11.Kapitel
1.Teil
„Ich glaube das einfach nicht! Ich will es einfach nicht fassen! Und so was schimpft sich Elb! Ihr hattet mir versprochen sie nicht anzufassen!" Legolas blieb nichts weiteres zu tun, als den sich immer mehr in Rage redenden Siägä, mit offenem Mund anzustarren. Er konnte es einfach nicht fassen. Da saß er nun mit seinen annähernd dreitausend Jahren: Legolas Grünblatt, stolzer Elb, Gefährte, Held der Ringkriege, Sohn eines mächtigen Elbenkönigs und hörte sich doch tatsächlich ohne Wiederworte die Strafpredigt eines kleinen Bauernlümmels an. Mit einem kurzen Blick auf Ravena entschied der Elb, dass er schon sehr verliebt sein musste. Die letzte Person die es ungestraft gewagt hatte so mit ihm zu reden, war sein Vater gewesen- und selbst der hatte das schon seit einigen Jahrhunderten nicht mehr für nötig befunden. Er seufzte auf.
Plötzlich vernahm er ein angestrengtes Aufstöhnen. Ravena, die neben ihm an einem reichlich gedeckten Frühstückstisch saß, hielt sich ihren dröhnenden Kopf. Kein normaler Mensch konnte nach einer durchzechten Nacht bereits solch einen Lärmpegel ertragen.
„Gott Siägä", fuhr sie ihn also an, „es ist ja nun nicht so, als ob irgend etwas geschehen wäre wofür wir uns schämen müssten. Du bist nicht mein Bruder und ich bin niemandem Rechenschaft schuldig, also sei jetzt endlich ruhig und zieh dir etwas an!" Jetzt erst schien der Junge zu bemerken in welchem Aufzug er sich immer noch befand. Sein weißes Nachthemd hing ihm bis zu den Knien herunter und sein langes Haar fiel ihm ungekämmt über die Schultern. Außerdem waren seine Zähne immer noch blau. Diese Tinte würde erst in ein oder zwei Wochen gänzlich verschwunden sein.
Plötzlich spürte er, wie seine Wangen immer heißer wurden. Einmal mehr verfluchte er sich selbst für seine Unfähigkeit Ravena das tun lassen zu können, was sie wollte. Konnte es ihm nicht eigentlich egal sein, ob sie sich ständig in neue Schwierigkeiten hinein bugsierte? Nein, musste er sich eingestehen, das konnte es mittlerweile eben nicht mehr, denn sie war ihm wie eine eigene Schwester ans Herz gewachsen und ihr ungewöhnliches Talent sich immer wieder in die unmöglichsten Situationen zu bringen weckte nun mal seine Beschützerinstinkte- auch wenn das bedeutete, sich zum Affen zu machen. Plötzlich musste er grinsen. Wenn Esmee ihn so sehen könnte- sie würde bestimmt nie zustimmen ihn zu heiraten.
„Ist ja schon gut", lenkte er schließlich ein, „Aber glaubt ja nicht, dass ich mit Euch beiden schon fertig bin." Damit wollte er sich zum Gehen wenden und das hätte er höchstwahrscheinlich auch getan, wenn da nicht wie aus dem Nichts ein sehr amüsiertes Gelächter erklungen wäre. Erschrocken drehten die drei sich zur Küchentüre herum. Bei der Geschäftigkeit, die schon seit den frühen Morgenstunden in der Gaststätte herrschte, hatten sie die näherkommenden Schritte nicht wahrgenommen. Zeitgleich entfuhr Legolas und Ravena ein gequältes Aufstöhnen. Beide verbargen sie ihre Gesichter in den Händen.
„Das darf doch alles nicht wahr sein!", hörte man Legolas von sich geben.
„Was müssen meine Zwergenohren dort vernehmen, du lüsterner Elb?", donnerte es auch schon los. „Du hast einfach dieses wehrlose Mädchen verführt?" Empört fuhr Legolas auf.
„Das habe ich natürlich NICHT getan!"
„Nun, auf alle Fälle scheint dieser Junge euch aber bei etwas in flagranti erwischt zu haben.", schlug sich nun auch ein gelassen am Türrahmen lehnender Haldir auf Gimlis Seite. Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. Ravena hielt ihr Gesicht immer noch in ihren Händen vergraben. Das war eindeutig mehr, als sie an diesem fürchterlichen Morgen ertragen konnte- obwohl sie sich eingestehen musste, dass es wahrscheinlich schlechtere Starts in den Tag gab, als neben Legolas aufzuwachen.
