Kapitel 6
1.Teil
"Ich habe es also doch noch nicht verlernt."
Mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht setzte Ravena ihren Bogen ab und schaute auf den Pfeil, der 100 Schritt von ihr entfernt im Zentrum der Zielscheibe steckte. Das einzige was sie während den letzten zwei Tagen getan hatte war üben, üben und nochmals üben. Zu ihrer großen Freude hatte sie festgestellt, dass sie gar nicht so aus der Übung war wie sie angenommen hatte. Schon nach einigen Schüssen hatte sie ihr natürliches Gespür für den Umgang mit ihrer Waffe wieder entdeckt. Sie war gut vorbereitet. Dennoch kam sie um ein Bauchkribbeln nicht herum wenn sie an das morgige Turnier dachte.
"Und das ist eindeutig der beste Bogen den ich je gebaut habe."
Stolz inspizierte sie ihr Werk.
Das erste was man ihr beigebracht
hatte, als man begann sie in der hohen Kunst des Bogenschießens
zu unterweisen, war die Herstellung der eigenen Waffe. Diese hier
hatte sie erst zu Beginn des Sommers fertig gestellt- so als hätte
sie schon damals gewusst wie nötig sie sie einmal haben würde.
Der Bogen mochte vielleicht hinter den elbischen Maßstäben
zurückstehen- waren sie es doch, die diese Kunst perfektioniert
hatten- aber er war etwas, dass Ravena mit ihren eigenen Händen
erschaffen hatte, und ihr somit mehr bedeutete als jeder andere
Bogen, und sei er noch so gut. Ihre Seele steckte in dieser Waffe und
sie würde ihr helfen Tarek zu retten.
Erneut brachte sie einen Pfeil in Position, zielte und schoss. Ein erfreuter Aufschrei entfuhr ihren Lippen als er schon wieder ins Schwarze traf. Sie fuhr leicht zusammen als sie hinter sich plötzlich ein anerkennendes Klatschen vernahm. Zuschauer waren nun wirklich das letzte was sie gebrauchen könnte, denn jeder der sie nur einigermaßen kannte würde sofort wissen, was sie vorhatte.
"Guter Schuss, aber du glaubst doch nicht im ernst dass du damit durchkommen wirst? Ich hatte gehofft das kleine Bad würde dich wieder zur Besinnung bringen, aber wie ich jetzt sehe scheint das nicht der Fall gewesen zu sein."
Siägä. Seit seinem Streich hatte sie ihn konsequent ignoriert und sie gedachte auch das fortzuführen- zumindest bis ihr eine geeignete Revanche einfallen würde. Immerhin war es seine Schuld, dass sie sich ein weiteres mal vor dem Prinzen bis auf die Knochen blamiert hatte. So leicht würde er ihr nicht davon kommen. Stattdessen spannte sie erneut ihren Bogen und feuerte einen weiteren Pfeil ins Schwarze. Ohne Eile marschierte sie daraufhin zu der Zielscheibe um ihre Pfeile wieder einzusammeln.
"Ach komm schon. Stell dich nicht so an. Wenn du endlich mal zur Vernunft kommen und dich nicht ständig wie ein Mann benehmen würdest, wäre das gar nicht nötig gewesen."
Langsam drehte Ravena sich zu ihm um und blickte ihn wütend an. Innerlich war sie fuchsteufelswild. Das war wieder einmal so typisch. Sie wusste sie war besser als viele der Männer in Gadara und dennoch wollte man es ihr verwehren an diesem Turnier teilzunehmen- und das nur weil einige Männer sich vielleicht in ihrer Stellung bedroht sahen.
"Bitte Ravena", startete Siägä, nun einen versöhnlicheren Ton einschlagend, "ich will dir doch nur helfen. Du weißt genau so gut wie ich, dass man dich dort nur auslachen würde. Außerdem kannst du nicht abstreiten, dass du ein Händchen hast wenn es darum geht in Schwierigkeiten zu geraten."
Ravena konnte erkennen dass Siägä sich nur Sorgen um sie machte. Sie musste sich sogar eingestehen dass sie ihre Berechtigung hatten- man dachte nur an die Szene mit den Äpfeln. Aber dennoch war sie noch nicht bereit ihm sein Verhalten zu verzeihen. Nein, vielmehr würde sie es jetzt gegen ihn verwenden. Sie lächelte ihn an.
Siägä, erfreut, dass seine Reden scheinbar doch auf fruchtbaren Boden gestoßen waren, lächelte zurück. Doch sein Lächeln gefror ihm auf den Lippen als Ravena ihren Bogen erneut spannte. Doch diesmal zielte sie nicht auf die Scheibe, sondern auf ihn.
"Zieh dich aus.", Ravenas Lächeln wurde noch breiter.
"Was?", erwiderte ein geschockter Siägä.
"Du hast schon richtig verstanden. Zieh deine Kleidung aus und gib sie mir."
"Jetzt hör aber auf Ravena. Soll das jetzt eine billige Rache für die Sache am Fluss werden? Ich hätte mehr von dir erwartet."
"Keine Angst, du bekommst schon noch was Besseres. Aber du hast Recht. Wenn ich dort morgen als Frau auftauche, wird man mich nicht ernst nehmen. Also", nun wurde ihr Lächeln noch einen Tick breiter als es ohnehin schon war, "wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben als dort als Mann aufzutauchen- und jetzt zieh dich endlich aus."
