Disclaimer: siehe Kapitel 1
Warnungen: viele Seufzer *g*
Achja, es wird auch morgen oder so noch ein ‚renoviertes' 1.Kapitel geben und bevor Murmel mich jetzt tötet *g* es wurde nur noch mal beta gelesen und ein paar „Bandwurmsätze" getilgt, ihr müsst es also nicht unbedingt noch mal lesen... An dieser Stelle wieder ein riesiges Dankeschön an meine Beta Mara *knuddel*
Kapitel 14 ist nicht so gut wie die letzten Kapitel, aber ich hoffe es gefällt euch trotzdem *g* reviewt mir doch auch weiterhin so fleißig bitte, ihr wisst gar nicht wie glücklich ihr mich dann macht :-)
Wer ist Vilem? *hihi* Er wurde schon mal namentlich erwähnt. Kapitel7; 2.Teil während dem Tischgespräch
Kapitel 14
1.Teil
„Vilem!" Völlig aufgelöst lag sie in den Armen des Mannes. Nur unbewusst bemerkte sie, dass auch er weinte. So oft hatte sie sich ein Wiedersehen mit ihm ausgemalt – und nun, da sie ihn endlich wieder hatte, schien sie keines gescheiten Satzes mehr fähig zu sein.
„Ich dachte du wärst tot!" Die Worte waren durch ihre tränenerstickte Stimme kaum noch zu verstehen. Nur langsam lockerte sie die Umarmung, ihn unentwegt mit fassungslosem Gesicht anstarrend. „Was machst du hier? Und wie hast du mich gefunden? Wieso hast du dich nicht schon viel früher gezeigt und was ist mit den anderen?" Fragen über Fragen bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche, doch immer noch wollte sich kein klarer Gedanken fassen lassen. Ihr Bruder! Sie lag wirklich und wahrhaftig in den Armen ihres Bruders! War das denn überhaupt möglich? War er denn nicht verschollen, die Hoffnung auf ein Wiedersehen hoffnungslos? Doch sie konnte ihn ganz deutlich spüren, ihn riechen. Alles was sie in diesem Moment empfand war ein unbeschreibliches, sagenhaftes Glücksgefühl. Sollte Ravenas Schicksalsstern ihr nach all den Jahren des Mangels tatsächlich wieder hold sein? Da war Legolas der sie über alles liebte und nun auch noch ihr Bruder. Ihr Bruder!
„Sehe ich aus als wäre ich tot, Schwesterchen?" Ein liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen, die Flut an Fragen geflissentlich ignorierend. Nicht alle Antworten würden frohe Neuigkeiten bergen und nun wollte er erst einmal das Wiedersehen mit Ravena genießen – ganz ohne trübselige Gedanken. Oh, wie hatte er sie vermisst, seine kleine freche Maus; wie lange hatte er vergeblich nach ihr gesucht, nach ihr und ihren Eltern? Doch erst als er die Hoffnung schon lange aufgegeben hatte, brachte ihn der Zufall wieder auf ihre Spur. Das Schicksal schlug manchmal wahrlich verschlungene Wege ein, doch nun konnte er sie endlich wieder in seine Arme schließen, endlich wieder Opfer ihres frechen Mundwerkes oder ihrer Streiche werden.
Plötzlich bemerkte er, wie sie ihn mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen abschätzend musterte. Sich seiner heruntergekommenen Erscheinung bewusst werdend lachte er herzhaft. „In Ordnung, spar dir den Kommentar."
„Ich hab dich ganz schrecklich vermisst, Vilem." Noch immer wollte der Tränenstrom nicht versiegen, sodass ihr glückliches Lachen immer wieder von tiefen Schluchzern unterbrochen wurde.
„Ich hab dich auch ganz schrecklich vermisst. Schließlich bist du meine Lieblingsschwester."
Sie gab ihm einen gespielt empörten Klaps vor die Brust. „Ich bin deine einzige Schwester." Sie lachte wieder, froh darüber, dass sich manche Dinge niemals änderten.
„Und jetzt lass mich dich mal anschauen, Kleine. Immerhin hab ich dich seit fünf Jahren nicht gesehen." Er fasste sie an beiden Schultern und hielt sie eine Armlänge von sich entfernt, sodass er sie besser betrachten konnte. Und obwohl ihn das, was er sah, unsagbar stolz machte, wurde er von einer unbestimmten Traurigkeit erfasst. Er hatte so viele Jahre ihres Lebens verpasst, während denen sie ganz ohne seine Hilfe erwachsen werden musste. Mit den Fingern seiner rauen, aber dennoch zärtlichen Hand streichelte er sacht ihre Wange.
„Sieh dich einer an. Als ich gegangen bin, warst du kaum vierzehn Jahre alt und nun bist du zu einer wunderschöne Frau herangewachsen.", plötzlich konnte er sich ein Schmunzeln nicht mehr verkneifen, „Kein Wunder, dass der Elb sich in dich verliebt hat." Vergnügt beobachtete er, wie seiner kleinen Schwester die Schamesröte in die Wangen schoss.
„Was, woher weißt du?" Noch bevor ihr undeutliches Gestammel einen rechten Sinn ergeben wollte, hatte ihr Bruder auch schon wieder das Wort ergriffen.
„Das ist eine lange Geschichte, Robin (Rotkehlchen), eine sehr lange Geschichte." Überrascht ob der Nennung ihres Spitznamens aus Kindertagen sah sie ihrem Bruder wieder in die Augen. Ein versteckter Schmerz darin offenbarte ihr, dass diese Geschichte nicht nur aus schönen Momenten bestand.
„Wir werden euch beide dann mal allein lassen. Ihr habt euch bestimmt viel zu erzählen." Lediglich am Rande bekam sie mit, wie Siägä und seine Mutter sich taktvoll verabschiedeten. Schließlich führte Ravena ihren Bruder zu einem Sessel vor dem wärmenden Kamin. Sie selbst nahm zu seinen Füßen platz, sich mit ihren Ellbögen auf seine Knie aufstützend. Gebannt betrachtete sie das Spiel der Schatten, die das prasselnde Feuer auf sein Gesicht warf. Erleichtert stellte sie fest, dass er noch beinahe genauso aussah wie damals, als er von ihnen fortgezogen war. Allein seine Augen sprachen von den Schmerzen und Qualen, deren Zeuge er in all den Jahren geworden war, die er womöglich am eigenen Leibe erlitten hatte. Vorsichtig, gerade so, als wäre er nur eine Erscheinung, die verpuffte, kaum dass sie sie berührte, strich sie ihm über die lange Narbe, die quer über seine linke Wange verlief. Wie viele Narben, ob sichtbar oder unsichtbar, er wohl noch mit sich gebracht haben mochte? Aus Angst vor seiner Antwort wagte sie es kaum die Frage zu stellen, die ihr am heißesten auf der Zunge brannte.
