Disclaimer: siehe Kapitel 1 Kapitel 4

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„Du bist dir schon darüber im klaren, dass wir uns auf dem Weg zu dieser Apfelplantage befinden, auf der du so schändlich von einem schwachen Menschenkind besiegt worden bist, mein Freund?" 

„Ach ja? Ist mir gar nicht aufgefallen." Doch das breite Grinsen, das sich auf dem Gesicht des Elben ausbreitete strafte ihn Lügen. Natürlich wusste Legolas auf welchem Weg sie sich befanden und, noch wichtiger, wo er hin führte – zu einer sehr bemerkenswerten Frau. Obwohl er ihr erst zwei mal begegnet war, hatte es gereicht, um seine Neugier zu wecken. Er kannte nicht viele Menschen, die sich so selbstlos für ein Tier einsetzten würden, das ihnen nicht mehr wirklich nutzen konnte. Außerdem besaß sie eine geradezu erfrischende Unverblühmtheit was seine Person anbelangte – so ganz anders als die Elben oder Hofdamen, mit denen er sonst gezwungen war zu verkehren.

Er musste über sich selbst lachen. Schon vor langer Zeit hatte er mit solchen Gefühlen abgeschlossen – dachte er jedenfalls. Nicht einmal mehr die schönste Elbe hatte ihm mehr als ein müdes Lächeln abgewinnen können. Und was tat er jetzt? Er lief einer dürren Menschenfrau hinterher, deren Lockenkopf eher an einen Waschbär als an tatsächliche Haare erinnerte und deren Nase von vielen kleinen Sommersprossen geziert wurde. Er dachte an die reine, elfenbeinfarbene Haut der Elbenfrauen und fragte sich nicht zum ersten und auch bestimmt nicht zum letzten mal, was Ravena jeder Elbe, die er kannte, voraus haben mochte.

„Übrigens dürfte sogar dir aufgefallen sein, dass es sich nicht um ein Kind, sondern um eine junge Frau gehandelt hatte."

„Hört, hört das möchte ich jetzt aber genauer wissen. Ist es am Ende vielleicht sogar möglich, dass der Herr Elb sich verliebt hat?"

Als Antwort auf Gimlis neckische, aber dennoch ernst gemeinte Frage antwortete Legolas mit einem fröhlichen Lied aus seiner Heimat Düsterwald. Sollte er sich tatsächlich in Ravena verliebt haben? Nun, er war gerade dabei es herauszufinden. Der Elb war bereits im Morgengrauen aufgestanden um noch vor der großen Eröffnungsfeier am Nachmittag die hiesigen Wälder etwas durchstreifen zu können. Natürlich bestünde im Rahmen eines solchen Ausfluges durchaus die Möglichkeit einen, selbstverständlich rein zufälligen Blick auf diesen roten Lockenkopf zu erhaschen, der, wie es der Zufall nun einmal wollte, sehr nah am Waldrand wohnte.

Doch er hatte seine Rechnung ohne Gimli gemacht. Der hatte ihn bereits beim Frühstück abgepasst und ihm seine Begleitung ‚angeboten'. Nachdem der Zwerg Ravena und ihn gestern zusammen gesehen hatte, musste er ganz eindeutig Lunte gerochen haben. Er schien fest entschlossen zu sein, den Elb auf Schritt und Tritt zu verfolgen.

Sie waren nur noch einen Steinwurf von der Plantage entfernt, als Legolas plötzlich in seinem Lied inne hielt. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er in einem eleganten Zuge seinen Bogen gespannt. Seine feinen Ohren hatten ein Rascheln vernommen, dessen Verursacher nur ein sehr großes Tier sein konnte. Orks? Nein, es kam aus einem Baum und diese Biester konnten ja bewiesenermaßen nicht klettern.

Gimli, von Legolas' abrupten Verstummen alarmiert, zog seine Axt und bereitete sich bereits mental auf einen Angriff vor. Da, jetzt konnte er es auch hören. Kein ihm bekannter Vogel machte solch einen Lärm. Wer oder was also konnte es sein? Der Baum, aus dem das Geräusch stammte, war zu dicht bewachsen, als dass selbst Legolas' scharfe Augen etwas hätten erkennen können.

