptung hörte.

„Oh, haben Sie das nicht gewusst? Rip Hunter hat die Legends of Tomorrow vor all diesen Jahren gegründet, um seine Frau und seinen Sohn zu retten. Obwohl er wusste, dass das falsch ist, obwohl sich die Time Master dagegen ausgesprochen haben, und obwohl es ihm alleine nicht gelungen ist, egal was er versucht hat, hat er nicht davon abgelassen sie unbedingt retten zu wollen, und hat ein Eliteteam bestehend aus historischen Personen zusammengestellt, die ihm dabei helfen würden ein Zeitverbrechen zu begehen", erklärte ihm der Junge, „Nur, dass es nicht geklappt hat. Miranda und Jonas waren dazu bestimmt zu sterben, am Ende musste das sogar Rip Hunter einsehen. So wie Sie eines Tages einsehen werden, dass Alun Thomas dazu bestimmt war zu sterben."

„Vielleicht war es ihm bestimmt, aber ich werde mich damit nie abfinden", erwiderte Gwyn jetzt, „Niemals."

„Weil Sie ihn geliebt haben. Das ist doch der Grund, den Sie immer allen nennen, oder? Lassen wir die Frage, ob er es verdient hatte zu sterben oder nicht außen vor, denn die hat nichts mit dem echten Leben zu tun, oh nein. Sie wollten ihn retten, weil Sie ihn lieben. Das ist die romantische Geschichte, die Sie den Legends aufgetischt haben, die Sie sich selbst immer wieder erzählt haben", meinte der Junge, „Sie klingt schön. Nur leider ist sie eine Lüge."

„Bitte?" Gwyn rückte empört seine Brille zurecht.

„Der Grund, warum Sie Alun Thomas unbedingt retten mussten, ist so einfach wie deprimierend, Dr. Davies. Es liegt nicht daran, dass er gestorben ist, es liegt daran, dass Sie überlebt haben", behauptete der Junge, „Sie haben überlebt, aber Alun nicht. Und nicht nur er nicht, so viele andere ebenfalls nicht. Ihr Regiment, fast alle sind gestorben, aber Sie nicht. So viele Männer sind im Großen Krieg ums Leben gekommen, doch Sie nicht. So viele kluge Köpfe mit einer großen Zukunft sind gestorben, aber Sie haben überlebt. Und das hat Sie verfolgt, es hat sie Nacht für Nacht wach gehalten, hat Sie in jeder wachen Minute beschäftigt: Die Frage warum von all diesen Männern ausgerechnet Sie überleben durften."

Gwyn starrte ihn an und konnte nichts darauf erwidern.

„Sie, der nichts mehr mit dem Leben anfangen konnten nach dem Ende des Krieges. Sie, der nie wieder keine Angst bei Explosionen haben konnte nach dem Ende des Großen Krieges. Sie, der nur deswegen eine Zeitmaschine erfunden hat, weil Sie sich nicht damit abfinden konnten, dass Sie nicht gestorben sind", fuhr der junge Mann fort, „Sie haben überlebt, und das wollten Sie nicht akzeptieren. Es ging Ihnen nie darum Alun zu retten, Sie wussten immer, dass es nicht klappen konnte. Sie wollten nur zurück zu diesem Tag, zu dieser Schlacht, um das nachzuholen, was Sie damals vor all den Jahren nicht geschafft haben: Sie wollten dort sterben. Sie wollten, dass es endlich vorbei ist."

„Und die Wahrheit ist: Sie hätten ihr Ziel erreicht. Sie wären in dieser Schlacht bei dem Versuch Alun das Leben zu retten gestorben, wenn sich die Legends nicht eingemischt hätten. Warum? Weil das Ihr Schicksal war. Der kleine walisische Sodomist, den Gott nie wollte, und der nach dem Krieg zu nichts mehr zu gebrauchen war, und auch schon davor zu kaum etwas, dem war es bestimmt im Krieg zu sterben. Und wie jedes andere Schicksal auch, hat auch dieses einen Weg gefunden sich zu erfüllen."

„Sie mussten eine Zeitmaschine erschaffen um es zu erfüllen, aber Sie haben es erfüllt. Wie es immer hätte sein sollen. Wenn die Legends sich nicht eingemischt hätten, zumindest. Sehen Sie, Sie denken Aluns Leben zu retten war das Zeitverbrechen worum es hier geht, aber das Zeitverbrechen worum es hier geht ist, dass Sie beide in jener Schlacht hätten sterben sollen. Sie sollten beide tot sein. Einfach deswegen, weil es keiner von Ihnen beiden dazu bestimmt war zu überleben, nicht diese Schlacht, nicht diesen Krieg."