„Vilem, was... was geschah mit unseren Brüdern?"
Leise seufzte er auf. Wie hatte er diese Frage gefürchtet, doch nun, da sie gefahrvoll im Raume hing, war er seiner Schwester gegenüber zur Wahrheit verpflichtet – so schwer ihm die Erinnerung auch viel. Er sah in die hoffnungsvollen Augen Ravenas.
„Efrem und Gabor sind...", er atmete noch einmal tief ein, zögerte eine Antwort hinaus, „... sie sind tot."
„NEIN!" Sie schrie es beinahe heraus, wollte es einfach nicht akzeptieren. Ihr war noch nie bewusst geworden, wie schnell unsagbare Freude in tiefe Trauer umschlagen konnte. An einem einzigen Tag hatte sie einen Bruder gewonnen und zwei verloren. Auch wenn diese Nachricht nicht gänzlich unerwartet kam, fühlte sie den Schmerz doch unbarmherzig auf sich einpeitschen. Durch die grausame Gewissheit wurde nun auch der letzte hoffnungsvolle Strohhalm, ihre Familie jeweils wieder vereint zu sehen, zerstört. Efrem! Gabor! Das durfte einfach nicht sein!
„Wie?", war alles was sie unter tränenerstickter Stimmer hervorbringen konnte. Vilem wurde das Herz schwer. Ihr Kummer betrübte ihn. Wie sehr hatte er sich gewünscht ihr frohere Botschaften überbringen zu können, als die vom Tod ihrer beider Brüder. Selbst nach zwei Jahren bereitete es ihm noch Schwierigkeiten darüber zu sprechen. Er spürte, wie ihm erneut die Tränen in den Augen brannten, doch dieses mal waren es keine Tränen der Freude. Mit einem Seufzer, der sogar das Mitleid der Totengeister geweckt haben würde, setzte er sich zu Ravena auf den Boden und nahm sie in seine Arme, spendete ihr Trost.
„Efrem ist während einem Gefecht mit den Haradrim gefallen.", begann er schließlich mit belegter Stimme zu berichten, „Gabor kam auf den Pelenorfeldern um. Was aus Tuncay und Vyvyn geworden ist, weiß ich nicht. Sie waren einer anderen Truppe zugeteilt worden. Oh Ravena!", verzweifelt klammerte er sich an seine Schwester, „Ich dachte alle seien tot. Ich kam nach Hause und fand alles zerstört. Niemand war mehr da. Was ist mit unseren Eltern? Sind sie auch...?" Er fürchtete sich das letzte Wort offen auszusprechen. So viele waren gestorben, so viele hatte er sterben gesehen. Er hatte zwei seiner Brüder begraben, hoffentlich würde er nicht auch noch das Grab seiner Eltern vorfinden.
„Nein, ich weiß es nicht.", ihre Stimme brach, „Bei einem Angriff auf unser Dorf wurde ich von ihnen getrennt. Ich bin mit dem Flüchtlingsstrom nach Rohan gezogen, aber ich hab sie seitdem nicht mehr wieder gesehen."
Erleichtert atmete er auf. „Dann gibt es noch Hoffnung."
„Hoffnung?", ungläubig fuhr Ravena ihren Bruder an, „Welche Hoffnung denn? Efrem und Gabor sind tot! Der Krieg hat alles kaputt gemacht!" Es war ein wütendes Aufgebehren gegen die schrecklichen, aber absehbaren Folgen eines jeden Krieges. Auch wenn ihr Tod im Kampf gegen den dunklen Herrscher nicht vergebens gewesen sein sollte, so änderte es nichts an ihrer Gram.
Vilem lächelte schwach. „Wir haben uns doch auch wieder getroffen, Schwesterchen, oder nicht? Entgegen aller Hoffnungen." Das warf eine weitere Frage, die Ravena, gefangen in ihrer Trauer, bisher noch nicht gestellt hatte.
„Wie?", aus roten, geschwollenen Augen sah sie ihn an, „Woher wusstest du, wie du mich finden konntest?" Vielleicht würde sie auf diesem Wege ja auch den Rest ihrer Familie wiederfinden können – falls sie denn noch lebten.
„Nun, das ist wohl nicht gerade meine ruhmreichste Tat." Er grinste schief. Beinahe schien es Ravena, als wäre er peinlich berührt. „Ich habe mich einer Gruppe Banditen angeschlossen."
„Banditen!" Ravena sprang auf. Plötzlich ergab alles einen Sinn. „Das warst du! Du hast Legolas und mir geholfen!" Wieder schlug sie ihm gegen die Brust, dieses mal wütend, „Wieso hast du dann nicht sofort etwas gesagt?"
„Weil alles schnell gehen musste. Ich wollte nicht, dass ihr wieder eingefangen werdet, kaum dass ihr frei wart. Also habe ich abgewartet und mich später in der Stadt nach dir erkundigt. Bitte verzeih mir." Er sah sie aus seinen großen grünen Augen an und plötzlich konnte Ravena nicht anders als ihn so fest zu Umarmen, wie es ihr nur möglich war. Wie froh, ja geradezu unsagbar glücklich war sie, dass der Krieg ihr nicht auch noch Vilem genommen hatte. Das Unmögliche war tatsächlich geschehen. Sie hatte ihren Bruder wieder. Etwas, das sie vor einigen Stunden noch nicht einmal im Traume zu hoffen gewagt hatte. Wieder kamen ihr die Tränen, nicht wissend, ob sie sich im Angesicht der Nachricht vom Tode ihrer Brüder, überhaupt freuen durfte.
„Ich hab dich lieb Vilem, ich hab dich schrecklich vermisst." Freudestrahlend erwiderte er ihre Umarmung. Endlich hatte er wieder einen Teil seiner Familie gefunden, endlich war er nicht mehr alleine, endlich war er wieder mit seiner kleinen Schwester, seiner Lieblingsschwester, zusammen.
„Ich dich auch, Robin.", er tupfte ihr einen neckischen Kuss auf die Nasenspitze, „Und jetzt erklär mir doch bitte mal, was du und dein Elb am helllichten Tag in einem einsamen Wald zu tun hattet?"
Gegen ihren Willen stahl sich der Hauch eines Lächelns auf ihr tränenverhangenes Gesicht. „Nicht bevor du mir erklärt hast, wie, bei Eru, du auf die absolut blödsinnige Idee kommen konntest, dich einer Gruppe Banditen anzuschließen."