Da war es wieder. Plötzlich war es dem Elb möglich durch ein Loch im Blätterdach den Verursacher des Geräusches zu erkennen. Als Gimli, das Rascheln ebenfalls vernehmend, in einem schnellen Zuge seine Axt nach der Stelle warf, ertönte aus Legolas' Munde ein entsetzter Schrei: „Gimli, neiiiiiiiiiin!"

Doch es war bereits zu spät. Die Axt hatte schon den dünnen Ast von seinem Stamm getrennt, woraufhin mit einem überraschten Schrei etwas ‚Rotes' vor die Füße der entsetzten Gefährten fiel.

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Ravena lag in ihrem Bett und konnte keinen Schlaf finden. Immer noch verfolgten sie die Bilder des kleinen Tarek, wie er da so hilflos in seinem Bett gelegen hatte – verdammt dazu, auf den Tod zu warten, von dem niemand genau wusste, wann er eintreten würde. Wenn sie doch nur genug Geld zusammen bekommen könnte, um ihn von einem richtigen Arzt untersuchen zu lassen – und nicht von solch einem billigen Scharlatan, von denen hier in Gadara schon viel zu viele ihr Unwesen trieben. Auf solch einen Bader war auch Frau Memel hereingefallen – gebracht hatte es freilich nicht viel. Aber aus der Hoffnung und Verzweiflung der Menschen ließ sich schnell Kapital schlagen. 

Seufzend stand sie auf und ging ans Fenster. Heute würde sie keinen Schlaf mehr finden können, konnte man doch bereits die ersten Vorboten des kommenden Morgens wahrnehmen. Vielleicht würde sie draußen einen klareren Gedanken fassen können. Also beschloss sie sich von ihrem Lieblingsbaum aus den Sonnenaufgang anzuschauen. Sie überlegte. Es war eine warme Nacht und sie lebte nahe am Waldrand. Niemand würde sie sehen. Also ließ sie ihr knielanges Nachthemd an, das an den Schultern nur von zwei dünnen Trägern gehalten wurde. Sie warf sich lediglich ein dünne Decke um die Schulten, als sie sich leise aus dem Haus schlich. Ihr Haar, das weit über ihre Taille reichte, ließ sie offen.

Als sie an den Stallungen vorbeikam und Luke leise vor sich hin schnauben hörte, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Nachdem sie am Nachmittag mit ihm vom Markt zurück gekommen war, hatte sie kurzerhand beschlossen, dem Wirt die Wahrheit zu erzählen – jedenfalls so weit, als dass es sie nicht in Schwierigkeiten gebracht hätte. Letzten Endes glaubte der Wirt nun, sie habe Luke, was ja gewissermaßen auch stimmte, vor dem Abdecker gerettet. Die Kosten für sein Futter wurden nun von ihrem Lohn abgezogen. Nun ja, das würde sie verkraften. Die verdiente nicht schlecht und sie brauchte nicht viel.

„Ich hoffe du bist dir darüber im klaren, was ich für dich getan habe." Sagte sie mehr zu sich denn zu ihm – wohl wissend, dass er sie nicht hören konnte. Nie im Leben hätte sie ihn wieder weggeben können, nachdem er ihr forsch den ersten Apfel aus ihrem Korb gestohlen hatte.

Der Gedanke an die Äpfel ließ sie wieder an ein Paar Augen denken, das es ebenfalls geschafft hatte, sie um den kleinen Finger zu wickeln. Sie seufzte auf. Es hatte wirklich keinen Sinn, sich da in irgendetwas hineinzusteigern. Immerhin war er ein Elb und dementsprechend menschlichen Frauen ganz bestimmt weniger zugeneigt. Wer würde sich denn auch schon mit dem Spatz in der Hand zufrieden geben, wenn er ohne Schwierigkeiten auch die Taube auf dem Dach haben konnte? Ravena war sich sicher mit den elbischen Frauen nicht konkurrieren zu können. Bekam sie doch mit ihrem Vogelnest auf dem Kopf und ihren Sommersprossen im Gesicht schon Komplexe wenn sie sich mit der ein oder anderen Menschenfrau verglich.

Schnell hatte sie die Plantage überquert und den Wald erreicht, die unangenehmen Bilder vom letzten Morgen verdrängend. Als sie „ihren" Baum erreicht hatte, kletterte sie behände bis in die Krone der riesigen Eiche und erlebte schon kurz darauf einen Sonnenaufgang, der das Versprechen eines warmen Tages in sich trug. Vielleicht ein gutes Ohmen. 