"Was? Aber das kann doch nicht dein Ernst sein", Siägä war ernstlich geschockt, "Ravena, ich bitte dich, komm zur Vernunft. Wenn man dich erwischt- und glaub mir, bei deinem Talent in Schwierigkeiten zu geraten geschieht das ganz bestimmt- landest du in einem Kerker, wenn man dir nicht gar schlimmeres antun wird."
"Nun, dann wird das eben geschehen.", Irgendwie fand sie Siägäs Sorgen süß. Allerdings wahr sie sich dem Wahrheitsgehalt den sie beinhalteten durchaus bewusst- nicht zuletzt deswegen begann sie allein beim Gedanken an das Turnier nervös zu werden. "Doch was getan werden muss, muss nun mal getan werden." Sie machte sich selbst Mut.
"Und nun tu endlich was ich dir sage." Ravena begann langsam ungeduldig zu werden.
"Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich bei deinem Selbstmord noch unterstützen werde?"
"Nun dann wird es mir ein großes Vergnügen bereiten dir diesen Pfeil in den Hintern zu jagen."
"Das würdest du nicht wagen."
"Ach ja?", wie um ihre Drohung zu unterstreichen spannte
sie ihren Bogen noch etwas weiter.
"Bist du dir da ganz
sicher?" Innerlich musste sie laut auflachen. Natürlich
würde sie ihm nichts tun. Eine Tatsache, derer Siägä
sich eigentlich im Klaren sein müsste. Doch unter gewissen
Umständen war sie eine gute Schauspielerin- und momentan schien
sie sehr bedrohlich zu wirken, denn Siägä begann doch
tatsächlich damit sich
auszuziehen.
Endlich war der Tag des Turniers gekommen. Noch immer schien es die Sonne nicht Leid zu sein, den Bewohnern der Stadt das Fest durch einen wolkenlosen Himmel zu versüßen.
Es war noch früh am Morgen, doch schon jetzt war Gadara, aber vor allem dessen Turnierplatz, vollkommen überfüllt. Wo man auch hinsah, überall wimmelte es nur so vor Menschen. Jeder wartete gespannt auf den Beginn des Turniers. An jeder Straßenecke fachsimpelte man darüber, wer wohl die größten Chancen auf einem Sieg hätte.
Indessen bewegte Ravena sich mit klopfendem Herzen auf den Stand zu, an dem man sich für das Turnier anmelden konnte. Würde sie mit ihrer Verkleidung durchkommen? Sie schaute ein letztes mal an sich herunter. Sie trug Siägäs kurze Latzhose und dessen Hemd. Beides war ihr viel zu weit, sodass ihre weibliche Figur geschickt verschleiert wurde. Dennoch hatte sie vor dem Ankleiden mit einem Verband ihren Oberkörper einbandagiert um ihre Brüste so weit wie möglich zu verbergen. Sicher war sicher. Ihre langen Haare hatte sie geschickt unter einem Strohhut versteckt, den sie sich von ihrem Chef "ausgeliehen" hatte und um ihre weiche Haut zu verbergen, hatte sie sich eine gehörige Portion Dreck ins Gesicht geschmiert. Niemand würde sie so erkennen können. Nachdem sie sich noch einmal davon überzeugt hatte, dass der Hut fest genug auf ihrem Kopf saß und keine Haarsträhne darunter hervorluckte, trat sie an den Stand heran. Ihren Köcher trug sie, samt Bogen, auf dem Rücken.
"Na mein Junge, wie kann ich dir behilflich sein?", fragte der freundliche Mann, der den Stand besetzte.
Gut, er hatte sie Junge genannt. Jetzt galt es nur noch sich wie einer zu benehmen.
"Ich würde gerne an dem Turnier teilnehmen.", erwiderte sie in der tiefsten Stimmlage, die sie aufbieten konnte.
"Na Bürschchen, da kann ich dir behilflich sein, wenn du es bei deiner Konkurrenz auch ziemlich schwer haben wirst."
Ob er damit wohl jemand bestimmtes meinte?
"Ach ja? Wer hat sich denn bereits angemeldet?" Der alte Mann lachte innerlich in sich hinein. Immer diese Jungspunde. Sie glaubten doch tatsächlich jedes Mal alleine durch ihre Anwesenheit siegen zu können. Dennoch antwortete er bereitwillig- erinnerte er sich doch noch all zu genau, dass er in seiner Jugend keinen Deut besser gewesen war. Dieser Junge würde seine Lektion noch früh genug lernen.
"Nun", setzte er an, "siehst du den edlen Herr dort, der sich gerade mit dem alten Gandalf unterhält?" Ravena schaute in die angegebene Richtung. Sie nickte. Tatsächlich konnte sie einen vornehm gekleideten, gut aussehenden Mann ausmachen, der sich gerade sehr angeregt mit einem Greis unterhielt. Das also war Gandalf. Obwohl sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, waren ihr schon viele Geschichten über ihn zu Ohren gekommen- nicht zuletzt die seiner legendären Feuerwerke. Doch nun erkannte sie, dass er höchstwahrscheinlich mehr konnte als die Wesen Mittelerdes durch seine Feuerwerke zu verzaubern. Es ging eine Aura von ihm aus, die Ravena nicht richtig zuzuordnen wusste. Plötzlich wandte er seine Aufmerksamkeit für einen kurzen Augenblick von seinem Gegenüber ab um in ihre Richtung zu schauen. Obwohl es völlig absurd klang, war sich Ravena sicher, dass er alles über sie und ihr Vorhaben wusste. Irritiert wandte sie sich wieder dem Mann hinter dem Stand zu, sodass sie Gandalfs zufriedenes Lächeln nicht mehr sehen konnte.