„Dieser Junge hat nur etwas falsch interpretiert. Was tut ihr zu dieser frühen Stunde überhaupt schon hier?" Er versuchte sie schnell abzulenken, bevor sie noch etwas erwidern konnten, wegen dem er sie später würde töten müssen. Es schien ihnen einen höllischen Spaß zu machen, ihn vor seiner Geliebten in Verlegenheit und Misskredit zu bringen. Doch der war das Ganze anscheinend noch peinlicher als ihm selbst. Bestimmt nicht zum letzten Mal wünschte sie sich ein Loch, ach was, eine ganze Erdspalte, die sich unter ihr auftun und sie verschlingen würde. Dieser Zwerg und die Elben dachten doch nicht wirklich, dass Legolas und sie...? Ein kurzer Blick auf Legolas schelmisch lächelnde Freunde verriet ihr, dass sie genau das dachten und deswegen machte sie sich eine gedankliche Notiz sich Siägä noch einmal vorzuknüpfen. Dieses Mal würde er nicht einfach mit ein paar blauen Zähnen davon kommen.
„Nun", schaltete sich jetzt zum ersten Mal auch Glorfindel ein, „heute morgen war dein Bett noch unangetastet gewesen, sodass wir in größter Sorge waren. Und weil du gestern Nacht so vehement darauf bestanden hattest, die Dame persönlich nach Hause zu geleiten, beschlossen wir hier unsere Suche zu beginnen. Wir befürchteten schon, dass du vielleicht einigen Banditen über den Weg gelaufen sein könntest." Nun gab es kein Halten mehr. Alle drei Neuankömmlinge brachen in ein lautes Gelächter aus. Einen Legolas, der angesichts einer Sterblichen alles um sich herum zu vergessen schien, gab es immerhin nicht alle Tage. Der Angesprochene konnte regelrecht spüren, wie ihm bei der bloßen Erinnerung an sein Versagen im Wald, das Blut in die Ohren schoss.
„Aber wie ich sehe, hast du anderswo anscheinend ein bequemeres Bett gefunden." Haldir klang schon beinahe anzüglich.
„Habt ihr Elben denn überhaupt keinen Anstand, Legolas? Und das in dem Zustand, in dem sie sich gestern Abend befand." Spielerisch drohte Gimli mit dem Zeigefinger. Natürlich wussten sie alle, dass Legolas es niemals fertig bringen würde ihr etwas anzutun, und doch machte es einfach viel zu viel Spaß den Elb in Verlegenheit zu bringen.
Siägä rang unterdessen mit Ravena um die stärkste Rotfärbung der Wangen- immerhin stand er gerade in einem Nachthemd vor den Helden seiner Jugend. Er begann langsam eine Ahnung davon zu bekommen, wie Ravena sich stets fühlen musste.
„Was ist denn nun hier schon wieder für ein Auflauf, bitte schön?" Angesichts der resoluten Stimme in ihrem Rücken, drehten sich die beiden Elben und der Zwerg erschrocken um. Sie sahen sich einer forschen Frau gegenüber, die beide Arme in die Hüften gestemmt hatte und nun mit wütendem Blick eine Antwort erwartete. Das Alter schien sie noch lange nicht ihrer Autorität beraubt zu haben, sodass die Elben erst einmal etwas ratlos blickten.
„Es ist auch eigentlich nicht von Belang. Auf jeden Fall werdet ihr jetzt hier verschwinden und meine Magd nicht weiter von der Arbeit abhalten. Na, auf was wartet ihr noch? Husch, Husch." Damit ließen sich einige sehr verblüffte Würdenträger Mittelerdes aus dem Dienstboteneingang der Küche scheuchen.
„Nanu", versuchte ein sichtlich verwirrter Haldir seine Würde wieder herzustellen, „Wisst Ihr denn nicht wen Ihr hier vor Euch habt?" Empört strich er sein Wams glatt, doch das schien die Frau nicht im Geringsten zu verunsichern. Wie lange war es wohl schon her, dass man sie das letzte Mal so respektlos behandelt hatte- und dass sie so etwas auch noch ungestraft geschehen ließen?
„Und wenn Ihr der König höchstpersönlich wärt, hier wird jetzt geputzt!" Damit schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu. „Wo treib dieses Mädchen nur immer wieder diese merkwürdigen Gestalten auf?", murmelte sie mehr zu sich, als zu jemand anderem. Dann fiel der Blick der Frau plötzlich auf einen sehr amüsierte grinsenden Legolas. Er saß immer noch seelenruhig an seinem Frühstückstisch und schien hocherfreut über die Behandlung, die man seinen Freunden zukommen ließ. Endlich bekamen sie auch einmal das, was ihnen zu stand- doch die Schadenfreude kommt bekanntlich immer vor dem Fall.