*~*~*
Geschäftig werkelte Ravena in der Küche des Wirtshauses herum, um das Frühstück für ihren Bruder zu bereiten. Noch immer waren ihre Gefühle gespalten, noch immer gaben sich die Tränen der Trauer und ihr glückliches Lachen die Hand. Ach, wie hatte sie sich danach gesehnt endlich ihre Familie zu wiederzufinden. Jeden Tag hatte sie inbrünstige Gebete in die Welt geschickt, auf dass jemand sie erhören würde. Doch nun, da sie ihren Bruder endlich in die Arme schließen konnte, entpuppte sich das Wiedersehen als bittersüß. So sehr sie sich auch über Vilems Anwesenheit freute, so sehr trauerte sie um Efrem und Gabor. Jedes mal, wenn sie in dieser Nacht mit Vilem gescherzt und den Verlust für einen kurzen Augenblick verdrängt hatte, war sie durch den Schmerz von tausend Stecknadeln, die sich unbarmherzig in ihr Herz bohrten, erneut daran erinnert worden, dass sie mit Efrem und Gabor niemals wieder würde scherzen können.
In diesem Moment wünschte sie sich Legolas' starke Arme herbei. Sie würden sie so fest halten, dass sie allen Schmerz dieser Welt im Nu vergäße. Wieder auf andere Gedanken gebracht malte sie sich aus, wie Vilem wohl auf Legolas reagieren würde. Sie musste kichern. Von all ihren Brüdern hatte sie zu Vilem stets die engste Bindung gehabt und auch wenn seine Beschützerinstinkte sich mit Siägäs durchaus messen konnten, sagte ihr ihr Gefühl, dass Vilem Legolas wesentlich schneller akzeptieren würde – und das nicht nur, weil sie beinahe die gesamte Nacht von niemand anderem geredet hatte. Sie seufzte. Legolas würde wahrscheinlich erst am Abend wiederkommen und bis dahin galt es nun mal sich zu gedulden.
„Denkst du schon wieder an deinen Elb?" Als Ravena sich ertappt zu der Stimme herumdrehte, erkannte sie einen amüsiert dreinschauenden Vilem, der bequem am Türrahmen lehnte.
„Wie kommst du darauf?" Jeder Versuch es zu leugnen scheiterte bereits am Leuchten ihrer Augen – was sie allerdings nicht davon abhielt, es dennoch zu tun. Plötzlich konnte sich Vilem ein leises Kichern nicht verkneifen. Empört stemmte Ravena beide Hände in die Hüften.
„Mach dich nur lustig über mich, dann gibt's eben kein Frühstück für dich." Innerlich frohlockte sie. Wie hatte sie diese Sticheleien, all diese Rituale, vermisst. Beinahe ließ es sie die Jahre der Trennung vergessen.
„Verzeih mir, Schwester.", wieder lachte er, „Ich musste nur gerade an das kleine Mädchen denken, dass strikt behauptet hatte sich nie und nimmer zu verlieben und ohne große Mühe jedem Jungen im Dorf eine Tracht Prügel verpassen konnte."
„Ha, das könnte ich heute auch noch!" Stolz reckte sie ihr Kinn nach oben und brachte damit ihren Bruder noch mehr zum lachen.
„Das bezweifele ich nicht eine Sekunde – und trotzdem ist es jemandem gelungen, dein Herz zu erobern."
So leicht wollte Ravena sich nun aber nicht geschlagen geben. „Gar nicht wahr. Ich hab ihn mir geangelt und blaue Flecken hat er von mir auch schon bekommen." Plötzlich mussten sie beide Lachen. Ravena hatte ihm sehr ausführlich beschrieben unter welch verwunderlichen Umständen sie sich kennen gelernt hatten. Um genau zu sein hatte sie eigentlich kaum von jemand anderem geredet als Legolas. Legolas hier, Legolas da, Legolas oben, Legolas unten. Sie schien ihn sehr zu lieben und das war alles, was für Vilem zählte. Er dachte an Legolas' Schwur zurück, sie mit seinem Leben zu verteidigen und war plötzlich froh, seine einzige Schwester in sicheren Armen zu wissen.
„Na komm schon, lass uns frühstücken, ich hab einen Bärenhunger." Den hatte Vilem nach einer schlaflosen Nacht voller Erzählungen wirklich.
„Ach, hast du bei deinen Banditenfreunden etwa nie was zu Essen bekommen?" Ihr Bruder hatte ihr erzählt, dass er in den Wirren nach dem Krieg keine andere Möglichkeit des Überlebens mehr gesehen hatte, als sich diesen Räubern anzuschließen. Ihr Hauptmann war, soweit man das bei Banditen eben sagen konnte, ein gerechter Mann, der sich bemühte, seine Überfälle auf die Wohlhabenden zu beschränken. Und da Vilem seine Entscheidung niemals bedauert zu haben schien, hatte auch sie beschlossen ihrem Bruder zu vertrauen – wenn sie sich die ein oder andere Spitze auch nicht verkneifen konnte.
„Du weißt doch wie Banditen sind, Kleine", er seufzte theatralisch, „die stehlen einem ständig alles vor der Nase weg."
*~*~*
Beschwingten Schrittes wanderte Legolas das kurze Wegstück entlang, das ihn schon bald zu Ravenas Haus führen würde. So sehr er sich auch bemühte, er konnte einfach nicht dem Drang widerstehen, ein fröhliches Lied aus seiner Heimat anzustimmen. Schließlich sollte ganze Mittelerde erfahren, dass er der wahrscheinlich glücklichste Elb war, der jemals diese Gefilde durchwandert hatte. Verwundert ob der engelsgleichen Stimme, die da über die weite Flur schallte hielten die Menschen auf den Feldern einen Augenblick inne um ihr zu lauschen. Niemals zuvor war es ihren Leid geprüften Ohren vergönnt gewesen solch einen reinen Klang zu vernehmen – und nie wieder sollten sie die Gelegenheit dazu bekommen. Nachdem der Elb an ihnen vorüber gezogen und seine Stimme im sanften Wind verklungen war, schüttelten sie die Köpfe, als suchten sie sich von dem Zauber der fremden Musik zu befreien. Ob es nur Einbildung war? Stillschweigend, aber dennoch seltsam zufrieden wandten sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Noch in vielen Jahren würde man sich an kalten Winterabenden von dem Geist erzählen, der an einem heißen Spätsommernachmittag über die Felder Gadaras gewandelt war und die Menschen mit seinem Zaubergesang erfreut hatte.
