Auf den ersten Apfel

Disclaimer: Ich habe keine Rechte an J.R.R. Tolkiens Werken oder seinen Charakteren. Ich schreibe diese Geschichte lediglich aus Spaß an der Freude und dementsprechend verdiene ich auch kein Geld damit. Alle Charaktere und Orte die ihr nicht in einem von Tolkiens Werken finden könnt sind ganz allein meiner Phantasie entsprungen, es sei denn ich habe es in einem gesonderten Disclaimer noch einmal extra angegeben.

Die Idee mit den Äpfeln ist aus dem Film „auf Immer und Ewig"

Kapitel l:

„Sieht nach einem wundervollen Tag aus."

Mit einem herzhaften Lachen im Gesicht streckte Ravena ihre immer noch müden Glieder der Sonne entgegen. Tatsächlich zeigte sich Gadara heute von seiner besten Seite. Die Sonne schien, ohne auch nur von einer einzigen Wolke getrübt zu werden, auf die Stadt hernieder und hüllte sie in ein gleißendes Licht. Schon jetzt, am frühen Morgen, war es angenehm warm und gegen Mittag, da war sich Ravena sicher, würde es noch richtig heiß werden.

„Endlich. Nach dem vielen Regen in den letzten Wochen hat sich die Erde wahrlich ein wenig Sonnenschein verdient. Schneller als uns lieb sein kann wird der Herbst die Menschen mit seinen Niederschlägen wieder in die Häuser treiben."

Mit solchen oder so ähnlichen Gedanken wanderte Ravena frohen Herzens hinter das Wirtshaus „zum bellenden Hund", in dem sie nun schon seit gut einem Jahr angestellt war. Dort erstreckte sich eine große Pflanzung üppiger Apfelbäume, die ebenfalls der Schenke  angehörte. Wohlgemut erfreute sie sich an dem Anblick, der sich ihr bot. Noch badeten die Bäume im glitzernden Nebel der frühen Morgenstunden – fast konnte man meinen die Szenerie wäre einer Geisterwelt entliehen. Lachend wies sich das Mädchen selbst zurecht – wieder einmal hatte sie erfolgreich bewiesen, dass sie zuviel Fantasie besaß. Also riss sie sich, alte Weisen singend, von dem Traumbild los und begann die bereits reifen Äpfel in ihrer Schürze zusammenzutragen. Später wollte sie mit dem frischen Obst den Gästen eine Freude machen.

Verträumt biss sie in einen besonders schönen Apfel und dachte dabei an den vor ihr liegenden Tag. Es würde ein arbeitsamer Tag werden. Die gesamte Hafenstadt stand im Zeichen der vor ihr liegenden Festlichkeiten zu Ehren des Königspaares, das sich für einen kurzen Besuch angekündigt hatte. Man schien sich persönlich von dem guten Zustand der Stadt und dem florierenden Handel überzeugen zuwollen.

Drei Jahre nach der Zerstörung des Rings und der damit einhergehenden Thronbesteigung König Elessars gedieh die Stadt von Tag zu Tag mehr. Aufgrund seiner weisen Regentschaft und seines entschlossenen Handelns wagten es nur noch die verwegensten und tollkühnsten Piraten den Schiffsverkehr zu stören. Eine Tatsache, die dem Handel und damit auch der Stadt sehr zu Gute kam – begründete sich ein Großteil des beträchtlichen Reichtums Gadaras doch auf eben diesem. Gemeinsam mit den Piraten schienen glücklicherweise auch die Orks verschwunden zu sein, die noch einige Jahre zuvor, nicht zuletzt während den Ringkriegen, eine ständige Bedrohung vom Festland dargestellt hatten. Ravena seufzte auf. Weiß Gott, sie hatte in ihrem noch jungen Leben schon allzu viele dieser schrecklichen Kreaturen gesehen.

Doch heute würde sie sich von diesen schmerzlichen Erinnerungen nicht ihre frohgemute Stimmung verderben lassen – schließlich sollte mit dem nächsten Morgen das sieben Tage lang währende Fest beginnen. Obwohl sich das kleine Gasthaus etwas außerhalb der Stadt befand, waren sie schon seit Wochen bis auf das letzte Bett belegt. Mittlerweile mussten selbst die Tiere des Hofes ihren Stall mit den anspruchsloseren Menschen unter den Gästen teilen. In Gadara selbst war es ein Ding der Unmöglichkeit, ohne Beziehungen eine Gelegenheit zum Übernachten zu finden. Nun wartete man nur noch auf den König.