„Nun Bursche", richtete sie ihre Aufmerksamkeit schließlich auf Legolas, „Worauf gedenkt Ihr noch zu warten? Das eben hat auch für Euch gegolten." Von Ravena war ein gequältes Aufstöhnen zu hören. Einmal mehr schämte sie sich in Grund und Boden.
‚Und dabei hatte der Tag so schön angefangen.', seufzte sie in Gedanken. Nun hatte ihre Chefin, denn um niemand anderen handelte es sich bei der resoluten Frau, es doch tatsächlich geschafft die Elben von Bruchtal, Lothlorien und Düsterwald und nebenbei auch noch Gimli Gloinssohn, aufs tödliche zu Beleidigen ohne auch nur einmal Luft zu holen. Sie hoffte nur, dass das nicht noch ein Nachspiel haben würde. Entschuldigend blickte sie zu Legolas, der gerade erfolglos versuchte mit Ravenas Chefin zu argumentieren.
„Aber..."
„Aber Ihr verschwindet jetzt", schnitt sie ihm rabiat das Wort ab, „und keine Wiederworte mehr. Ich will gar nicht erst wissen, was das alles zu bedeuten hat, aber wenn Ihr gedenkt um Ravena zu freien, dann tut das gefälligst wenn sie frei hat und nicht vor einem großen Berg von Arbeit steht!" Beinahe erschrocken sog Legolas die Luft ein. Waren denn seine Gefühle nun schon so offensichtlich, dass sogar diese fremde Frau ihn zu durchschauen wusste? Zu seinem größten Leidwesen erkannte er, dass er Ravena allerhöchstens eine Menge Schwierigkeiten bereiten würde, sollte er dieser Aufforderung nicht augenblicklich Folge leisten. Also erhob er sich- wenn auch nur wiederwillig.
„Ich gehe dann wohl besser", wandte er sich lächelnd an die junge Frau neben ihm, die vor lauter Scham kein Wort mehr hervorbrachte und deswegen nur hastig mit ihrem hochroten Kopf nickte. Legolas konnte sich nicht helfen, aber immer wenn sie wegen ihm dermaßen in Verlegenheit geriet, sah sie in seinen Augen einfach unwiderstehlich aus. Hätte nicht immer noch der wachsame Blick ihrer Chefin auf ihr geruht- er hätte sich nicht mehr beherrschen können, endlich Besitz von ihren Lippen zu ergreifen.
„Wartet, ich bringe Euch noch bis zur Tür." Im gleichen Augenblick merkte sie, wie unnötig und dumm diese Kommentar eigentlich war, denn der Ausgang, aus dem eben schon die Elben und der Zwerg geflogen waren, war kaum zwei Meter von ihnen entfernt. Trotzdem strahlte Legolas sie an. Er ergriff ihre Hand und zog sie mehr, als dass sie ging aus der Tür hinaus. Dort blieben sie stehen und sahen sich lange einfach nur an. Schließlich führte der Elb Ravenas Hand, die er immer noch in der seinen hielt, zu seinen Lippen und setzte einen sanften Kuss darauf. Obwohl es nicht mehr als der Hauch einer Berührung war, spürte Ravena, wie sie am ganzen Körper erschauerte. Unverzüglich drängte sich ihr die Frage auf, wie sie wohl erst auf viel intimere Berührungen reagieren würde. Bevor dieses starke Gefühl vollkommen die Oberhand über sie gewinnen konnte küsste sie ihn schnell auf die Wange und verschwand wieder im Inneren des Hauses. Mit einem verträumten Blick machte sie sich an die Arbeit. Erstaunt blickte die Chefin ihr hinterher. Ein wissendes Lächeln lag auf ihren Zügen. Da war es also endlich jemandem gelungen diesen Wildfang zu erobern.
*~*~*
„Es scheint als habe ihn dieser Kuss versteinern lassen." Mit einem Lachen winkte Glorfindel vor Legolas Gesicht auf und ab, doch der Elbenprinz starrte immer noch auf die Tür, durch die Ravena gerade verschwunden war. Langsam führte Legolas seine Hand zu der Stelle, auf die ihn das Mädchen geküsst hatte. Er wusste schon jetzt, wo heute kein Wasser mehr hinkommen würde.
„Nun, mir scheint, dieses Mädchen hat es doch tatsächlich geschafft ihn zu verhexen.", kam Gimli nicht umhin anzumerken.
„Leeeegolaaaas, aufwachen.", unternahm Haldir einen letzten Versuch seinen Freund wieder unter die Lebenden zu rufen.
„Hm, was?" Haldir lachte.
„Komm mein Freund, kehren wir zum Schloss zurück. Wir wollen morgen abreisen und haben noch einiges an Vorbereitungen zu treffen- falls du überhaupt abzureisen gedenkst.", fügte er noch nachdenklich hinzu. Legolas erstarrte. Abreisen? So bald schon? Soweit hatte er noch gar nicht gedacht.