"Das ist der Herzog Randulf", erwiderte dieser, sich wieder auf Gandalfs Gesprächspartner beziehend, "Er ist der Anführer der Leibgarde von unserer Königin Arwen und ein begnadeter Schütze. Es heißt", fuhr er in verschwörerischem Ton fort, "dass Elbenblut durch seine Adern fließt."
In Gedanken schalt sich Ravena selbst für ihre Kurzsichtigkeit. Natürlich waren mit dem Königspaar auch eine Menge Soldaten aus der Hauptstadt gekommen. Soldaten die für ihre Künste in ganz Mittelerde gerühmt wurden- und natürlich würden sie auch an dem Wettbewerb teilnehmen. Doch höchstwahrscheinlich hätte selbst dieses Wissen keinen Einfluss mehr auf Ravenas Entschluss gehabt. Eine Chance war schließlich ein Chance- wenn sie auch noch so gering war.
"Außerdem", wieder ergriff der Standhüter das Wort, "geht das Gerücht um, dass einige Elben teilnehmen werden."
"Elben?" Ravena hatte darauf spekuliert, dass der Prinz des Düsterwaldes mangels einer ernstzunehmenden Konkurrenz nicht an dem Wettbewerb teilnehmen würde. So weit sie wusste war er momentan der einzige Elb in der Stadt. Der Mann aber hatte den Plural verwendet. Wer also konnten die anderen sein?
Der alte Mann lachte. "Wo hast du denn in den letzten zwei Tagen bloß deine Ohren gehabt, Junge? Die ganze Stadt spricht doch schon darüber. Gestern ist aus Lorien überraschend eine Gesandtschaft der Hohen Frau Galadriel eingetroffen um den König für seine Regierungserfolge zu beglückwünschen. Es heißt ihr Anführer Haldir wäre sehr daran interessiert an dem Wettbewerb teilzunehmen um sich mit Prinz Legolas aus dem Düsterwald und Glorfindel zu messen.
"Glorfindel?" Irgendwo hatte Ravena den Namen schon mal gehört.
"Ach Junge, was weißt du denn überhaupt? Das ist einer der Ratgeber Lord Elronds, dem Vater unserer Königin." Als er Ravenas verständnislosen Gesichtsausdruck sah, fügte er hinzu: "Lord Elrond ist gestern ebenfalls mit seinem Gefolge aus Bruchtal hier eingetroffen um die Feierlichkeiten gemeinsam mit seiner Tochter zu begehen." Ravena war doch tatsächlich so in ihr Training vertieft gewesen, dass sie nichts von alldem mitbekommen hatte. Vielleicht hätte sie Siägä doch nicht ignorieren sollen. Er hatte es bestimmt gewusst.
Plötzlich wurde ihr die gesamte Tragweite dieser unerwarteten Informationen bewusst. Nicht nur die Männer aus Minas Tirith würden teilnehmen, sondern auch Elben. Sie würde nicht einmal den Hauch einer Chance haben.
"Ist das denn nicht etwas unfair- oder zumindest langweilig?", fragte Ravena nicht ganz zu unrecht, denn die Elben würden durch ihre Talente einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Menschen haben. Das Turnier wäre bereits entschieden bevor es angefangen hätte.
Der alte Mann lachte: "Vielleicht bist du ja doch ein cleveres Bürschchen, Kleiner. Aber glücklicherweise ist dem König diese Idee auch schon gekommen, sodass es jetzt zwei von einander unabhängige Turniere gibt."
"Zwei Turniere?", fragte Ravena hoffnungsvoll? Vielleicht würde sie dann ja doch noch eine Chance haben.
"Genau, zwei Turniere, oder sollte ich sagen drei? Eins für Menschen und eins für die Elben. Auf eine Runde des Menschenturniers wird eine Runde des Elbenturniers folgen, bis die beiden Sieger feststehen."
Erleichtert seufzte Ravena auf. Dann würde sich für sie ja nicht allzu viel ändern. Doch was hatte es mit diesem dritten Turnier auf sich?
"Und woraus besteht dann dieses dritte Turnier?", fragte sie also neugierig, schon schlimmes befürchtend.
"Das wird ein Wettstreit zwischen den drei besten Elben und den drei besten Menschen sein, indem es aber nur um die Ehre geht. Also musst du nur das Menschenturnier gewinnen um die 100 Silberlinge mit nach Hause zu nehmen.", beendete der Mann, nicht ohne eine gewisse Ironie, seine Auskunft über das Turnier.
"Also, immer noch Interesse daran teilzunehmen?"
"Sicher doch", antwortete Ravena etwas überzeugter als sie sich fühlte.
"Name?"
"Landewin, Sohn von Lodewik." Das war knapp gewesen. Beinahe hätte Ravena ihren wirklichen Namen verraten.
