Disclaimer: siehe Kapitel 1

Kapitel 11

Teil 2

Ehrfürchtig stand Ravena vor den Pforten des Spitals. Angesichts der riesigen weißen Säulen fühlte sie sich beinahe so verloren wie einige Tage vorher während dem Ball. Der Abend war schon fortgeschritten. Ob man sie überhaupt noch empfangen würde? Sie konnte förmlich spüren, wie ihr Selbstbewusstsein mit jeder Minute die sie hier stand, mehr und mehr schwand. Doch noch bevor ihre Angst die Oberhand gewinnen konnte, rief sie sich wieder zur Raison- immerhin ging es hier um ein Menschenleben, ein noch sehr junges Menschenleben. Nachdem sie also noch einmal tief durchgeatmet hatte, klopfte sie an das Wachhaus, das ihr den Eingang zum Spital versperrte. Mit einem lauten Knarren öffnete sich ein kleines Fensterchen und Ravena konnte zwei Augen erkennen, die alles andere als erfreut über diese späte Störung zu sein schienen.

„Was gibt's?", wurde sie auch prompt angeherrscht. Ravena spürte wie ihre Knie immer weicher wurden.

„Ich, ich muss dringend mit einem Arzt sprechen. Es geht um Leben und Tod.", setzte sie noch schnell hinzu, um die Dringlichkeit der Situation zu verdeutlichen. Doch den Wachmann schien das herzlich wenig zu interessieren.

„Es ist schon spät. Komm morgen wieder. Vielleicht hast du dann mehr Glück. Aber ich bezweifle", dabei unterzog er Ravena einer eingehenden Musterung, „dass du genug Geld hast, um überhaupt angehört zu werden. Also verzieh dich ins Sterbehaus- dorthin wo solch ein Pack wie du hingehört." Damit schlug er dem Mädchen das Fenster vor der Nase zu. Er hatte ihr noch nicht einmal die Chance gegeben ihr Anliegen vorzutragen. Wütend klopfte sie immer und immer wieder gegen die Luke.

„Öffnet gefälligst! Verdammt noch mal, Ihr müsst mir öffnen. Es geht doch um alles." Sie fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weg gerissen werden. Tarek konnte jede Minute sterben. Sie hatte keine Zeit um auf den Morgen zu warten- nur um dann vielleicht, die Betonung liegt auf vielleicht, angehört zu werden.

„Ich muss da rein!", schrie sie gegen die Wand.

„Wenn du jetzt noch einen Ton von dir gibst, du hysterisches Gör, dann werde ich die Wache rufen lassen. Vielleicht bringt dich eine Nacht im Kerker ja wieder zur Besinnung." So schnell wie die Luke aufgerissen worden war, hatte der Mann sie auch schon wieder zu geschlagen. Das wäre dann dass wievielte mal innerhalb der letzten Woche, dass ihr der Kerker gedroht hatte? Erschöpft lehnte sie sich an die Mauer des Spitals. Ein kurzer Blick nach oben verriet ihr, wie hoffnungslos der Versuch wäre daran hinaufzuklettern. Die Wände waren viel zu glatt und zu hoch. Doch sie würde nicht eher ruhen, bis sie Tarek gerettet wusste.

Als sie so da saß und über eine geeignete Lösung nachsinnte, hörte sie, wie sich ihre schritte näherten- laufende Schritte, die urplötzlich stehen blieben, als sie Ravena gewahrten.

„Ravena? Was machst denn du hier? Bist du krank?", wurde sie von einer piepsigen Stimme gefragt. Trotz ihrer aussichtslosen Situation konnte Ravena sich einem kleinen Lächeln nicht erwähren. Seine Durchtriebenheit strafte die unschuldige Kinderstimme  des kleinen Jungen lügen. Dennoch hatte er das Herz am rechten Fleck. Ravena hatte seine Bekanntschaft gemacht, als er einmal vergeblich versucht hatte ihren Marktstand zu bestehlen.

„Nein, ich nicht Malachy, aber ein guter Freund von mir." Ohne Vorwarnung sprang Ravena plötzlich auf, sodass Malachy einen Schritt zurückweichen musste. Wie aus dem Nichts war ihr die rettende Idee zugefallen. Ob es wohl funktionieren würde? Nun, einen Versuch war es allemal wert- immerhin hatte sie nichts mehr zu verlieren. Mit einem verschwörerischen Lächeln beugte sie sich zu dem Jungen hinunter und hielt ihm eine Münze von ihrem Gewinn entgegen.

„Na Malachy, hast du vielleicht Lust auf einen kleinen Streich?" die Augen nicht von der Münze lassen könnend, nickte Malachy.