„Meine Güte, der König, hier in Gadara!" Ravena konnte es noch immer nicht fassen.

Ob es ihr wohl vergönnt sein würde, einen Blick auf ihn oder gar die Königin zu erhaschen? Man sagte, ihre Schönheit sei selbst von den strahlendsten Schätzen Mittelerdes unübertroffen. Vielleicht – mit einem Quäntchen Glück und einem Funken Hoffnung – würde es ihr sogar gelingen. Schließlich hatte sie, wie der Zufall es so wollte, noch am selben Tage auf dem Markt zu tun – und wurde das königliche Paar denn nicht noch heute erwartet?

Mancherorts munkelte man sogar, dass sich die Gemeinschaft des Rings ebenfalls zu den Festlichkeiten einfinden würde. Sicher, all dies war nur Gerede, verbreitet von tratschenden Weibern – aber bargen nicht alle Gerüchte einen wahren Kern in sich? Das Mädchen lächelte vergnügt vor sich hin. Wenn es wirklich stimmen sollte, dann würde es ein wahrhaft einmaliges Fest werden, dessen war sie sich sicher.

„...Vielleicht...", dachte sie, „... ja es würde wirklich ein wundervoller Tag werden."

Ravena wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sie das Hufgetrappel mehrerer Pferde vernahm. Überrascht schreckte sie von ihrer Arbeit auf. Im Nebel konnte sie tatsächlich die schemenhaften Umrisse zweier Reiter ausmachen, die nicht unweit von ihr in rasendem Galopp durch die Plantage preschten. Entsetzt bemerkte das Mädchen, dass sie dabei nicht wenige Äste mitnahmen. Als die Nebelschwaden sie schließlich freigaben, gelang es Ravena einen kurzen Blick auf den vordersten Reiter zu werfen. Er machte, soweit sie das in dem flüchtigen Moment denn überhaupt erkennen konnte, einen recht schäbigen Eindruck. Seine braune Lederkleidung hatte ganz bestimmt schon bessere Tage gesehen und sein Haar hing ihm wild bis zu den Schultern hinab. Der andere Reiter offenbarte ihr lediglich seine blonden Haare, bevor sie handelte.

In der Hoffnung, sich im allgemeinen Treiben unbemerkt ihren gesetzeswidrigen Geschäften  widmen zu können, waren mit dem großen Fest leider auch die Diebe und Betrüger in die Stadt gekommen. Dies war nun schon der zweite Versuch, unbemerkt die Bäume um ihre Früchte zu erleichtern – einzig und allein um sie anschließend meistbietend auf dem Markt zu versetzen. Erst letzte Woche war es dem Wirt und seinem Sohn Siägä gelungen, ein Diebespaar zu stellen, das sich gerade mit zwei prall gefüllten Säcken aus dem Staub machen wollte – und nun diese beiden.

Ihr plötzliches, nicht gerade leises Auftauchen musste sie aufgeschreckt haben. Schnell wog sie ihre Möglichkeiten ab. Sie hätte zum Haus zurücklaufen und Alarm schlagen können, doch bis dahin wären diese beiden Schurken schon längst über alle Berge gewesen. Also blieb ihr nur eins übrig.

Schnell griff sie sich zwei Äpfel aus ihrer Schürze und zielte just in dem Moment, in dem die beiden Pferde mit ihr auf einer Höhe waren, auf deren Reiter. Selbst wenn ihr dabei die bereits aufgesammelten Äpfel wieder aus der Schürze rollten, trafen die beiden Wurfgeschosse doch mit voller Wucht ihr Ziel – schließlich hatte Ravena nicht umsonst Jahre harter Arbeit hinter sich. Arbeit, die ihr mit der Zeit einiges an Muskelkraft verliehen hatte. Diese beiden würden sich nicht ungestraft am Eigentum anderer gütlich tun.

Ravena wusste das Überraschungsmoment für sich zu nutzen, indem sie ohne Unterlass weitere Äpfel vom Boden ergriff und damit immer wieder auf die Reiter zielte. Es dauerte nicht lange, bis sie von ihren scheuenden Pferden abgeworfen wurden. Während dem Sturz hatten sich die beiden Gestalten so unglücklich in ihren langen Umhängen verheddert, dass sie keine Chance mehr hatten, sich gegen das emsig fortgeführte Bombardement zur Wehr zur setzen. Laut schrie das Mädchen ihre Wut über die Diebe heraus.