"In Ordnung Landewin, Sohn von Lodewik. Du hast die Startnummer Hundert." Während er das sagte lachte er Ravena an. "Na wenn das keine Glückszahl ist." Damit entließ er sie und wandte sich dem nächsten Bewerber zu. Ravena hoffte inständig, dass er recht behalten möge.
Ravena stand am Rande des Turnierplatzes und beobachtete das Geschehen. Der riesige Turnierplatz war umsäumt mit großen Tribünen, die extra für das heutige Turnier erweitert worden waren. Bereits zu dieser frühen Stunde waren sie vollkommen überfüllt, sodass sich die Menschen auch auf den großen Wiesen vor den Tribünen niederließen. Jeder war bemüht einen guten Platz zu finden. Am Kopfende des Platzes war die Tribüne für das königliche Paar und dessen Gefolge. Doch jetzt tummelten sich dort nur einige Diener, die die letzten Vorbereitungen trafen.
Dann ließ Ravena den Blick zu ihren Kontrahenten weiter
wandern, die langsam begannen sich am Turnierplatz zu sammeln. Es war
eine große Konkurrenz. Sie schätzte ihre Anzahl auf circa
einhundertfünfzig Männer und Elben. Sie kamen aus allen
gesellschaftlichen Schichten. Es handelte sich um Bauern,
Stadtbewohner und Adelige.
Ravena konnte sich an der Schönheit
und Eleganz des schönen Volkes nicht satt sehen- und obwohl sie
fest der Überzeugung war, dass keiner dieser Elben auch nur
annähernd an Legolas heranreichen konnte, erkannte sie, dass sie
diesen Beinamen zu Recht trugen. Unbewusst hielt sie nach einem ganz
bestimmten Elb Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo ausmachen.
"Und das ist auch gut so!", sagte sie zu sich selbst. Nach dem was sie sich innerhalb der letzten Tage geleistet hatte, bestünde vielleicht die Möglichkeit, dass er sie erkennen könnte. Immerhin war er ein Elb und wer wusste schon in wie weit sie sich von den Menschen unterschieden? Hatte sie nicht auch irgendwann einmal gehört, dass manche sogar Gedanken lesen konnten?
Sie musst sich beruhigen. Immerhin hatte sie vor die gesamte Garde von Minas Tirith zu besiegen- und dazu brauchte sie nun mal ein ruhiges Händchen.
"Na Junge, sind wir nicht noch ein bisschen jung für so ein großes Turnier? Dir steht ja noch nicht mal ein Bart im Gesicht."
Ravena drehte ihren Kopf in Richtung des Sprechers, der sich gerade mit seinen Freunden einen Spaß daraus machte, sich über sie lustig zu machen. Sie erkannte einen kleinen Stadtadeligen namens Loi, der sich für das Zentrum des gesamten Universums hielt. Hin und wieder kehrte er nach einer Hatz im Wald im "bellenden Hund" ein. Sie hatte ihn als einen Halbstarken, mit einem großen Mundwerk hinter dem aber keine Taten standen, in Erinnerung. Dementsprechend machte sie sich auch nur wenigen Sorgen über eine mögliche Demaskierung, denn obwohl er ihr schon oft sehr derb nachgestellt hatte, hatte sie schnell herausgefunden das sie nur eine von vielen war. Als Loi's starker Biergeruch ihre Nase erreichte konnte sie einer Antwort nicht widerstehen:
"Und haben wir nicht schon so früh am Morgen einen zu viel gehoben? Ihr schafft es ja kaum euren Becher zu den Lippen zu bringen." Schon während sie das aussprach erkannte sie, das ihr Mundwerk einmal mehr mit ihr durchgegangen war, denn Loi's Wangen begannen vor Wut förmlich zu glühen und seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt- bereit Ravena zu verprügeln.
Indessen gratulierte Ravena sich selbst. Jetzt hatte sie es doch
tatsächlich geschafft ihre Maskerade noch vor dem eigentlichen
Beginn des Turniers ernstlich zu gefährden. Sie hätte
wissen müssen, dass dieser aufgeblasene Loi nicht der Typ war,
der sich eine Beleidigung- wenn sie auch angebracht gewesen sein mag-
nicht ohne weiteres gefallen lassen würde.
Siägä
hatte recht gehab- bei ihrem Talent in Schwierigkeiten zu geraten,
würde sie ihr Tarnung niemals aufrechterhalten können. Von
seinen grölenden Freunden angetrieben machte er einen Schritt
auf Ravena zu, als plötzlich eine Einhalt gebietende Stimme
hinter Ravena erklang.
"Na, na, na, Loi, Ihr werdet eure Kraft doch nicht schon vor dem Turnier vergeuden wollen. Lasst doch stattdessen die Bögen sprechen. Das Turnier wird schon bald beginnen." Wer immer auch der Sprecher dieser Worte war- er hatte einen so großen Einfluss, dass Loi sich ihm beugte und mit seinen Freunden verschwand. Ravena schaute sich nach ihrem Retter um und staunte nicht schlecht als sie Herzog Randulf erkannte. Sie war sich plötzlich sicher, dass der alte Standhüter mit seiner Vermutung über dessen elbisches Blut Recht hatte. Er hatte langes schwarzes Haar, das ihm in einem Pferdeschwanz den Rücken hinabhing und ein Gesicht das mehr Lebenserfahrung verriet, als man sie bei seiner offensichtlichen Jugend annehmen würde. Sie schätzte ihn auf nicht mehr als achtundzwanzig Jahre. Obwohl ihm nichts Übermenschliches anhaftete, besaß er eine einnehmende Ausstrahlung.