„Immer doch", bemerkte er mit einem schiefen Grinsen.

*~*~*

„Feuer, Feuer, aufwachen, Feuer, Feuer...", eine piepsige Jungenstimme hallte durch die Hassen Gadaras. Erst an der Pforte des Spitals kam sie zu einem Halten. Zwei aufgeregte Fäuste schlugen immer wieder gegen das Fenster des Pförtners.

„Feuer, Feuer, schnell macht auf, Feuer..." Urplötzlich wurde die Luke aufgerissen.

„Feuer? Wo?"

„Dahinten." Der Junge deutete in eine unbestimmte Richtung. „Schnell, Ihr müsst kommen und mir helfen!"

„Ist ja schon gut Bengel. Ich komm ja schon, ich komm ja schon." Damit schloss er das Fenster, nur um gleich darauf durch das Haupttor nach draußen zu gelangen.

„Na, wo ist das Feuer? Ich sehe nichts." Der kleine Junge nahm ihn an die Hand und zog ihn, noch bevor er die Türe wieder ordnungsgemäß verschließen konnte, mit sich.

„Dort vorne, dort vorne. Schnell, schnell. Ihr müsst kommen und helfen." Sobald sie um die Ecke verschwunden waren, hätten gute Augen eine gebückte Gestalt ausmachen können, die im Schatten der Mauer durch die Pforte huschte.

Als es ihr endlich gelungen war ungesehen das Spital zu betreten, entfuhr Ravena ein Seufzer der Erleichterung. Sie hoffte, dass Malachy entkommen konnte, noch bevor der Mann ihren Trick durchschauen würde und feststellte, dass ein Feuer gar nicht existierte. Doch bei der Gewitztheit, die dem Jungen zu eigen war, machte sie sich nicht allzu viele Sorgen. Die erste Hürde war also überwunden. Nun galt es nur noch einen anständigen Arzt auszumachen und alles würde wieder gut werden- hoffte sie zumindest.

Langsam ging sie einen langen Gang entlang. Das Echo ihrer Schritte hallte unangenehm laut durch das gesamte Gebäude. Zu ihrer rechten und linken hin öffneten sich immer wieder abzweigende Gänge, von denen sie nicht wusste wohin sie führten. Außerdem lagen zu beiden Seiten ein lange Reihe von Zimmern, aus denen man hin und wieder das Klagen und Wimmern der Patienten hören konnte. Ravena beeilte sich vorwärts zu kommen.

Am Ende des Flurs konnte sie eine art Empfang ausmachen, der von einem jungen Pfleger besetzt wurde. Vielleicht würde man ihr dort weiterhelfen können? Beim Näherkommen erkannte sie, dass an dieser Stelle alle Glocken aus den einzelnen Zimmern zusammenliefen. Beinahe schüchtern trat sie an den Empfangstisch heran.

„Entschuldigung, bitte?"

„Ja?" Der Manns schreckte von seiner Lektüre auf.

„Ich muss unbedingt mit einem Arzt sprechen. Bitte, Ihr dürft mich nicht mehr wegschicken! Es ist wirklich wichtig." Etwas irritiert schaute sich der Pfleger um.

„Wie bist du zu dieser Stunde noch hier herein gekommen?" Irgendetwas sagte Ravena, dass diese Frage ganz und gar nicht das war, was sie hören wollte.

„Durch die Tür", antwortete sie wahrheitsgemäß. Langsam begann sie ungeduldig zu werden.

„Also was ist nun? Ich brauche einen Arzt!" Doch der Mann am Empfang schien noch immer nicht geneigt zu sein Ravenas Flehen zu erhören.

„Es ist schon spät. Komm morgen wieder!" Damit wandte er sich wieder seinen Studien zu, aber das Mädchen war alles andere als geneigt, sich so schnell anfertigen zu lassen.

„Verzeiht, aber es ist wirklich SEHR wichtig", versicherte sie also noch einmal mit etwas mehr Nachdruck. Der Mann schien erstaunt zu sein sie immer noch vor seinem Tisch stehen zu sehen.

„Bestimmt nicht so wichtig, dass es nicht auch noch bis morgen warten könnte. Also verschwinde jetzt." Wieder wollte er sich von ihr abwenden, doch dieses Mals ließ es Ravena gar nicht erst so weit kommen. Mit einer schnellen Bewegung war sie an den Tisch herangetreten und hatte den Mann am Kragen gepackt. Sie hatte immer gewusst, dass sich die harte Arbeit eines Tages auszahlen würde. Gegen ihren kräftigen Griff hatte der etwas schwächlich anmutende Pfleger nicht den Hauch einer Chance.