Legolas, der indes nichts von der Wirkung seiner Stimme auf die armen Bauern ahnte, konnte es kaum erwarten, wieder seine Geliebte in den Armen zu halten. Der Stand der Sonne sagte ihm, dass er viel zu früh war. Er seufzte auf. Sicher würde sie noch arbeiten müssen, doch im Schloss hatte ihn nichts mehr halten können. Gimli war schon früh am Morgen aufgebrochen um den gadara'schen Steinmetzen einmal über die Schulter zu schauen und so war niemand mehr da, der ihn von seiner Sehnsucht hätte ablenken können. Trotz alledem verlangsamte er seinen Schritt nicht. Vielleicht würde er ja dennoch einen Blick auf seine Liebste erhaschen können.
Erwartungsvoll, aber immer darauf bedacht nicht gesehen zu werden, umrundete er das Haus. Sein Herz machte einen kleinen Aussetzer als er Ravenas ausgelassenes Lachen vernahm. Er lächelte. Es schien von der Plantage zu kommen, dem Platz, an dem sie sich das erste Mal gesehen hatten. War es wirklich erst wenige Tage her? Mit klopfendem Herzen trat er um die Ecke – und das, was er dort sah, ließ augenblicklich das Lächeln auf seinem Gesicht ersterben. Es war Ravena, in den Armen eines fremden Mannes. Plötzlich war alles in ihm leer, sinnlos. Jedweder Bewegung unfähig beobachtete er das sich ihm bietende Schauspiel.
Sie spielten fangen, versteckten sich immer wieder hinter den unzähligen Bäumen und lachten dabei so ausgelassen, wie es für gewöhnlich nur kleine Kinder konnten. Legolas war, als spürte er eine Faust, die sich mit festem Schlag in seinen Magen grub und ihm alle Luft zum atmen nahm. Ungeschickt stützte er sich mit seiner rechten Hand an der Wand ab und ballte die linke zu einer Faust, so fest, dass er sich selbst damit Schmerzen bereitete. Er wusste Ravena liebte ihn, nur ihn. Er wusste, sie würde ihn niemals betrügen. Hatte er es nicht in ihren Augen gelesen? Und doch erkannte der Elb eine Bindung zwischen diesen beiden, die er nicht recht zu erfassen wusste – und das bereitete ihm angst. Angst, seine Geliebte an einen anderen zu verlieren. Wer war dieser Mann? So ausgelassen und offen benahm sie sich nicht einmal bei Siägä.
Er sollte sich bemerkbar machen. Vielleicht würde sich des Rätsels Lösung ja dann ganz von alleine herausstellen. Froh, endlich einen Plan zu haben, nahm er sich wieder zusammen. Er musste diesem Kerl seine Gemütslage ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Doch gerade in dem Moment, als er aus seiner Ecke hervorkommen wollte sah er, wie Ravena dem Mann um den Hals fiel und beide lachend im Gras landeten.
„Ich bin so froh, dass du endlich wieder bei mir bist, wie hab ich dich vermisst." Für jeden Mensch währen die Worte über diese Distanz hinweg nicht auszumachen gewesen, doch in Legolas' Ohren dröhnten sie lauter als jeder Donnerschlag. Schneller als der Wind hatte er sich abgewandt und war im nahen Wald verschwunden. Mit leerem Kopf rannte er immerzu weiter, nicht auf den Weg achtend, auf den er seine Füße setzte.
Was war nur aus ihm geworden? Er war sich beinahe sicher, dass Ravena die Sache schnell hätte aufklären können – oder hoffte er das nur? So kannte er sich wirklich nicht, so unsicher, so ängstlich, so schwach. Mitten in seinem Lauf hielt er inne. Ja, das war es: Schwäche. Sie war seine Schwäche, so und nicht anders war es. Plötzlich musste er laut lachen. Er hatte in unzähligen Kriegen gekämpft, hatte sich allen möglichen Herausforderrungen gestellt, den gefährlichsten Gegnern – und nun lief er ausgerechnet wegen einer Frau davon! Ob sie wohl wusste, welche Macht sie über ihn besaß?
Sobald er sie sah, sie ihm ein Lächeln schenkte, verwirrte sie seinen Verstand, wurde er willenlos, gehörte er ganz und gar ihr. Er liebte sie so sehr, dass er ohne sie an seiner Seite keinen Schlaf mehr finden konnte, dass er ohne sie nicht mehr atmen konnte, unvollkommen war. Ohne sie würde er zugrunde gehen. Er fiel auf die Knie. Nie wieder würde er Ravena in die Augen sehen können. Wie nur hatte er annehmen können, dass sie ihn betröge, ihn hinterging? War er ihrer Liebe überhaupt wert? Er konnte sich keinen Reim auf sein seltsames Verhalten machen, denn schließlich vertraute er ihr. Ihr mehr als jedem anderen Wesen in diesen Gefilden. Seine einzige Entschuldigung war seine Angst, seine Ungewissheit. Die einzige Furcht, die er nun kannte, war die, Ravena zu verlieren.
Nach einer ganzen Weile schaute er sich um, sich orientierend. Während seiner kopflosen Flucht war es ihm gleich gewesen, wo seine Füße ihn hingetragen hatten. Überrascht erkannte er, dass er sich nun nahe der Straße befand. Als er schließlich dem Waldrand den Rücken zugekehrt hatte streifte sein Blick ein kleines Wirtshaus auf der gegenüberliegenden Seite der Straße. In seinem Kopf formte sich eine Idee, eine verhängnisvolle Idee. Er wusste es war falsch, doch nie und nimmer wollte und konnte er Ravena so aufgewühlt unter die Augen treten. Wie hätte er ihr sein Verhalten erklären sollen? Herausfinden würde sie es bestimmt – benötigte sie doch nur einen einzigen Blick in seine Augen, um alles über ihn zu erfahren. Unsicheren Schrittes ging er auf den Gasthof zu. Ob er hier wohl etwas Ablenkung würde finden können? Vor der Tür zögerte er kurz, doch dann zog er sich mit einer fließenden Bewegung die Kapuze seines Unhangs tief ins Gesicht und trat ein. Die ungeteilte Aufmerksamkeit eines ganzen Wirtshauses war das letzte, was er jetzt brauchte – oder wollte.