"Sie dich vor, Junge", warnte er sie nun mit einem vergnügten Gesichtsausdruck, "Er mag deine schlagfertige Antwort verdient haben, doch hin und wieder kann auch ein Schweigen von Vorteil sein. Ich bin schon sehr auf deine Leistungen gespannt." Damit machte auch er sich auf den Weg zum Sammelplatz. Verdutzt schaute sie dem Herzog nach. Was war denn das nun schon wieder gewesen? Mittlerweile stand Ravena schon über ihren Ausrutschern. Zuerst der König, dann der Elb und nun auch noch der Herzog. Wer würde als nächster kommen, die Königin? Zuzutrauen wäre es ihr noch.
"Aber wir wollen ja nichts heraufbeschwören.", wies sie sich selbst zurecht.
In dem Moment erschallte ein Trompetensignal, das die Ankunft des Königs ankündigte und die Bogenschützen dazu aufforderte vor der königlichen Tribüne Aufstellung zu nehmen. Ravena beeilte sich zu ihrem Platz zu kommen. Nach einigem Chaos gelang es den hundertfünfzig Mann dann auch geordnet Haltung anzunehmen, wobei die teilnehmenden Elben damit allerdings weit weniger Probleme zu haben schienen.
Als der König und die Königin dann endlich erschienen brach
das gesamte Volk in einen tosenden Jubel aus. Jeder konnte die Liebe
die das Volk seinem Herrscherpaar entgegenbrachte erkennen.
Schließlich nahmen Aragorn und Arwen vor ihren Sitzen auf der
Tribüne Aufstellung um sich dem Volk zu präsentieren und
zurückzuwinken. Ihnen folgten vier fröhlich wirkende
Hobbits, ein Zwerg, ein alter Zauberer und ein Elb, der sich beeilte
seinen Platz in den Reihen der teilnehmenden Elben einzunehmen.
Ravenas Herz schlug schneller als sie ihn erkannte. Sie war sich
nicht sicher ob es nur die Nervosität vor dem Turnier oder ihre
unklaren Gefühle zu ihm waren die das bewirkten. Wahrscheinlich
beides.
Den Gefährten folgten noch der Baron und einige
Hochrangige Adelige der Stadt.
Ravena versuchte einen Blick auf die Königin zu erhaschen, hatte sie doch noch nie das Glück gehabt sie zu sehen. Ihre elbische Schönheit war unübertroffen. Sie fragte sich mit einem Stich im Herzen ob wohl alle weiblichen Elben solch eine Schönheit besaßen. Wie hatte sie nur auf die Idee kommen können, dass der Prinz vielleicht auch etwas für sie empfinden könnte? Wahrscheinlich war er einfach nur so nett zu ihr gewesen weil sie ihm Leid getan hatte. Weiter erlaubte sie ihren Gedanken nicht zu wandern- hatte sie sich doch auf wichtigeres zu Konzentrieren.
Mit einer Handbewegung bat der König um Ruhe. Als der Jubel endlich abgeklungen war sprach er mit lauter Stimme:
"Bürger und Bürgerinnen Gadaras. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen um mich für diesen denkwürdigen Empfang zu bedanken", wieder brach ein tosender Jubel aus, den der König nur mit einem erneuten Handwinken zum Ruhen bringen konnte, "und es ist mir eine Ehre dieses Bogenschießen feierlich zu eröffnen. Möge der Wettkampf gerecht sein und der beste den Sieg davon tragen."
Damit verbeugten sich alle Teilnehmer ehrfürchtig vor ihrem König und begaben sich wieder an den Rand des Turnierplatzes, wo sie warten sollten bis sie aufgerufen wurden. Da die 150Männer und Elben nicht alle auf einmal ihre Schüsse abfeuern konnten wurden sie in kleinere Gruppen eingeteilt, die nacheinander an die Reihe kamen. Davon einmal abgesehen, dass man zwei unabhängig voneinander laufende Turniere zu sehen bekam, hielt man sich an die allgemein gültigen Regeln. Das bedeutete für die Menschen, dass man in der ersten Runde von zwanzig Schritt, in der zweiten Runde von 50Schritt und schließlich, im Finale, von 150Schritt Entfernung seine Pfeile auf eine Zielscheibe feuern musste, die vier Zielringe besaß. Die Höchstpunktzahl erreichte man bei einem Schuss ins schwarze Zentrum. Je weiter man sich von ihm entfernte, desto weniger Punkte erhielt man. Jeder hatte pro Weite drei Versuche, deren Ergebnisse zusammenaddiert wurden und letztendlich auch darüber entschieden, wer eine Runde weiter kam. Von den einhundertacht teilnehmenden Männern würden die fünfzig besten den zweiten Durchgang erreichen und von diesen würden wiederum nur zehn den Sieg unter sich ausmachen. Dem Elbenturnier lagen im Grunde dieselben Regeln zugrunde. Der einzige Unterschied war, dass man, aufgrund der besseren Sehkraft der Elben, schon in der ersten Runde mit 50Schritt begann. Die zweite Runde würde man von 150Schritt und das Finale von 200Schritt in Angriff nehmen. Da allerdings nur vierundvierzig Elben teilnahmen, würden auch nur 20 den zweiten Durchgang und drei das Finale bestreiten.