„So, jetzt werdet Ihr mir mal ganz genau zu hören. Es ist ein Leben in Gefahr und ihr habt nichts besseres zu tun, als hier auf der faulen Haut zu sitzen. Jetzt tut endlich etwas und bringt mir einen Arzt! Haben wir uns verstanden?" Nachdem der Pfleger mit angsterfülltem Gesicht genickt hatte, ließ sie ihn endlich los. Vielleicht war sie doch etwas zu laut geworden.

„Was bei Eru ist hier los?", donnerte es plötzlich. Ravena erstarrte. Wieder einmal war alles dabei ihr aus den Händen zu gleiten, denn diese Stimme schien zu keinerlei  Scherzen aufgelegt zu sein. Mit gesenktem Blick drehte sie sich herum, um ihre Strafe zu erwarten. Nur, das Gezeter des jungen Pflegers war zu hören.

„Diese verdammte Furie ist einfach hier hereinspaziert und hat mich bedroht." Ravena kochte vor Wut über diese Verdrehung der Wahrheit, doch noch hielt sie ihren Blick gesenkt. Sie durfte sich jetzt nicht noch mehr Schwierigkeiten einhandeln.

„Ravena, nicht wahr?" Überrascht schoss der Kopf des Mädchens in die Höhe. Woher kannte man denn hier ihren Namen? Ihr Mienenspiel verriet ihr Entsetzten, aber auch eine aufkeimende Hoffnung, als sie erkannte, wen sie dort vor sich hatte.

„Herr, Herr Elrond?" stotterte sie schließlich. Was hatte denn Herr Elrond hier im Spital zu suchen? Der Angesprochene konnte sich ein schmunzeln nicht verkneifen. Wie schaffte dieses Mädchen es nur, sich unentwegt in solche Situationen zu bringen?

„Aber Herr, Ihr kennt dieses Gör?" Endlich wagte Ravena es, dem uneinsichtigen Pfleger einen strafenden Blick zuzuwerfen, woraufhin der es vorzog lieber zu schweigen.

„Fürwahr, ich hatte schon einmal die Ehre, die Bekanntschaft dieser jungen Dame zu machen.", berichtigte der Elb. „Und nun", damit wandte er sich wieder an das Mädchen. „erklärt mir, weshalb ihr diesen Aufruhr hier angezettelt habt." Also erzählte Ravena ihm alles über Tareks Krankheit und die Unfähigkeit der Quacksalber. Nachdem sie geendet hatte, wartete sie gespannt auf Herrn Elronds Reaktion. Der strenge Elb hatte während ihrem gesamten Vortrag nicht die kleinste Regung gezeigt. Als er dann endlich sprach, schaffte er es Ravena ein weiteres Mal zu Überraschen.

„Nun, dann sollten wir uns schnell auf den Weg machen."

„Wie...wie bitte?" Ravena musste sich verhört haben.

„Kommt schon, wenn es wirklich so dringend ist, müssen wir uns beeilen." Mit forschen Schritten ging er auf den Ausgang zu und der jungen Frau blieb keine andere Möglichkeit als hinterher zu laufen. Wenn ihr auch noch nicht klar war, was Herr Elrond gerade zu dieser Stunde in diesem Menschenspital zu suchen hatte, sah sie wieder ein kleines Licht im Dunkel der Hoffnungslosigkeit. Vielleicht würde ja doch noch alles gut werden.

*~*~*

„Und er weiß auch ganz sicher was er dort tut?" Zweifelnd beobachtete Frau Memel den Herr von Bruchtal und ihren Sohn vom Türrahmen aus. Ravena stand neben ihr.

„Ganz sicher. Er ist ein berühmter Elbenheiler. Der Berühmteste.", flüsterte sie leise, Elrond nicht stören wollend. Aber Frau Memel schien immer noch nicht überzeugt. Zu oft schon hatten Heiler, Ärzte, Mediziner, Doktoren und wie sie sich sonst auch immer nannten, ihr versichert, ihren Sohn retten zu können. Sie war es leid ihren leeren Versprechungen Glauben zu schenken. Nein, sie hatte die Hoffnung schon vor langer Zeit aufgegeben und nun kam Ravena plötzlich mit diesem merkwürdigen Wesen daher und behauptete die Rettung gefunden zu haben. Oh, sie betete, dass Ravena recht behalten würde, aber glauben, glauben konnte sie es nicht.