„Ihr werdet es nicht noch einmal wagen, durch euer ungeschicktes Reiten die Ernte zu zerstören!"

Doch plötzlich hielt sie inne. Sollte sie da gerade etwa richtig gesehen haben? Dem ersten Reiter, dem Braunhaarigen, war es mittlerweile gelungen, sich etwas aus seinem Umhang heraus zu schälen, sodass das Mädchen einen kurzen Blick auf ein Wappen erhaschen konnte. Ein Wappen, das ihr nur allzu gut bekannt war – es gehörte dem König selbst!

Aber das konnte doch nicht wahr sein! Oder doch?

Was hatte der König denn hier auf der Pflanzung zu suchen? Und was noch viel wichtiger war, warum war er denn überhaupt schon in der Stadt? Er sollte doch erst am Nachmittag eintreffen! Gleichermaßen verwirrt und geschockt über die Tatsache, dass sie gerade ihren König aufs schändlichste erniedrigt und sogar angegriffen hatte, fiel sie vor ihm auf die Knie, mit gesenktem Kopfe um Vergebung bittend.

„Eure... Eure Majestät. Bitte... bitte verzeiht mir, ich... ich hatte ja keine Ahnung! Ich sah nur die Pferde, die... die Äpfel zertrampelt hätten..." In diesem Moment hätte sie sich selbst die Zunge abbeißen können, jetzt beschuldigte sie den König auch noch vorsätzlich die Ernte zerstört zu haben – nicht genug, dass sie ihn gar für einen Dieb gehalten hatte. Wenigstens hatte sie DAS nicht laut gesagt.

„Ich... ich meine, ich wusste doch nicht...", setzte sie erneut an, einen weiteren Versuch unternehmend lebend aus dieser Situation herauszukommen. Sie hatte es gewagt, den König zu attackieren. Selbst wenn sie es unwissentlich getan hatte war es doch Grund genug sie in den Kerker werfen zulassen – falls sie denn Glück hatte.

Doch ihr Gestammel wurde plötzlich von einem herzhaften, tiefen Lachen unterbrochen. Ravena hörte, wie sich ein drittes Pferd näherte. Obwohl ihre Verwirrung stetig zunahm, wagte sie es immer noch nicht, ihre Augen zu heben. Wer dieser Neuankömmling wohl war? Ohne Frage schien er die sich ihm bietende Szene in vollen Zügen zu genießen.

„Ho Aragorn, das lasse ich mir gern gefallen", vernahm Ravena eine sehr vergnügt klingende Stimme, „noch nie war es mir vergönnt gewesen, den Elb vom Pferd fallen zu sehen. Dann auch noch ausgerechnet wegen eines Mädchens. Du solltest sie auf jeden Fall reich belohnen."  Der Redefluss wurde nur mehr durch einen erneuten Lachanfall unterbrochen.

Ravena war sich indessen nicht ganz klar darüber, was sie von dieser Situation halten sollte. Hatte sie da eben etwa richtig gehört? Ein Elb? Aber das konnte doch nicht... oder doch? Noch bevor sie sich recht versah, hatte ihre Neugier schließlich den Sieg errungen. Schnell wagte sie einen kurzen Blick nach oben. Dabei konnte sie einen verwirrten König, einen sehr vergnügt aussehenden Zwerg auf einem Pony und das schönste Wesen ausmachen, das sie jemals in ihrem Leben zu Gesicht bekommen hatte. Es war von solch strahlender Schönheit, dass es sich dabei nur um einen Elb handeln konnte. Außerdem verrieten ihn die Spitzen seiner Ohren. Fasziniert stellte sie fest, dass sie die Form eines Blattes besaßen. Als er ihren gebannten Blick bemerkte, schenkte er ihr ein Lächeln. Ein Lächeln so strahlend,  dass es ihn noch schöner werden ließ. Er schien sie Neugierig zu beäugen, doch weshalb? Erschrocken senkte sie wieder ihren Blick, sich für ihre fehlende Unterwürfigkeit scheltend. Sie hatte gestarrt – und das konnte ihr in dieser Situation nur abträglich sein. Doch es war nicht nur seine Schönheit, die sie fesselte, sondern auch diese unglaublich blauen Augen. Es waren Augen tiefer als der Ozean, weiter als der Himmel. Augen, die alles und jeden durchschauten. Während dem kurzen Moment ihres Blickkontaktes war es Ravena, als könne er bis tief in ihr Innerstes schauen.