„Weil Krieg diejenigen von der Welt säubert, die diese schlechter anstatt besser machen. Und Sie beide Sie haben diese Welt durch Ihre bloße Existenz schlechter gemacht, einfach deswegen weil Sie Abnormitäten sind. Und Abnormitäten werden von Gott ausgelöscht. Am Ende werden sie immer ausgelöscht. Das wissen Sie. Und als gläubiger Mann waren Sie nur allzu bereit dabei nachzuhelfen. Selbstmord mag eine Sünde sein, aber wenn sich ein Sünder selbst auslöscht, nun, was macht das dann schon noch aus? Die Legends haben den natürlichen Lauf der Dinge unterbrochen. Aber keine Sorge, Dr. Davies, wir werden dafür sorgen, dass er wieder hergestellt wird. Wir werden dafür sorgen, dass Ihre Geschichte so enden wird, wie sie immer hätte enden sollen."


Alun Thomas


Alun konnte nicht von sich behaupten, dass er wirklich verstand, was um ihn herum passierte, doch er begriff genug. Er begriff, dass er gestorben wäre, gestorben war, und Gwyn und seine neuen Freunde eine Zeitreise in die Vergangenheit gemacht hatten um ihm das Leben zu retten. Und er begriff, dass sie deswegen alle in großen Schwierigkeiten steckten.

Allerdings wusste er nicht was er mit diesem Wissen anfangen sollte.

Zeitverbrechen war der Begriff, der benutzt wurde, und es wurde immer wieder argumentiert, dass seine Rettung eben doch kein Zeitverbrechen war, doch die Details um diese Diskussion herum entzogen sich seinem Verständnis. Im Grunde, das wusste er, ging es hier nicht wirklich um ihn, Alun Thomas, als Individuum, es ging um mehr, um Prinzipien vor allem, nahm er an. Aber trotzdem wurde ihm ständig das Gefühl vermittelt, dass es in Wahrheit eben sehr wohl um ihn ging.

Sein Leben und sein Sterben waren es, die Anstoß zur Kritik gaben. Alun konnte nicht anders als das persönlich zu nehmen, auch wenn er versuchte es nicht zu tun. Wenn diese Leute hier wollten, dass er starb, nun dann musste er das einfach persönlich nehmen, oder nicht?

Durch ihre Verhaftung war er noch nicht dazu gekommen sich mit Gwyn zu unterhalten. Gwyn, der so viel älter und abgekämpfter aussah, so viel grimmiger. Gwyn, den irgendetwas eindeutig schwer verletzt hatte, so schwer, dass er nicht mehr aufrecht stand, nicht mehr lachte und scherzte, so schwer, dass seine Augen nicht mehr glitzerten.

Alun wusste nicht, ob die Annahme, dass sein Tod das war, das zu dem allen geführt hatte, etwas war, das ihn bekümmern sollte oder andere Dinge in ihm auslösen sollte. Es tat beides. Und das war verquer genug.

Und doch hielten diese Leute hier es für verquer, dass er überlebt hatte.

Gwyn und seine Freunde würden immer wieder zu sogenannten Befragungen geholt. Offenbar handelte es sich um Verhöre. Alun war, wie es schien, von einem Krieg direkt in einen anderen hineingeraten, nur dass er die Regeln von diesem neuen Krieg nicht verstand und nicht wusste wer auf welcher Seite stand, oder worum gekämpft wurde.

Auch er wurde zu diesen Verhören geholt, doch natürlich war das sinnlos. Erstens sagte er nichts, wenn man ihn befragte, und zweitens hätte er auch gar nichts sagen können, denn immerhin wusste er nichts. Er wusste nur, dass er gerettet worden war, und was er in Bezug darauf mitbekommen hatte. Gwyns Freunde, diese sogenannten Legends, kannte er im Grunde kaum, und er kannte ja noch nicht einmal mehr Gwyn. Der Mann, den er so gut gekannt war, war nur noch eine Erinnerung, dieser Gwyn hier war anders, so viel war offensichtlich.

Und er wusste, dass diese Leute hier das alles wissen mussten. Und deswegen verstand er auch nicht, warum sie ihn immer wieder holten und zu den Verhören schleppten. Was genau versprachen sie sich davon?

Wenn sie versuchten ihn zu brechen, dann blieb ihm schleierhaft warum. Er konnte diesen Leuten nichts bieten. Wenn sie ihn als Druckmittel gegen Gwyn verwenden wollten, dann reichte seine bloße Existenz dazu aus, er besaß kein geheimes Wissen, das ihnen von Nutzen sein konnte. Und alles andere … Wer war er schon außer ein einfacher Soldat, der gerade knapp dem Tod am Schlachtfeld entronnen war, wenn man all dem, was alle immer behaupteten, glauben konnte?

Und warum setzten die ihn immer diesen ekelhaften Tee vor? Was versprachen sie sich davon? Der Geruch lag ihm ständig in der Nase, er träumte schon davon. Vielleicht war es besser davon als vom Schlachtfeld zu träumen, aber nur ein wenig.

„Sie müssen etwas ganz Besonderes sein, Mister Thomas", stellte die dunkelhaarige Frau, die ihm gegenüber saß, an diesem Tag aus dem Nichts heraus fest.