Sie war gerade im Begriff, das letzte Stück des Stammes herunter zu steigen als sie inne hielt. Ihr war, als habe sie etwas gehört. Gespannt lauschte sie in den Wind hinein und tatsächlich, da war es wieder: jemand sang!

Jemand sang, und zwar mit einer Stimme, die schöner klang als alles, was Ravena jemals gehört hatte – das heißt abgesehen von der Stimme eines ganz bestimmten Elben. Er traute sich also wirklich noch mal hier her. Sie wusste nicht, ob sie das als ein gutes oder schlechtes Zeichen deuten sollte. War es wirklich möglich ihm innerhalb von vierundzwanzig Stunden drei mal zu begegnen? Dazu noch in den unmöglichsten Situationen? Nun, anscheinend war es das. An sich herunterschauend beschloss sie allerdings im schützenden Blätterdach des Baumes sein Vorbeiziehen abzuwarten. Schließlich konnte sie sich in ihrem Aufzug niemandem zeigen.

Doch just in diesem Moment forderte ein Specht ihren Platz. Mit einigen, gut platzierten Schnabelhieben, zwang er Ravena, ihn mit ihrer Hand abzuwehren. Zu ihrem Schrecken verursachte sie damit einiges an Lärm. Ganz mit dem Specht beschäftigt, bemerkte sie nur am Rande, dass das Singen ausgesetzt hatte. Sie vernahm noch ein lautes „Gimli, neiiiiiiiin!", bevor sie merkte, wie der Ast, auf dem sie eben noch gesessen hatte, unter ihr nachgab und sie in die Tiefe fiel.

Mit einem lauten Aufschrei landete sie auf dem Boden.

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Das rote Bündel begann sich stöhnend zu bewegen. Langsam, ganz langsam begann es den Oberkörper zu heben, indem es sich mit seinen Armen vom Boden hochdrückte. Dabei erblickte es zunächst Gimli und kurz darauf, als es seinen Kopf noch etwas höher gehoben hatte, auch Legolas.

„Ravena", schoss es dem Elben durch den Kopf, „Sie war es also wirklich." Er hatte sie zu spät erkannt und deswegen Gimli nicht mehr rechtzeitig warnen können – und nun lag sie hier vor ihnen auf dem Boden und starrte sie aus ihren großen blauen Augen an.

„Vielen herzlichen Dank auch. Das ist genau die richtige Methode, um den Tag zu beginnen." Sie machte sich an die schmerzvolle Aufgabe, sich hinzusetzten. Glücklicherweise war sie schon nicht mehr in der Krone gewesen, als die Axt dieses dämlichen Zwerges den Ast, auf dem sie gesessen hatte, vom Stamm getrennt hatte. So schien sie sich nichts gebrochen oder böse Prellungen davon getragen zu haben.

„Wollt ihr jetzt den ganzen Tag dort wie angewurzelt stehen bleiben oder gedenkt ihr mir auch irgendwann einmal aufzuhelfen?" Die beiden starrten sie ja geradezu so an, als wäre sie vor ihren Augen vom Himmel gefallen.

„Na ja in gewisser Hinsicht trifft das ja auch zu", musste Ravena dann doch leicht amüsiert zugeben. Aber immerhin hatte ihr leicht patzig klingender Kommentar dafür gesorgt, dass die beiden sich aus ihrer Erstarrung lösten. Mit einer grazilen Bewegung kniete sich Legolas neben sie, um sich davon zu überzeugen, dass sie keine ernsthaften Verletzungen davongetragen hatte. Da wurde sich Ravena plötzlich darüber bewusst, wie wenig sie eigentlich anhatte. Mit hochrotem Kopf starrte sie an sich herunter.