Indessen schien der Elb mit den Attacken des Zwerges nur allzu vertraut zu sein.

„Nun, dann halte das Bild fest bis Parn dich das nächste mal in die Brennnesseln wirft. Oder hast du die Brandblasen schon vergessen, Gimli Gloinssohn?" Ravena war sich sicher, noch nie etwas lieblicheres gehört zu haben als diese Stimme. Sie war so rein und klar. Konnte ein Mann überhaupt so sprechen?

Den Seitenhieb des Elben ignorierend brach der Angesprochene lediglich in erneutes Lachen aus.

In der Zwischenzeit schien sich auch Aragorn wieder gesammelt zu haben. Sie hörte, wie er auf sein Pferd stieg. Erneut ergriff Ravena die Unsicherheit. Wie würde ihre Strafe ausfallen?

Dann endlich vernahm sie des Königs Stimme: „Schau mich an."

Zögernd hob Ravena den Blick um zu ihrem König aufzusehen. In der knienden Position verbleibend, erwartete sie ihre Strafe. Plötzlich wusste sie nicht mehr, wie sie überhaupt auf den Gedanken kam, diesen Mann für einen Dieb zu halten, so erhaben wie er auf seinem Ross aussah.

„Wie ist dein Name?" Die Stimme klang alles andere als hart, aber dennoch wagte Ravena es noch immer nicht, auf eine Begnadigung zu hoffen.

„Ravena Dunkirk, Eure Majestät" Ein leichtes Zittern hatte sich in ihre Stimme eingeschlichen.

„Nun Ravena, du hast wahrlich eine enorme Kraft für eine junge Frau deines Alters." Verblüfft schaute sie ihren König an. Auch wenn er nichts von seiner Erhabenheit abgelegt hatte, wurde sein Gesicht nun von einem schelmisches Grinsen geziert. Er hatte doch gerade nicht etwa gescherzt?

„Und, du hast großen Mut bewiesen."

Was? Mit dieser Wendung der Dinge hatte Ravena nun aber am allerwenigsten gerechnet, doch aus dem Gesicht des Königs sprach purer Ernst.

„Wie bitte, Eure Majestät?" Mittlerweile hatte sie ihre Stimme wiedergefunden.

„Nicht jeder in deiner Situation hätte solch einen Mut bei der Verteidigung seines Grund und Bodens gezeigt. Wenn alle Frauen dieser Stadt so sein sollten, dürfte das ein interessanter Aufenthalt werden." Damit nickte er ihr ein letztes mal zu und galoppierte in Richtung Stadt. Nach einem kurzen Wort des Abschiedes taten es der Elb und der immer noch lachende Zwerg ihm schließlich gleich. Geschwind folgten sie dem König auf dem Fuß.

Erst als sie außer Sicht waren, wagte es Ravena, aufzustehen. Vor lauter Verblüffung vergaß sie sogar, ihren Mund zu schließen. Noch immer wollte sie ihr Glück nicht fassen. Sie war gerade wirklich und wahrhaftig ohne Strafe davon gekommen. Und als wäre das nicht schon genug der Gnade hatte der König ihr sogar ein Kompliment gemacht; aber vielleicht hatte sie all das auch nur geträumt? Schließlich war es Siägä der sie fand, immer noch auf die Stelle starrend, an der die Gefährten verschwunden waren.

„Ravena, alles in Ordnung? Mir war, als hätte ich Pferde gehört und, mit Verlaub, du siehst aus, als wäre dir gerade ein Gespenst über den Weg gelaufen."

„Nein", antwortete sie noch immer etwas abwesend, „nein alles in Ordnung."

Nun zumindest war jetzt die Frage geklärt, ob sich die Gefährten wirklich in der Stadt befanden. Wenn dieser Zwerg Gimli war, dann konnte der Elb, den sie vom Pferd gestoßen hatte, niemand anderes sein als Legolas Grünblatt, der Prinz des Düsterwaldes.