Alun zuckte beinahe ertappt zusammen, hob dann aber nur seine Schultern.

„Immerhin wurde nur Ihretwegen die Geschichte umgeschrieben. Mehr noch, nur Ihretwegen wurde eine Zeitmaschine gebaut, nur um Sie zu retten", fuhr die Frau nachdenklich fort.

Alun hatte sie noch nie gemocht, ihr walisischer Akzent, die Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen, ihre joviale Art … das alles, war ihm von Tag Eins an verdächtig vorgekommen, doch heute mochte er sie noch weniger als jemals zuvor.

Sie musterte ihn genau, als wäre er eine Art Puzzle, das es zu lösen galt. „Eine Gruppe praktisch Fremder hatten sich mitten in eine Schlacht geworfen, nur um Sie zu retten", stellte sie fest, „Gwyn Davies ist in den schrecklichsten aller Kriege zurückgekehrt – freiwillig – nur um Sie zu retten. Was genau ist an Ihnen so besonders, Mister Thomas, dass es rechtfertigt all das zu riskieren nur um Ihr Leben zu retten? Warum nicht auch die Leben Ihrer gefallenen Kameraden? Warum nur Ihres?"

Alun starrte sie nur düster an, und ließ sich zu keiner Antwort herab.

Doch sein Gegenüber nickte verständnisvoll und tat beinahe so als hätte er geantwortet. „Ich verstehe, offenbar haben Sie Gwyn Davies mehr Freude bereitet als alle weiblichen Hilfskräfte der Armee zusammen genommen", vermutete sie, „Sie müssen ja wirklich gut gewesen sein."

„So war das nicht", platzte es auf Alun heraus, „Wir haben nie…." Er verstummte wieder. Warum versuchte er sich überhaupt vor dieser Frau zu rechtfertigen? Es bestand keine Veranlassung dazu!

„Aber Sie hätten gerne", behauptete die Frau, „Und das wusste er. Sodomisten halten immer zusammen, wie es scheint."

Alun knirschte mit den Zähnen und zwang sich zu schweigen.

„Wenn all diese anderen Soldaten gewusst hätten, dass sie nur hätten andeuten müssen, dass sie ebenfalls bereit wären es wie eine Dirne von Hinten zu nehmen, dann wären die jetzt wohl ebenfalls noch am Leben", spottete die Frau.

„Halten Sie den Mund!", fuhr Alun sie an.

„Aber so ist es doch. Das ist der einzige Grund, warum Sie noch am Leben sind, Mister Thomas", belehrte ihn die Frau, „Weil Sie ein verdammter homosexueller Triebtäter sind…"

Alun sprang auf und war bereit dazu sich auf die Frau zu stürzen, doch diese lächelte ihn nur bösartig an. „Genau das meine ich doch: Keine Selbstbeherrschung", kommentierte sie, „Wenn er wüsste wie schwach und wertlos Sie wirklich sind, glauben Sie, dass er Sie dann immer noch retten wollen würde? Oder würde es nach wie vor ausreichen, dass Sie dazu bereit sind ihm den Schwanz zu halten?"

Alun atmete tief durch und versuchte sich zusammenzureißen. Er durfte sich nicht gehen lassen. Normalerweise verlor er doch nicht so schnell die Beherrschung. Was war nur los mit ihm?

„Sprechen Sie nicht so über Gwyn!", forderte er dann, „Sagen Sie was Sie wollen über mich, aber sprechen Sie nicht so über Gwyn! Er ist nicht so wie Sie denken."

„Aber woher wollen Sie das denn so genau wissen, Mister Thomas?", laute die Erwiderung darauf, „Was wenn Sie ihn gar nicht so gut kennen, wie Sie denken? Ich meine, antworten Sie ehrlich: Warum hat er sich dazu entschlossen ausgerechnet Sie zu retten?"

Alun schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht", gab er dann leise zu.

Er wusste es wirklich nicht.

Aber es war nun einmal geschehen. Und das bedeutete, dass Alun es Gwyn und seinen Freunden schuldete es wert zu sein. Und deswegen würde er sich jetzt zusammenreißen, nichts mehr sagen, und dem Feind keine weitere Schwäche mehr zeigen. Er würde ein guter Soldat sein, in diesem neuen Krieg, von dem er nichts wusste, aber in dem er trotz allem verwickelt worden war. Er würde ein guter Soldat sein, der Beste. Er würde schweigen und sich zusammenreißen. Er würde Gwyns Vertrauen in ihn nicht enttäuschen.

Weil das das Mindeste war, das er Gwyn und seinen Freunden schuldete. Weil er ihnen sein Leben schuldete, und alles tun würde, was notwendig war um diese Schuld zurückzuzahlen.

Das würden auch ihre Feinde bald bemerken. Und dann würde diese Frau nicht mehr so süffisant grinsen. Dann würde sie nie wieder grinsen, das schwor er sich.


A/N: Das nächste Mal kehren wir zu Sara zurück.

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