Als erstes nahm er ein Duftgemisch aus den verschiedensten Ausdünstungen menschlicher Körper wahr, das ihn scheinbar erschlagen wollte. Der Elb fragte sich unweigerlich, vor wie vielen Jahrhunderten in diesem Raum wohl das letzte Mal gelüftet worden war. Dieses Gasthaus stand in keinem Vergleich zu dem reinlichen ‚bellenden Hund', sprach aber wahrscheinlich auch nicht denselben Kundenkreis an. Sein Auftauchen wurde nur hier und da von einem trägen Kopfnicken quittiert. Dankbar ob der ihm zuteil werdenden Gleichgültigkeit durchquerte er den Raum und ließ sich in einer kleinen, versteckten Nische nieder. Während er auf den Wirt wartete, besah er sich unauffällig die anderen Gäste. Allesamt waren sie raue Gesellen, die grölend ihre derben Trinklieder zum Besten gaben. Legolas konnte nicht eine Frau ausmachen.
„Was darfs denn sein?" Ein geschäftig wirkender, gut genährter Mann war unauffällig vor seinen Tisch getreten. Das braune Haar hing ihm in fettigen Strähnen bis zu den Schultern hinab und zwischen den wenigen Zähnen, die sein Mund noch beherbergte, hafteten die Überreste seiner letzten Mahlzeit. Jeder Elb aus Bruchtal oder Lothlorien hätte wohl unverzüglich angeekelt die Flucht ergriffen, doch für Legolas hatte all dies etwas Vertrautes. Sein Volk lebte in Frieden mit den Menschen vom Langen See Esgaroth und so war er als junger Elb oftmals mit den Flößern gen Seestadt gefahren.
„Das Stärkste was Ihr anzubieten habt!"
Der Wirt lachte kurz auf. „Das Stärkste? Das könnt ihr haben, Herr, aber ob ihr es auch vertragt? Erst gestern kam eine Weinlieferung aus den großen Gärten von Dorwinion. Dieser Wein haut sogar den stärksten Elben um." Wegen der Kapuze, die Legolas Gesicht in tiefen Schatten hüllte, konnte der Wirt das angedeutete Lächeln des Elben nur mehr erahnen, denn tatsächlich sehen. Der Mann hielt ihn für einen wahrhaftigen Menschen.
„Umso besser."
Der Wirt zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder der Theke zu, dem geheimnisvollen Mann im grünen Mantel das geforderte liefernd. Solange seine Kunden ihre Zeche begleichen konnten, war es ihm gleich, in welchem Zustand sie sein Haus wieder verließen.
*~*~*
Unruhig ging Ravena auf und ab. Schön längst hatte sie all ihre Arbeiten erledigt, schon längst hätte ein ganz gewisser Elb vor ihrer Tür stehen müssen. Es dunkelte bereits und langsam aber sicher begann sie, sich ernsthafte Sorgen zu machen.
„Na, schon Sehnsucht nach dem Liebsten, Schwesterchen?" Lachend trat Vilem in die Stube ein. Er hatte einen wunderschönen, ausgelassenen Tag mit seiner Schwester verlebt und beinahe war es ihm, als wären sie nie getrennt gewesen.
„Du", sie gab ihm einen freundschaftlichen Klaps vor die Brust, „bist still!" In diesem Moment klopfte es an der Vordertür. Unwillkürlich stieß das Mädchen einen Seufzer der Erleichterung aus.
„Das wird er sein. Warte du hier." Mit klopfendem Herzen ging sie zum Eingang. Ob Legolas ihren Bruder wohl mögen würde? Ob die beiden sich verstehen würden? Nun, es gab nur einen Weg das heraus zu finden. Mit zittrigen Fingern strich sie noch ein letztes Mal ihr Kleid glatt, bevor sie mit einer resoluten Bewegung die Tür öffnete – und sich einem Zwerg gegenüber sah.
„Oh", es wollte ihr nicht recht gelingen ihre Enttäuschung zu verbergen, „Herr Gimli." Ein kurzer Blick aus dem Eingang hinaus sagte ihr, dass Legolas nicht in der Nähe war. Gimli schien indes das Desinteresse an seiner Person geflissentlich zu ignorieren.
„Nun, wo ist dieser Halunke von einem Elb?", polterte er sogleich los.
Ravena war sichtlich verwirrt. „Legolas? Ja aber ist er denn nicht bei Euch? Er war den ganzen Tag noch nicht hier."
„Nicht hier? Wie das? Nachdem ich von einem Ausflug in das Schloss zurückgekehrt bin, war er nicht mehr dort, also nahm ich an er wäre schon längst hier." Nun begann sie, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Wo konnte ihr Liebster nur sein? Ob ihm etwas zugestoßen war? Sie wagte noch nicht einmal im Traum daran zu denken.
„Aber wo kann er denn dann stecken?" Ravena gab sich alle Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Sie wusste, Legolas war ein Krieger und konnte sehr gut auf sich selbst aufpassen. Doch wenn dem tatsächlich so war, wieso war er dann nicht hier, bei ihr? Auch Gimli war bemüht, dem Mädchen seine aufkommende Unruhe nicht zu zeigen. Für Legolas gab es den ganzen lieben langen Tag kein anderes Thema als Ravena. Ravena hier, Ravena da, so ging das von morgens bis abends und nach Gimlis Wissen gab es für den Elb keinen schöneren Ort als die Arme seiner Geliebten. Wo also steckte er, wenn er weder bei ihr, noch im Schloss war?
„Ob ihm etwas zugestoßen ist?" Ravenas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Es hatte sie wahrlich große Überwindung gekostet, diese Überlegung auch nur in Betracht zu ziehen, geschweige denn laut auszusprechen. Gimli nahm sich bereits jetzt vor, Legolas eine ordentliche Standpauke zu halten. Wie konnte er es sich nur herausnehmen, seinem Mädchen solche Sorgen zu bereiten? Das war doch sonst nicht seine Art. Aber all seinen eigenen Bedenken zum Trotze bemühte er sich, Ravena gegenüber zuversichtlich zu bleiben.
„Ach was! Er ist ein Elb.", erklärte er gerade so, als sei dies die Wurzel allen Übels, „Die brauchen nur ein Vöglein zwitschern zu hören und schon haben sie alles um sich herum vergessen."
Ravena schien von dieser Erklärung nicht sonderlich überzeugt. „Meint Ihr das wirklich?"
Gimli war sich durchaus darüber im klaren, dass diese Begründung nicht eben die glaubwürdigste war, doch aus dem Stehgreif hatte ihm nichts besseres einfallen wollen. „Ja, ja", fuhr er also fort, „glaubt mir, meine Dame. Kaum ist man mit einem von ihnen in einem Wald, kommt man keinen Meter mehr voran. Erst muss dort ein Baum beschaut werden und dann gibt's wieder da eine wunderschöne Blume. Außerdem darf man den Gesang der Vögel nicht vergessen. Er zieht nämlich einen Elb in seinen Bann wie die Sirenen arglose Seefahrer, müsst Ihr wissen. Seht Ihr, das ist alles ganz natürlich." Gimli hoffte, dass das Mädchen der kleinen Schwindelei endlich Glauben schenken möge.