Mit jeder verstrichenen Minute wurde Ravena nervöser. Zweifel packten sie. Würde für sie alles Gut ausgehen? Sie wollte sich nicht ausmalen was mit ihr geschehen würde, sollte man ihre kleine Maskerade aufdecken. Doch sie schob ihre Zweifel weit weg als der Festredner begann die Namen der ersten 12 Schützen aufzurufen, die ihr Können unter Beweis stellen konnten. Dazu sprach er in ein fremdartig aussehendes Horn, dass seine Stimme weit über den Turnierplatz bis hin zu den hintersten Rängen trug. Das Turnier würde mit einer Menschengruppe eröffnet werden. Würde sie schon unter den ersten zwölf sein und würde sie in der Aufregung ihren Namen überhaupt erkennen? Sie lachte sich selbst aus. Mit ihrer hohen Startnummer war es wahrscheinlicher dass sie in der letzten Gruppe landete.
"Ich bitte darum Aufstellung zu nehmen: Herzog Warmund, Sohn von Teutobod; Falkmar, Sohn von Parsifal; Graf Ludgerus, Sohn von Nandolf; Farold, Sohn von Gernot; Lieuwe, Sohn von Nahum; Filibert, Sohn von Theodemar; der Edle Waltram, Sohn von Gerwin; Thoralf, Sohn von Nathan; Pelagius, Sohn von Wendelin; Freiherr Gilbert, Sohn von Glaubrecht, Graf Fryderyk, Sohn von Frodewin und der Edle Loi, Sohn von Wiggo."
Wie sie vermutete: Sie war noch nicht darunter. Die Aufgerufenen begaben sich unter dem Jubel des Volkes wieder auf den Platz um vor ihrem König Aufstellung zu nehmen. Sie verbeugten sich. Als König Elessar ihnen mit einem Handwink bedeutete aufzustehen, drehten sie sich zu den zwölf Zielscheiben um. Damit ein irregeleiteter Pfeil nicht versehentlich das königliche Paar treffen konnte, schossen sie mit dem Rücken zum König. Der Sprecher gab das Kommando:
"Sowie sie bereit sind, feuern sie." Der erste der einen Pfeil abschoss war Loi. Das verwunderte Ravena nicht. Er war viel zu ungestüm, als dass er sich die Zeit nehmen würde um sich zu konzentrieren. Dementsprechend landete sein Pfeil auch nur im Zweiten Ring. Sie war sich sicher, dass sie Loi rot werden sah. Wie angenehm es war das einmal bei jemand anderem beobachten zu können. Nachdem nach und nach auch die übrigen elf ihre Pfeile abgeschossen hatten, begab sich ein Schiedsrichter von Zielscheibe zu Zielscheibe um die genaue Punktzahl bekannt zu geben, die vom Publikum dann entweder anerkennend bejubelt oder ausgelacht wurde. Dabei machte man keinen Unterschied zwischen Adel oder Bürger, sodass Loi sich einigem Spott gegenüber sehen musste. Die darauffolgenden zwei Versuche folgten derselben Prozedur. Loi gelang es noch sich einen Ring näher ans schwarze Zentrum heranzuarbeiten, doch ob das reichen würde um in die zweite Runde zu kommen, war fraglich.
Nach diesen zwölf kam noch eine Gruppe von Menschen bis die ersten Elben endlich an der Reihe waren. Dazu wurden die Zielscheiben von einigen Dienern geschwind weitere 30Schritt nach hinten gestellt. Während der Sprecher die Namen der Elben verlas, setzte ihr Herz für einen Augenblick aus. Legolas war bereits unter ihnen. Endlich würde sie sich selbst von seinem viel besungenem Können überzeugen können.
Die elf aufgerufenen Elben stellten sich ebenfalls vor König Elessar auf und beugten in Ehrerbietung ihre Köpfe, bevor sie sich ihren Zielen zuwandten. Es war ein Anblick, der niemand der Anwesenden jemals vergessen würde und von dem man noch seinen Enkelkindern erzählen würde. Mit einer unglaublichen Eleganz und Leichtigkeit spannten sie ihre Bögen. Sämtliche Pfeile trafen die schwarze Mitte. Ravena fragte sich wie diese Elben jemals zu einer Entscheidung kommen würden. Wenn sie diese Zielsicherheit beibehalten sollten, wären sie am nächsten Morgen noch daran einen Sieger unter sich auszumachen. Doch anscheinend hatten die Organisatoren auch daran gedacht, denn die Schiedsrichter machten sich daran die Positionen der Pfeile bis auf den letzten Millimeter auszumessen. Legolas hatte exakt das Zentrum getroffen, sodass ein Großteil des donnernden Applauses ihm galt. Er quittierte ihn mit einem fröhlichen Winken.