*~*~*
Mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen spazierte Ravena in Richtung des Flusses. Unter ihrem Arm trug sie einen ganzen Berg an dreckiger Wäsche, den es nun zu säubern galt. Trotz der Wendung, die die Ereignisse am Morgen genommen hatten, war sie sehr guter Dinge. Noch immer kribbelten ihre Lippen von dem kurzen Kuss- und dabei hatte sie ihn doch noch nicht einmal auf den Mund geküsst. Sie seufzte. Wo nur sollte all das noch hinführen? Als sie endlich den Fluss erreichte, sah sie, dass bereits eine bekannte Gestalt am Wasser kniete.
„Grüß dich, Esmee", wandte sie sich vergnügt an ihre Freundin, „sieht ganz so aus, als ob wir uns heute das selbe Los teilen würden." Sie platzierte sich und ihren Wäscheberg direkt neben ihrer Freundin. So ließ es sich am besten klatschen.
„Nun, das scheint mir nicht ganz der Fall zu sein- immerhin habe ich heute morgen keinen Elben in meinem Bett gefunden.", klärte sie Ravena mit einem schelmischen Lächeln auf. Überrascht zog Ravena ihre linke Augenbraue hoch. Woher wusste denn Esmee schon davon?
„Woher weißt du das denn nun schon wieder?" Das blonde Mädchen konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen.
„Ach, du weißt doch wie schnell sich Gerüchte hier verbreiten." Ravena hätte vor Schreck beinahe das Hemd, das sie gerade am waschen war, in den Fluss fallen lassen. Als wäre es nicht schon genug, dass Legolas Freunde und wahrscheinlich auch der König falsche Schlüsse aus dieser Nacht ziehen würden- nein, jetzt dachte sich auch noch die halbe Stadt ihren Teil. Angesichts von Ravenas geschocktem Gesichtsausdruck konnte Esmee ein weiteres Kichern nicht unterdrücken.
„Ein Witz Ravena, das war nur ein Witz.", klärte sie sichtlich belustigt auf, „Ich bin auf dem Weg hierhin nur Siägä begegnet." Bevor sie sich versah landete ein klatschnasses Stück Stoff in ihrem Gesicht.
„Gott Esmee. Du hast mir einen riesigen Schrecken eingejagt." Noch immer konnte sich Ravenas Freundin nicht einbekommen. Sie lachte weiter, als wäre nichts geschehen.
„Du hättest deinen Gesichtsausdruck sehen müssen. Er war einfach zu gut." Schließlich fiel auch Ravena mit ein.
„Und nun will ich alles wissen." Also erzählte Ravena Esmee die gesamte Geschichte, so wie sie sie erlebt hatte. Dabei mussten sich die beiden Freundinnenmehr als einmal unterbrechen um ausgiebig zu lachen. Doch schließlich trat immer mehr ein anderes, ernsteres Thema in den Vordergrund.
„Und was willst du jetzt unternehmen, nun, wo du das Geld endlich zusammen hast?", ragte Esmee, während sie versuchte einen ganz besonders widerspenstigen Fleck aus einem Roch herauszuwaschen.
„Ich muss unbedingt einen Arzt finden. Einen guten Arzt. Und es muss schnell gehen. Wer weiß, wie lange Tarek noch durchhalten kann." Doch das war wesentlich leichter gesagt las getan. Auch wenn sie jetzt endlich das nötige Geld zusammen hatte, wusste sie doch immer noch nicht einen guten Arzt von einem schlechten zu unterscheiden.
„Nun, weißt du", setzte Esmee vorsichtig an, „Es wäre natürlich das beste, wenn sich ein Arzt des Hospitals um ihn kümmern würde."
„Ein Arzt des Hospitals." Ravena wiederholte die Worte bedächtig. Natürlich wäre das die beste Lösung, doch leider stand das Krankenhaus lediglich dem Adel und den reichen Kaufleuten zur Verfügung. Das Spital für die ärmere Bevölkerung war mit seinen beschränkten Mitteln mehr und mehr zu einem Sterbehaus der Alten und Kranken geworden. Obwohl sie nun Geld genug hatte, war sie sich nicht sicher, ob man Tarek aufnehmen würde. Doch sie zögerte nicht lange. Jetzt, wo sie schon so weit gekommen war, konnte sie doch nicht so einfach aufgeben. Sie würde den besten Arzt von ganz Gadara an den Ohren zu Tareks Bett schleifen, wenn es denn nötig sein sollte.
„Weißt du was?", meinte sie schließlich zu ihrer Freundin, „Das ist die Lösung."
*~*~*