„Also ich weiß nicht." Sie dachte an all die Gelegenheiten zurück, wo sie mit Legolas im Wald gewesen war. Dergleichen war ihr nie aufgefallen. Der einzige Bann, unter dem ihr Liebster gestanden hatte, war der der Liebe. Andererseits musste sie sich eingestehen, dass sie wirklich nur sehr wenig über sein Volk wusste. Sie seufzte. Sobald Legolas wieder da war, galt es viele Wissenslücken zu füllen.
„Ich mache Euch einen Vorschlag. Ihr bleibt hier, wehrte Dame, während ich diesen Halunken suchen gehe. Sobald ich ihn dann gefunden habe werde ich bescheid geben. Habt acht und grämt Euch nicht. So schnell geschieht ihm schon nichts." Noch bevor Ravena etwas hätte erwidern, geschweige denn den Zwerg begleiten können, war er auch schon wieder verschwunden. Just in diesem Moment trat Vilem zu ihr.
„Was ist geschehen?"
Mit Sorgenvollem Gesicht sah das Mädchen zu ihrem großen Bruder auf. Sie seufzte. „Ich habe Angst."
*~*~*
Murrend schritt der Zwerg noch einmal die Straße ab. Verliebte Elben! Da ließ man sie ein einziges Mal alleine und schon hatte man nichts als Schwierigkeiten am Hals. Er seufzte laut auf. Wie hatte er dem Mädchen nur versprechen können Legolas zu suchen? Schließlich war er ein Zwerg und kein Elb, der in tiefster Dunkelheit noch über Meilen hinweg eine Maus ausmachen konnte. Na, dieser Haudegen würde etwas zu hören bekommen! Doch dafür müsste er ihn erst einmal finden. Trotz allen Murrens und Lamentierens kam Gimli nicht umhin, sich ebenfalls große Sorgen über das Ausbleiben seines besten Freundes zu machen. Er sandte ein Stoßgebet zu Aule, auf dass er Legolas bald antreffen möge.
Nach einer ganzen Weile voller fruchtlosem Rufens erblickten des Zwergs müde Augen den warmen Lichtschein einer nahen Hütte. Voller Hoffnung beschleunigte er seine Schritte. Möglicherweise hatte man dort ja etwas von Legolas gehört – immerhin war er als Elb alles andere als unauffällig. Schon von weitem konnte Gimli das ausgelassene Johlen vieler menschlicher Stimmen vernehmen und je näher er kam, desto mehr sah er sich in seiner Annahme bestätigt, dass es sich bei der Hütte um ein Schankhaus handeln musste.
Tatsächlich hing neben dem Eingang ein großes Schild in Form eines Bierfasses. Darunter stand mit verzierten Buchstaben „Zum Leckenden Fass" geschrieben. Legolas und Gimli waren schon des öfteren daran vorbeigegangen ohne die Gastwirtschaft näher beachtet zu haben. Auch durch Gimlis Eintreten ließen sich die Männer in ihren Trinkliedern nicht stören. Lediglich der ein oder andere prostete ihm vergnügt zu. Obwohl der Zwerg bezweifelte, seinen Freund hier finden zu können, beschloss er, sich zunächst einmal unter den Gästen umzusehen. Anschließend würde er immer noch unangenehme Fragen stellen können.
Langsam, jeden Mann so unauffällig wie möglich in Augenschein nehmend, durchquerte er den Raum. Nichts. Nichts, was auch nur im Entferntesten wie ein Elb aussehen würde. Er seufzte. Ob er Legolas wohl jemals wieder finden würde? Auf der Suche nach dem Wirt des Hauses ließ er seine Augen noch ein weiteres mal durch die Schankstube schweifen. Dabei entdeckte er eine versteckte Nische, die ihm bei seinem Rundgang wohl entgangen sein musste. Doch das interessante daran war nicht die Nische an sich, sondern der Gast, der darin saß. Tief über sein Glas gebeugt, das Gesicht von der Kapuze seines Gewandes größtenteils verdeckt, hätte Gimli ihn nicht wiedererkannt wäre ihm nicht die blattförmige Spange ins Auge gefallen, die seinen Mantel zusammenhielt.
„Du unverbesserlicher Schwerenöter. Was, bei allen guten Geistern, treibst du hier?", polterte er umgehend los. Forschen Schrittes hatte der Zwerg die kurze Distanz, die ihn noch von Legolas trennte, überwunden. Kritisch fasste Gimli die leere Weinflasche ins Auge, die von der Hand des Elben fest umklammert wurde. Er konnte es nicht fassen. Was, in Aules heiligem Namen, tat Legolas sturzbetrunken in einer Schenke, anstatt bei seiner großen Liebe zu sein? Die Liebe, von der er, wohlgemerkt, ununterbrochen sprach. In diesem Moment hob Legolas schwerfällig den Kopf. Wer veranstaltete da nur solch einen dröhnenden Lärm? Nur langsam wollte sich sein, vom vielen Wein trüb gewordener Blick klären.
„Gimli?" Seine Stimme war kaum mehr ein Krächzen. Nichts war mehr da von der einzigartigen Stimme, die noch am Nachmittag alle Menschen verzaubert hatte.
„Na, immerhin scheinst du deine Freunde ja noch zu erkennen." In all den Jahren, die der nun schon mit Legolas durch Mittelerde zog, hatte er den Elb nicht ein einziges Mal betrunken gesehen, ja, noch nicht einmal angeheitert. Hätte Gimlis Vater Gloin seinem Sohn nicht die Geschichte seiner Flucht aus den Kerkern Düsterwalds erzählt – er hätte es für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten, dass Elben, diese Meister der Selbstkontrolle, überhaupt betrunken werden konnten. Doch nun saß Legolas hier, ein einziges Häuflein Elend. Was war nur geschehen? Wieder seufzte er. Wenn man einmal nicht aufpasste... Dennoch konnte er sich ein schadenfrohes Grinsen kaum verkneifen. Hiermit würde er Legolas noch in hundert Jahren aufziehen können.
„Also? Was ist geschehen?" Gimlis Stimme war die eines strengen Vaters, der beim Rügen keinen Wiederspruch dulden würde. Eine Tatsache, die selbst Legolas in seinem erbarmungswürdigen Zustand noch erkennen konnte.