Bei seinem zweiten Schuss galt Ravenas Aufmerksamkeit ihm allein. Sie schaute ihm zu wie er sich vor seinem Schuss sammelte, den Pfeil anlegte, seinen muskulösen Körper ansperrte, sein Ziel fixierte, schoss- und ein zweites Mal ins Schwarze Traf. Dort stand ein ganz anderer Legolas als der, der sich von ihr vom Pferd bombardieren gelassen hatte oder der, der ein fröhliches Lied anstimmte. Sein Körper und seine stetig umherwandernden Augen zeigten eine ständige Wachsamkeit- gerade so als erwarte er einen Angriff aus dem Hinterhalt. Ravena beschloss umgehend ihn nie wieder in irgendeiner Weise zu überraschen, denn sie begriff plötzlich, dass das unter Umständen tödliche Folgen haben konnte- sein Versagen bei ihrem "Apfelbombardement" hin oder her. Sein dritter Pfeil traf ebenfalls sein Ziel. Viel bejubelt verließen die Elben den Platz.
In diesem Rhythmus ging es weiter: Zwei Menschengruppen folgte eine Elbengruppe bis, mit der letzten Gruppe, schließlich auch Ravena aufgerufen wurde. Unter ihren elf Mitstreitern befand sich auch Herzog Randulf. Sie fragte sich wie sie neben ihm bestehen würde. Mit klopfendem Herzen bewegte sie sich auf die Tribüne zu. Glücklicherweise schien der König sie nicht länger unter Augenschein zu nehmen. Noch immer nagte die Angst entdeckt zu werden an ihr. Sie schaute kurz nach Siägä. Er stand am Wiesenrand und signalisierte ihr, dass er ihr beide Daumen drückte. Er hatte ihr also doch noch verziehen. Das gab ihr neuen Mut.
Mit den anderen Bogenschützen kniete sie vor dem König nieder. Das brachte ihr Zeit um ihre Gedanken wieder zu sammeln. Sie würde sich jetzt konzentrieren müssen. Nachdem der König ihnen das Zeichen zum Erheben gegeben hatte, drehte sie sich um und nahm ihr Ziel in Augenschein. Auf diese Entfernung machte es ihr eigentlich keine allzu großen Probleme ins Schwarze zu treffen, doch welche Leistung würde sie vor den Augen dieser vielen Zuschauer zeigen? Der Sprecher gab sein Kommando:
"Feuern sie, sowie sie bereit sind."
In diesem Moment gab es für Ravena nichts mehr als sie und ihr Ziel. Alle ihre Ängste und Hoffnungen vergrub sie tief in sich. Ihre Konkurrenten sperrte sie aus ihrem Bewusstsein aus. Sie nahm sich einen Pfeil aus ihrem Köcher und legte ihn an. Anschließend brachte sie den Bogen in Position und achtete darauf dass ihr Körper während dem gesamten Prozess seine Spannung nicht verlor. Sie fixierte ihr Ziel und ließ instinktiv im richtigen Moment den Pfeil los. Das alles wirkte auf sie wie eine Zeitlupe. Noch während sie ihrem Pfeil nachblickte, wusste sie dass er sein Ziel treffen würde- und tatsächlich: er landete genau im Schwarzen.
Nachdem sie realisiert hatte, dass sie besser nicht hätte schießen können schaute sie auch auf die Ergebnisse ihrer Konkurrenten. Neben ihr hatte nur noch Herzog Randulf dieselbe Leistung erbracht. Als sie den Kopf in dessen Richtung drehte sah sie, wie er ihr grinsend zu nickte. Erleichtert über ihren guten Schuss nickte sie Zurück. Ein Austausch, der auch vielen Zuschauern nicht entgangen war. Man begann sich zu fragen wer der kleine Dreckspatz war, dem es gerade gelungen war ebenso gut wie der Anführer der königlichen Garde zu schießen. Man wartete gespannt, ob sie ihren Erfolg wiederholen würde. Ravena enttäuschte sie nicht. Auch ihr zweiter Schuss traf ins Schwarze, was ihr nicht wenig Jubel einbrachte. Nun machte sie sich etwas erleichtert, aber dennoch nicht übermütig, daran ihren dritten Pfeil in sein Ziel zu befördern. Dabei wurde sie von drei sehr interessierten Augenpaaren genauestens beobachtet.
"Mir scheint als hätte Randulf ernstzunehmende Konkurrenz bekommen."
"In der Tat, der Kleine dort stellt sich nicht schlecht an."
" ‚Nicht gerade schlecht' ist gut, Haldir. Wenn er nicht aufpasst wird der Anführer der königlichen Garde von einem kleinen Jungen besiegt. Das könnte peinlich enden."
"Etwa peinlicher als von einem menschlichen Rotschopf vom Pferd bombardiert zu werden?" Glorfindels Kommentar brachte Haldir zu einem herzhaften Lachen und Legolas zum aufseufzen.
"Dann hattet ihr heute also schon das Vergnügen mit Gimli gehabt?", fragte der Prinz resignierend.
"So war es, obwohl ihm die Kunde bereits voraus eilte- wir haben es von Pippin erfahren." Vergnügt machte Glorfindel keine Anstalten von seinem Freund abzulassen.
"Also Legolas", mischte sich jetzt auch Haldir ein, "was genau ist denn nun zwischen dir und diesem Menschenmädchen? Sollte ihr etwa wirklich das gelungen sein was in all den vielen Jahrhunderten noch nicht einmal die schönste Elbe fertig gebracht hat?" Es machte ihm sichtbar Spaß Legolas in Verlegenheit zu bringen.
"Du weißt, dein Vater ist mittlerweile schon so verzweifelt dass er dich sogar eine stinkende Orkfrau heiraten lassen würde, wenn die ihm nur endlich einen Thronerben schenken würde." Glorfindel konnte sich mittlerweile vor Lachen kaum noch halten.