Gebannt schaute das Mädchen auf den Heiler. Wie in Trance wiegte er sich vor Tareks Bett vor und zurück, seine Handflächen schwebten über dem Jungen. Dabei murmelte er unentwegt die selben unverständlichen Worte, immer und immer wieder. Schweiß perlte ihm von der Stirn. Es schien sehr anstrengende zu sein, hoffentlich nicht zu anstrengend. Plötzlich, wie aus dem Nichts, wurden er und Tarek in eine goldene, warme Aura gehüllt. Ravena hielt den Atem an. Ob das ein gutes Zeichen war? Wenn sie doch endlich Gewissheit hätte. Ebenso schnell wie der Schein gekommen war, verschwand er auch wieder und ließ einen vollkommen erschöpften Elrond zurück. Beinahe zärtlich fuhr er dem Jungen über die verschwitzten Haare. Schwankend, gerade so, als wäre er eben all seiner Kräfte beraubt worden, kam er auf Ravena und Frau Memel zu. Beide Frauen sahen ihn erwartungsvoll an.

„Nun, das war wahrhaftig in allerletzter Sekunde. Nur einige Stunden später und das Fieber hätte die Oberhand gewonnen." Die ältere Frau erbleichte augenblicklich. Sie war von den Ereignissen noch zu verwirrt um die gute Nachricht als solche zu erkennen.

„Das...das bedeutet also?" Herr Elrond schenkte ihr ein bestätigendes Lächeln.

„Euer Sohn wird wieder gesund werden. Die Genesung wird ihre Zeit beanspruchen, aber er wird es schaffen." Frau Memel konnte es nicht fassen. Es war einfach unglaublich. All diese Monate des Hoffen und Bangens sollten durch einen einzigen Besuch dieses Heilers endlich ein Ende gefunden haben? Ihr Sohn sollte tatsächlich gesund werden? Sie stürzte zu seinem Bett, fühlte seine Stirn und tatsächlich- das Fieber, dieses alles aufzehrende Glühen war verschwunden. Es war weg, einfach so. Sie fing an hemmungslos zu weinen, doch das erste mal seit langer Zeit waren es Tränen der Erleichterung und nicht der Verzweiflung, die sich den Weg über ihre Wangen bahnten.

Elronds führte Ravena hinaus in die Wohnstube des ärmlichen Hauses. Dieser Moment sollte ganz der Mutter und ihrem Sohn gegönnt sein. Doch plötzlich verlangte in Ravena eine bisher unbeachtet gelassene Frage nach einer Antwort. Welche Geschäfte hatten diesen ehrwürdigen Elb in ein Krankenhaus der Menschen getrieben?

Nun, dass ist einfach zu beantworten, Kind.", gab Elronds bereitwillig Auskunft, nachdem sie ihn mit ehrfürchtiger Stimme schließlich zu fragen gewagt hatte. „Der Leiter des Spitals hatte mich in einem dringenden fall um eine Diagnose gebeten, sodass ich zur rechten Zeit am rechten Ort sein konnte, wie mir scheint.", fügte er noch mit einem Augenzwinkern hinzu.

„Er wird es also wirklich schaffen?" Ravena wollte die erlösenden Worte noch einmal hören, brauchte sie, um es endlich fassen zu können.

„Ja", wiederholte er.

„Wirklich?", Herr Elrond schmunzelte über so viel Unglauben.

„Ja, ganz sicher!"

„Oh, das ist ja phantastisch!" Und dann tat sie etwas, dass selten jemand vor ihr gewagt hatte zu tun und wofür sie später keine rationale Erklärung finden würde. In ihrem Freudentaumel fiel sie dem ehrwürdigen Elben um den Hals.

„Danke, danke, danke, danke", wiederholte sie immer wieder. Überrascht riss Elrond die Augen auf. DAS hatte sich nun, von seiner Frau uns seinen Kindern einmal abgesehen, noch niemand getraut- erst recht kein Mensch. Etwas verlegen, nicht wissend wie er reagieren sollte, klopfte er Ravena auf den Rücken.

„Schon in Ordnung, schon in Ordnung, mein Kind. Aber Ihr erdrückt mich..." Erst jetzt schien Ravena zu bemerkten, was sie gerade getan hatte. Schon beinahe erschrocken ließ sie ihn wieder los.

„Tut, tut mir leid." Verlegen blickte sie zu Boden, doch Elrond ließ lediglich ein warmes Lachen hören. Dieses Mädchen konnte doch immer wieder überraschen. Ein wahrlich ungewöhnliches Exemplar von einem Menschen- so erfrischend. Langsam wurde ihr klar, weswegen Legolas sich in ihrer Gegenwart immer wie ein kompletter Vollidiot benahm. Er wusste nicht, dass er das überhaupt noch konnte, aber plötzlich stahl sich ein schelmisches Lächeln auf seine Lippen. Oh, was gäbe er dafür um dabei sein zu können, wenn Thranduil dem Mädchen das erste Mal gegenüber stehen würde.

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