„Ravena, ich... ich hab sie in den Armen eines anderen Mannes gesehen." Die Worte lagen schwer auf seiner Zunge. Er war kaum mehr fähig einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn zu sprechen. Da war es wesentlich bequemer gewesen, sich in seinem Selbstmitleid zu suhlen.
„Jetzt schon?" Dieser trockene Kommentar Gimlis ließ Legolas Kopf schneller hochfahren, als gut für ihn wahr. Plötzlich konnte der Zwerg nicht mehr an sich halten. Er brach in solch ein ohrenbetäubendes Gelächter aus, dass die Menschen an den Nebentischen erstaunt inne hielten und zu ihnen herüber sahen. Was auch immer dieser Elb wieder falsch interpretiert haben mochte. Die Sorge Ravenas über sein Ausbleiben war aufrichtig gewesen und, davon einmal abgesehen war das Mädchen so verliebt, dass sie nur Augen für ihren Liebsten hatte.
„Ach komm schon, Legolas, das glaubst du doch nicht wirklich, oder? Es sei dir versichert, dass sie dich über alles liebt." Angesichts Legolas' Gesicht fühlte sich Gimli an einen begossenen Pudel erinnert, der etwas zu lange im Regen gestanden hatte.
„Aber ich weiß doch, was ich gesehen habe." Ächzte der Elb, nicht zugeben wollend, dass er bereits zu der selben Schlussfolgerung gelangt war.
„Du kennst sie noch keine zwei Wochen Legolas.", Gimlis Tonfall wurde unangenehm belehrend, „Vielleicht war es ein Verwandter oder ein enger Freund."
Verblüfft schaute Legolas den Zwerg an. Er hatte recht! Ihm war es immer, als kenne er sie schon sein gesamtes Leben – und dabei handelte es sich noch nicht einmal um zwei Wochen. Im Grunde wusste er nichts über sie. Er hätte ihm noch nicht einmal ihren Geburtstag nennen können. Wie alt mochte sie sein? Neunzehn? Zwanzig? Er empfand es als schwierig das Alter der Menschen richtig einzuschätzen. „Oh Gimli, wie recht du hast, ich bin ihr ein schlechter Gefährte und ihrer Liebe nicht würdig. Gleich morgen werden ich mich hernieder legen und trostlos dahinscheiden."
Wieder musste Gimli herzlich lachen. Da dachte er wirklich, er kenne diesen Elb in und auswendig und da schaffte er es doch trotzdem immer wieder, ihn zu überraschen. Wer hätte gedacht, dass Legolas sich auf seine alten Tage noch verlieben würde? „Das, mein Freund, spar dir noch auf, bis ich Aragorn und den Hobbits hiervon erzählt habe."
Wieder stöhnte Legolas auf, doch dieses mal mehr aus Scham, denn wegen tatsächlicher körperlicher Schmerzen.
„Und jetzt komm, ich bringe dich wieder ins Schloss und dann muss ich auch noch darüber nachdenken, was ich Ravena sagen soll. Bei deiner Dummheit hättest du es wirklich verdient, dass ich ihr die Wahrheit erzähle. Sie macht sich fürchterliche Sorgen um dich."
„Oh Gimli, ich hab wohl ganz schön Mist gebaut, oder?" Damit stützte er sich mit beiden Händen an der Tischplatte ab und versuchte aufzustehen. Etwas, das er sofort wieder aufgab. Er hatte das unbestimmte Gefühl, als würden sich in seinem Kopf zwei gigantische Steinriesen einen Spaß daraus machen, sich gegenseitig Felsen zuzuwerfen. Mit einem Aufstöhnen ließ er sich wieder zurück auf seine Bank fallen. All das beobachtete Gimli mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen.
„Das kannst du laut sagen, mein Freund." Geschickt hatte er Legolas am Arm gepackt und auf die Füße gezogen. Trotz Gimlis Stütze konnte der Elb ein Wegknicken seiner Beine nicht verhindern. Ihm dröhnte der Kopf und er befürchtete, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Nun hatte er eine Ahnung, wie Ravena sich nach ihrem kleinen Wetttrinken gefühlt haben musste. Er dankte den Valar dafür, dass nicht sie es war, die ihn gefunden hatte. Was hätte sie wohl von ihm gehalten, wenn sie dieser Schmach beigewohnt hätte? Nachdem sie schließlich den Wirt bezahlt und die Schenke verlassen hatten, machten sie sich Schritt für Schritt auf den Weg in Richtung des Schlosses.
Die frische Luft schien Legolas gut zu tun, denn auch wenn seine Kopfschmerzen nicht recht weichen wollten, so wurde sein Gang doch bald sicherer. Trotzdem wünschte sich Gimli, den Weg so bald als möglich hinter sich zu bringen. Zu seinem großen Leidwesen musste er nämlich die bittere Erfahrung machen, dass betrunkene, in Selbstmitleid zerfließende Elben noch härter zu ertragen waren als verliebte. Legolas' ausschweifendes Wehklagen über seine eigene Unfähigkeit wurde lediglich durch sein schmerzverzehrtes Stöhnen unterbrochen, wenn er über einen Stein oder ein Straßenloch stolperte. Oh, dieser Elb schuldete ihm nun wahrlich eine Menge.
Gimli schickte drei Stoßgebete gen Himmel, als die Lichter Gadaras endlich in greifbare Nähe gerückt waren. Entgegen Legolas' lautstarken Protestes beschleunigte er seine Schritte. So stark Zwerge auch sein mochten, Elben waren, trotz ihres scheinbar leichten Körperbaus, keine Federgewichte.
Glücklicherweise kamen sie ohne größere Zwischenfälle zum Schloss. Zu dieser Stunde schienen betrunken durch die Straßen ziehende Männer keine Seltenheit zu sein. Als sie endlich den Hof passierten, wunderte Gimli sich über die rege Betriebsamkeit, die zu dieser späten Stunde noch herrschte. Überall wuselten geschäftig wirkende Menschen umher. Hier und da wurde Befehle gebrüllt und Anweisungen gegeben. Er fing einen Stallburschen ab, der gerade im Begriff war ein wahres Prachtexemplar von einem Reitpferd in den Stall zu führen.
„Sag Bursche, was soll diese Betriebsamkeit?" Es hatte noch nie zu Gimlis Stärken gehört, lange um den heißen Brei herumzureden.