"Ich weiß überhaupt nicht was genau ihr eigentlich meint.", erwiderte Legolas mit einer Unschuldsmiene.
"Ach komm schon, Freund. Uns kannst du doch nichts vormachen. Der Zwerg hat uns da von einigen ganz prekären Situationen berichtet."
"Hat er das?", fragte Legolas mit einer hochgezogenen Augenbraue.
"Ja, das hat er", erwiderte nun Haldir wieder, ebenfalls mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen. "Es war sogar die Rede von einem gemeinsamen Bad."
"Außerdem sollst du dich bereits von ihr herumkommandieren lassen, mein Freund." Glorfindel konnte es einfach nicht lassen. Dafür waren Legolas Ohren, die normalerweise die gesamte weibliche Elbenwelt zu literarischen Ergüssen anregten, schon viel zu rot.
"Seit wann vertraut Ihr denn einem Zwerg?", versuchte Legolas das Ruder wieder herumzureißen. Doch vergebens.
"Warst du es nicht, der uns immer wieder versichert hatte, dass der Zwerg ein guter Freund und vertrauenswürdig wäre? Nun, wir beginnen jetzt das auch zu erkennen.", konterte Haldir geschickt.
In solchen Momenten wagte Legolas das zu bezweifeln. Dennoch musste er mitlachen. Wäre das alles Haldir oder Glorfindel geschehen, er hätte nicht anders gehandelt. Die Frage war nur was genau ihm widerfahren war. Er wusste nur, dass er Ravena vor zwei Tagen am liebsten nicht mehr aus seinen Armen entlassen hätte. Er hätte eine Ewigkeit mit ihr an seinem Herzen weiter reiten können. Aber konnte eine solche Liebe eine Zukunft haben? Eine Frage, die er sich in den letzten zwei Tagen nur allzu oft gestellt hatte. Schließlich war sie ein Mensch und damit sterblich. Auf der anderen Seite ist er gelehrt worden, dass sich solche Dinge mit etwas Zeit und Geduld, ganz von alleine klären würden. Nun, darauf würde er wohl vertrauen müssen. Er konnte nicht anders als schmunzeln, als er bemerkte wie wahr Glorfindels Kommentar über seinen Vater tatsächlich wahr.
Legolas war wie jeder andere gewöhnliche Elb im Düsterwald
aufgezogen worden. Zu gefährlich war dieser Ort, als dass man
sich königliche Extratouren hätte leisten können.
Somit hatte sein Vater ihn auch nie gedrängt gegen seinen Willen
zu heiraten. Etwas, wofür er sehr dankbar war. Dennoch ließ
der Elbenkönig, besonders nachdem Legolas in die Jahre gekommen
war und noch immer nicht gedachte sich zu binden, keine Gelegenheit
aus, ihm sämtlich Elbinnen Mittelerdes vorzustellen- allerdings
vergeblich. Gewiss, in seinem langen Leben hatte er bereits mehr als
eine Liebschaft gehabt, doch um wahre, aufrichtige Liebe, für
die es sich gelohnt hätte zu sterben und wie die Dichter sie
priesen hatte es sich nie gehandelt.
Nun, sein Vater war noch
nicht ganz so verzweifelt, dass er einer Heirat mit einer Orkfrau
zugestimmt hätte- nicht das Legolas da großen Wert drauf
gelegt hätte- aber das Wort Zwergin ist in diesem Zusammenhang
schon mal gefallen. Also wäre er nicht zu enttäuscht wenn
er plötzlich mit der Menschenfrau seines Herzens auftauchen
würde.
"Jetzt gebt Acht. Er zielt wieder." Durch Haldirs Ausspruch aus seinen Gedanken gerissen konzentrierte sich Legolas wieder auf das Turniergeschehen. Der Junge war gerade dabei seinen Pfeil anzulegen und seinen Bogen in Position zu bringen.
"Schaut euch diese Körperspannung und Schrittstellung an.", ließ Glorfindel verlauten.
"Wo er die wohl erlangt haben mag? Für einen Menschen scheint er noch sehr jung zu sein.", warf Legolas ein.
"Ein Naturtalent. Seht nur, er verlässt sich beim Schießen vollkommen auf seinen Instinkt. Wenn ich Randulf wäre, würde ich ihn noch heute in meinen Dienst nehmen. Mit etwas Training würde er einen guten Krieger abgeben." Haldir war sichtlich beeindruckt.
Ravena ließ den Pfeil los- und schoss erneut ins Schwarze. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Sie war jetzt sichtlich entspannter.
"Das war jetzt schon das dritte Mal die volle Punktzahl."
"Ich muss dir Recht geben, Legolas. Randulf sollte wirklich aufpassen, wenn er nicht von diesem Dreckspatz besiegt werden will.", meinte Glorfindel spaßhaft.
Jetzt sah Legolas endlich seine Chance um zurückzuschlagen. Er grinste seine Freunde breit an: "Ich denke ihr solltet euch in Acht nehmen, damit er euch im Anschluss nicht ebenfalls besiegt."
"Meinst du wirklich, dass er es bis unter die besten drei schaffen wird?", fragte Haldir, einen weiteren abschätzenden Blick auf Ravena werfend.
"Nun, das wird der nächste Durchgang zeigen.", schloss Legolas.