Die Decke, die vor dem Fall noch um ihre Schultern geschlungen war, hatte sie während ihrem unfreiwilligem Sturz verloren, sodass sie jetzt einige Meter neben ihr lag. Ravenas sowieso schon viel zu kurzes Nachthemd war noch etwas höher gerutscht, sodass man ohne Probleme ihre nackten Oberschenkel erkennen konnte. Dazu hatte sich einer ihrer Träger dermaßen verschoben, dass er einen tiefen Einblick auf ihr Dekolletee frei gab. So viel dazu, dass niemand sie sehen würde. Schnell versuchte sie nach ihrer Decke zu greifen, um ihre Blöße verbergen zu können. Dabei musste sie sich allerdings soweit nach vorne beugen, dass Legolas für einen kurzen Moment noch tiefere Erkenntnisse gewinnen konnte. Ravena spürte regelrecht, wie ihre Gesichtsfarbe sich wieder ihrer Haarfarbe anpasste. Das durfte doch nicht wahr sein! Weshalb musste so etwas immer ausgerechnet ihr geschehen?

Legolas, ihr Unbehagen bemerkend, griff nach der Decke und wickelte Ravena darin ein. Dabei kam er allerdings, Gentlemen hin oder her, nicht umhin, einen bewundernden Blick auf ihren Körper zu werfen. Sie war gar nicht so dürr, wie er angenommen hatte. Dennoch wollte er die Situation nicht ausnutzen – vor allem nicht mit dem Zwerg neben sich – sodass er sie zärtlich an den Händen nahm und ihr beim Aufstehen behilflich war.

„Ist alles in Ordnung?" erkundigte er sich, ihr tief in die Augen blickend. Seine Hände waren immer noch in ihren.

Ravena nickte bloß, unfähig ein Wort herauszubekommen. Weshalb musste er sie nur immer mit diesem Blick ansehen? Sie fragt sich, die feine Haut seiner Hände wahrnehmend, was er damit wohl alles anstellen konnte. Wieder wurde sie rot.

‚Nein! Nein! Nein!', schalt sie sich selbst. ‚Denk erst gar nicht daran!' Immerhin hatte er, oder besser gesagt der Zwerg, es gerade geschafft, sie halb nackt von einem Baum herunter zuholen. Sie wollte sich gar nicht erst ausmalen, was sie jetzt schon wieder für einen Eindruck hinterlassen hatte. Sie konnte ja nicht wissen, dass Elben ebenfalls die Angewohnheit besaßen in schlaflosen Nächten durch die Wälder zu streifen. 

„Es tut uns unsagbar Leid, aber wir hatten Euch zu spät erkannt, meine Dame." Waren die Ohren des Elben etwa gerade dabei, rot zu werden? Das ließ sie wieder mutiger werden.

„Soso, und wie wär's dann mit Auffangen gewesen? Mir ist zu Ohren gekommen, Elben hätten so ungeheuer schnelle Reflexe", legte sie los, „und nennt mich nicht Dame. Ihr dürftet mittlerweile gemerkt haben, dass das letzte, was ich bin, eine Dame ist." War das jetzt zu hart gewesen? Wahrscheinlich, denn dieser Kommentar, der ganz eindeutig die Fähigkeiten des Elben in Frage stellte, schien Legolas einen kleinen Stich zu versetzten. Gimli hingegen fand die ganze Chose mehr als amüsant.

‚Denn sie hat ja recht.', schalt Legolas sich selbst. Eigentlich hätte es ihm kein Problem bereiten dürfen, sie aufzufangen. Was war nur mit ihm los? Entweder begannen ihn seine elbischen Talente im Stich zu lassen oder diese Frau brachte ihn komplett aus dem Konzept. Er vermutete das letztere. 

„Was sucht Ihr überhaupt so früh am Morgen hier?", fragte Ravena. Um ihrem vorherigem Kommentar die Schärfe zu nehmen, fügte sie noch schelmisch grinsend hinzu: „Sehnsucht nach ein paar Äpfeln gehabt?" Jetzt konnte sich auch Legolas ein herzhaftes Lachen nicht mehr verkneifen. Einer Antwort aus dem Weg gehend konterte er lieber mit einer Gegenfrage: „Eigentlich könnte ich Euch genau das selbe fragen. Was habt ihr so alleine in dem Baum getan?"

Plötzlich wurde Ravena ernst. Sie ließ seine Hände los und sagte leise: „Ich habe nachgedacht." Damit rannte sie wieder Richtung Gasthaus. Doch kurz bevor sie aus dem Wald heraustrat drehte sie sich noch einmal um und rief den beiden verdutzten Gefährten etwas zu: „Dann wären wir jetzt wohl quitt."

Wieder lachend setzte sie ihren Weg fort.

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