„Unerwarteter Besuch." Der Junge schien sehr in Eile zu sein. „Ich weiß nicht, wer angekommen ist, doch es scheinen wohl ein paar wichtige Persönlichkeiten darunter zu sein. Ich muss jetzt schnell weiter." Damit war er auch schon wieder in der Menge der wild herumschwirrenden Pagen und Diener verschwunden, das Pferd hinter sich herziehend. Gimli fand keine Zeit mehr dazu, sich den Kopf über die Neuankömmlinge zu zermatern, denn neben ihm schien sich Legolas' Zustand wieder zu verschlechtern. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt der Elb sich seinen schönen Kopf. Ohne lange zu Fackeln führte er seinen Freund ins innere des Palastes. Oh, wie er in diesem Moment dessen unendlichen Gänge und riesigen Treppen verfluchte. Bei jeder Stufe war es dem Elb, als wären die Steinriesen in seinem Kopf vom Felsenwerfen zum Kegelspiel übergegangen. Diese Kopfschmerzen würden ihn noch einmal Umbringen. So musste es sich anfühlen zu sterben.
Aber schließlich waren alle Treppenstufen erklommen und seine Zimmertür in greifbare Nähe gerückt. Kaum war er in seinem Gemach ließ er sich auch schon vor Schmerzen stöhnend in seine weichen Kissen sinken. Doch kaum hatte er seine Augen geschlossen, fühlte er auch schon einen überwältigen Sog nach ihm greifen, der ihn in die Tiefe riss und seinen Schwindel ins unermessliche steigen ließ. Er stöhnte laut auf. Gimli, der gerade dabei war, seinen Freund von dessen Schuhen zu erleichtern, konnte sich ein weiteres schadenfrohes Grinsen beim besten Willen nicht verkneifen.
„Warte erst bis morgen und du wirst dich noch sehr, sehr viel schlechter fühlen." Wieder hörte man ein gequältes Aufstöhnen von dem Häufchen Elb auf dem Bett kommen. Vielleicht hätte er die Warnungen des Wirtes doch nicht so leichtsinnig in den Wind schlagen sollen.
„So, und jetzt werde ich dich alleine lassen.", er seufzte, „Irgendwie muss ich mir für deine Liebste noch eine Erklärung für deinen prekären Zustand einfallen lassen."
„Gimli, bitte sag ihr nicht, in welchem Zustand du mich gefunden hast." Die Stimme des Elben war ein einziges Flehen.
„Ich werde sehen, was sich machen lässt." Damit wandte er sich zum gehen, doch gerade als er die Tür öffnen wollte, hielt ihn Legolas' Stimme noch einmal zurück.
„Und, Gimli?"
Der Zwerg hielt inne. „Ja?"
„Danke!"
Gimli lachte heimlich in seinen Bart hinein. „Du schuldest mir etwas, Freund." Damit war er entgültig zur Tür hinaus verschwunden. Als er sie hinter sich wieder schloss schüttelte er verwundert den Kopf.
„Verliebte Elben...sie überraschen einen doch immer wieder aufs neue." In diesem Moment vernahm er hinter sich ein Räuspern.
„Verliebte Elben?"
Fassungslos wirbelte der Zwerg herum. Das, was er sah, ließ ihm einen gehörigen Schreck in die Knie fahren. Ihm gegenüber stand, in nächtlicher Dunkelheit gehüllt, eine wahrlich imposante Gestalt. Ein Feind? Entsetzt musste Gimli feststellen, dass er nicht einmal einen einfachen Dolch mit sich führte. Just in diesem Augenblick machte der Fremde einen Schritt nach vorn – und tauchte so in das strahlende Licht des Vollmondes ein, der in seiner voll entfalteten Pracht durch das gegenüberliegende Fenster fiel. Sogleich fiel dem Zwerg die Kinnlade herunter. Er hätte alles und jeden erwartet, aber nicht der, den er jetzt vor sich sah.
„Eure Majestät!"
*~*~*
Fortsetzung folgt...
So und jetzt noch kurz zu euren reviews *froii* schon wieder so vieles und liebes feedback:)@Stoffpferd: uiuiui so ein großes Lob von der Meisterin höchstpersönlich *knuddel* es freut mich riesig, dass dir das Kapitel so gut gefallen hat *froihhops*:)
@dora: Das freut mich, dass es dir auch weiterhin gefällt:) Hm, ich denke wenn jemand Unsterbliches mit jemand Sterblichem zusammen ist, dann wird die Frage nach dem Ende automatisch kommen. Vor allem wenn der Unsterbliche weiß, dass der Tod des Sterblichen aller Wahrscheinlichkeit nach auch sein eigener ist, was für ein Satz *lol*...und für einen Elb ist das Leben eines Menschen ja nicht viel mehr als ein Wimpernschlag, kann ich mir vorstellen *g* Aber Legolas Gedanken werden nicht immer so düster bleiben:)
@mystica: Wow du hast die 17Kapitel alle an einem Tag geschafft? Von sowas bekomm ich immer Migräne *g* Es freut mich natürlich, dass dir auch die Geschichte gefällt:)Aber ich glaube du hast da was klitzekleines missverstanden *g* und zwar ist Vilem ja Ravenas Bruder, weil ihr Vater heißt nämlich Ulfert, oder hab ich mich da irgendwo verschrieben??
@Miriel Hm, also wegen dem ‚bösen' Kapitel *hihi* bin ich mir immer noch unsicher. Im Moment tendiere ich ja eher dazu das Kapitel zu zensieren...ich hoffe dann lyncht mich niemand *g*
@Murmel: Wow, solche Begeisterungsstürme lassen mich richtig rotwerden * kicher* dankee:)
@Anatiriel: und ich freu mich schon riesig auf eure Fortsetzung:) also immer nur her damit, wenn ihr sie habt *g*
@Tanlaith: das freut mich, dass du wieder ins Internet kannst, ich hatte mich nämlich schon gefragt wo du steckst *hihi* danke für dein Feedback:) Ich hab mich auch die ganze Zeit gefragt, ob es zu schnulzig war. Ich find's unheimlich schwer da ne Kurve zu bekommen, aber ich wird mich bemühen es nicht allzu sehr ausarten zu lassen *g*
Soo und dann bekommen natürlich auch noch feanen, Calen, Sanctus, Ekki, Dionne und Cherryleen ein riesengroßes Dankeschön:) *euch alle knuddelt bis ihr keine luft mehr bekommt*:) Macht mich doch glücklich und schreibt mir alle wieder ne review, ja?*g*
Und drückt mir morgen früh die Daumen, ich schreib 6Stunden Deutscharbeit...hoffentlich hält mein armes Patschehändchen das aus *g*
